Prof. Treutlein sprach in Heidelberg über Dopingprävention
27.
Juni
2008
Dopingprävention: kein Königsweg, aber eine dringende Aufgabe – Heidelberger Sportpädagoge Treutlein mahnt intensivierte Aktivitäten zur Dopingprävention an – Ringvorlesung von Universität und Pädagogischer Hochschule Heidelberg
Im Rahmen der Heidelberger Ringvorlesung zum Thema Doping behandelte der Heidelberger Sportpädagoge und Gründer des Zentrums für Dopingprävention an der PH Heidelberg, Prof. Dr. Gerhard Treutlein, die Frage, ob Dopingprävention der Königsweg zur Dopingbekämpfung sei. Diese Frage lässt sich nicht abschließend beantworten, da es trotz der vielen Dopingskandale in den letzten Jahrzehnten noch kaum Bemühungen zur Dopingprävention gibt. Erst recht gibt es kaum Forschungen zur Effektivität von Präventionsprogrammen – im Ausland eher als in Deutschland.
Unser Land, das sich oft als Vorreiter der Dopingbekämpfung preist, hinkt bei der Dopingprävention hinter manchen anderen Ländern gewaltig hinterher. So gibt es im Gegensatz beispielsweise zu Frankreich keine Erwähnung der Dopingprävention innerhalb eines Dopinggesetzes und damit auch keine ableitbaren Konsequenzen finanzieller und personeller Art.
Als Folge des von der französischen Sportministerin Marie-Georges Buffet nach dem Festina-Skandal 1998 auf den Weg gebrachten verbesserten Dopinggesetzes in Frankreich betrug im Jahr 2007 der Etat für Dopingbekämpfung 17 Millionen Euro (davon 7 Millionen Euro für die französische Antidoping-Agentur, die aber nicht die Aufgabe der Dopingprävention hat – die deutsche NADA hatte 2006 1,8 Millionen Euro, inklusive der Aufgabe der Prävention); aus diesen Mitteln werden z.B. 24 Hauptamtliche in den Regionen bezahlt, die Doping-Hotline in Montpellier bezuschusst und anderes mehr. Jeder dieser Hauptamtlichen hat für die Aktivitäten in seiner Region etwa 100.000 Euro zur Verfügung, die NADA mit bundesweiter Aufgabe in ihrer Anfangszeit 2002 bis 2004 jährlich gerade einmal 20.000 Euro.
Denjenigen, die den Sinn von Dopingrepression und –prävention bezweifeln, muss die Frage nach Alternativen gestellt werden. Könnte eine Dopingfreigabe im Interesse von Staat, Gesellschaft und Sport liegen? Könnten Staat und Sponsoren einen offensichtlich gedopten Leistungssport noch finanziell unterstützen? Als wirksamste Frage hat sich bei Präventionsveranstaltungen herausgestellt, ob Freigabenbefürworter ihre eigenen Kinder in einen solchen Sport hineinschicken würden.
Eine Freigabe würde zusätzlich die Gefahr mit sich bringen, dass sich nicht nur individuelle Selbstzerstörungstendenzen (Todesfälle als Folge von Doping), sondern auch solche des Sportsystems beschleunigen würden – als Folge von wahrscheinlich weniger oder keinem Geld durch die bisherigen Geldgeber, und zumindest weit weniger Kinder, die auf Anregung ihrer Eltern und Sportlehrer den Weg in den organisierten Sport finden würden. Ohne kontinuierlichen Zugang von Nachwuchs wären leistungssporttreibende Vereine und Verbände ziemlich schnell am Ende. Dopingprävention ist von daher unumgänglich, wenn man das Sporttreiben im organisierten Sport für wichtig hält.
