70 Jahre Altersunterschied und doch auf gleicher Wellenlänge
6. April 2016
Foto: Philipp Kempf
Menschen im vierten Lebensalter erleben den kontinuierlichen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen vielfach als einen Höhepunkt ihrer aktuellen Lebenssituation. Vor allem entsteht in ihnen die Überzeugung, von den jungen Menschen gebraucht zu werden und deren Entwicklung fördern zu können. Das ist ein Ergebnis des Projekts „Echo der Generationen“, das das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg mit Förderung der Dietmar Hopp Stiftung aktuell durchführt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Kruse, Dr. Sonja Ehret und Prof. Dr. Eric Schmitt untersuchen die Wissenschaftler, wie sich Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten der verschiedenen Generationen auf die jeweilige Lebensqualität auswirken und auf welche Weise sich diese Kontakte fördern lassen. Als Ergebnis der Studie soll zudem ein Leitfaden für Mehrgenerationenprojekte entstehen.
Im Mittelpunkt des zweijährigen Projekts stehen Menschen, die 85 Jahre oder älter sind, sowie Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 18 Jahren. Durchgeführt wird das Vorhaben in fünf Modellkommunen. Ziel ist es, Angehörige der beiden Generationen anzuregen, sich auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen sowie Teile des Alltags miteinander zu gestalten. Die gemeinsamen Aktivitäten sowie deren subjektive Bewertung werden sowohl mit Interviews als auch durch teilnehmende Beobachtung und die Analyse von Tagebüchern erfasst. Die Heidelberger Wissenschaftler sind zuständig für eine ausführliche Projektevaluation. Diese soll Aussagen darüber zulassen, worin der Gewinn des Austausches und der Unterstützung liegt und welche Faktoren entscheidend für das Gelingen sind.
Ausgangspunkt des Projekts bilden zentrale Erkenntnisse, die aus früheren Studien des Instituts für Gerontologie gewonnen wurden. Danach erleben alte und sehr alte Menschen gerade im Kontakt mit Jüngeren ein hohes Maß an Anregung und Motivation. „Sie werden dadurch in ihrer Überzeugung gestärkt, Teil der sozialen Welt, des öffentlichen Raumes, der Gesellschaft zu sein und von dieser nicht nur zu empfangen, sondern dieser auch geben zu können“, so Prof. Kruse. In den vergangenen eineinhalb Jahren wurden bislang Kontakte von 65 alten und sehr alten Menschen zu 95 Kindern und Jugendlichen hergestellt. Diese Beziehungen zeichnen sich durch eine Vielzahl von Begegnungen und eine große Kontinuität aus. Jung und Alt berichten sich gegenseitig von ihrer Biographie, von Hoffnungen, Wünschen und Sorgen. Sie sprechen über historische und politische Entwicklungen oder teilen sich Zeit im gemeinsamen Spiel. Mitarbeiter des Instituts für Gerontologie begleiten diesen Austausch und befassen sich mit zentralen Aspekten der Kommunikation und der Persönlichkeit der Teilnehmenden.
Wie Prof. Kruse hervorhebt, blickt die Generation der Alten und sehr Alten dankbar auf diesen kontinuierlichen Kontakt und die persönliche Beziehung, die sich darin entfalten kann. „Angesichts der kognitiven, sozialen und emotionalen Anregungen können wir bei ihnen eine Zunahme an Wohlbefinden und Zugewandtheit beobachten.“ Im Gegenzug erleben die Sechs- bis 18-Jährigen die Begegnung mit den alten und sehr alten Menschen, so Prof. Kruse, „durchweg als eine große Bereicherung“, die wechselseitiges Interesse und das Gefühl der Mitverantwortung für den jeweils Anderen hervorruft. „Dieses Projekt geht über ein rein wissenschaftliches Vorhaben weit hinaus und schafft neben den gewonnenen Erkenntnissen ein Miteinander und eine Verbindung zwischen den Generationen“, betont Meike Leupold, Referentin für Bildung und Soziales der Dietmar Hopp Stiftung. „Wir wollen damit auch zeigen, dass hohes Alter nicht zwangsläufig mit Schwäche und Pflegebedürftigkeit korreliert.“
Nach den Worten von Prof. Kruse soll das Projekt einen Beitrag dazu leisten, „die Bedeutung des gesellschaftlichen Engagements alter und sehr alter Menschen in das öffentliche Bewusstsein zu rücken“. Gerade in der aktuellen, durch Migration bestimmten gesellschaftlichen Situation könnten zum Beispiel Patenschaften für junge durch alte Menschen einen großen humanen Gewinn bedeuten, erklärt der Gerontologe, der Vorsitzender der Altenberichtskommission der Bundesregierung und Koordinator für die „Generationenbeziehungen“ im Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin ist.
Das von der Dietmar Hopp Stiftung mit 185.000 Euro geförderte Vorhaben „Echo der Generationen“ wird derzeit auf zwei weitere Kommunen übertragen. Der Leitfaden, der Anregungen für die Implementierung von Mehrgenerationenprojekten geben soll, entsteht in enger Abstimmung mit zentralen Akteuren der Kommunalpolitik.