Newsletter Juni 2013 Nr. 71

INHALT

Sinologen, wo sind wir? Über unsere zögerliche Einmischung in den Mediendiskurs zu China

Warum sind Sinologen im deutschen Mediendiskurs so stark unterrepräsentiert? Warum werden stattdessen andere "Experten" befragt? Melden Sinologen sich nicht oft genug zu Wort? Wenden sich die Medien an die "Falschen"? Haben wir es also mit einem Phänomen von Hol- oder Bringschuld zu tun? Cora Jungbluth äußert sich - anlässlich der Podiumsdiskussion auf der SHAN-Ehemaligenfeier - zu diesem Thema.

>> Zum Artikel


Erzähl mal ... Sabrina Jäger

In ihrem Interview mit SHAN erzählt Sabrina Jäger, wie sie von der Sinologie zum Dokumentarfilm gekommen ist. Nach ihrem BA-Studium in Heidelberg hat sie zunächst einen Doppelabschluss in Göttingen und Beijing gemacht und dann verschiedene Praktika absolviert. Für ihren eigenen Film war ihr jedoch wichtig, ihren sinologischen Hintergrund miteinzubringen.

>> Zum Artikel


DAAD-Übersetzerwettbewerb: Blut- und Eisentauben

Sophia Zasche berichtet von ihrer Teilnahme am deutsch-chinesischen Übersetzerwettbewerb des DAAD und stellt uns ihre Übersetzung des melancholischen Romans Blut- und Eisentauben von Lu Min vor, die sie im Rahmen des Wettbewerbes gemeinsam mit Li Yinyin erstellt hat.

>> Zum Artikel


Chinesische Studenten im nationalsozialistischen Deutschland

In seinem Artikel stellt uns Thomas Kampen Ji Xianlin, Qiao Guanhua und Qiu Fazu vor, die sich noch nach 1933 nach Deutschland zum Studieren wagten. Qiu Fazu besuchte unter anderem die Universität Heidelberg, wo ihm 1982 die Ehrendoktorwürde verliehen wurde.

>> Zum Artikel


 

Sinologen, wo sind wir? Über unsere zögerliche Einmischung in den Mediendiskurs zu China

Chinas weltweite Bedeutung nimmt kontinuierlich zu – wirtschaftlich, politisch und immer mehr auch kulturell. China ist in den Medien allgegenwärtig, leider oft jedoch einseitig und undifferenziert. Wo sind nur die Sinologen, also die Personen, die sich – wie der Name schon sagt – fachlich mit China auseinandersetzen und den Mediendiskurs daher um einige Facetten bereichern könnten? Sie glänzen sehr häufig vor allem durch eines: Abwesenheit.

Ein eklatantes Beispiel hierfür war die globale Finanz- und Wirtschaftskrise. China stand plötzlich als möglicher Retter in der Not ganz vorne in der medialen Berichterstattung und wurde in gängigen Wirtschaftsblättern herauf und herunter analysiert – von Wirtschafts- und Finanzexperten, die allesamt plötzlich zu Chinaexperten mutierten, zum Teil jedoch nicht einmal über das Schattenbankensystem oder die notleidenden Kredite im chinesischen Bankensektor Bescheid wussten. In meiner Erinnerung (die natürlich trügen kann) meldete sich nicht ein einziger Sinologe zu Wort. Vielleicht wurden die Sinologen auch einfach nicht gefragt, aber auf das Thema Holschuld versus Bringschuld komme ich noch zu sprechen.

Es ist ein merkwürdiges Phänomen, das ich in Bezug auf China schon über viele Jahre hinweg beobachten kann: Personen, die über keinerlei oder allenfalls rudimentäre Landeskenntnisse verfügen, die kein Chinesisch können und keinerlei chinabezogenen fachlichen Hintergrund haben, schwingen sich in den deutschsprachigen Medien zu Chinaexperten auf und wurden – ohne jegliche Legitimität – lange Zeit auch als solche akzeptiert. Zum Glück ändert sich das gerade zunehmend. Für mich hat diese Situation zwangsläufig die Frage aufgeworfen, ob es sich hierbei mal wieder um ein Phänomen „mit chinesischen Charakteristika“ handelt – denn  wäre es glaubwürdig, wenn jemand ohne Landes- und Sprachkenntnisse zum USA-Experten oder Frankreichexperten stilisiert würde? Ich halte das für relativ unwahrscheinlich. Aber China ist ja anders und mysteriös. China kann man sowieso nicht verstehen. Also braucht man auch keine eingehenderen Kenntnisse zur Beurteilung der Lage – ist das die dahinter stehende, kaum nachzuvollziehende Logik? Warum werden Sinologen nicht gefragt (=Holschuld der Medien)? Warum sorgen Sinologen nicht dafür, dass sie gefragt werden (=Bringschuld der Sinologen)?  Hier gilt es natürlich zu differenzieren, denn natürlich ist Sinologe nicht gleich Sinologe. Und nicht jeder Sinologe kann zu jedem aktuellen chinabezogenen Thema etwas sagen. Es ist vielleicht auch eine Generationenfrage. Denn die deutsche Sinologie ist traditionell eher historisch-philologisch aufgestellt, woraus sich einfach weniger medienwirksame Themen ergeben.

