„Erinnern, betrauern, wachrütteln“
28. Januar 2015
Gedenkstunde für die Kinder, die Opfer der medizinischen Forschung in Heidelberg während der NS-Zeit wurden
Mit einer Kranzniederlegung und einer Schweigeminute eröffnete Prof. Dr. Sabine Herpertz, Direktorin der Klinik für Allgemeine Psychiatrie, eine Gedenkstunde am Mahnmal vor dem Klinikgebäude. Gut 100 Personen waren der Einladung des Zentrums für Psychosoziale Medizin des Universitätsklinikums Heidelberg zu der Veranstaltung unter dem Motto „Erinnern, betrauern, wachrütteln“ am 27. Januar 2015 gefolgt. Sie erinnerte an 21 Kinder, die im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms „Aktion T4“ ermordet wurden, um ihre Gehirne an der damaligen Psychiatrisch-Neurologischen Klinik Heidelberg zu untersuchen. Ihre Namen sind in dem 1998 errichteten Mahnmal eingemeißelt, das von dem Künstler Rolf Schneider gestaltet wurde. „Den Opfern zum Gedenken, uns zur Mahnung“ – mit dieser Aufschrift bringe der Gedenkstein zum Ausdruck, warum man sich hier versammelt habe, so Prof. Herpertz in ihrer Ansprache. „Vor dem Hintergrund unserer historischen Verantwortung müssen wir unser Menschenbild in der Psychiatrie auch heute immer wieder kritisch reflektieren,“ so die Klinikdirektorin.
Im Rahmen der Veranstaltung wurde zugleich eine Informationstafel eingeweiht, die das Mahnmal ergänzt. In Kürze beschreibt sie die Klinikgeschichte und die Rolle des Psychiaters Carl Schneider, der die „Aktion T4“ an der Heidelberger Klinik verantwortete. Vor allem aber rückt sie mit der Abbildung und der Geschichte von Anita A., die 1944 im Alter von vier Jahren getötet wurde, die Opfer des NS-Krankenmordes in den Mittelpunkt und gibt ihnen ein Gesicht. Dr. Joachim Gerner, Bürgermeister für Familie, Soziales und Kultur der Stadt Heidelberg, stellte in seinem Grußwort positiv heraus, dass mit der Tafel nun auch die Hintergründe eines „besonders grausamen und menschenverachtenden Beispiels der NS-Medizin“ für die Öffentlichkeit erläutert werden. Dr. Gerner forderte mit Blick auf die Erfahrungen der Vergangenheit, eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, in der niemand ausgeschlossen wird.
Die Gedenkrede im voll besetzten Hörsaal der Psychiatrischen Klinik hielt Prof. Dr. Wolfgang Eckart vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Heidelberg. Mit dem Entschluss, die Gedenkstunde für die Heidelberger „Forschungskinder“ am 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz abzuhalten, habe man auch die Erinnerung an den Holocaust in seiner Gesamtheit wachhalten wollen. In einer Gesellschaft, in der Rechtsradikalismus und Antisemitismus immer noch an der Tagesordnung seien, sei das unabdingbar. Gerade die Pegida-Versammlungen mit ihrer teils „völkisch-xenophoben Propaganda“ machten deutlich, wie groß die Gefahr sei, dass Ängste in ausgrenzende und potentiell vernichtende Gewalt umschlagen könnten. Für eine aktive Erinnerungskultur plädierte auch Privatdozentin Dr. Maike Rotzoll, die sich in ihren medizinhistorischen Forschungsarbeiten mit der „Aktion T4“ befasst hat. Erinnern bedeute, zu gedenken und zu informieren: „Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst“, sagte sie im Schlusswort.