Spaar-Momente

Wenn ich an meinen Bachelor denke, dann denke ich an Herrn Spaar. Meine erste Reaktion auf diese traurige Nachricht. Und dann wurde ich sentimental und dachte an meine erste Stunde. Die allererste Unterrichtsstunde. Die wo man als Frischling am Tag nach dem Einstufungstest morgens in 136 saß und gespannt die Tafel anstarrte. „Chinesisch einmal ganz anders“ lag bereits auf dem Tisch. Dann ging es los! Mein Gott, waren wir alle aufgeregt. Die erste Stunde Chinesischunterricht. Und was für ein Chinesisch! Nachdem sich Dr. Wilfried Spaar vorgestellt hatte, ging es gleich ganz tief in die Materie. Offiziell nicht unter der Bezeichnung Chinesisch gelistet, aber in meinem Kopf gleicher Output: Nominalphrase, Frikativ, Palatale, alveodentale Reihe, Wortstress… „Das ist hier distinktiv. Das müssen Sie beherzigen.“, ungefähr dieser Satz holte mich wieder in die Realität zurück.

Herr Spaar, wie er fortab von uns genannt wurde, erklärte froh und munter die phonetischen Besonderheiten der chinesischen Sprache. Kurz ein Rückgriff ins Lateinische, kleiner Vergleich mit dem Sanskrit (Griechisch war in dem Fall nicht so bedeutsam) und dann noch ein chinesisches Schriftzeichen. Einige Wochen zuvor hatte ich noch überlegt ein reines sprachwissenschaftliches Studium aufzunehmen und dann stand jemand vor mir, der irgendwie alles konnte. Und ich hatte Mühe das Deutsch zu verstehen, mit welchem er uns Chinesisch erklärte. Einziger Lichtblick in meinem Kopf: Ha! Zum Glück Latein gehabt. Dann bei Lehmanns erstmal ein Buch zur Phonetik gekauft. Sonderangebot 5,- €. Steht heute noch im Regal. Die dominante Assoziation zum Buch: Dr. Wilfried Spaar und mein Propädeutikum.

Er vermochte es wie kein anderer Sprache und ihre Bedeutung zu hinterfragen. Und damit meine ich nicht nur das Chinesische! Wirklich haargenau kann ich mich an die Stunden in der Textlektüre „Chinesische Politik“ erinnern. Unendlich lange chinesische Reden, unendlich lange Dienstagabende oder Nächte, um am nächsten Morgen wie jeden Mittwoch sein Rad umständlich in der Akademiestraße zu parken, die Schlüsselkarte für das Sprachlabor herauszukramen und sich pünktlich an einem der Computerarbeitsplätze einzurichten. Mit Stolz breitete ich wie die anderen, die es geschafft hatten sich vorzubereiten, meine Übersetzung aus, steckte sie doch voller Schweiß und Mühe. Die verflixten Endlossätze und die ganzen Aufzählungen 第一…第二…第三… im Deutschen wiederzugeben war jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung! Dann stellte ein Kommilitone vor. Beim zweiten Satz wollte ich eigentlich auch wissen, ob meine Übersetzung stimmt. Also aufgezeigt und nachgefragt. „Kann ich das auch so … übersetzen?“ Die Antwort lies nicht lange auf sich warten. „Das können Sie schon so machen. Aber was soll das bedeuten?“ Sie denken jetzt bestimmt, Sie wüssten was ich meine. Aber diesem Medium fehlt leider ganz essenziell die Betonung, nein nicht nur die Betonung (oder Vertonung?), sondern auch der Wortstress, den Herr Spaar in diesen Gelegenheiten setzte. „Was soll das beedeeeuuten?“ Tja, was sollte das bedeuten? Recht hatte er. Wohl doch nicht so gut übersetzt. Nochmal neu. Zum Glück erfolgte dann auch eine ausführliche Erklärung zu Übersetzungsmustern und Kleinstbestandteilen von Schriftzeichen mit Verweis auf die berühmte von ihm zusammengestellte Liste. Die Liste, tja, dafür ist ein Dienstagabend nicht lang genug. – Diese Liste hat Herr Dr. Spaar übrigens frei verfügbar gemacht, auch auf der Institutswebseite. Wir können also doch noch etwas von ihm lernen!

Lieber Herr Spaar, vielleicht wachen Sie in Zukunft über den Alishan oder über das Heidelberger Propädeutikum, wer weiß das schon. Aber ganz sicher ist ihre Stimme in meinem Kopf. Immer dann, wenn ich eine verquere Übersetzung eines chinesischen Endlossatzes lese. Dann schallt es „Was soll das bedeuten?“ und ich schmunzle… und denke an eine wahnsinnig spannende Zeit!

Kira

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Letzte Änderung: 25.02.2021
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