In Anbetracht der Schwierigkeiten, in einem föderal organisierten Bundesstaat eine umfassende Dopingprävention als Teil von Maßnahmen gegen den Medikamentenmissbrauch außerhalb und innerhalb des Sports in Gang zu bringen, haben Initiativen wie das Heidelberger Zentrum für Dopingprävention, "Falscher Einwurf" in Nordrhein-Westfalen oder das "Neusser Modell" eine besondere Bedeutung, im Sinne einer Bottom-Up-Strategie – in einem zentralistisch regierten Staat ist da zusammen mit einem Dopinggesetz im Sinne einer Top-Down-Strategie erheblich mehr möglich. Sie bringen von der Basis her Aktionen in Gang, verbunden mit der Hoffnung, dass diese dann auch auf andere Bereiche übertragen werden können.
Ohne weitergehende strukturelle, finanzielle und personelle Absicherung sind sie aber auch mit der Gefahr verbunden, dass nach einer Versuchsphase alles wieder beendet ist. Solche Initiativen bringen jene Institutionen in Zugzwang, die im Sinne eines "Schwarzer-Peter-Spiels" (Weiterreichen der Aufgabe) sich über lange Zeit elegant vor intensiven Bemühungen drücken konnten, mit Argumentationen wie: Der Bund ist nur für Spitzensport zuständig, aber nicht für Erziehung – diese ist Ländersache. Die Länder verschanzten sich oft hinter der Argumentation, Doping sei nur eine Sache des Spitzensports und damit Bundesangelegenheit u.s.w. Ergebnis war jedenfalls über Jahrzehnte hinweg, dass sich kaum jemand an das heiße Eisen der Prävention von Medikamentenmissbrauch und Doping heran machen wollte.
Treutlein zeigte anhand von Leistungsentwicklungen und historischer Erkenntnisse, dass wir es bei der Dopingproblematik mit einer Endlosschleife zu tun haben. Auf das Auffinden neuer Dopingmöglichkeiten (hier sind "innovative" Köpfe und kriminelle Netzwerke im Sport am Start!) folgen oft mit langer Verzögerung die Entwicklung und Einführung neuer Kontrollmethoden, die dann mit großem Aufwand als "Durchbruch" in Sachen Dopingbekämpfung gefeiert werden ("Jetzt haben wir das Problem völlig im Griff").
Des öfteren führen sie zu einem kurzfristigen Leistungsrückgang wie etwa nach dem Fall Ben Johnson (Ol. Spiele 1988) oder nach der Einführung von Trainingskontrollen in den 90er Jahren. Kurven der Leistungsentwicklungen lassen vermuten, dass sich die dopenden Milieus innerhalb von relativ kurzer Zeit auf solche "Erschwernisse" einstellen und neue Wege finden. Repression, das heißt Kontrollen und Bestrafung, führen deshalb nur zu kurzfristigen Erfolgen bei der Dopingbekämpfung. Wird der Kampf gegen Medikamentenmissbrauch und Doping ernst genommen und Langfristigkeit angestrebt, dann liegt in der Dopingprävention praktisch die einzige Chance. An der Ernsthaftigkeit des Kampfes hat es über Jahrzehnte hinweg gefehlt, und auch heute ist eine überzeugende politische und sportpolitische Aktivität in diesem Bereich nur unzureichend erkennbar.
Der Kampf wird zusätzlich erschwert durch Konkurrenzdenken (statt Kooperation und Solidarität), eine unklare Aufgabenverteilung und fehlende Koordination. So hat die NADA zwar nach dem Stiftungserlass die Aufgabe der Prävention; sie ist hierfür aber weder ausreichend ausgestattet noch mangels zentralistischer Strukturen in der Lage, einheitliche Programme flächendeckend durchzusetzen. Es ist noch nicht einmal klar, ob sie nur für die Prävention im Spitzensport zuständig ist oder für die ganze Bandbreite des Themas, zum Beispiel auch für den Medikamentenmissbrauch im Breiten- und Freizeitsport, für die entsprechenden großen Probleme in nicht wenigen Fitnessstudios oder gar für den Medikamentenmissbrauch in Form des Alltagsdopings in der Gesellschaft insgesamt.
