Singles in Shanghai
26. November 2014
Mit der Situation alleinstehender Frauen in Shanghai befasst sich eine Konferenz des internationalen Forschungsverbundes SINGLE unter Leitung der Medienethnologin Prof. Dr. Christiane Brosius von der Universität Heidelberg. Es handelt sich um die erste große Tagung eines neuen von der EU geförderten Großvorhabens, in dem ein Dutzend Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern untersucht, wie sich das Bild alleinstehender Frauen in asiatischen Megastädten ändert und welche Auswirkungen dies hat. Die Tagung, die vom 4. bis 6. Dezember 2014 in Shanghai stattfindet, nimmt soziale Herausforderungen und prekäre Verhältnisse in den Blick, mit und in denen alleinstehende Frauen in einer der größten Städte der Welt leben.
„In Wachstumsländern wie Indien und China ziehen immer mehr Frauen vom Land in die großen Städte – seien es Niedriglohnarbeiterinnen oder Top-Kräfte für die Kreativwirtschaften. Obwohl sie einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten, werden diese alleinstehenden Frauen oft sozial und wirtschaftlich diskriminiert“, erläutert Prof. Dr. Christiane Brosius vom Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien. Nach Angaben der Wissenschaftlerin gibt es in China inzwischen sogar einen Begriff für diese Frauen: „Sheng Nu“ bezeichnet „übriggebliebene Frauen“ über 30 Jahre. Auch das Fernsehen hat reagiert und zeigt Shows, die solche Frauen „unter die Haube“ bringen sollen, wie die Medienethnologin ergänzt. „Viele alleinstehende Frauen orientieren sich derweil eher am stark westlich geprägten Frauenbild, das durch Werbung und Medien vermittelt wird. Doch häufig sieht ihre Realität eben ganz anders aus.“
In welcher Weise alleinstehende Frauen bestärkt, aber auch benachteiligt werden, diskutieren Kulturwissenschaftler mit Künstlern und Filmemachern während der Tagung in Shanghai. Dabei werden sie insbesondere der Frage nachgehen, wie sich durch Migration, neue Arbeitsmärkte und Konsumwelten das Selbstverständnis der Frauen bis hin zu ihrem Umgang mit Sexualität ändert. Gleichzeitig interessiert die Teilnehmer, wie diese mitunter auch als „New Asian Women“ bezeichneten Frauen ihrerseits das Rollenverständnis beeinflussen und in verschiedenen Bereichen Gleichberechtigung aushandeln. In ihrem Eröffnungsvortrag wird Prof. Josephine Ho von der National Central University (Taiwan) daher auch erörtern, wie sich die Stellung der Familie in China zurzeit rapide ändert. Außerdem wird der Dokumentarfilm „Frauen“ von Walker Lee über Feminismus und Kunst in der Megastadt gezeigt. Die Konferenz mit dem Titel „Precariously Yours: Gender, Class, and Urbanity in Contemporary Shanghai” findet im Fei Contemporary Art Centre statt.
Der Forschungsverbund „Creating the ‚New‘ Asian Woman: Entanglements of Urban Space, Cultural Encounters and Gendered Identities in Shanghai and Delhi“, (SINGLE), befasst sich in drei Teilprojekten vor allem mit Vorstellungen von Autonomie, Anerkennung und Unsicherheit bei alleinstehenden Frauen in Shanghai und Delhi. Neben Christiane Brosius sind Dr. Melissa Butcher (The Open University, Großbritannien) und Prof. Dr. Jeroen de Kloet von der Universität Amsterdam (Niederlande) als Projektleiter an dem Verbund beteiligt. Der Zusammenschluss wurde im Herbst 2013 eingerichtet und wird im Rahmen des EU-Programms „Humanities in the European Research Area“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 530.000 Euro gefördert.