Symposion zum 100. Geburtstag von Nobelpreisträger Hans Jensen in Heidelberg
3. Juli 2007
Institutsgebäude Philosophenweg 16 jetzt „Jensen-Haus“ – Von der Klaus Tschira Stiftung finanzierte Jensen-Gastprofessur ab 2008
Der 100. Geburtstag des Heidelberger Physik-Nobelpreisträgers Hans Jensen (1907-1973) war Anlass eines wissenschaftlichen Symposions über „Fundamental Physics and the Shell Model“ am 22. Juni 2007. Das Institutsgebäude Philosophenweg 16 des Instituts für Theoretische Physik der Universität Heidelberg wurde feierlich als „Jensen-Haus“ benannt, eine von der Klaus Tschira Stiftung finanzierte Jensen-Gastprofessur wird ab 2008 eingerichtet. Veranstalter des Symposions waren die Fakultät für Physik und Astronomie und das Institut für Theoretische Physik.
Jensen erhielt 1963 den Physik-Nobelpreis zusammen mit Maria Goeppert Mayer für die Entwicklung des so genannten Schalenmodells, das erstmals eine Erklärung der bis dahin völlig unverstandenen Vielfalt von Eigenschaften und Strukturen der Kerne ermöglichte. Vor allem ergaben sich daraus die experimentell gefundenen „magischen Zahlen“: die Protonen- und Neutronenzahlen von Elementen mit besonderen Stabilitätseigenschaften und herausragenden Häufigkeiten, 2, 8, 20, 28, 50 und 82, sowie 126 für Neutronen.
Jensen war 1949 auf Betreiben Walther Bothes (Nobelpreis 1954) von der Technischen Hochschule Hannover nach Heidelberg berufen worden, wo es nach Kriegsende einen neuen Lehrstuhl für Theoretische Physik gab. Neben seiner Arbeit an kern- und teilchenphysikalischen Fragestellungen setzte er sich für den Wiederaufbau der Physik in Heidelberg ein. Das Institut für Theoretische Physik erhielt neue Lehrstühle mit neuen Arbeitsrichtungen, insbesondere der Theoretischen Teilchenphysik. Zusammen mit Walther Bothe gelang es ihm auch, die experimentelle Physik in Heidelberg auszubauen und bekannte Experimentalphysiker dafür zu gewinnen, so Otto Haxel 1950 und Hans Kopfermann 1953 aus Göttingen.
Im Zusammenhang mit seinem Bemühen, Kopfermann nach Heidelberg zu berufen, hatte Jensen den Kauf des Hauses Philosophenweg 16 durch das Land Baden-Württemberg unterstützt. Nach dem Willen der Eigentümer, der Familie Merton, sollte das Haus durch die Universität genutzt werden.
Es war ursprünglich 1912 für Hugo Merton gebaut worden, der seine Biologie-Professur an der Heidelberger Universität Ende 1935 als Folge der NS-Rassegesetze verlor und im November 1938 in das Konzentrationslager Dachau deportiert wurde. Im darauffolgenden Jahr konnte er nach Schottland emigrieren, nachdem das Haus zwangsverkauft worden war. Er starb im Jahre 1940. Das Haus wurde nach Kriegsende im Rahmen eines Wiedergutmachungsverfahrens an die Familie Merton zurückgegeben, die es jedoch nicht mehr selbst bewohnen wollte. Im Jahre 1953 wurde es an das Land Baden-Württemberg verkauft, das es wie gewünscht der Universität zur Verfügung stellte.
Das Symposion zur hundertsten Wiederkehr des Geburtstages von Hans Jensen (geboren 25. Juni 1907 in Hamburg) begann mit der Einleitung des Dekans der Fakultät für Physik und Astronomie, Matthias Bartelmann, der Jensens Lebenslauf schilderte, und den Sponsoren dankte – darunter der Klaus Tschira Stiftung, der Gesellschaft der Freunde der Universität Heidelberg, der Max Planck Gesellschaft, und der Heidelberger Graduiertenschule für Fundamentale Physik.
Er verglich Jensens Rolle bei der Entwicklung der Physik in Heidelberg nach dem Krieg mit der Wurzel eines Baumes, aus dem viele starke Äste hervorgegangen sind, neben der Theoretischen Physik die Institute für Experimentalphysik und für Angewandte Physik. Auch die Gründung des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik durch Wolfgang Gentner im Jahre 1958 wurde von Jensen gefördert.
