„Panorama neuer Einsichten aus der Werkstatt junger Forscher“
8. Dezember 2007
Grußwort von Bernhard Schreier, Stiftung Universität Heidelberg, anlässlich der Verleihung der Ruprecht-Karls-Preise 2007 am Samstag, 8. Dezember 2007, 11.15 Uhr, Aula der Alten Universität
"Magnifizenz, meine sehr verehrten Damen und Herren,
vor allem aber: liebe Preisträger,
Ihre Leistungen sind es, die wir heute ehren und gemeinsam mit Ihnen feiern wollen. Sie dürfen jetzt entspannt in ihre Vergangenheit zurückblicken. Vergessen Sie den trüben Blick Ihres leeren Bildschirms, das Suchen nach dem alles klärenden Gedanken, die mühsame Jagd nach dem passenden Zitat oder dem treffenden Wort, den Kampf gegen widerspenstige Geräte und nicht zuletzt auch gegen eigene Denkblockaden! Heute erinnern Sie sich einmal nur daran, wie es war, als Sie Lösungen fanden, als Ihre Phantasie das Fliegen lernte, ohne den vorgezeichneten Pfad Ihrer Gedanken zu verfehlen; Erinnern Sie sich, wie ihr Werk Gestalt annahm und sich endlich zu einem Ganzen fügte!
Aber muss es wirklich soviel Mühe und Geduld kosten, seine Neugier zu befriedigen? Wahrscheinlich fühlen wir alle uns manchmal so ähnlich wie der Physiker Georg Christoph Lichtenberg: Als Kind wollte Lichtenberg unbedingt wissen, was das Nordlicht ist. Deshalb schrieb er die Frage auf einen Zettel, den er an einen Engel adressierte und dann auf den Dachboden legte. Am nächsten Morgen schlich er wieder zum Dachboden. Er wollte die Antwort des Engels abholen, und wartete und wartete ….
So war das damals, im 18. Jahrhundert: Der Engel gab keine Antwort und Lichtenberg wurde Physiker. Haben unsere Kinder es leichter? Sicher, mag man denken: die fragen doch Google und Google gibt Antwort – vorausgesetzt, diese Antwort hat ein Forscher bereits gefunden. Sonst muss auch Google schweigen – wie einst der Engel Lichtenbergs.
Sie, liebe Preisträger, haben in Ihren Arbeiten nach Antworten suchen müssen, die bisher keiner entdecken konnte. Dass es Ihnen dennoch gelang, sie zu finden, dafür feiern wir Sie heute.
Vieles hielt man früher für unmöglich, das inzwischen aufgeklärt ist. Noch im 18. Jahrhundert schien es ausgeschlossen zu sein, den Lebensbegriff empirisch zu definieren: es ist unmöglich, so hieß es damals, dass ein "Newton des Grashalms" auftreten werde, also jemand käme, der für Lebensprozesse empirische Gesetze aufstellen kann.
Heute scheint es nicht nur gelungen zu sein, die empirische Definition des Lebens zu geben, sondern auch die Gesetze von Lebensprozessen im Detail mit Computern zu simulieren. Doch damit nicht genug. Sogar die Physik des großen Newton musste schon im vorigen Jahrhundert Einsteins Relativitätstheorie weichen, – auch wenn Einstein immer noch Recht haben mag, wenn er schreibt: "Man hat den Eindruck, dass die Annahmen der modernen Physik irgendwie dem Lächeln einer Katze gleichen, die nicht da ist."
Es mag befremdlich klingen, dass ein Physiker die Grundannahmen seiner Wissenschaft mit dem Lächeln einer Katze vergleicht, noch dazu einer Katze, die nicht da ist. Gehören solche Vergleiche nicht eher ins Märchen als in die Physik? Das Lächeln der Katze, die nicht da ist, gibt es tatsächlich in einer seltsamen Art von Märchen, nämlich in Alice im Wunderland. Ausgerechnet ein Mathematikprofessor, nämlich Lewis Carroll hat es geschrieben. Doch vielleicht ist es gar kein Zufall, dass ein Mathematiker solche Märchen schreibt? Vielleicht kann man sogar sagen, dass die Phantasie des Theorienkonstrukteurs eine nahe Verwandte der Phantasie des Erzählers oder gar des Lyrikers ist?