In meiner Generation (Magister 2006) gibt es hingegen einige Heidelberger Absolventen, die a) gegenwartsbezogen arbeiten und b) in Positionen sind, in denen Pressearbeit eine wichtige Rolle spielt (z. B. private Stiftungen). Das heißt, dass Sinologen, die nicht in der Wissenschaft bleiben (also die Mehrheit), durchaus versuchen, Einfluss auf den deutschen Pressediskurs zu China zu nehmen. Das erweist sich allerdings als nicht immer einfach. Wir leben in einem Land, in dem – im Gegensatz zu dem Land, mit dem wir uns als Sinologen in der Regel beschäftigen – Pressefreiheit herrscht. Das heißt, dass wir den Medien Informationen zur Verfügung stellen können und dies auch so präzise und differenziert tun, wie wir es in unserer akademischen Ausbildung gelernt haben. Aber was damit passiert und wie diese Informationen verwendet, verkürzt und möglicherweise verunstaltet werden – das können wir nicht mehr beeinflussen und die Dinge nehmen ihren unaufhaltsamen Lauf. Aber das ist eben der Preis der Pressefreiheit. Eine besondere Gefahr stellt in dieser Hinsicht das Labelling dar. Anscheinend muss jede Person, die in den Medien zitiert wird ein Politiker, Prominenter, Teilnehmer von „Deutschland sucht den Superstar“ oder eben wenigstens ein thematisch passender Experte sein. Wenn es um China geht, muss das dann eben ein Chinaexperte sein, auch wenn es völlig nebulös ist, woher die fachliche Legitimität dafür stammt. Sinologen bringen immerhin ein Stück weit das Zeug mit. Oftmals ist China aber nicht ausreichend, da scheinbar China = Asien und Asien = China ist, muss gleich der fragwürdige Titel des sogenannten „Asienexperten“ herhalten – Ein solcher Mensch müsste dementsprechend ja fundierte Kenntnisse zu einem äußerst heterogenen Kontinent haben: Ein Kommentar zum Nahostkonflikt oder zur Lage in Afghanistan, eine Kurzanalyse zu den anstehenden Regionalwahlen in Indien oder der politischen Situation in Myanmar, eine Einschätzung zum Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten in Deutschland oder zur Lage auf der koreanischen Halbinsel – Diese Themen sollte ein „Asienexperte“, gleichsam einer 1000-jährigen Eier legenden Sojamilchsau, also ohne Weiteres abhandeln können…Die Realität sieht natürlich anders aus. Dennoch ist es schwierig, um dieses Label herum zu kommen. Denn genauso wenig Einfluss wie auf den verwendeten Inhalt hat man im Medienkontakt hinsichtlich der Bezeichnung, mit der man in Erscheinung tritt. Und Sinologe scheint in dieser Hinsicht einfach (noch?) zu exotisch zu sein. Immerhin lässt sich als Sinologe außerhalb der Wissenschaft die Bringschuld ein wenig begleichen und ist der Kontakt einmal hergestellt, kommen Medienvertreter auch gerne ihrer Holschuld nach und rufen den „Rundum-sorglos“ Chinaexperten zu jedem Thema an, das gerade auf der Agenda steht – vom Parteitag und dem Regierungswechsel über das Frühlingsfest hin zu Strafzöllen auf chinesische Solarprodukte. Dann liegt es an uns selbst zu entscheiden, auf welche Anfragen wir fachkompetent und gewissenhaft eingehen können.

