Protein repariert Nervenzellschädigungen
04. November 2015
Quelle: S. Weyer, IPMB
Mit Laborexperimenten zu grundlegenden Mechanismen der Entstehung der Alzheimerdemenz ist es einem internationalen Forscherteam unter Leitung der Heidelberger Neurobiologin Prof. Dr. Ulrike Müller gemeinsam mit französischen Wissenschaftlern gelungen, die für diese Erkrankung typischen Nervenzellschädigungen weitgehend zu „reparieren“. Dazu haben die Wissenschaftler ein Schlüsselprotein der Alzheimerpathogenese, das APP, und eines seiner Spaltprodukte näher untersucht. Eine mittels viraler Genfähren herbeigeführte Vermehrung dieses sogenannten APPsα im Gehirn von Mausmodellen sorgte für Reparatureffekte und auch für eine deutliche Verbesserung der Gedächtnisleistung, wie Prof. Müller vom Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie der Universität Heidelberg betont. Die Forscher erhoffen sich aus diesen Erkenntnissen neue Ansätze für die Entwicklung einer gentherapeutischen Alzheimertherapie. Veröffentlicht wurden die Forschungsergebnisse in der Fachzeitschrift „Acta Neuropathologica“.
Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Ursache von Demenz im höheren Alter. Betroffen sind dabei insbesondere Gehirnregionen, die für die Speicherung von Gedächtnisinhalten und für Lernprozesse von grundlegender Bedeutung sind. Lange bevor die Nervenzellen absterben, kommt es bereits zum Verlust von Synapsen – den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen –, mittels welcher die Nervenzellen miteinander kommunizieren. Diese Schädigungen führen zu Beeinträchtigungen des Lernvermögens und des Gedächtnisses. „Während abgestorbene Nervenzellen unwiederbringlich verloren sind, können geschädigte synaptische Kontaktstellen sich regenerieren und auch im hohen Alter neu gebildet werden“, betont Prof. Müller.
Wie die Wissenschaftlerin erläutert, lassen sich im Gehirn von Patienten mit Alzheimer-Erkrankung Ablagerungen, sogenannte Plaques, nachweisen. Diese Ablagerungen beeinträchtigen die Kommunikation zwischen den Nervenzellen und führen langfristig zum Absterben der Nervenzellen. Hauptbestandteil der Plaques ist ein kurzes Eiweißfragment, das sogenannte beta-Amyloidpeptid. Es entsteht, wenn das wesentlich größere Vorläuferprotein „Amyloid Precursor Protein“, das APP, gespalten wird. „Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass vor allem eine Überproduktion des beta-Amyloidpeptids zur Alzheimerdemenz führt. Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass es im Zuge der Erkrankung gleichzeitig zu einer Verringerung eines weiteren APP-Spaltprodukts, des Proteins APPsα, kommt“, erläutert Ulrike Müller. Dabei spielen proteinspaltende Enzyme, die als Sekretasen bezeichnet werden, eine Schlüsselrolle. Die scherenartigen Sekretasen zerschneiden das Zelloberflächenprotein APP an unterschiedlichen Positionen. „Bei diesen Spaltungsprozessen entsteht einerseits das für Nervenzellen toxische beta-Amyloidpeptid und daneben das die Nervenzellen schützende APPsα-Spaltprodukt, das als Gegenspieler des toxischen Peptids wirkt“, erläutert Prof. Müller. „Forschungen der letzten Jahre deuten darauf hin, dass bei der Alzheimerdemenz eine Fehlregulation der Sekretasenspaltung vorliegt, bei der zu wenig schützendes APPsα produziert wird.“
Frühere Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Ulrike Müller hatten bereits gezeigt, dass APPsα eine essentielle Funktion für das Nervensystem besitzt, weil es insbesondere die Ausbildung und Funktion von synaptischen Kontaktstellen sowie das räumliche Gedächtnis reguliert. Diese Erkenntnisse wurden nun genutzt, um einen neuen Ansatz für eine mögliche gentherapeutische Alzheimertherapie zu untersuchen. Das internationale Forscherteam hat dazu APPsα mithilfe viraler Gen-Fähren in das Gehirn von gealterten Modellmäusen eingebracht, die die Alzheimer-typischen Ablagerungen aufwiesen. „Nach Einbringen von APPsα konnten wir feststellen, dass die Nervenzellschädigungen repariert werden konnten. Insbesondere stieg die Zahl der synaptischen Kontaktstellen an, und auch die Gedächtnisleistung funktionierte wieder“, berichtet Ulrike Müller. „Unsere Forschungsergebnisse zeigen die therapeutische Wirksamkeit von APPsα im Tiermodell und eröffnen neue Perspektiven für die Alzheimertherapie.“
Die Forschungsarbeiten wurden im Rahmen des internationalen ERA-NET NEURON-Konsortiums durchgeführt, das von der Europäischen Union gefördert wird. Beteiligt an der Studie waren Forscherteams von Prof. Dr. Nathalie Cartier (Universität Paris), Prof. Dr. Martin Korte (Technische Universität Braunschweig) und Prof. Dr. Christian Buchholz (Paul Ehrlich Institut, Langen).