Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg
6. November 2014
Foto: Langinger, Wikimedia
Blick in die zentrale Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Hier waren zahlreiche DDR-Oppositionelle inhaftiert. Heute fungiert das Gebäude als Gedenkstätte.Mehr als 32.000 politische Häftlinge wurden zwischen 1963 und 1989 von der Bundesrepublik Deutschland aus der DDR freigekauft. Eine am Historischen Seminar der Universität Heidelberg entstandene Doktorarbeit beschäftigt sich mit diesem zentralen Kapitel der deutsch-deutschen Beziehungen in Zeiten des Kalten Krieges. In seiner gerade veröffentlichten Studie untersucht Dr. Alexander Koch die Geschichte des Häftlingsfreikaufs und analysiert die unterschiedlichen Interessen sowohl der Bundesrepublik als auch der DDR. Der Wissenschaftler kommt zu dem Ergebnis, dass der Freikauf langfristig zu einer Destabilisierung der SED-Diktatur beigetragen hat.
„Ein wichtiger Faktor für den Start des Häftlingsfreikaufs im Jahr 1963 war der Bau der Berliner Mauer zwei Jahre zuvor. Die Hoffnung auf eine schnelle Wiedervereinigung hatte sich zerschlagen. Damit erhöhte sich für die westdeutschen Politiker der Druck, etwas für die politischen Häftlinge in der DDR zu tun“, erläutert Dr. Koch. Der „Preis“ für einen freigekauften Häftling variierte anfangs und war an verschiedene Kriterien gekoppelt. Dies waren die Höhe des Strafmaßes, die Reststrafe und die Ausbildung der betroffenen Person. 1977 einigte man sich auf einen Pauschalbetrag von rund 96.000 DM pro Person. Bezahlt wurde allerdings nicht mit Geld, sondern mit Sachgütern, vor allem mit Rohstoffen, die von der DDR zur Generierung von Deviseneinnahmen auf internationalen Märkten weiterverkauft wurden, wie der Historiker betont.
Für die Bundesrepublik stellte der Häftlingsfreikauf, so Dr. Koch, ein Instrument dar, um die Bindung zu den Menschen in Ostdeutschland aufrechtzuerhalten und ein ständiges Signal der Verbundenheit an die DDR-Bürger zu setzen. „Die DDR profitierte zumindest kurzfristig. Für den stets klammen Staat ergab sich damit eine willkommene Einnahmequelle. Gleichzeitig konnten auf diese Weise politische Gegner abgeschoben werden. Nicht zuletzt trug der Häftlingsfreikauf zu einer Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten auch in anderen humanitären und politischen Fragen bei“, betont Alexander Koch. Im Laufe der Zeit setzte jedoch eine für die SED-Diktatur gefährliche Eigendynamik ein. „Letztlich wurde mit diesem Verfahren ein Anreiz geschaffen, über den Freikauf die DDR zu verlassen. Insbesondere in den 1980er Jahren stieg die Zahl der freigekauften Häftlinge stark an. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass die Risikobereitschaft vieler DDR-Bürger, die in den Westen wollten, immer stärker wurde und in diesem Zusammenhang sogar eine Haftstrafe bewusst in Kauf genommen wurde.“
Verflochten war der Häftlingsfreikauf zudem mit der sogenannten „Familienzusammenführung“. In der DDR zurückgebliebene Angehörige konnten Ausreiseanträge stellen. Auch dafür erbrachte die Bundesrepublik wirtschaftliche Gegenleistungen. Über diesen Weg, so Alexander Koch, wurde bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989 rund 250.000 Menschen die Übersiedlung in die Bundesrepublik ermöglicht.
Für seine Studie hat Alexander Koch zahlreiche, zum Teil unveröffentlichte Quellen aus verschiedenen Archiven ausgewertet. Der Historiker stieß dabei auch auf ein Dokument der Westberliner „Rechtsschutzstelle“, in dem der Freikauf bereits im Jahr 1951 als eine Möglichkeit angesehen wird, politisch Inhaftierten in der DDR zu helfen. Darüber hinaus hat der Wissenschaftler Interviews mit Zeitzeugen geführt. Neben ehemaligen Häftlingen, Rechtsanwälten und Diplomaten gehörten dazu auch Politiker wie Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher. Gesprächspartner waren zudem die ehemaligen ranghohen Mitarbeiter im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Ludwig Rehlinger und Jan Hoesch, die beim Häftlingsfreikauf eine zentrale Rolle auf bundesrepublikanischer Seite spielten.