An der Schnittstelle zwischen Forschung und Versorgung
Das Zentrum für Psychologische Psychotherapie bietet neue Behandlungskonzepte für ADHS an
Sie haben Schwierigkeiten stillzusitzen, aufmerksam zu sein, Anweisungen zu erfüllen, abzuwarten oder ihre Gefühle zu kontrollieren. Kinder mit der neuropsychologischen Entwicklungsstörung ADHS – der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung – sind in ihrem Alltag erheblich beeinträchtigt und leiden häufig sehr unter den Folgen der typischen Symptomatik. Diese sind auch für ihr persönliches Umfeld belastend, was immer wieder zu Konflikten führt. Hilfe finden betroffene Familien im Zentrum für Psychologische Psychotherapie (ZPP) der Universität Heidelberg: Neben den gängigen Therapieangeboten für ADHS-Patienten bietet das ZPP seit drei Jahren ein wissenschaftlich begleitetes Sommertherapiecamp zur Intensivtherapie an, das große Erfolge zeigt. Ziel des Modellprojektes ist es, das neue Behandlungskonzept in die kassenärztliche Regelversorgung zu überführen, um das Angebot verbreitet betroffenen Familien zugute kommen zu lassen.
„Wir arbeiten an der Schnittstelle zwischen Forschung und Versorgung, das heißt, wir können neue Konzepte entwickeln, sie erproben und beforschen und selbst als Behandlung anbieten – aber wir wollen sie auch anderen zur Übernahme zur Verfügung stellen“, erklärt ZPP-Geschäftsführer Dr. Hinrich Bents. Konkret bedeutet das, dass 2014 mit finanzieller Unterstützung der Dietmar Hopp Stiftung eine zweijährige Modellphase für das Sommertherapiecamp startete, wobei die Wirksamkeit des therapeutischen Ansatzes mit einer wissenschaftlichen Begleitstudie in Kooperation mit Prof. Dr. Sabina Pauen vom Psychologischen Institut untersucht wurde. Aufgrund des Erfolgs wird das Modell nun mit weiterer Förderung der Stiftung ausgebaut und auch weiterhin wissenschaftlich begleitet. Zugleich gibt es erste Gespräche mit den Krankenkassen.
Geleitet wird das Sommertherapiecamp (STC) von Dr. Lysett Babocsai, die das aus den USA stammende Therapiekonzept inhaltlich und für den deutschen Sprachraum weiterentwickelte. Kooperationspartner fand sie in Sabina Pauen und dem Zentrum für Psychologische Psychotherapie sowie in Dr. Eva Vonderlin, der Studien- und Ambulanzleiterin für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie am ZPP. Anstelle der üblichen 50 Minuten Behandlung pro Woche setzt das STC auf eine Intensivbehandlung, die sich bei Kindern mit ADHS als erfolgreich erwiesen hat. „Zentral in dem Konzept ist das Prinzip Verstärkung, das heißt, die Kinder werden für angemessenes Verhalten belohnt“, erklärt Lysett Babocsai. Denn sie brauchen viel Input und Lob an den richtigen Stellen, damit sie das erwünschte Verhalten aufbauen und etablieren können. „Wenn das Kind nur hört: Hör auf, setz dich, du störst, dann sind diejenigen Synapsen stillgelegt, die eigentlich aufgebaut werden sollen – so kann nichts Neues entstehen. Dafür braucht es Zeit und echtes Training, das auch über Stunden geht – Fahrradfahren lernt man schließlich auch nicht, indem man einmal die Woche darüber spricht“, erklärt Hinrich Bents.
In dem Tages-Camp in den Sommerferien arbeitet ein Team von 14 bis 16 Betreuern vier Wochen lang mit 20 Kindern, die zwischen sieben und zehn Jahren alt sind, an den Problemen der ADHS-Kernsymptomatik Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität und Impulsivität. Der Tagesablauf besteht aus verschiedenen Gruppenaktivitäten, bei denen die Kinder mit klaren Anweisungen und vielen Wiederholungen das erwünschte Verhalten trainieren und als Verstärkung viel Lob und positive Rückmeldungen erhalten. Auch die Eltern werden in das STC-Behandlungskonzeptes eingebunden und lernen Grundprinzipien für den Umgang mit den Kindern sowie Strategien zur Verhaltensänderung. „Wir bekommen sehr positive Rückmeldungen von den Eltern, dass sich nicht nur das Verhalten der Kinder verbessert hat, sondern dass sie selbst auch sehr viel dazugelernt haben“, erklärt Eva Vonderlin.
Positiv sind auch die Ergebnisse der Begleitstudie, für die vor dem Sommertherapiecamp, unmittelbar danach und nochmals drei Monate später die Familien befragt und verschiedene Tests mit den Kindern durchgeführt wurden. „Es zeigt sich vor allem ein deutlicher Rückgang bei den sozialen Konflikten, also ein Anstieg der sozialen Kompetenz der Kinder, aber auch ein Rückgang bei den depressiven Tendenzen“, sagt Dr. Vonderlin. „Die Kinder entwickeln durch die positiven Rückmeldungen mehr Selbstvertrauen.“ Entsprechend groß ist die Nachfrage nach Plätzen. Das ZPP will das Intensivtherapieprogramm künftig viermal im Jahr anbieten und in der zweiten Förderphase des Projekts Konzepte für eine Verstetigung des Angebots erarbeiten, mit denen es auch in den Alltag eingebaut werden kann.