Symposion
Zunächst sprach Hans Weidenmüller, früher Direktor am Heidelberger Max-Planck-Institut, 1965-67 Student von Jensen, über Inhalt und Bedeutung des von Jensen und parallel von Maria Goeppert Mayer in Argonne entwickelten Schalenmodells der Kerne. Beide hatten zunächst unabhängig voneinander, später in direkter Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Buch über das Thema die wichtige Rolle der so genannten Spin-Bahn-Kopplung in Kernen erkannt und ausgeführt.
Sie beeinflusst entscheidend die durch den Drehimpuls gekennzeichneten Energieniveaus in Kernen und ermöglicht auf der Grundlage unabhängiger Bewegung der Kernteilchen – Neutronen und Protonen – die im Vergleich zu Messungen korrekte Abfolge der Energieniveaus, und damit der Schalenabschlüsse bei den magischen Zahlen.
Die Publikation von Haxel, Jensen und Suess erschien 1949 in der amerikanischen Zeitschrift „Physical Review“ und war damals, wie Weidenmüller schilderte, eine sehr überraschende Lösung des Problems. Die zunächst offenkundig scheinenden Widersprüche einerseits zum kollektiven Verhalten von Nukleonen in Kernen, wie es sich beispielsweise in den gemessenen Rotationsspektren zeigt, und andererseits zum ebenfalls experimentell belegten chaotischen Verhalten der Nukleonen – wie es sich in Niels Bohrs Compoundkern-Bild manifestierte – fanden erst im Laufe der späteren wissenschaftlichen Entwicklung ihre Auflösung.
So liefern Schalenmodell-Rechnungen in großen Konfigurationsräumen tatsächlich auch die Rotationsspektren, und innerhalb der einzelnen Schalen bleibt kein Widerspruch zum chaotischen Verhalten der Kernteilchen: Wenn man die Restwechselwirkung berücksichtigt, ergibt sich das randomisierte Verhalten auch in Schalenmodell-Rechnungen. Bis heute gibt es jedoch keine schlüssige Ableitung des Schalenmodells aus der zugrunde liegenden Wechselwirkung der Nukleonen im Kern.
Berthold Stech, Jensens früherer Mitarbeiter und langjähriger Direktor des Heidelberger Instituts für Theoretische Physik, präsentierte einen sehr lebendigen Vortrag über seine persönlichen Erinnerungen an Jensen mit zahlreichen historischen Bildern. Als Studentenvertreter hatte Stech nach dem Krieg mit dazu beigetragen, dass die Berufung von Jensen nach Heidelberg realisiert wurde – durch einen Brief an die Lokalzeitung, dessen Anliegen der Verleger Herrmann Knorr dann der Landesregierung persönlich vortrug.
Zwar mussten sich die Studenten erst an den unkonventionellen Stil des „großen Meisters“ Jensen gewöhnen – er hatte zu allem stets ironische Bemerkungen parat, sich selbst eingeschlossen –, lernten aber bald die von ihm aufgebaute herausragende wissenschaftliche und soziale Atmosphäre am Institut zu schätzen. Zum 60. Geburtstag von Bothe im Jahre 1951 kamen viele berühmte Physiker der damaligen Zeit, auch Lise Meitner, Pauli und Heisenberg, nach Heidelberg – der Aufbau der Heidelberger Fakultät war in vollem Gang, und Jensen wurde ihr Mittelpunkt.
Es war ein Glücksfall, dass Jensen private Räume im Haus Philosophenweg 16 bewohnte. Als Sohn eines Gärtners von „Planten un Blomen“ in Hamburg pflegte er den Garten und war stolz darauf. Spät am Abend lud er oftmals Studenten und Mitarbeiter ein, diskutierte mit ihnen oder hörte mit ihnen klassische Musik. Alle Treffen mit ihm waren fruchtbar nicht zuletzt wegen seiner profunden kulturellen, historischen und philosophischen Einsichten. Jensen hatte viele Freunde, lachte viel und machte viele humorvolle Bemerkungen, stets präzise auf den Punkt.
Am Schluss seines Beitrages zitierte Stech noch einen aus Anlass dieses Symposions geschriebenen Brief der Nobelpreisträger Aage Bohr und Ben Mottelson, in dem sie betonten, wie sehr sie die inspirierende Persönlichkeit Jensens schätzten.