Doping als Endstufe wird oft lange durch Entwicklungen vorbereitet, die zu einer Dopingmentalität führen und die im Alltag meist sogar als erwünscht angesehen werden. Der allzeit leistungsbereite Mensch, mit idealem Aussehen und hoher Leistungsfähigkeit ist in den meisten Bereichen unserer Gesellschaft das Idealbild und fördert den Medikamentenkonsum, der in der Gesellschaft zumindest akzeptiert, im Leistungssport aber partiell verboten ist. "’Denn beim winzigsten Befund werf’ ich kunterbunt meine Pillen in den Schlund’ singt die Band Wise Guys, womit sie den Zeitgeist trifft" (Südwestpresse Ulm, 11.12.2007). Die Entwicklung einer Dopingmentalität kann schon im ersten Lebensjahr z.B. durch die Gabe von artifiziell hergestellten Vitaminen beginnen. Kinder mit hohem Trainingsumfängen (über 10 Stunden Sport in der Woche) und geringer Hemmung vor Medikamentenkonsum sind auf jeden Fall wesentlich stärker gefährdet, der Versuchung des Dopings nachzugeben.
Da das Problembewusstsein weder im Sport noch in der Gesellschaft ausreichend entwickelt ist, ist es noch nicht einmal möglich, ausschließlich mit modernsten Ansätzen die Dopingprävention (orientiert an der umfassenden Stärkung der Persönlichkeit der Jugendlichen) anzugehen. Um überhaupt Zugang zum Sportmilieu zu bekommen, muss zunächst einmal ein Mix von Ansätzen im Vordergrund stehen, der die aktuellen Bedürfnisse des Milieus (z.B. der Antidopingbeauftragten) anspricht. Kleine Befragungen von Trainern und Antidopingbeauftragten haben ergeben, dass ein besonderer Bedarf an Informationen zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Dopingpräparaten und -methoden besteht und ein Interesse am Einsatz von früher gedopten Sportlerinnen und Sportlern bei Präventionsveranstaltungen.
Und längst nicht alle sehen Doping als ein Problem an, dass dringend bearbeitet werden müsste. Von daher gehen Präventionsansätze wie der der Heidelberger Gruppe (in Anlehnung an entsprechende Vorgehensweisen in Frankreich und den USA) davon aus, dass gewisse Bedürfnisse befriedigt werden müssen (die Adressaten dort abholen, wo sie stehen), eine Konzentration auf Information und eine Vorgehensweise in Form von Vorträgen und einmaligen Veranstaltungen aber letztlich nichts bewirken. Deshalb wird das Ziel der selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung und –stärkung, d.h. das Ziel des mündigen Athleten verfolgt, der reflektieren, argumentieren und verantwortungsbewusst entscheiden kann. Mit dem Einsatz des Abschreckungsansatzes ("Man muss nur gestorbene gedopte Sportler zeigen") ist ein solches Ziel ebenso wenig erreichbar wie mit moralisierenden Belehrungen ("Wer dopt, ist böse") oder der Behauptung der Placebowirkung von Doping, wie zuletzt mit einer wahrscheinlich unsinnigen Studie zur Wirkung von Wachstumshormon.
Für den Anspruch der Nachhaltigkeit genügt es nicht, im Sinne von Verhaltensprävention nur an der Persönlichkeit der Sportlerinnen und Sportler anzusetzen. Strukturelle Maßnahmen (Verhältnisprävention) müssen dazu kommen wie z.B. die in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sportjugend auf den Weg gebrachten Präventionsmaterialien ("Sport ohne Doping"), die in der Zwischenzeit in über 30.000 Exemplaren kostenlos an interessierte Verbände, Vereine, Schulen und Einzelpersonen abgegeben wurden, oder die Integration des Präventionsthemas in Ausbildungsordnungen für Trainer und Übungsleiter.