Einstein jedenfalls fordert seine Leser bisweilen dazu auf, sich einmal Wesen vorzustellen, die in einem Raum mit nur zwei Dimensionen leben, und sich dann zu überlegen, auf welche Weise solche Wesen lernen könnten, sich einen dreidimensionalen Raum vorzustellen. Dieses Gedankenexperiment soll dem Leser helfen, von der Alltagsvorstellung des dreidimensionalen Raumes zur Vorstellung eines höher dimensionalen Raumes überzugehen, wie ihn die allgemeine Relativitätstheorie postuliert.
Heißt das nun, dass Wissenschaftler Märchen erzählen? Nein, natürlich nicht. Das Gedankenexperiment geht jedoch oft dem wirklichen Experiment vorher. Phantasie ist immer gefragt, selbst dann, wenn ein experimenteller Befund sich zufällig ergeben hat. Denn erst mit Hilfe theoretischer Phantasie lässt sich ein Befund interpretieren.
Immer wieder öffnet so der inspirierte Blick des Theoretikers den Weg zum Verständnis von Zusammenhängen, die scheinbar offen zu Tage liegen: Newtons Erkenntnis, dass die Bewegung des fallenden Apfels denselben Gesetzen gehorcht wie die Bewegung des Mondes um die Erde oder auch die Erklärung des tropfenden Wasserhahns durch die Chaostheorie sind sprechende Beispiele.
Unsere Preisvergabe, meine Damen und Herren, gibt nicht zuletzt Gelegenheit dazu, sich ein Panorama neuer Einsichten aus der Werkstatt junger Forscher vor Augen führen zu lassen. Dieses Panorama konfrontiert uns mit Überraschungen aus sehr verschiedenen Wissenschaften. Mein langjähriger Kollege im Vorstand der Stiftung Universität Heidelberg, Professor Kirchhof, leitet seit 1990 die Jury zur Auswahl der besten Dissertationen eines Jahres und würdigt sie in Laudationes. Mit seiner Hilfe habe ich gelernt, auf viele Phänomene einen neuen Blick zu werfen. Es mir eine besondere Freude, ihm heute für seine Arbeit herzlich zu danken."
Rückfragen bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221-542310
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
Irene Thewalt
Tel. 06221-542311
presse@rektorat.uni-heidelberg.de
vor allem aber: liebe Preisträger,
Ihre Leistungen sind es, die wir heute ehren und gemeinsam mit Ihnen feiern wollen. Sie dürfen jetzt entspannt in ihre Vergangenheit zurückblicken. Vergessen Sie den trüben Blick Ihres leeren Bildschirms, das Suchen nach dem alles klärenden Gedanken, die mühsame Jagd nach dem passenden Zitat oder dem treffenden Wort, den Kampf gegen widerspenstige Geräte und nicht zuletzt auch gegen eigene Denkblockaden! Heute erinnern Sie sich einmal nur daran, wie es war, als Sie Lösungen fanden, als Ihre Phantasie das Fliegen lernte, ohne den vorgezeichneten Pfad Ihrer Gedanken zu verfehlen; Erinnern Sie sich, wie ihr Werk Gestalt annahm und sich endlich zu einem Ganzen fügte!
Aber muss es wirklich soviel Mühe und Geduld kosten, seine Neugier zu befriedigen? Wahrscheinlich fühlen wir alle uns manchmal so ähnlich wie der Physiker Georg Christoph Lichtenberg: Als Kind wollte Lichtenberg unbedingt wissen, was das Nordlicht ist. Deshalb schrieb er die Frage auf einen Zettel, den er an einen Engel adressierte und dann auf den Dachboden legte. Am nächsten Morgen schlich er wieder zum Dachboden. Er wollte die Antwort des Engels abholen, und wartete und wartete ….
So war das damals, im 18. Jahrhundert: Der Engel gab keine Antwort und Lichtenberg wurde Physiker. Haben unsere Kinder es leichter? Sicher, mag man denken: die fragen doch Google und Google gibt Antwort – vorausgesetzt, diese Antwort hat ein Forscher bereits gefunden. Sonst muss auch Google schweigen – wie einst der Engel Lichtenbergs.