Wolfgang Hillebrandt, Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik in München-Garching, sprach anschließend über Supernovae und das Schalenmodell – ein hochaktuelles Forschungsgebiet, das aus der Synthese von Astrophysik und Kernphysik hervorgegangen ist. In Supernovae vom Typ Ia gibt es einen hohen und weitgehend konstanten Anteil von Nickel-56. Obwohl dieser Kern doppelt magisch ist (Protonen- und Neutronenzahl jeweils 28), ist er nicht stabil (Halbwertszeit etwa sechs Tage), und die Helligkeit der Supernova ist proportional zur erzeugten Masse an Nickel-56. Sofern die Vorläufersterne ähnlich sind, ermöglicht dies sehr genaue Entfernungsbestimmungen im Kosmos. Seit 1998 hat sich auf dieser Basis die Erkenntnis verdichtet, dass sich die Expansion unseres Universums beschleunigt – als Folge einer heute noch rätselhaften „Dunklen Energie“, deren Erforschung weltweit, so auch im transregionalen Sonderforschungsbereich „The Dark Universe“ an den Universitäten Bonn, München und Heidelberg, vorangetrieben wird.
In Corekollaps-Supernovae wie der SN 1987A in der Großen Magellanschen Wolke, bei der in wenigen Sekunden ein blauer Überriese explodierte, lassen sich unsere Vorstellungen zur Elementsynthese in Sternen direkt testen. Beispielsweise durch Beobachtung charakteristischer Gammastrahlung des Isotops Eisen-56: Elemente wie Nickel-56, aus denen schließlich Eisen entstand, müssen im Vorläuferstern der Supernova oder bei der Explosion synthetisiert worden sein.
Elemente jenseits vom Eisen bis hin zum Uran werden insbesondere im so genannten r-Prozess gebildet: rascher Neutroneneinfang und anschließender Betazerfall. Es zeigt sich, dass die so erzeugten Elementhäufigkeiten im wesentlichen durch die Kernstruktur und damit durch das Schalenmodell erklärbar sind, die Feinheiten der astrophysikalischen Prozesse demgegenüber nicht so wichtig sind.
Begleitet wurden die Vorträge von den wunderbaren musikalischen Darbietungen – Bach, Buxtehude und Händel – des Heidelberger „Canonical Ensembles“. Es besteht aus theoretischen Physikern um die Sopranistin Regina Schmidt, die hauptberuflich Physikerin ist und bei SAP arbeitet.
Eine kurze Rede von Joachim Heintze mit persönlich gehaltenen Eindrücken zu Jensen bildete den Auftakt zum anschließenden Kolloquium von Peter Armbruster von der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Er sprach über die Synthese der schwersten Elemente, deren (relative) Stabilität ebenfalls eine Folge der Goeppert-Jensenschen Schaleneffekte ist.
Nach der Konstruktion des Geschwindigkeitsfilters SHIP für die Reaktionsprodukte in den 1970er Jahren wurden bei der GSI die neuen Elemente Hassium, Meitnerium, Darmstadtium und Roentgenium mit den Ordnungszahlen Z = 108 – 112 synthetisiert; das schwerste Element wartet noch auf die Namensgebung. Das wesentliche Rezept für diesen außerordentlichen Erfolg war der Einsatz der so genannten „kalten Fusion“ schwerer Kerne wie Blei (82 Protonen) mit mittelschweren wie Zink (30 Protonen; das ergibt Z = 112, GSI 1996), bei der es nur eine geringe Aufheizung des Fusionskerns gibt, und deshalb nur jeweils ein Neutron freigesetzt wird. Die neu entstandenen Elemente sind kurzlebig, mit typischen Halbwertszeiten im Millisekunden- bis Sekundenbereich, und werden jeweils anhand ihrer charakteristischen Alpha-Zerfallsketten eindeutig nachgewiesen.
Japanische Wissenschaftler konnten mit dieser Methode inzwischen (2004) auch das Element Z = 113 synthetisieren. Im russischen Forschungszentrum Dubna gelang dagegen mit der Methode der „heißen“ Fusion, bei der die Fusionsprodukte stark aufgeheizt werden und drei oder mehr Neutronen aussenden, die Synthese der neuen Element mit den Ordnungszahlen 114, 116 und 118, über die Armbruster ebenfalls berichtete.