Sportlerinnen und Sportler kann man bei der Wahl eines Ansatzes wie jener der Heidelberger Gruppe (am Subjekt Sportler und seiner Reflexionsfähigkeit ansetzen) auf Versuchungssituationen vorbereiten, auf die jugendliche Leistungssportler mit einiger Wahrscheinlichkeit im Verlauf ihrer Leistungssportkarriere treffen werden, z.B. nach gravierenden Verletzungen, in Anbetracht des Dopings von Konkurrenten oder nach Misserfolgen in entscheidenden Wettkämpfen. Eine wesentliche strukturelle Maßnahme besteht im Unterstreichen der Notwendigkeit der Entwicklung eines zweiten Standbeins neben dem Leistungssport, nämlich der Schaffung schulischer und beruflicher Grundlagen. Damit erhalten jugendliche Leistungssportlerinnen und -sportler Handlungsalternativen, er/sie muss nicht unbedingt Profi werden.
Viel wurde von der Heidelberger Gruppe und dem Zentrum für Dopingprävention der PH Heidelberg schon geleistet wie die Durchführung von Forschungsprojekten, ein internationales Expertengespräch mit rund 70 Teilnehmern aus neun verschiedenen Ländern (2005), die Entwicklung der vielerorts sehr gelobten Präventionsmaterialien oder die Initiierung eines nationalen und internationalen Netzwerks. Die Zukunft des Zentrums, das erfreulicherweise nicht nur durch die Pädagogische Hochschule, sondern in hohem Maße auch durch die Lautenschläger- und die Hopp-Stiftung auf zwei Jahre unterstützt wird, ist unsicher. Die Kooperation mit der deutschen Sportjugend war bisher sehr hilfreich. Vielleicht ergeben sich aber auch durch eine sich abzeichnende weitergehende Kooperation mit Institutionen und Verbänden oder auch mit geplanten Modellmaßnahmen wie zusammen mit der Stadt Heidelberg Möglichkeiten. Eine Möglichkeit der öffentlichen Präsentation der bisherigen Aktivitäten wird auf jeden Fall am Tag der Etappenankunft der Deutschlandtour in Wiesloch am 1. September 2008 gegeben sein.
Nächste Veranstaltung: Dr. Peter Danckert (Vorsitzender des Sportausschusses des deutschen Bundestags): Doping – was kann die Politik tun?
Donnerstag, 3. Juli 2008, 16.15 Uhr
Hörsaal des Sportinstituts der Universität, Im Neuenheimer Feld 700, 69120 Heidelberg
Rückfragen bitte an:
Prof. Dr. Gerhard Treutlein
Tel. 06221 477607 oder 0172 9334838
Treutlein@ph-heidelberg.de
Allgemeine Rückfragen von Journalisten auch an:
Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
http://www.uni-heidelberg.de/presse
Irene Thewalt
Tel. 06221 542310, Fax 542317
presse@rektorat.uni-heidelberg.de
Unser Land, das sich oft als Vorreiter der Dopingbekämpfung preist, hinkt bei der Dopingprävention hinter manchen anderen Ländern gewaltig hinterher. So gibt es im Gegensatz beispielsweise zu Frankreich keine Erwähnung der Dopingprävention innerhalb eines Dopinggesetzes und damit auch keine ableitbaren Konsequenzen finanzieller und personeller Art.
Als Folge des von der französischen Sportministerin Marie-Georges Buffet nach dem Festina-Skandal 1998 auf den Weg gebrachten verbesserten Dopinggesetzes in Frankreich betrug im Jahr 2007 der Etat für Dopingbekämpfung 17 Millionen Euro (davon 7 Millionen Euro für die französische Antidoping-Agentur, die aber nicht die Aufgabe der Dopingprävention hat – die deutsche NADA hatte 2006 1,8 Millionen Euro, inklusive der Aufgabe der Prävention); aus diesen Mitteln werden z.B. 24 Hauptamtliche in den Regionen bezahlt, die Doping-Hotline in Montpellier bezuschusst und anderes mehr. Jeder dieser Hauptamtlichen hat für die Aktivitäten in seiner Region etwa 100.000 Euro zur Verfügung, die NADA mit bundesweiter Aufgabe in ihrer Anfangszeit 2002 bis 2004 jährlich gerade einmal 20.000 Euro.