Doch wie sieht es mit der Hol- und Bringschuld in Bezug auf Sinologen in der Wissenschaft aus? Verfügen deutsche Redaktionen über Listen der wichtigsten deutschen Sinologen mit ihren jeweiligen Forschungsschwerpunkten? Besteht allgemein Interesse an aktueller Forschung zu China? Ist das in der journalistischen Praxis überhaupt üblich und in anderen Fächern auch der Fall? Ich würde das bezweifeln. Vieles bleibt doch eher dem Zufall, persönlichen Kontakten oder dem eigenen Engagement überlassen. Womit wir bei der Frage der Bringschuld der Wissenschaft wären. Ein äußerst sensibles und heikles Thema, wie wir bei der Podiumsdiskussion am 4. Mai anlässlich der SHAN-Alumnifeier sehen konnten. Einerseits ist es gerade für Wissenschaftler schwierig, ihre Forschungsergebnisse so in den Medien zu platzieren, dass sie dargestellt werden, wie sie sind: differenziert und tiefgründig, aber vielleicht auch schwer auf den Punkt zu bringen und eben nicht publikumswirksam und polemisch. Denn – wie oben geschildert – ist es nahezu unmöglich für die qualitativ angemessene Verwendung von zur Verfügung gestellten Informationen zu sorgen. Aus diesem Grund ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass von Seiten der deutschen Wissenschaft (im UK und den USA läuft das meines Wissens zum Teil anders) gewisse Berührungsängste gegenüber den Medien bestehen. Denn eine fachlich undifferenzierte Darstellung könnte dem eigenen Image in der Fachgemeinschaft vielleicht doch mehr schaden als nützen. Zudem kostet die Auseinandersetzung mit den Medien viel Zeit – Zeit, die kostbar ist und auf andere Dinge verwendet werden könnte. Das ist jedoch bei weitem kein Sinologen-spezifisches Problem. Ein aufschlussreiches Zitat aus der aktuellen Wirtschaftswoche (17.6.2013, S. 38) zeigt, dass es sich bei der Frage nach der Medienpräsenz von Wissenschaftlern um ein allgemeines Paradigma handelt, dass auch so scheinbar praxisnahe Fächer wie die Wirtschaftswissenschaften betrifft: „Mit Steuergeldern finanzierte Ökonomen sollen nicht im akademischen Elfenbeinturm hocken… Volkswirte sollen sich mit ihrer Fachkompetenz in die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Debatte einmischen und nicht dem Politiker, Hobbyökonomen und Juristen die Deutungshoheit überlassen.“ Hier kommen zwei Dinge zur Sprache, die Wissenschaftler unabhängig vom Fachbereich betreffen: Zum einen die Frage der Finanzierung, die in der Regel steuerbasiert ist. Zum anderen die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung und damit der Deutungshoheit ihres Fachgebiets, die sich daraus, aber auch aus dem Anspruch der Wissenschaft selbst ergibt. Wissenschaft ist eingebettet in die Gesellschaft, sie arbeitet in ihr und  aus ihr heraus und bringt sie im (Idealfall) voran. Allerdings ist gerade für den gesellschaftlichen Fortschritt die Freiheit von Forschung und Lehre eine grundlegende Voraussetzung. Es ist allzu verführerisch, aber auch sehr gefährlich, wissenschaftliche Erkenntnis allein am (gesellschaftlichen) Mehrwert zu messen, der ohnehin kaum definierbar ist. Zudem entfalten Forschungsergebnisse oftmals zeitversetzt oder über Umwege ihre Wirkung außerhalb der Fachwelt. Und manche tun dies auch gar nicht. Insofern wäre es wenig zielführend oder für die Sache sogar schädlich, alle Sinologen zu zwangsverpflichten, sich in die chinabezogene Mediendebatte einzuschalten. Wünschenswert wäre aber eine aktive Gestaltung der Pressearbeit sinologischer Institute in Deutschland, möglicherweise in Kooperation mit den Pressestellen der jeweiligen Universität. Die deutsche Sinologie hat viel zu bieten, Sie sollte und muss die Debatte zu China in Deutschland im 21. Jahrhundert mit gestalten, um ihre rechtmäßige Deutungshoheit in dieser Hinsicht zu etablieren.
(Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autorin wieder.)

Cora Jungbluth

 

Cora Jungbluth ist Project Managerin im Programm „Deutschland und Asien“ der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh und dort zuständig für den Regionalbereich Greater China. Ihr Fachgebiet umfasst die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und China. Bevor sie im Juli 2012 in die Stiftung wechselte, war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sinologie der Universität Freiburg und als Projektmitarbeiterin am Heidelberger Exzellenzcluster „Asien und Europa im globalen Kontext: die Dynamik der Transkulturalität“ tätig. Cora Jungbluth studierte Sinologie und Volkswirtschaftslehre in Heidelberg, Shanghai und Beijing und promovierte in Heidelberg mit einer Arbeit zur Internationalisierung chinesischer Unternehmen.