Sie, liebe Preisträger, haben in Ihren Arbeiten nach Antworten suchen müssen, die bisher keiner entdecken konnte. Dass es Ihnen dennoch gelang, sie zu finden, dafür feiern wir Sie heute.
Vieles hielt man früher für unmöglich, das inzwischen aufgeklärt ist. Noch im 18. Jahrhundert schien es ausgeschlossen zu sein, den Lebensbegriff empirisch zu definieren: es ist unmöglich, so hieß es damals, dass ein "Newton des Grashalms" auftreten werde, also jemand käme, der für Lebensprozesse empirische Gesetze aufstellen kann.
Heute scheint es nicht nur gelungen zu sein, die empirische Definition des Lebens zu geben, sondern auch die Gesetze von Lebensprozessen im Detail mit Computern zu simulieren. Doch damit nicht genug. Sogar die Physik des großen Newton musste schon im vorigen Jahrhundert Einsteins Relativitätstheorie weichen, – auch wenn Einstein immer noch Recht haben mag, wenn er schreibt: "Man hat den Eindruck, dass die Annahmen der modernen Physik irgendwie dem Lächeln einer Katze gleichen, die nicht da ist."
Es mag befremdlich klingen, dass ein Physiker die Grundannahmen seiner Wissenschaft mit dem Lächeln einer Katze vergleicht, noch dazu einer Katze, die nicht da ist. Gehören solche Vergleiche nicht eher ins Märchen als in die Physik? Das Lächeln der Katze, die nicht da ist, gibt es tatsächlich in einer seltsamen Art von Märchen, nämlich in Alice im Wunderland. Ausgerechnet ein Mathematikprofessor, nämlich Lewis Carroll hat es geschrieben. Doch vielleicht ist es gar kein Zufall, dass ein Mathematiker solche Märchen schreibt? Vielleicht kann man sogar sagen, dass die Phantasie des Theorienkonstrukteurs eine nahe Verwandte der Phantasie des Erzählers oder gar des Lyrikers ist?
Einstein jedenfalls fordert seine Leser bisweilen dazu auf, sich einmal Wesen vorzustellen, die in einem Raum mit nur zwei Dimensionen leben, und sich dann zu überlegen, auf welche Weise solche Wesen lernen könnten, sich einen dreidimensionalen Raum vorzustellen. Dieses Gedankenexperiment soll dem Leser helfen, von der Alltagsvorstellung des dreidimensionalen Raumes zur Vorstellung eines höher dimensionalen Raumes überzugehen, wie ihn die allgemeine Relativitätstheorie postuliert.
Heißt das nun, dass Wissenschaftler Märchen erzählen? Nein, natürlich nicht. Das Gedankenexperiment geht jedoch oft dem wirklichen Experiment vorher. Phantasie ist immer gefragt, selbst dann, wenn ein experimenteller Befund sich zufällig ergeben hat. Denn erst mit Hilfe theoretischer Phantasie lässt sich ein Befund interpretieren.
Immer wieder öffnet so der inspirierte Blick des Theoretikers den Weg zum Verständnis von Zusammenhängen, die scheinbar offen zu Tage liegen: Newtons Erkenntnis, dass die Bewegung des fallenden Apfels denselben Gesetzen gehorcht wie die Bewegung des Mondes um die Erde oder auch die Erklärung des tropfenden Wasserhahns durch die Chaostheorie sind sprechende Beispiele.
Unsere Preisvergabe, meine Damen und Herren, gibt nicht zuletzt Gelegenheit dazu, sich ein Panorama neuer Einsichten aus der Werkstatt junger Forscher vor Augen führen zu lassen. Dieses Panorama konfrontiert uns mit Überraschungen aus sehr verschiedenen Wissenschaften. Mein langjähriger Kollege im Vorstand der Stiftung Universität Heidelberg, Professor Kirchhof, leitet seit 1990 die Jury zur Auswahl der besten Dissertationen eines Jahres und würdigt sie in Laudationes. Mit seiner Hilfe habe ich gelernt, auf viele Phänomene einen neuen Blick zu werfen. Es mir eine besondere Freude, ihm heute für seine Arbeit herzlich zu danken."
Rückfragen bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221-542310
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
Irene Thewalt
Tel. 06221-542311
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