Insgesamt hat man bis heute 85 neue Isotope der Elemente jenseits von Rutherfordium (Z = 104) hergestellt. Einige Elemente – so Hassium und Z = 112 – sind bereits mit chemischen Methoden untersucht worden, dabei wurde die Ordnungszahl jeweils bestätigt.
Skeptisch zeigte sich Armbruster in bezug auf die Aussichten, sphärische superschwere Elemente im Zentrum der „Insel der Stabilität“ herzustellen, die nach neueren relativistischen Rechnungen erst bei Z = 120 vermutet wird, und nicht bei Z = 114, wie man früher glaubte. Die „magische“ Neutronenzahl sollte, wie es Jensen und Goeppert Mayer in ihrem Buch über das Schalenmodell bereits geschrieben hatten, bei N = 184 sein, das Element also 304 Kernteilchen haben. Jedoch sind die erwarteten Wirkungsquerschnitte extrem gering, und nur wenn die Anregungsenergie sehr klein bleibt, gibt es eine – äußerst geringe – Aussicht, das Element herstellen zu können.
Jensen-Haus und Gastprofessur
Im Anschluss an die Vorträge gingen die Festgäste den
Philosophenweg hinauf zum frisch renovierten Institutsgebäude Nr. 16. Zum Chorgesang von „Freude Schöner Gotterfunken“ wurde eine Bronzetafel mit dem Relief von Hans Jensen enthüllt, die der Darmstädter Künstler Professor Thomas Duttenhoefer gestaltet hat, zusammen mit einer Bronzeplastik. Beide Objekte sind durch großzügige Förderung seitens der Klaus Tschira Stiftung, Heidelberg, ermöglicht worden. Die Stiftung der Freunde der Universität leistete Beiträge zu einer begleitenden Ausstellung im Institut. Das folgende Fest mit vielen früheren Bekannten und Schülern Jensens und der jungen Wissenschaftler-Generation fanden alle trotz gelegentlicher Regenschauer sehr gelungen.
Für 2008 wird eine Jensen-Gastprofessur ausgeschrieben, die ebenfalls durch die Klaus Tschira Stiftung finanziert wird. Für fünf Jahre werden prominente Physiker in wechselnder Besetzung und für unterschiedliche Zeiträume diese Position am Institut für Theoretische Physik bekleiden, Seminare veranstalten, forschen und jeweils einen allgemeinverständlichen Vortrag für die Öffentlichkeit halten.
((Der Textautor stellt gerne diverse Fotos zur Verfügung.))
Rückfragen bitte an:
Priv.-Doz. Dr. Georg Wolschin
wolschin@uni-hd.de
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
http://www.uni-heidelberg.de/presse
Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
presse@rektorat.uni-heidelberg.de
Jensen erhielt 1963 den Physik-Nobelpreis zusammen mit Maria Goeppert Mayer für die Entwicklung des so genannten Schalenmodells, das erstmals eine Erklärung der bis dahin völlig unverstandenen Vielfalt von Eigenschaften und Strukturen der Kerne ermöglichte. Vor allem ergaben sich daraus die experimentell gefundenen „magischen Zahlen“: die Protonen- und Neutronenzahlen von Elementen mit besonderen Stabilitätseigenschaften und herausragenden Häufigkeiten, 2, 8, 20, 28, 50 und 82, sowie 126 für Neutronen.
Jensen war 1949 auf Betreiben Walther Bothes (Nobelpreis 1954) von der Technischen Hochschule Hannover nach Heidelberg berufen worden, wo es nach Kriegsende einen neuen Lehrstuhl für Theoretische Physik gab. Neben seiner Arbeit an kern- und teilchenphysikalischen Fragestellungen setzte er sich für den Wiederaufbau der Physik in Heidelberg ein. Das Institut für Theoretische Physik erhielt neue Lehrstühle mit neuen Arbeitsrichtungen, insbesondere der Theoretischen Teilchenphysik. Zusammen mit Walther Bothe gelang es ihm auch, die experimentelle Physik in Heidelberg auszubauen und bekannte Experimentalphysiker dafür zu gewinnen, so Otto Haxel 1950 und Hans Kopfermann 1953 aus Göttingen.
Das Theorie-Institut am Philosophenweg
Im Zusammenhang mit seinem Bemühen, Kopfermann nach Heidelberg zu berufen, hatte Jensen den Kauf des Hauses Philosophenweg 16 durch das Land Baden-Württemberg unterstützt. Nach dem Willen der Eigentümer, der Familie Merton, sollte das Haus durch die Universität genutzt werden.
