Heidelberger Forscher schaffen dreidimensionales Modell eines Bakteriums
15. August 2013
Bestimmte Bakterien können komplexe Membranstrukturen ausbilden, die im Hinblick auf Komplexität und Dynamik denen von Eukaryoten ähneln – also Lebewesen, deren Zellen einen membran-ummantelten Zellkern besitzen. Das haben Wissenschaftler der Universität Heidelberg und des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) mit Hilfe neuer Methoden der Elektronenmikroskopie gezeigt. Dem Forscherteam ist es gelungen, den Aufbau des Bakteriums Gemmata obscuriglobus mit der Organisation seines Membransystems dreidimensional zu rekonstruieren. Ihre Untersuchungen belegen gleichzeitig, dass G. obscuriglobus keinen „echten“ Zellkern besitzt. Trotz seiner Ausnahmestellung muss es also weiterhin der Gruppe der Bakterien und damit den sogenannten Prokaryoten zugeordnet werden. Die Forschungsergebnisse wurden im Fachjournal „PloS Biology“ veröffentlicht.
„Seit den Anfängen der Mikroskopie werden die Zellen von Lebewesen nach zwei Kategorien unterschieden“, erklärt Dr. Damien Devos, der am Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg forscht. Danach „verpacken“ Eukaryoten ihr Genmaterial, die DNA, in einem durch eine Membran abgeschlossenen Bereich, dem Kern. Prokaryoten dagegen, zu denen auch Bakterien zählen, verfügen über keinen derartigen Zellkern. Bereits vor einigen Jahren legten Untersuchungen mit neuartigen Möglichkeiten der zweidimensionalen Bildgebung nahe, dass das Genmaterial von G. obscuriglobus von einer doppelten Membran umgeben zu sein scheint – neben anderen Besonderheiten der Membranorganisation war dies eine Erkenntnis, die die Unterscheidung von Prokaryoten und Eukaryoten ins Wanken brachte.
„Die Möglichkeit, dass ein Bakterium eine dem Zellkern ähnelnde Struktur besitzen könnte, stellte eine Bedrohung dar für eine der zentralen Annahmen der Biologie, auf der zahlreiche weitere Analysen und Interpretationen basieren“, erklärt Damien Devos. Um die Besonderheiten der Membranstruktur von G. obscuriglobus genauer zu untersuchen, haben die Heidelberger Forscher das Bakterium in dünne Scheiben zerlegt und diese mit dem Elektronenmikroskop abgebildet. Auf den Scheiben wurden dann die Membranen nachgewiesen, über den Umfang des gesamten Bakteriums verfolgt und ihr Aufbau am Computer rekonstruiert. Auf diese Weise entstand ein virtuelles Modell von G. obscuriglobus. Damit konnten die Wissenschaftler die Membranorganisation im dreidimensionalen Raum nachvollziehen und auswerten, wie die Membranen innerhalb der Zelle aufgebaut sind.
Die Untersuchungen zeigen, dass die Membranen innerhalb von G. obscuriglobus lediglich ein Teil der inneren Membran sind, die in allen Bakterien vorhanden ist und dort das sogenannte Zytoplasma umgibt. „Dazu weist G. obscuriglobus weitere Charakteristika auf, die auch bei anderen Bakterien zu finden sind“, erklärt Damien Devos. Mit diesen Forschungsergebnissen muss nach den Worten des Wissenschaftlers die Annahme verworfen werden, dass ein bakterieller Zellkern existiert. „Der Zellaufbau und die Membranen von Gemmata obscuriglobus sind lediglich komplexer als die ‚klassischer‘ Bakterien. G. obscuriglobus bildet also keine neue eigene Gruppe von Organismen und kann auch nicht zu den Eukaryoten gezählt werden“, sagt Dr. Devos, der mit Rachel Santarella-Mellwig vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie zusammengearbeitet hat.
Originalpublikation
Santarella-Mellwig R, Pruggnaller S, Roos N, Mattaj IW, Devos DP (2013) Three-Dimensional Reconstruction of Bacteria with a Complex Endomembrane System. PLoS Biol 11(5): e1001565. doi:10.1371/journal.pbio.1001565