Tagung in Heidelberg: Rezeptionsprozesse alevitischer Ritualpraxis
24. Oktober 2007
Vom 30. bis 31. Oktober 2007 im Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg: "Rezeptionsprozesse alevitischer Ritualpraxis zwischen Innovation und Rekonstruktion"
In der Tagung werden die Rezeptionsprozesse alevitischer Ritualpraxis unter Aspekten behandelt, die in der Arbeit des islamwissenschaftlich-osmanistischen Teilprojekts des Sonderforschungsbereichs 619 "Ritualdynamik" zentral sind. Hierzu zählen ritualtheoretische Aspekte, die dazu dienen, nachweisbare Veränderungen der rituellen Praxis systematisch zu analysieren.
Bei konkreten Ergebnissen ritualdynamischer Prozesse – wie etwa der Abänderung des Ritualverlaufs oder dem Einfluss-/Bedeutungsverlust der religiösen Spezialisten – unterscheidet die Wissenschaft hauptsächlich zwischen "Innovationen" und "Rekonstruktionen". In diesem Zusammenhang sind auch "rituelle Reflexivität" und "Rekursivität" zu nennen: Das Ritual kann sowohl zur Eigenreflexion bei den Beteiligten anregen, aber auch selbst zum Gegenstand einer reflektierten Betrachtung werden. Der Rückbezug auf ehemals existente Ritualtraditionen oder ein meist mythisch belegtes "Ur(sprungs)-Ritual" ist eine gängige Art der Ritualrekonstruktion.
Diese Aspekte sind auch historisch nachweisbar, obgleich das innerhalb der gruppeneigenen Ritualreflektion oftmals in Vergessenheit gerät. So stellten Anleihen und Übernahmen ritueller Praxis aus anderen religiösen und/oder sozialen Traditionen und Kulturen einst "Innovationen" oder "Inventionen" dar, die heutzutage mitunter nicht mehr als solche "Fremdeinflüsse" erkannt werden.
Daneben wird der Aspekt der Tradierung ritueller Praxis thematisiert, der im Alevitentum in erster Linie durch das Wechselspiel von Oralität und Mimetik und weniger durch Schriftlichkeit bestimmt war. Diese Art der Überlieferung wurde in der Neuzeit durch verschiedene Faktoren (Republiksgründung, Schriftreform, Urbanisierung, Migration, etc.) stark beeinflusst, so dass sie sich grundlegend veränderte. Die mimetische Praxis, rituelle Ausführungen durch visuelle Wahrnehmung, Nachahmung und wiederholte Ausübung während der aktiven und passiven Involviertheit im rituellen Geschehen zu erlernen, verlor und verliert durch die partielle Teilnahme an den teilweise selten stattfindenden Ritualen an Bedeutung.
Ebenso muss angenommen werden, dass die persönliche orale Übermittlung von Ritualtexten und -abläufen bereits von entpersonalisierter schriftlicher Vermittlung (z. B. durch Ritualhandbücher) abgelöst wurde. Besonders interessant erscheint den beteiligten Forschern in diesem Zusammenhang die schriftliche Fixierung von ritualrelevanten Inhalten vor dem Einsetzen der modernen Entwicklungen (z. B. in sog. buyruk-Texten) und die heutige Veröffentlichung von Sachbüchern zur Ritualpraxis.
So ist danach zu fragen, in wie weit man hier von einer Fortführung der schriftlichen Tradierung sprechen kann und welchen Bedeutungswandel Schriftlichkeit im religiösen Kontext erfahren hat (von sakralen Schriften hin zu sachlichen Anleitungstexten). Oder: Welche Rolle spielen Oralität und Mimetik in der heutigen Tradierung von ritueller Praxis? Außerdem: Durch welche Textgattungen und Schriften (divan-Dichtung, Sufi-Literatur, Koran) wurde die schriftliche Tradierung beeinflusst?
Hier schließt ein weiterer Aspekt an: der Beeinflussung durch andere religiöse und/oder soziale Strömungen, Kulturen oder Traditionen und deren rituelle Praxis. Diese Einflüsse werden zum einen aus der historischen Perspektive näher beleuchtet. In Hinsicht auf die aktuelle Situation spielt zum anderen der Transfer von rituellen Traditionen in andere soziale Kontexte (z. B. individualisierte Gesellschaft der Großstädte) oder andere religiöse Kontexte (z. B. sunnitisch oder christlich dominiertes Umfeld) eine wichtige Rolle. Die Migration innerhalb der Türkei – vornehmlich aus den ehemaligen ruralen Siedlungsgebieten der Aleviten in die Großstädte – muss hier ebenso Beachtung finden wie die Migration ins westliche Ausland.