 Aktuelle Beispiele für Interviews mit Cora Jungbluth als "Asienexpertin"

http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/handelsstreit-china-und-europa-werfen-sich-gegenseitig-dumpingpreise-vor/8320310.html

http://news.xinhuanet.com/english/china/2013-05/25/c_132408325.htm

http://news.xinhuanet.com/world/2013-05/24/c_124758320.htm

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


 

Erzähl mal ... Sabrina Jäger

In ihrem Dokumentarfilm "Eisbein süßsauer" gibt Sabrina Jäger einen Einblick in die Entscheidungsfindung zweier Abiturientinnen mit chinesischen Wurzeln im Spannungsfeld ihrer deutsch-chinesischen Zwischenwelt. Nach mehreren Praktika entschied sie sich dazu, einen eigenen Dokumentarfilm zu drehen, für den sie diese beiden Protagonisten ein dreiviertel Jahr lang begleitete.

SHAN: Obwohl du jetzt deinen eigenen Dokumentarfilm gedreht hast, kommst du nicht direkt aus der Filmwissenschaft. Vielleicht könntest du uns einen kurzen Überblick darüber geben, was du genau studiert hast.

Sabrina Jäger: Gerne. Zunächst habe ich hier in Heidelberg auf Bachelor studiert. Sinologie im Hauptfach (75%) und Soziologie im Nebenfach (25%). Damals hatten wir während des Propädeutikums noch sowohl klassisches als auch modernes Chinesisch. Während des BA-Studiums war ich außerdem zum Auslandsaufenthalt für ein Jahr in Taibei. Da ich zu dem ersten Jahrgang gehörte, der einen BA-Abschluss gemacht hat, war entsprechend auch der Masterstudiengang in Heidelberg noch nicht sehr ausgereift. Insbesondere fehlte es an Studenten, sodass ich mich nach anderen Masterstudiengängen umgesehen habe. Schließlich habe ich einen Masterstudiengang an der Uni Göttingen gefunden, der mich sehr interessiert hat. Dort wurde gerade ein neuer Master eingeführt, der die Bereiche Kulturwissenschaften, Germanistik und Sinologie versuchte, miteinander zu verknüpfen: Interkulturelle Germanistik Deutschland – China.

Im Rahmen dieses Studiengangs habe ich ein Jahr in Göttingen studiert und ein Jahr an unserer chinesischen Partneruniversität in Peking. Meine Masterarbeit habe ich an der BFSU (Beijing Waiguoyu Daxue 北京外国语大学) in Peking geschrieben. Im Jahr 2010 habe ich dann meinen Masterabschluss gemacht. Da wir in beiden Ländern studiert haben, erhielten wir dementsprechend einen Doppelabschluss. Besonders gut gefallen hat mir, dass ich während meiner Zeit an den chinesischen Unis mit integriert war. So habe ich Kurse in der Germanistik besucht und dort viel über unterschiedliche wissenschaftliche Methoden und über die Unterschiede im Bildungssystem gelernt. So waren zwar manche wissenschaftlichen Ansätze schwer miteinander zu verbinden, dabei galt es aber dies durch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz auszugleichen.

 

Und nach deinem Studium bist du dann direkt zum Film gegangen?

Nein, zunächst habe ich verschiedene Praktika gemacht, z.B. im Verlag in Peking oder im chinesischen Kulturzentrum in Berlin. Das war sehr spannend und ich habe viel über Kulturvermittlung gelernt. Danach habe ich mich bei verschiedenen Kultureinrichtungen beworben, aber trotz guter Noten nur Absagen erhalten. Denn leider fehlen im Kulturbereich oftmals die Gelder.  Über die ZO-Liste kam dann ein Praktikumsangebot von dem Dokumentarfilmer Arne Birkenstock aus Köln. Nach einer Bewerbung und einem Vorstellungsgespräch wurde ich direkt angenommen.  Arne Birkenstock hatte bereits eine Dokumentations-Serie (7000 km Heimweh) über deutsche Schüler in China, die dort in Gastfamilien leben, gemacht. Hierbei war für mich vor allem die Machart solch einer Dokumentation interessant. Bereits während meines Studiums habe ich meinen Fokus auf Medien und Film gelegt. Besonders interessierten mich hierbei die Auswirkungen unterschiedlicher Medien auf die Zuschauer mit ihren verschiedenen Weltanschauungen.  In meiner BA-Arbeit über den Tibet-Konflikt 1950/51 habe ich die verschiedenen Sichtweisen des Westens und Chinas untersucht und mich im Masterstudium ebenfalls mit der Berichterstattung auseinandergesetzt. Meine Masterarbeit behandelte dann chinesische historische Fernsehserien als Phänomene kultureller Identitätsstiftung.

