Der Codex Manesse und die Entdeckung der Liebe
15. Oktober 2010
In der Zeit der Staufer wurde die Minne als literarisches Sujet entdeckt und zum Gegenstand einer komplexen gesellschaftlichen Diskussion: Wie sich dieses Thema in den schriftlichen Zeugnissen des hohen Mittelalters widerspiegelt, ist Gegenstand der Ausstellung „Der Codex Manesse und die Entdeckung der Liebe“, die die Universitätsbibliothek Heidelberg als Beitrag zum 625-jährigen Bestehen der Ruperto Carola zeigt. Sie präsentiert zum Jubiläum den Codex Manesse – die prachtvoll gestaltete Sammlung mittelhochdeutscher Lied- und Spruchdichtung, die aus konservatorischen Gründen nur sehr selten die klimatisierten Tresore der Bibliothek verlassen darf – erstmals seit längerer Zeit wieder im Original. Zu den ingesamt rund 100 Exponaten gehören weitere wertvolle Handschriften, die vom 26. Oktober 2010 bis zum 20. Februar 2011 zu sehen sind.
Der Codex Manesse entstand zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Zürich – vermutlich auf Betreiben von Rüdiger Manesse und seinem Sohn Johann, die die mittelhochdeutsche Lieddichtung in ihrer gesamten Gattungs- und Formenvielfalt zusammentragen wollten. Die Handschrift umfasst 140 Dichtersammlungen, die ältesten Texte reichen zurück bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts. Die Handschrift ist eines der Schlüsselzeugnisse für die Literatur und Kultur der Stauferzeit. Den Texten sind 138 Miniaturen vorangestellt: Sie zeigen die Dichter in idealisierter Form bei höfischen Aktivitäten.
„Saget mir ieman, waz ist minne?“ Diese Frage des Dichters Walther von der Vogelweide nach dem Wesen der Liebe beschäftigte seit dem hohen Mittelalter fahrende Sänger, Adlige und Kleriker. Wie in einer Vielzahl von Texten und Bildern immer neu reflektiert wurde, konnte es einem Ritter nicht mehr genügen, die von ihm begehrte Dame zu besitzen. Er wollte vielmehr ihr Herz erobern. Die vielstimmige Entdeckung des Themas Minne beeinflusste nicht nur das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Sie wandelte auch das Selbstverständnis des Adels und die Umgangsformen innerhalb der höfischen Gesellschaft. Die Lieder und Bilder im Codex Manesse fangen diesen Wandel exemplarisch ein.
Am Beispiel des Codex Manesse und weiterer wertvoller Handschriften und Drucke aus den Tresoren der Universitätsbibliothek Heidelberg illustriert die Ausstellung die Entdeckung der Liebe im hohen Mittelalter. Die Exponate sind zumeist reich illustriert und geben dem Besucher damit auch einen Einblick in die deutsche Buchmalerei vom 13. bis in das 15. Jahrhundert. Vertreten sind ein Großteil der bedeutendsten Texte des Mittelalters, darunter zum Beispiel Wolfram von Eschenbachs „Parzival“. Während der Ausstellung wird der Codex Manesse viermal umgeblättert, um dem Publikum unterschiedliche Miniaturen zu präsentieren.
Die Ausstellung gliedert sich in vier Sektionen: Die ersten beiden Abschnitte beschäftigen sich mit Entstehung und Wirkung sowie dem Weg der Handschrift durch die Jahrhunderte. Im Mittelpunkt der dritten Sektion steht „Die Entdeckung der höfischen Liebe“. Die Literatur, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zu blühen begann, gilt als epochales Novum: Statt im gelehrten Latein der Kirche wurde an den Höfen weltlicher Fürsten auf Mittelhochdeutsch gedichtet. Neu war jedoch vor allem die Idee der Liebe, die in Epik und Lyrik zum Thema wurde. Gegenstand der vierten Sektion ist „Die Macht der Minne“: Der im Diskurs der höfischen Liebe geforderte Umgang zwischen Ritter und Dame präsentiert sich als Kunst, deren Spielregeln es erst zu erlernen gilt.
Zur Eröffnung der Ausstellung laden die Universitätsbibliothek Heidelberg und die Ruperto Carola am Montag, 25. Oktober 2010, ein. Mit Grußworten wenden sich Prof. Dr. Friederike Nüssel, Prorektorin der Universität Heidelberg, und Bibliotheksdirektor Dr. Veit Probst an die Gäste. Im Festvortrag spricht Prof. Dr. Ludger Lieb vom Germanistischen Seminar zum Thema „Die Vorstellung der Minne. Bild und Text im Codex Manesse“. Anschließend gibt Dr. Carla Meyer vom Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde eine Einführung in die Ausstellungskonzeption. Den musikalischen Rahmen mit Werken von Bach und Beethoven gestaltet Ilan Bendahan Bitton am Flügel. Die Veranstaltung findet in der Aula der Alten Universität statt und beginnt um 18 Uhr (Einlass ab 17 Uhr). Im Anschluss besteht die Möglichkeit, die Ausstellung zu besichtigen.
Bildnachweis: Universitätsbibliothek Heidelberg
Die Universitätsbibliothek Heidelberg zeigt die Ausstellung „Der Codex Manesse und die Entdeckung der Liebe“ vom 26. Oktober 2010 bis zum 20. Februar 2011 täglich von 10 bis 18 Uhr. Sie bleibt feiertags sowie am 2. Januar geschlossen. Der Eintritt kostet 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Gruppen von acht bis 15 Personen zahlen 40 Euro. Führungen finden jeweils samstags ab 14 Uhr statt. Außerdem werden Altstadtrundgänge mit einem Besuch der Ausstellung am Samstag ab 11 Uhr angeboten. Individuelle Gruppenführungen können über Heidelberg Marketing unter Telefon (06221) 1422-23 und 1422-25 oder per Mail guide@heidelberg.de gebucht werden.
Die Ausstellung ist ein zentraler Beitrag zum großen Veranstaltungsprogramm, mit dem sich die Universität Heidelberg im Jubiläumsjahr von Oktober 2010 bis zum Oktober 2011 der Öffentlichkeit präsentiert, und steht zugleich im Kontext der großen Mittelalterschau „Die Staufer und Italien“ in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. Sie ist eine Kooperation des Instituts für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde, des Germanistischen Seminars und der Universitätsbibliothek Heidelberg sowie einer Gruppe engagierter Studierender aus dem Historischen Seminar der Universität Heidelberg. Ein virtueller Rundgang durch die Ausstellung wird vom 22. Oktober an unter der Adresse http://manesse2010.uni-hd.de zu sehen sein. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Hinweis an die Redaktionen:
Am Freitag, 22. Oktober 2010, besteht für Journalisten die Möglichkeit, die Ausstellung vorab zu besichtigen. Außerdem stehen die Organisatoren für ein detailliertes Vorgespräch zur Verfügung. Der Pressetermin beginnt um 11 Uhr. Um Anmeldung unter der Telefonnummer (06221) 54-2581 oder per Mail an haeussermann@ub.uni-heidelberg.de wird gebeten.
Digitales Bildmaterial kann in der Pressestelle abgerufen werden.
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