Denjenigen, die den Sinn von Dopingrepression und –prävention bezweifeln, muss die Frage nach Alternativen gestellt werden. Könnte eine Dopingfreigabe im Interesse von Staat, Gesellschaft und Sport liegen? Könnten Staat und Sponsoren einen offensichtlich gedopten Leistungssport noch finanziell unterstützen? Als wirksamste Frage hat sich bei Präventionsveranstaltungen herausgestellt, ob Freigabenbefürworter ihre eigenen Kinder in einen solchen Sport hineinschicken würden.
Eine Freigabe würde zusätzlich die Gefahr mit sich bringen, dass sich nicht nur individuelle Selbstzerstörungstendenzen (Todesfälle als Folge von Doping), sondern auch solche des Sportsystems beschleunigen würden – als Folge von wahrscheinlich weniger oder keinem Geld durch die bisherigen Geldgeber, und zumindest weit weniger Kinder, die auf Anregung ihrer Eltern und Sportlehrer den Weg in den organisierten Sport finden würden. Ohne kontinuierlichen Zugang von Nachwuchs wären leistungssporttreibende Vereine und Verbände ziemlich schnell am Ende. Dopingprävention ist von daher unumgänglich, wenn man das Sporttreiben im organisierten Sport für wichtig hält.
In Anbetracht der Schwierigkeiten, in einem föderal organisierten Bundesstaat eine umfassende Dopingprävention als Teil von Maßnahmen gegen den Medikamentenmissbrauch außerhalb und innerhalb des Sports in Gang zu bringen, haben Initiativen wie das Heidelberger Zentrum für Dopingprävention, "Falscher Einwurf" in Nordrhein-Westfalen oder das "Neusser Modell" eine besondere Bedeutung, im Sinne einer Bottom-Up-Strategie – in einem zentralistisch regierten Staat ist da zusammen mit einem Dopinggesetz im Sinne einer Top-Down-Strategie erheblich mehr möglich. Sie bringen von der Basis her Aktionen in Gang, verbunden mit der Hoffnung, dass diese dann auch auf andere Bereiche übertragen werden können.
Ohne weitergehende strukturelle, finanzielle und personelle Absicherung sind sie aber auch mit der Gefahr verbunden, dass nach einer Versuchsphase alles wieder beendet ist. Solche Initiativen bringen jene Institutionen in Zugzwang, die im Sinne eines "Schwarzer-Peter-Spiels" (Weiterreichen der Aufgabe) sich über lange Zeit elegant vor intensiven Bemühungen drücken konnten, mit Argumentationen wie: Der Bund ist nur für Spitzensport zuständig, aber nicht für Erziehung – diese ist Ländersache. Die Länder verschanzten sich oft hinter der Argumentation, Doping sei nur eine Sache des Spitzensports und damit Bundesangelegenheit u.s.w. Ergebnis war jedenfalls über Jahrzehnte hinweg, dass sich kaum jemand an das heiße Eisen der Prävention von Medikamentenmissbrauch und Doping heran machen wollte.
Treutlein zeigte anhand von Leistungsentwicklungen und historischer Erkenntnisse, dass wir es bei der Dopingproblematik mit einer Endlosschleife zu tun haben. Auf das Auffinden neuer Dopingmöglichkeiten (hier sind "innovative" Köpfe und kriminelle Netzwerke im Sport am Start!) folgen oft mit langer Verzögerung die Entwicklung und Einführung neuer Kontrollmethoden, die dann mit großem Aufwand als "Durchbruch" in Sachen Dopingbekämpfung gefeiert werden ("Jetzt haben wir das Problem völlig im Griff").