Während des halbjährigen Praktikums in Köln habe ich beispielsweise neue Filmthemen recherchiert, Exposés für Filmförderungen geschrieben und konnte Teile des aktuellen Projekts im Schnitt begleiten. Dort wurde mir klar, dass ich einen eigenen Film machen wollte. Diese Erkenntnis kam leider erst nach dem Studium. Wichtig war es nun, so viele Erfahrungen wie möglich zu sammeln. Daher ging ich im Herbst 2011 als Produktionsassistentin zu einer großen Produktionsfirma in Köln, die im Jahr mehrere Filme produziert. Bei dieser Tätigkeit ging es viel um Organisation der verschiedenen Phasen eines Films. Die Organisationsarbeit betrifft in diesem Fall fast 80% eines Films. Währenddessen habe ich selbst schon nach möglichen Themen für meinen eigenen Film recherchiert. Ich wollte auf jeden Fall meinen eigenen Hintergrund und die Erfahrungen der letzten Jahre mit einbringen.

 

Und wie kam es dann tatsächlich zu deinem Dokumentarfilm?

Mir war also klar, es musste um China gehen. Ich wusste aber auch, dass ich wegen begrenzter Mittel nicht vor Ort recherchieren, geschweige denn drehen konnte. Also habe ich mich für das „Überthema“: ´Chinesen in Deutschland` entschieden. Die Beschreibung des Filmvorhabens mit der Suche nach möglichen Protagonisten habe ich per E-Mail an das Konfuzius-Institut in Düsseldorf geschickt. Die E-Mail ist dann aber noch über verschiedene andere Verteiler gelaufen, sodass sich schließlich zwischen 200 und 300 Chinesen bei mir gemeldet haben. Dies hat mir ganz klar das  Bedürfnis der in Deutschland lebenden Chinesen gezeigt, sich in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen zu werden. Es ist nun mal leider so, dass Chinesen in unserer Gesellschaft nicht wirklich wahrgenommen werden. Und wenn, dann häufig mit Stereotypen versehen.

Ich habe dann mit ein paar Interessierten und möglichen Protagonisten telefoniert und mir ihre Biografien und aktuelle Lebenssituation angesehen. Ein guter Dokumentarfilm zeichnet sich für mich durch eine gute Geschichte aus. Das bedeutet, dass der Zuschauer im Film den Protagonisten bei einer Entwicklung begleiten soll. Entsprechend musste ich die Protagonisten recherchieren. Schließlich habe ich die Auswahl auf vier Protagonisten reduziert. Einer davon war gerade in der Abiturphase, was ein wichtiger Teil der Handlung war. Da war mir klar, dass ich nicht warten konnte, bis ich Geld zugesagt bekam oder eine Produktionsfirma gefunden hatte, sondern dass ich gleich anfangen musste.

Im Mai letzten Jahres, habe ich daher, zusammen mit meinem Partner, der schon Erfahrung mit der Kamera hatte, angefangen zu drehen. Bezüglich des Equipments habe ich mich bei Kollegen erkundigt, in Internetforen nachgefragt und ich hatte glücklicherweise auch genügend Bekannte, die mir dabei geholfen haben.

Der Hauptgrund, weswegen ich den Film alleine gemacht habe, ist, dass ich mich zu aller erst einmal „ausprobieren“ wollte und schauen, ob ich mich in der Position als Interviewerin und Regisseuren auch wohlfühle. Darüber hinaus wollte ich bei so einem mit vielen negativen Vorurteilen behafteten Thema wie China meine eigene Perspektive verfolgen. Im Nachhinein denke ich, dass ich zu wenig Erfahrung hatte und manche Ziele vielleicht in Zusammenarbeit mit einer Produktionsfirma klarer hätten formuliert werden können. 

Der Film behandelt die unterschiedlichen Hintergründe und unterschiedlichen Biographien der Protagonisten. Dabei interessierte mich besonders, wie sie mit dem Leben zwischen den Kulturen umgehen. Der Schnitt hat vier bis fünf Monate gedauert. In dieser Phase hat sich die Dramaturgie des Films nochmal komplett verändert – wie es bei Dokumentarfilmen oft üblich ist. Der Film behandelt nun nur noch zwei Protagonisten. Mir war wichtiger, das Leben der zwei jungen Frauen persönlich und nahe zu erzählen. 

 

Wieso hast du den Film „Eisbein süßsauer“ genannt?

Der Titel für meinen Film stand eigentlich gleich von Anfang an fest. Ich habe nach einer Metapher gesucht, die beide Kulturen vereint. „Süß-sauer“ ist ein sehr starker Begriff und das Leben ist eben nicht immer nur süß, sondern auch mal sauer.