Es war ursprünglich 1912 für Hugo Merton gebaut worden, der seine Biologie-Professur an der Heidelberger Universität Ende 1935 als Folge der NS-Rassegesetze verlor und im November 1938 in das Konzentrationslager Dachau deportiert wurde. Im darauffolgenden Jahr konnte er nach Schottland emigrieren, nachdem das Haus zwangsverkauft worden war. Er starb im Jahre 1940. Das Haus wurde nach Kriegsende im Rahmen eines Wiedergutmachungsverfahrens an die Familie Merton zurückgegeben, die es jedoch nicht mehr selbst bewohnen wollte. Im Jahre 1953 wurde es an das Land Baden-Württemberg verkauft, das es wie gewünscht der Universität zur Verfügung stellte.
Das Symposion zur hundertsten Wiederkehr des Geburtstages von Hans Jensen (geboren 25. Juni 1907 in Hamburg) begann mit der Einleitung des Dekans der Fakultät für Physik und Astronomie, Matthias Bartelmann, der Jensens Lebenslauf schilderte, und den Sponsoren dankte – darunter der Klaus Tschira Stiftung, der Gesellschaft der Freunde der Universität Heidelberg, der Max Planck Gesellschaft, und der Heidelberger Graduiertenschule für Fundamentale Physik.
Er verglich Jensens Rolle bei der Entwicklung der Physik in Heidelberg nach dem Krieg mit der Wurzel eines Baumes, aus dem viele starke Äste hervorgegangen sind, neben der Theoretischen Physik die Institute für Experimentalphysik und für Angewandte Physik. Auch die Gründung des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik durch Wolfgang Gentner im Jahre 1958 wurde von Jensen gefördert.
Symposion
Zunächst sprach Hans Weidenmüller, früher Direktor am Heidelberger Max-Planck-Institut, 1965-67 Student von Jensen, über Inhalt und Bedeutung des von Jensen und parallel von Maria Goeppert Mayer in Argonne entwickelten Schalenmodells der Kerne. Beide hatten zunächst unabhängig voneinander, später in direkter Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Buch über das Thema die wichtige Rolle der so genannten Spin-Bahn-Kopplung in Kernen erkannt und ausgeführt.
Sie beeinflusst entscheidend die durch den Drehimpuls gekennzeichneten Energieniveaus in Kernen und ermöglicht auf der Grundlage unabhängiger Bewegung der Kernteilchen – Neutronen und Protonen – die im Vergleich zu Messungen korrekte Abfolge der Energieniveaus, und damit der Schalenabschlüsse bei den magischen Zahlen.
Die Publikation von Haxel, Jensen und Suess erschien 1949 in der amerikanischen Zeitschrift „Physical Review“ und war damals, wie Weidenmüller schilderte, eine sehr überraschende Lösung des Problems. Die zunächst offenkundig scheinenden Widersprüche einerseits zum kollektiven Verhalten von Nukleonen in Kernen, wie es sich beispielsweise in den gemessenen Rotationsspektren zeigt, und andererseits zum ebenfalls experimentell belegten chaotischen Verhalten der Nukleonen – wie es sich in Niels Bohrs Compoundkern-Bild manifestierte – fanden erst im Laufe der späteren wissenschaftlichen Entwicklung ihre Auflösung.
So liefern Schalenmodell-Rechnungen in großen Konfigurationsräumen tatsächlich auch die Rotationsspektren, und innerhalb der einzelnen Schalen bleibt kein Widerspruch zum chaotischen Verhalten der Kernteilchen: Wenn man die Restwechselwirkung berücksichtigt, ergibt sich das randomisierte Verhalten auch in Schalenmodell-Rechnungen. Bis heute gibt es jedoch keine schlüssige Ableitung des Schalenmodells aus der zugrunde liegenden Wechselwirkung der Nukleonen im Kern.
Berthold Stech, Jensens früherer Mitarbeiter und langjähriger Direktor des Heidelberger Instituts für Theoretische Physik, präsentierte einen sehr lebendigen Vortrag über seine persönlichen Erinnerungen an Jensen mit zahlreichen historischen Bildern. Als Studentenvertreter hatte Stech nach dem Krieg mit dazu beigetragen, dass die Berufung von Jensen nach Heidelberg realisiert wurde – durch einen Brief an die Lokalzeitung, dessen Anliegen der Verleger Herrmann Knorr dann der Landesregierung persönlich vortrug.