Des öfteren führen sie zu einem kurzfristigen Leistungsrückgang wie etwa nach dem Fall Ben Johnson (Ol. Spiele 1988) oder nach der Einführung von Trainingskontrollen in den 90er Jahren. Kurven der Leistungsentwicklungen lassen vermuten, dass sich die dopenden Milieus innerhalb von relativ kurzer Zeit auf solche "Erschwernisse" einstellen und neue Wege finden. Repression, das heißt Kontrollen und Bestrafung, führen deshalb nur zu kurzfristigen Erfolgen bei der Dopingbekämpfung. Wird der Kampf gegen Medikamentenmissbrauch und Doping ernst genommen und Langfristigkeit angestrebt, dann liegt in der Dopingprävention praktisch die einzige Chance. An der Ernsthaftigkeit des Kampfes hat es über Jahrzehnte hinweg gefehlt, und auch heute ist eine überzeugende politische und sportpolitische Aktivität in diesem Bereich nur unzureichend erkennbar.
Der Kampf wird zusätzlich erschwert durch Konkurrenzdenken (statt Kooperation und Solidarität), eine unklare Aufgabenverteilung und fehlende Koordination. So hat die NADA zwar nach dem Stiftungserlass die Aufgabe der Prävention; sie ist hierfür aber weder ausreichend ausgestattet noch mangels zentralistischer Strukturen in der Lage, einheitliche Programme flächendeckend durchzusetzen. Es ist noch nicht einmal klar, ob sie nur für die Prävention im Spitzensport zuständig ist oder für die ganze Bandbreite des Themas, zum Beispiel auch für den Medikamentenmissbrauch im Breiten- und Freizeitsport, für die entsprechenden großen Probleme in nicht wenigen Fitnessstudios oder gar für den Medikamentenmissbrauch in Form des Alltagsdopings in der Gesellschaft insgesamt.
Doping als Endstufe wird oft lange durch Entwicklungen vorbereitet, die zu einer Dopingmentalität führen und die im Alltag meist sogar als erwünscht angesehen werden. Der allzeit leistungsbereite Mensch, mit idealem Aussehen und hoher Leistungsfähigkeit ist in den meisten Bereichen unserer Gesellschaft das Idealbild und fördert den Medikamentenkonsum, der in der Gesellschaft zumindest akzeptiert, im Leistungssport aber partiell verboten ist. "’Denn beim winzigsten Befund werf’ ich kunterbunt meine Pillen in den Schlund’ singt die Band Wise Guys, womit sie den Zeitgeist trifft" (Südwestpresse Ulm, 11.12.2007). Die Entwicklung einer Dopingmentalität kann schon im ersten Lebensjahr z.B. durch die Gabe von artifiziell hergestellten Vitaminen beginnen. Kinder mit hohem Trainingsumfängen (über 10 Stunden Sport in der Woche) und geringer Hemmung vor Medikamentenkonsum sind auf jeden Fall wesentlich stärker gefährdet, der Versuchung des Dopings nachzugeben.
Da das Problembewusstsein weder im Sport noch in der Gesellschaft ausreichend entwickelt ist, ist es noch nicht einmal möglich, ausschließlich mit modernsten Ansätzen die Dopingprävention (orientiert an der umfassenden Stärkung der Persönlichkeit der Jugendlichen) anzugehen. Um überhaupt Zugang zum Sportmilieu zu bekommen, muss zunächst einmal ein Mix von Ansätzen im Vordergrund stehen, der die aktuellen Bedürfnisse des Milieus (z.B. der Antidopingbeauftragten) anspricht. Kleine Befragungen von Trainern und Antidopingbeauftragten haben ergeben, dass ein besonderer Bedarf an Informationen zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Dopingpräparaten und -methoden besteht und ein Interesse am Einsatz von früher gedopten Sportlerinnen und Sportlern bei Präventionsveranstaltungen.