Mittlerweile habe ich aber auch eine englische Version, die für Festivals eingereicht werden kann. Wenn der Film gut ist, wird er ausgewählt und läuft dann auf einem Festival. Es gibt drei Kategorien solcher Festivals, von A-C, wobei A die großen Festivals sind, wie in Cannes, und C die kleineren unbekannten Festivals.  Filmfestivals sind deshalb von großer Bedeutung für einen Film, da dort auch Leute aus der gleichen Branche sind und der Film so eine höhere Chance hat, national und international eingekauft zu werden. Allerdings muss man den Film auf den verschiedenen Festivals bereits ein halbes Jahr im Voraus einreichen.

 

Vielleicht kannst du unseren Studenten noch ein paar Tipps geben, wie man in die Branche kommt?

Professionell kommt man natürlich über die Filmhochschule in die Branche, aber als Quereinsteiger ist das auch noch möglich. Allerdings sollte man dafür schon während des Studiums mehrere Praktika machen. Im Medienbereich geht vieles über Kontakte. Wenn man sich erst nach dem Studium für etwas entscheidet, kann das manchmal ein sehr mühsamer Weg werden. In meiner Position als Produktionsassistentin habe ich selbst viele Bewerbungen gelesen. Letztlich, so schade das für manch Fleißige auch sein mag, zählen in dieser Branche die Noten nicht so viel. Praktische Erfahrungen stehen hierbei im Vordergrund. So gilt es auch für mich noch, viele weitere Erfahrungen und Wissen zu sammeln. So besuche ich auch weiterhin Seminare und Workshops und arbeite bereits an meinem nächsten Filmvorhaben.

 

SHAN bedankt sich ganz herzlich für das Interview!

 

Das Interview führte Fabienne Wallenwein.

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


 

DAAD-Übersetzerwettbewerb: Blut- und Eisentauben

Übersetzungen sind immer schwierig. Selbst wenn man den Sinn eines Textes verstanden hat, muss man noch immer die Aufgabe meistern, diesen in angemessenes Deutsch zu übertragen – viele kennen sicher die Frage „Was soll das bedeuten?“. Ist der zu übersetzende Text kein Sachtext, sondern Literatur, so heißt angemessen natürlich schönes Deutsch, das gewisse Stimmungen vermitteln soll. Eine Herausforderung, die nur gemeistert werden kann, wenn man Chinesisch und Deutsch gleichermaßen gut beherrscht und für beide Sprachen ein gutes Gefühl hat; deswegen  haben sich noch nicht viele an diese Aufgabe herangewagt. Leider, denn so haben viele begabte chinesische Autoren keine Gelegenheit, auch ein deutsches Publikum zu erreichen.

Deswegen organisierte der DAAD Ende letzten Jahres einen Übersetzungswettbewerb, bei dem Tandems aus jeweils einem deutschen und einem chinesischen Muttersprachler gebildet wurden. Die Idee dahinter war, so Defizite in der einen oder anderen Sprache ausgleichen zu können. In einer Vorrunde wurden zunächst nur Auszüge aus drei Texten übersetzt, deren fertige Übersetzungen als Abschluss des Projektes in Deutschland unter dem Titel „Auf den Schwingen der Morgenröte“ veröffentlicht werden sollen. In der Endrunde wurden die Texte komplett übersetzt und unter diesen Übersetzungen wurden wieder die besten für jeden Text ausgewählt.

Übersetzt wurden drei Kurzgeschichten, geschrieben jeweils von Nanjinger Schriftstellern der jüngeren Generation: Blut- und Eisentauben von Lu Min (鲁敏), Lehrer einer Mädchenschule von Huang Fan (黄梵) und Lebewohl, Chopin von Dan Yu (丹羽). Auch ich hatte mit einer Freundin, Li Yinyin, ein Übersetzertandem gebildet und eine Übersetzung von Lu Mins Blut- und Eisentauben in der Endrunde eingereicht.

Lu Min, geboren 1973 in Dongtai, Jiangsu, verlor mit 16 ihren Vater, nahm nach ihrem Schulabschluss zunächst verschiedenste Arbeiten an, bis sie sich mit 25 entschloss, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Mit dem Schreiben will sie gegen die Sinnlosigkeit des Lebens ankämpfen und so setzt sie sich auch in ihren Geschichten viel mit den Themen Einsamkeit, Sinnentleertheit und Stumpfsinn im Alltag der heutigen chinesischen Gesellschaft auseinander. Diese Stimmung findet sich auch in der Kurzgeschichte Blut- und Eisentauben. Die Hauptperson, Herr Mu, lebt ein ganz normales Leben in einer beliebigen Stadt in China, geht zur Arbeit, hat eine Frau, einen studierenden Sohn und ein schönes Zuhause. Die Geschichte beginnt, als er seinen Nachbarn schräg über seiner Wohnung kennen lernt, mit ihm über dessen Brieftauben ins Gespräch kommt und Gefallen an den Tieren, nicht aber an ihrem Halter findet. Im Laufe der Geschichte versucht sich Herr Mu in Gedanken immer mehr in eine bessere Welt der Tauben zu fliehen, um dem Alltagstrott seines Jobs und den immer neuen Ermahnungen und Maßnahmen seiner gesundheitsfanatischen Frau zu entgehen. Es werden seine Gedanken, Hoffnungen und auch sein Leiden geschildert bis zu dem Punkt, an dem er nur noch aufgeben kann.