Zwar mussten sich die Studenten erst an den unkonventionellen Stil des „großen Meisters“ Jensen gewöhnen – er hatte zu allem stets ironische Bemerkungen parat, sich selbst eingeschlossen –, lernten aber bald die von ihm aufgebaute herausragende wissenschaftliche und soziale Atmosphäre am Institut zu schätzen. Zum 60. Geburtstag von Bothe im Jahre 1951 kamen viele berühmte Physiker der damaligen Zeit, auch Lise Meitner, Pauli und Heisenberg, nach Heidelberg – der Aufbau der Heidelberger Fakultät war in vollem Gang, und Jensen wurde ihr Mittelpunkt.
Es war ein Glücksfall, dass Jensen private Räume im Haus Philosophenweg 16 bewohnte. Als Sohn eines Gärtners von „Planten un Blomen“ in Hamburg pflegte er den Garten und war stolz darauf. Spät am Abend lud er oftmals Studenten und Mitarbeiter ein, diskutierte mit ihnen oder hörte mit ihnen klassische Musik. Alle Treffen mit ihm waren fruchtbar nicht zuletzt wegen seiner profunden kulturellen, historischen und philosophischen Einsichten. Jensen hatte viele Freunde, lachte viel und machte viele humorvolle Bemerkungen, stets präzise auf den Punkt.
Am Schluss seines Beitrages zitierte Stech noch einen aus Anlass dieses Symposions geschriebenen Brief der Nobelpreisträger Aage Bohr und Ben Mottelson, in dem sie betonten, wie sehr sie die inspirierende Persönlichkeit Jensens schätzten.
Wolfgang Hillebrandt, Direktor am Max-Planck-Institut für Astrophysik in München-Garching, sprach anschließend über Supernovae und das Schalenmodell – ein hochaktuelles Forschungsgebiet, das aus der Synthese von Astrophysik und Kernphysik hervorgegangen ist. In Supernovae vom Typ Ia gibt es einen hohen und weitgehend konstanten Anteil von Nickel-56. Obwohl dieser Kern doppelt magisch ist (Protonen- und Neutronenzahl jeweils 28), ist er nicht stabil (Halbwertszeit etwa sechs Tage), und die Helligkeit der Supernova ist proportional zur erzeugten Masse an Nickel-56. Sofern die Vorläufersterne ähnlich sind, ermöglicht dies sehr genaue Entfernungsbestimmungen im Kosmos. Seit 1998 hat sich auf dieser Basis die Erkenntnis verdichtet, dass sich die Expansion unseres Universums beschleunigt – als Folge einer heute noch rätselhaften „Dunklen Energie“, deren Erforschung weltweit, so auch im transregionalen Sonderforschungsbereich „The Dark Universe“ an den Universitäten Bonn, München und Heidelberg, vorangetrieben wird.
In Corekollaps-Supernovae wie der SN 1987A in der Großen Magellanschen Wolke, bei der in wenigen Sekunden ein blauer Überriese explodierte, lassen sich unsere Vorstellungen zur Elementsynthese in Sternen direkt testen. Beispielsweise durch Beobachtung charakteristischer Gammastrahlung des Isotops Eisen-56: Elemente wie Nickel-56, aus denen schließlich Eisen entstand, müssen im Vorläuferstern der Supernova oder bei der Explosion synthetisiert worden sein.
Elemente jenseits vom Eisen bis hin zum Uran werden insbesondere im so genannten r-Prozess gebildet: rascher Neutroneneinfang und anschließender Betazerfall. Es zeigt sich, dass die so erzeugten Elementhäufigkeiten im wesentlichen durch die Kernstruktur und damit durch das Schalenmodell erklärbar sind, die Feinheiten der astrophysikalischen Prozesse demgegenüber nicht so wichtig sind.
Begleitet wurden die Vorträge von den wunderbaren musikalischen Darbietungen – Bach, Buxtehude und Händel – des Heidelberger „Canonical Ensembles“. Es besteht aus theoretischen Physikern um die Sopranistin Regina Schmidt, die hauptberuflich Physikerin ist und bei SAP arbeitet.
