Wie man Sterne mit Gravitationslinsen wiegt
25. Juli 2018
Bildquelle: ESA/ATG medialab; Hintergrundbild: ESO/S. Brunier
Mit Hilfe der Daten des Astrometrie-Satelliten Gaia haben Astronomen der Universität Heidelberg die Bewegung von Millionen von Sternen in der Milchstraße analysiert. Die Wissenschaftler konnten dabei erstmals mit höchster Präzision gegenseitige Sternbegegnungen vorhersagen. Hierbei treten charakteristische Effekte einer sogenannten relativistischen Lichtablenkung auf, die zur genauen Messung der Masse von Sternen genutzt werden kann. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics Letters”.
„Die Sterne der Milchstraße stehen nicht still, sondern bewegen sich relativ zueinander wie Mücken im Schwarm. Daher kommt es hin und wieder vor, dass sich – von der Erde aus gesehen – ein Vordergrundstern dicht an einem Stern im Hintergrund vorbei bewegt. Lichtstrahlen, die vom Hintergrundstern ausgehend auf dem Weg zu uns den Vordergrundstern passieren, werden dabei durch dessen Gravitationsfeld um einen winzigen Betrag aus seiner Richtung abgelenkt“, erläutert Prof. Dr. Joachim Wambsganß, Direktor des Astronomischen Rechen-Instituts (ARI), das zum Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) gehört. Durch diesen sogenannten „astrometrischen Gravitationslinseneffekt“ ändert sich die Position dieses Sterns am Himmel um einen winzigen, aber dennoch messbaren Betrag. Aus dieser Verschiebung und der relativen Position der sich begegnenden Sterne lässt sich die Masse des Vordergrundsterns ableiten.
„Diese Methode der Massenbestimmung ist auf wenige Prozent genau. Schwierig war bislang jedoch die Vorhersage, für welches Sternenpaar sich zu welchem Zeitpunkt eine günstige Begegnung ergibt, denn hierzu muss man die sogenannte Eigenbewegung von Sternen am Firmament mit höchster Präzision kennen“, betont Prof. Wambsganß. Die erforderliche Genauigkeit lieferte jüngst der Astrometrie-Satellit Gaia, der bereits seit rund vier Jahren die Position und Eigenbewegung von rund 1,5 Milliarden Sternen misst. Der umfangreiche Datensatz wurde im April dieses Jahres veröffentlicht.
Diese Daten nutzte Jonas Klüter, Doktorand von Prof. Wambsganß, um in den riesigen Datenmengen genau nach solchen günstigen Sternbegegnungen zu fahnden. Die Ereignisse sollten dabei nicht in ferner Zukunft, sondern innerhalb der nächsten 50 Jahre beobachtbar sein. Über diesen Zeitraum sind mit Gaia zuverlässige Vorhersagen möglich. Übrig blieben nach der umfangreichen Auswertung rund 70.000 Kandidaten, wobei nicht für alle eine messbare Verschiebung zu erwarten ist. Für zwei Sterne, die sich zur Zeit nahe eines Hintergrundsterns befinden, konnten die Wissenschaftler einen messbaren Effekt voraussagen.
Es handelt sich dabei um Luyten 143-23 und Ross 322, so die Katalog-Namen der beiden Sterne. Sie bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von rund 1.600 beziehungsweise 1.400 Millibogensekunden pro Jahr über die Himmelssphäre. Einer der Sterne, so Jonas Klüter, hat sich den Hintergrundsternen bereits Anfang Juli dieses Jahres maximal angenähert, bei dem anderen wird das Anfang August der Fall sein. Durch den Gravitationslinseneffekt führt das zu einer Verschiebung der Position der Hintergrundsterne um 1,7 beziehungsweise 0,8 Millibogensekunden.
Diese Veränderung ist ausschließlich mit den besten Teleskopen von der Erde aus messbar. Jonas Klüter führt daher eine Beobachtungskampagne unter anderem mit den Teleskopen der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile durch. Mit ihrer Hilfe verfolgt er die Annäherung der Sternenpaare und wird durch die Messung der Positionsveränderung erstmals die Massen zweier Sternen mithilfe des Graviationslinseneffekts bestimmen.