Die Geschichte ist vor allem lesenswert, weil sie ganz abseits von jeglichen großen Fragen, mit denen sich China zu beschäftigen hat, seien sie politischer oder wirtschaftlicher Natur, einen ganz normalen Menschen, seine Gedanken, seine Freuden und Nöte schildert. Man liest über Probleme, die nicht nur Menschen in China haben könnten. Außerdem ist die Mann-Frau-Beziehung in einer normalen chinesischen Familie auch ein Thema der Kurzgeschichte. So erkennt der Leser im Verlauf der Geschichte zum Beispiel, dass die so harmonisch scheinende Ehe von Herrn und Frau Mu nur aufgrund völligem Desinteresse aneinander funktioniert. Man redet miteinander, dabei aneinander vorbei und stört sich nicht daran, denn es ist den Aufwand nicht wert, Missverständnisse zu klären.

Wer nun neugierig auf die Geschichte geworden ist und nicht auf die Veröffentlichung des Buches warten möchte, in der übrigens eine andere Übersetzungsversion erscheinen wird, kann die komplette Übersetzung am Ende der Seite als PDF herunterladen.

 

Sophia Zasche

 

Download: Blut-und Eisentauben

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis


 

Chinesische Studenten im nationalsozialistischen Deutschland: Ji Xianlin, Qiao Guanhua und Qiu Fazu

Anfang der dreißiger Jahre lebten noch viele linke chinesische Studierende in Deutschland. 1933 kehrten manche von ihnen – wie Du Renzhi und Liu Simu – in die Heimat zurück (vgl. Von der Frankfurter Schule zur Pekinger Akademie, Nr. 60); manche wurden verhaftet – wie z.B. Hu Lanqi (vgl. Chinesinnen in Deutschland, Nr. 42) – und manche gingen in andere europäische Länder – wie Xie Weijin, der später am Spanischen Bürgerkrieg teilnahm (vgl. Von Sichuan nach Deutschland und Spanien, Nr. 23). Für die unpolitischen und rechten Kuomintang-nahen Studenten gab es zunächst keinen Grund zu fliehen. Der prominenteste war Chiang Kai-sheks adoptierter (zweiter) Sohn Chiang Wei-kuo (Jiang Weiguo, der sich auch Wego Chiang nannte); Chiangs ältester Sohn Ching-kuo (Jiang Jingguo) lebte zu der Zeit in der Sowjetunion. 
Es gab jedoch auch Chinesen, die erst nach 1933 nach Deutschland reisten; drei von ihnen sollen hier vorgestellt werden. Der älteste wurde im Revolutionsjahr 1911 (Xinhai) geboren, die andern beiden wenig später; sie hatten also  – im Gegensatz zu den obengenannten früheren Studierenden – den Untergang des Kaiserreichs der Qing nicht mehr selbst miterlebt und waren von den Wirren der frühen Republikzeit geprägt. Qiao Guanhua war der prominenteste und hochrangigste und hatte vermutlich wenig Zeit, ausführliche Memoiren zu verfassen, schrieb jedoch kürzere Texte; Ji und Qiu, die über neunzig wurden, haben dagegen ausführliche Erinnerungen hinterlassen.



Ji Xianlin (1911-2009) stammte aus der ostchinesischen Küstenprovinz Shandong. Seine gebildete aber verarmte Familie konnte ihn zunächst wenig unterstützen, sein Vater starb früh. Dennoch gelang es ihm 1930 Student der Qinghua Universität zu werden und 1934 zu graduieren. Zufällig wurde bald darauf ein chinesisch-deutscher Stipendienvertrag abgeschlossen, Ji Xianlin und Qiao Guanhua waren die ersten beiden Studenten, die im September 1935 – über Shanhaiguan, Harbin und Irkutsk – in den Westen reisen durften. Ji ging dann an die Universität Göttingen, wo er Sanskrit lernte und Chinesisch unterrichtete. Wie viele andere Asiaten konnte er nach Ausbruch des Weltkriegs nicht in die Heimat zurückkehren. Da er allerdings von seiner Familie „zwangsverheiratet“ worden war und wenig Interesse an seiner Gattin hatte, zog es ihn nicht zurück und er verliebte sich (unglücklich) in eine Deutsche. Nach dem Krieg kehrte er dann doch zurück, die Rückreise über die Schweiz, Frankreich und Vietnam dauerte mehrere Monate. Ji wurde Professor in Beijing und gehörte zu den wichtigsten Sanskritforschern und Indienexperten Chinas. Bei einem Deutschlandbesuch in den achtziger Jahren traf er seinen alten Doktorvater wieder – aber nicht seine frühere Freundin.