Rückfragen bitte an:
Robert Langer
Wiss. Mitarbeiter Islamwissenschaft
robert.langer@ori.uni-heidelberg.de
Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
presse@rektorat.uni-heidelberg.de
Bei konkreten Ergebnissen ritualdynamischer Prozesse – wie etwa der Abänderung des Ritualverlaufs oder dem Einfluss-/Bedeutungsverlust der religiösen Spezialisten – unterscheidet die Wissenschaft hauptsächlich zwischen "Innovationen" und "Rekonstruktionen". In diesem Zusammenhang sind auch "rituelle Reflexivität" und "Rekursivität" zu nennen: Das Ritual kann sowohl zur Eigenreflexion bei den Beteiligten anregen, aber auch selbst zum Gegenstand einer reflektierten Betrachtung werden. Der Rückbezug auf ehemals existente Ritualtraditionen oder ein meist mythisch belegtes "Ur(sprungs)-Ritual" ist eine gängige Art der Ritualrekonstruktion.
Diese Aspekte sind auch historisch nachweisbar, obgleich das innerhalb der gruppeneigenen Ritualreflektion oftmals in Vergessenheit gerät. So stellten Anleihen und Übernahmen ritueller Praxis aus anderen religiösen und/oder sozialen Traditionen und Kulturen einst "Innovationen" oder "Inventionen" dar, die heutzutage mitunter nicht mehr als solche "Fremdeinflüsse" erkannt werden.
Daneben wird der Aspekt der Tradierung ritueller Praxis thematisiert, der im Alevitentum in erster Linie durch das Wechselspiel von Oralität und Mimetik und weniger durch Schriftlichkeit bestimmt war. Diese Art der Überlieferung wurde in der Neuzeit durch verschiedene Faktoren (Republiksgründung, Schriftreform, Urbanisierung, Migration, etc.) stark beeinflusst, so dass sie sich grundlegend veränderte. Die mimetische Praxis, rituelle Ausführungen durch visuelle Wahrnehmung, Nachahmung und wiederholte Ausübung während der aktiven und passiven Involviertheit im rituellen Geschehen zu erlernen, verlor und verliert durch die partielle Teilnahme an den teilweise selten stattfindenden Ritualen an Bedeutung.
Ebenso muss angenommen werden, dass die persönliche orale Übermittlung von Ritualtexten und -abläufen bereits von entpersonalisierter schriftlicher Vermittlung (z. B. durch Ritualhandbücher) abgelöst wurde. Besonders interessant erscheint den beteiligten Forschern in diesem Zusammenhang die schriftliche Fixierung von ritualrelevanten Inhalten vor dem Einsetzen der modernen Entwicklungen (z. B. in sog. buyruk-Texten) und die heutige Veröffentlichung von Sachbüchern zur Ritualpraxis.
So ist danach zu fragen, in wie weit man hier von einer Fortführung der schriftlichen Tradierung sprechen kann und welchen Bedeutungswandel Schriftlichkeit im religiösen Kontext erfahren hat (von sakralen Schriften hin zu sachlichen Anleitungstexten). Oder: Welche Rolle spielen Oralität und Mimetik in der heutigen Tradierung von ritueller Praxis? Außerdem: Durch welche Textgattungen und Schriften (divan-Dichtung, Sufi-Literatur, Koran) wurde die schriftliche Tradierung beeinflusst?
Hier schließt ein weiterer Aspekt an: der Beeinflussung durch andere religiöse und/oder soziale Strömungen, Kulturen oder Traditionen und deren rituelle Praxis. Diese Einflüsse werden zum einen aus der historischen Perspektive näher beleuchtet. In Hinsicht auf die aktuelle Situation spielt zum anderen der Transfer von rituellen Traditionen in andere soziale Kontexte (z. B. individualisierte Gesellschaft der Großstädte) oder andere religiöse Kontexte (z. B. sunnitisch oder christlich dominiertes Umfeld) eine wichtige Rolle. Die Migration innerhalb der Türkei – vornehmlich aus den ehemaligen ruralen Siedlungsgebieten der Aleviten in die Großstädte – muss hier ebenso Beachtung finden wie die Migration ins westliche Ausland.
Rückfragen bitte an:
Robert Langer
Wiss. Mitarbeiter Islamwissenschaft
robert.langer@ori.uni-heidelberg.de
Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
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