Eine kurze Rede von Joachim Heintze mit persönlich gehaltenen Eindrücken zu Jensen bildete den Auftakt zum anschließenden Kolloquium von Peter Armbruster von der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Er sprach über die Synthese der schwersten Elemente, deren (relative) Stabilität ebenfalls eine Folge der Goeppert-Jensenschen Schaleneffekte ist.
Nach der Konstruktion des Geschwindigkeitsfilters SHIP für die Reaktionsprodukte in den 1970er Jahren wurden bei der GSI die neuen Elemente Hassium, Meitnerium, Darmstadtium und Roentgenium mit den Ordnungszahlen Z = 108 – 112 synthetisiert; das schwerste Element wartet noch auf die Namensgebung. Das wesentliche Rezept für diesen außerordentlichen Erfolg war der Einsatz der so genannten „kalten Fusion“ schwerer Kerne wie Blei (82 Protonen) mit mittelschweren wie Zink (30 Protonen; das ergibt Z = 112, GSI 1996), bei der es nur eine geringe Aufheizung des Fusionskerns gibt, und deshalb nur jeweils ein Neutron freigesetzt wird. Die neu entstandenen Elemente sind kurzlebig, mit typischen Halbwertszeiten im Millisekunden- bis Sekundenbereich, und werden jeweils anhand ihrer charakteristischen Alpha-Zerfallsketten eindeutig nachgewiesen.
Japanische Wissenschaftler konnten mit dieser Methode inzwischen (2004) auch das Element Z = 113 synthetisieren. Im russischen Forschungszentrum Dubna gelang dagegen mit der Methode der „heißen“ Fusion, bei der die Fusionsprodukte stark aufgeheizt werden und drei oder mehr Neutronen aussenden, die Synthese der neuen Element mit den Ordnungszahlen 114, 116 und 118, über die Armbruster ebenfalls berichtete.
Insgesamt hat man bis heute 85 neue Isotope der Elemente jenseits von Rutherfordium (Z = 104) hergestellt. Einige Elemente – so Hassium und Z = 112 – sind bereits mit chemischen Methoden untersucht worden, dabei wurde die Ordnungszahl jeweils bestätigt.
Skeptisch zeigte sich Armbruster in bezug auf die Aussichten, sphärische superschwere Elemente im Zentrum der „Insel der Stabilität“ herzustellen, die nach neueren relativistischen Rechnungen erst bei Z = 120 vermutet wird, und nicht bei Z = 114, wie man früher glaubte. Die „magische“ Neutronenzahl sollte, wie es Jensen und Goeppert Mayer in ihrem Buch über das Schalenmodell bereits geschrieben hatten, bei N = 184 sein, das Element also 304 Kernteilchen haben. Jedoch sind die erwarteten Wirkungsquerschnitte extrem gering, und nur wenn die Anregungsenergie sehr klein bleibt, gibt es eine – äußerst geringe – Aussicht, das Element herstellen zu können.
Jensen-Haus und Gastprofessur
Im Anschluss an die Vorträge gingen die Festgäste den
Philosophenweg hinauf zum frisch renovierten Institutsgebäude Nr. 16. Zum Chorgesang von „Freude Schöner Gotterfunken“ wurde eine Bronzetafel mit dem Relief von Hans Jensen enthüllt, die der Darmstädter Künstler Professor Thomas Duttenhoefer gestaltet hat, zusammen mit einer Bronzeplastik. Beide Objekte sind durch großzügige Förderung seitens der Klaus Tschira Stiftung, Heidelberg, ermöglicht worden. Die Stiftung der Freunde der Universität leistete Beiträge zu einer begleitenden Ausstellung im Institut. Das folgende Fest mit vielen früheren Bekannten und Schülern Jensens und der jungen Wissenschaftler-Generation fanden alle trotz gelegentlicher Regenschauer sehr gelungen.
Für 2008 wird eine Jensen-Gastprofessur ausgeschrieben, die ebenfalls durch die Klaus Tschira Stiftung finanziert wird. Für fünf Jahre werden prominente Physiker in wechselnder Besetzung und für unterschiedliche Zeiträume diese Position am Institut für Theoretische Physik bekleiden, Seminare veranstalten, forschen und jeweils einen allgemeinverständlichen Vortrag für die Öffentlichkeit halten.
Georg Wolschin
((Der Textautor stellt gerne diverse Fotos zur Verfügung.))
Rückfragen bitte an:
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