Wenn der König tanzt, steht er im Zentrum der Macht
2. Februar 2008
Der Tanz am Hofe des Sonnenkönigs: Forschungsprojekt und Gastspiel beim "Winter in Schwetzingen" – Interview mit der Heidelberger Musikwissenschaftlerin Prof. Silke Leopold
Sowohl an dem anstehenden Konzertgastspiel "Le roi danse" in Schwetzingen am 12. Februar als auch dem gleichnamigen Film von Gérard Corbiau wird klar: Um eine möglichst authentische Aufführung der Tänze am Hofe Königs Ludwig XIV. auf die Beine zu stellen, braucht es mehr als nur gute Tänzer und Musiker. An der Universität Heidelberg beschäftigt sich ein musikwissenschaftliches Forschungsprojekt mit der Bedeutung des Tanzes am Hofe des Sonnenkönigs. Das Projekt "Bühnentanz – Gesellschaftstanz – Tanzmusik – Kunstmusik im Ancien Régime" liefert sozusagen die historischen Fakten. Prof. Silke Leopold, Leiterin des Projektes und Direktorin des Musikwissenschaftlichen Seminars, und ihr Mitarbeiter Hendrik Schulze sprachen mit Winnie Starke über ihre Forschung, die Authentizität heutiger Aufführungen und die Notwendigkeit der Wissenschaft.
Zeigen uns Aufführungen wie "Le roi danse" oder der gleichnamige Film wirklich, wie der König damals getanzt hat?
Da muss man differenzieren. Der Film zeigt es uns nicht. Denn was dort gezeigt wurde, ist eher Ausdruckstanz und unterscheidet sich somit von dem, was am Hofe Ludwig XIV. wirklich getanzt wurde. Die Ensembles, die sich auf historischen Tanz spezialisiert haben, wie das in Schwetzingen, haben die Quellen sehr genau studiert. Soweit ich sie kenne, richten sie sich ganz klar nach den Quellen. Daher kann man hier schon eher von einer historisch informierten Aufführungspraxis ausgehen.
Welche Quellen gibt es denn?
Es gibt Tanzschriften, die von zeitgenössischen Tanzmeistern erstellt wurden. Dabei handelte es sich um eine Zeichenschrift, mit der man Schrittfolgen und Armhaltungen aufzeichnen konnte. Meistens haben diese Tanzschriften ein langes erstes Kapitel, in dem erklärt wird, wie diese zu setzen sind. So kann man sehr genau feststellen, wie die Tänze ausgeführt wurden. Dazu kommen Abbildungen und Gemälde, auf denen die Körperhaltung zu erkennen ist. Alles zusammengenommen ermöglicht eine relativ genaue Rekonstruktion.
Ihr Teilbereich gehört zu dem großen Sonderforschungsbereich "Ritualdynamik". Was genau hat der Tanz Ludwigs XIV. mit einem Ritual zu tun?
Wir haben in unserer europäischen Kultur sehr viele Rituale. Das kann man ganz besonders am Tanz studieren. Tanz ist immer ein Ausdruck für zwischenmenschliches Verhalten, wie es sich in einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Epoche definiert. Dabei gilt das genauso für den Tanz am Hofe Ludwigs XIV. wie für den Tanz, der heute in den Discos stattfindet. Ob Leute allein tanzen oder als Paar, ob sie sich eng anfassen oder nicht, das sind alles gesellschaftliche Rituale, die da vollzogen werden.
Wo liegt denn überhaupt die Dynamik in den Ritualen? Eigentlich verbindet man mit dem Wort "Ritual" doch etwas Feststehendes.
Der Sonderforschungsbereich versucht genau diese Ansicht zu widerlegen. Er will zeigen, dass Rituale sich durchaus verändern können – zum Beispiel das Menuett, das am Hof von König Ludwig XIV. als Symbol für die perfekte Ordnung des Staates galt. Die Bürger übernahmen diese Tanzform, die dann aber zu einem Symbol ihrer eigenen privaten Ordnung wurde. Ludwig XIV. tanzte das Menuett am Hof mit seiner Königin, und alle anderen schauten zu. In bürgerlichen Kreisen musste dieser Tanz eine Vereinfachung erfahren: Man tanzte nicht mehr nur zu zweit, sondern in größeren Gruppen. Die Strukturen und die Musik sind einfacher.
Welche Bedeutung hat denn der Tanz für den "Sonnenkönig"?
Leopold: Ludwig XIV. wollte einen zentralistischen Staat begründen. Seiner Meinung nach funktionierte dieser Staat am besten, wenn das Zentrum er selbst war. Und diese Idee – der König als das Zentrum, also die Sonne eines Planetensystems, um das die Planeten kreisen. In der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte dieses Bild natürlich auch eine politische Relevanz, als der Papst anordnete, dass sich Galilei mit seinem Weltbild, in dem die Sonne und nicht die Erde im Mittelpunkt steht, geirrt hatte. Wenn der französische König dann sagt, "Ich bin die Sonne, und um mich herum kreisen die Planeten und das tanzen wir jetzt", ist das ein politisches Statement von hoher Brisanz.
Ein Vorurteil gegenüber der Musikwissenschaft lautet ja, dass sie in einem Elfenbeinturm säße. Was bringt musikwissenschaftliche Forschung für solche Aufführungen und für die heutige Gesellschaft allgemein?