Qiao Guanhua (1913-1983) profitierte wie Ji Xianlin von der Unterstützung durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), hatte aber vollkommen andere Interessen. Er stammte aus der Nachbarprovinz Jiangsu, hatte sein Studium an der Qinghua schon 1933 beendet und war dann nach Japan gegangen. Wegen politischer Aktivitäten mußte er das Land bald wieder verlassen und bekam dann die Gelegenheit, mit Ji nach Deutschland zu reisen. Ji schrieb über Qiao: „Er studierte Philosophie, zwei Klassen über mir. Auf dem Uni-Gelände schritt er, einen Band der deutschen Ausgabe von Hegels Gesamtwerk in der Hand, erhobenen Hauptes dahin, als sei er allein. […] Er war intelligent und vor allem in der klassischen Literatur gebildet.“ (S.52)  Qiao Guanhua ging nach Tübingen, schrieb eine Dissertation über Zhuangzi und kehrte schon 1937 nach China zurück; nach eigenen Angaben, hatte er keine Zeit auf die Promotionsurkunde zu warten. Er trat dann der KP China bei, war im Bereich internationale Propaganda tätig und hatte dabei Kontakt mit Zhou Enlai, dem ebenfalls aus Deutschland zurückgekehrten Wang Bingnan und seiner Frau Anna Wang. In der VR China war er einer der Spitzendiplomaten, der auch bei der UNO eine wichtige Rolle spielte. Nach dem frühen Tod seiner ersten Frau, die auch im diplomatischen Bereich gearbeitet hatte, heiratete er eine jüngere Frau, die vorher als Mao Zedongs Englischlehrerin tätig war. Sie schrieb später ausführlich über Mao und Qiao.



Qiu Fazu (1914-2008) stammte aus Zhejiang und wuchs in der Nähe der Provinzhauptstadt Hangzhou auf. In der ersten Häfte der dreißiger Jahre studierte er zunächst in China Medizin, von 1937 bis 1946 studierte und arbeitete er in Deutschland und promovierte in München. Er heiratete eine Deutsche und kehrte dann mit ihr und einem Sohn in seine Heimat zurück. Sie verbrachten etwa ein Jahrzehnt in Shanghai und zogen dann nach Wuhan, wo beide Ehepartner viele Jahre arbeiteten. Qiu wurde Rektor der Medizinhochschule Wuhan und erhielt 1982 die  Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg. Als er 2008 starb, lebte seine Frau noch, eine Enkelin studierte in Heidelberg.
 

 

 

 

Literatur:
Zhang Hanzhi: Fengyu qing, Shanghai, 1994.
Ji Xianlin: Zehn Jahre in Deutschland, Beijing, 2009.
T. Kampen: Chinesen in Europa - Europäer in China, Gossenberg, 2010.
Qiu Fazu: Über mich selbst. In meinen eigenen Worten, Heidelberg, 2011.

Dr. Thomas Kampen

 

PS: Die Universität Tübingen meldete im letzten Herbst:

Ein weiterer Höhepunkt des Festakts war die feierliche Übergabe der originalen Promotionsurkunde Qiao Guanhuas aus dem Jahr 1938 an seinen Sohn Qiao Zonghuai, ehemaliger Vize-Außenminister der Volksrepublik China. „Es rührt mich sehr, die Urkunde meines Vaters an seiner Statt in Empfang nehmen zu dürfen“, sagte Qiao Zonghuai in Chinesisch. Sein Vater (1913-1983), ehemaliger Außenminister Chinas, ging 1935 zum Auslandsstudium nach Tübingen, wo er seine Doktorarbeit in Philosophie abschloss. „Diese Zeit bereicherte ihn immens und hatte großen Einfluss auf sein späteres Leben.“ Nach dem Angriff Japans auf die Marco-Polo-Brücke 1937 verließ Qiao Guanhuas Deutschland. Seine Promotionsurkunde wurde erst 1938 ausgestellt, weshalb er sie nicht mitnehmen konnte.

http://www.uni-tuebingen.de/aktuelles/newsletter-uni-tuebingen-aktuell/2012/4/studium-und-lehre/3.html

 

<< Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zuletzt bearbeitet von: AF
Letzte Änderung: 04.12.2014
zum Seitenanfang/up