Und längst nicht alle sehen Doping als ein Problem an, dass dringend bearbeitet werden müsste. Von daher gehen Präventionsansätze wie der der Heidelberger Gruppe (in Anlehnung an entsprechende Vorgehensweisen in Frankreich und den USA) davon aus, dass gewisse Bedürfnisse befriedigt werden müssen (die Adressaten dort abholen, wo sie stehen), eine Konzentration auf Information und eine Vorgehensweise in Form von Vorträgen und einmaligen Veranstaltungen aber letztlich nichts bewirken. Deshalb wird das Ziel der selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung und –stärkung, d.h. das Ziel des mündigen Athleten verfolgt, der reflektieren, argumentieren und verantwortungsbewusst entscheiden kann. Mit dem Einsatz des Abschreckungsansatzes ("Man muss nur gestorbene gedopte Sportler zeigen") ist ein solches Ziel ebenso wenig erreichbar wie mit moralisierenden Belehrungen ("Wer dopt, ist böse") oder der Behauptung der Placebowirkung von Doping, wie zuletzt mit einer wahrscheinlich unsinnigen Studie zur Wirkung von Wachstumshormon.
Für den Anspruch der Nachhaltigkeit genügt es nicht, im Sinne von Verhaltensprävention nur an der Persönlichkeit der Sportlerinnen und Sportler anzusetzen. Strukturelle Maßnahmen (Verhältnisprävention) müssen dazu kommen wie z.B. die in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sportjugend auf den Weg gebrachten Präventionsmaterialien ("Sport ohne Doping"), die in der Zwischenzeit in über 30.000 Exemplaren kostenlos an interessierte Verbände, Vereine, Schulen und Einzelpersonen abgegeben wurden, oder die Integration des Präventionsthemas in Ausbildungsordnungen für Trainer und Übungsleiter.
Sportlerinnen und Sportler kann man bei der Wahl eines Ansatzes wie jener der Heidelberger Gruppe (am Subjekt Sportler und seiner Reflexionsfähigkeit ansetzen) auf Versuchungssituationen vorbereiten, auf die jugendliche Leistungssportler mit einiger Wahrscheinlichkeit im Verlauf ihrer Leistungssportkarriere treffen werden, z.B. nach gravierenden Verletzungen, in Anbetracht des Dopings von Konkurrenten oder nach Misserfolgen in entscheidenden Wettkämpfen. Eine wesentliche strukturelle Maßnahme besteht im Unterstreichen der Notwendigkeit der Entwicklung eines zweiten Standbeins neben dem Leistungssport, nämlich der Schaffung schulischer und beruflicher Grundlagen. Damit erhalten jugendliche Leistungssportlerinnen und -sportler Handlungsalternativen, er/sie muss nicht unbedingt Profi werden.
Viel wurde von der Heidelberger Gruppe und dem Zentrum für Dopingprävention der PH Heidelberg schon geleistet wie die Durchführung von Forschungsprojekten, ein internationales Expertengespräch mit rund 70 Teilnehmern aus neun verschiedenen Ländern (2005), die Entwicklung der vielerorts sehr gelobten Präventionsmaterialien oder die Initiierung eines nationalen und internationalen Netzwerks. Die Zukunft des Zentrums, das erfreulicherweise nicht nur durch die Pädagogische Hochschule, sondern in hohem Maße auch durch die Lautenschläger- und die Hopp-Stiftung auf zwei Jahre unterstützt wird, ist unsicher. Die Kooperation mit der deutschen Sportjugend war bisher sehr hilfreich. Vielleicht ergeben sich aber auch durch eine sich abzeichnende weitergehende Kooperation mit Institutionen und Verbänden oder auch mit geplanten Modellmaßnahmen wie zusammen mit der Stadt Heidelberg Möglichkeiten. Eine Möglichkeit der öffentlichen Präsentation der bisherigen Aktivitäten wird auf jeden Fall am Tag der Etappenankunft der Deutschlandtour in Wiesloch am 1. September 2008 gegeben sein.
Nächste Veranstaltung: Dr. Peter Danckert (Vorsitzender des Sportausschusses des deutschen Bundestags): Doping – was kann die Politik tun?
Donnerstag, 3. Juli 2008, 16.15 Uhr
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