Das ist ein Vorurteil, das vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet ist. Im angelsächsischen Raum weiß man sehr genau, dass man Musik ohne Wissenschaft und umgekehrt, Wissenschaft ohne Musik, nicht betreiben kann. Was wir heute an barocker Musik aufführen, wäre ohne die Vorbereitung durch die Musikwissenschaft nicht in die musikalische Praxis gedrungen. Ohne die Forschung wären "historisch informierte Aufführungen" nicht machbar.
Info: Zum Forschungsbereich: www.ritualdynamik.uni-hd.de, zum Gastspiel: www.heidelberger-philharmoniker.de/winter-in-schwetzingen.html
Rückfragen bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
presse@rektorat.uni-heidelberg.de
Zeigen uns Aufführungen wie "Le roi danse" oder der gleichnamige Film wirklich, wie der König damals getanzt hat?
Da muss man differenzieren. Der Film zeigt es uns nicht. Denn was dort gezeigt wurde, ist eher Ausdruckstanz und unterscheidet sich somit von dem, was am Hofe Ludwig XIV. wirklich getanzt wurde. Die Ensembles, die sich auf historischen Tanz spezialisiert haben, wie das in Schwetzingen, haben die Quellen sehr genau studiert. Soweit ich sie kenne, richten sie sich ganz klar nach den Quellen. Daher kann man hier schon eher von einer historisch informierten Aufführungspraxis ausgehen.
Welche Quellen gibt es denn?
Es gibt Tanzschriften, die von zeitgenössischen Tanzmeistern erstellt wurden. Dabei handelte es sich um eine Zeichenschrift, mit der man Schrittfolgen und Armhaltungen aufzeichnen konnte. Meistens haben diese Tanzschriften ein langes erstes Kapitel, in dem erklärt wird, wie diese zu setzen sind. So kann man sehr genau feststellen, wie die Tänze ausgeführt wurden. Dazu kommen Abbildungen und Gemälde, auf denen die Körperhaltung zu erkennen ist. Alles zusammengenommen ermöglicht eine relativ genaue Rekonstruktion.
Ihr Teilbereich gehört zu dem großen Sonderforschungsbereich "Ritualdynamik". Was genau hat der Tanz Ludwigs XIV. mit einem Ritual zu tun?
Wir haben in unserer europäischen Kultur sehr viele Rituale. Das kann man ganz besonders am Tanz studieren. Tanz ist immer ein Ausdruck für zwischenmenschliches Verhalten, wie es sich in einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Epoche definiert. Dabei gilt das genauso für den Tanz am Hofe Ludwigs XIV. wie für den Tanz, der heute in den Discos stattfindet. Ob Leute allein tanzen oder als Paar, ob sie sich eng anfassen oder nicht, das sind alles gesellschaftliche Rituale, die da vollzogen werden.
Wo liegt denn überhaupt die Dynamik in den Ritualen? Eigentlich verbindet man mit dem Wort "Ritual" doch etwas Feststehendes.
Der Sonderforschungsbereich versucht genau diese Ansicht zu widerlegen. Er will zeigen, dass Rituale sich durchaus verändern können – zum Beispiel das Menuett, das am Hof von König Ludwig XIV. als Symbol für die perfekte Ordnung des Staates galt. Die Bürger übernahmen diese Tanzform, die dann aber zu einem Symbol ihrer eigenen privaten Ordnung wurde. Ludwig XIV. tanzte das Menuett am Hof mit seiner Königin, und alle anderen schauten zu. In bürgerlichen Kreisen musste dieser Tanz eine Vereinfachung erfahren: Man tanzte nicht mehr nur zu zweit, sondern in größeren Gruppen. Die Strukturen und die Musik sind einfacher.
Welche Bedeutung hat denn der Tanz für den "Sonnenkönig"?
Leopold: Ludwig XIV. wollte einen zentralistischen Staat begründen. Seiner Meinung nach funktionierte dieser Staat am besten, wenn das Zentrum er selbst war. Und diese Idee – der König als das Zentrum, also die Sonne eines Planetensystems, um das die Planeten kreisen. In der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte dieses Bild natürlich auch eine politische Relevanz, als der Papst anordnete, dass sich Galilei mit seinem Weltbild, in dem die Sonne und nicht die Erde im Mittelpunkt steht, geirrt hatte. Wenn der französische König dann sagt, "Ich bin die Sonne, und um mich herum kreisen die Planeten und das tanzen wir jetzt", ist das ein politisches Statement von hoher Brisanz.
Ein Vorurteil gegenüber der Musikwissenschaft lautet ja, dass sie in einem Elfenbeinturm säße. Was bringt musikwissenschaftliche Forschung für solche Aufführungen und für die heutige Gesellschaft allgemein?
Das ist ein Vorurteil, das vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet ist. Im angelsächsischen Raum weiß man sehr genau, dass man Musik ohne Wissenschaft und umgekehrt, Wissenschaft ohne Musik, nicht betreiben kann. Was wir heute an barocker Musik aufführen, wäre ohne die Vorbereitung durch die Musikwissenschaft nicht in die musikalische Praxis gedrungen. Ohne die Forschung wären "historisch informierte Aufführungen" nicht machbar.
© Rhein-Neckar-Zeitung
Info: Zum Forschungsbereich: www.ritualdynamik.uni-hd.de, zum Gastspiel: www.heidelberger-philharmoniker.de/winter-in-schwetzingen.html
Rückfragen bitte an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
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Irene Thewalt
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