Präzisere Diagnose, gezieltere Therapie
Molekulare Marker eröffnen neue Wege zur Behandlung von Hirntumoren bei Kindern
von Stefan PfisterViele der Krebserkrankungen, die im Kindesalter auftreten, sind in den letzten Jahrzehnten heilbar geworden. Insgesamt haben sich die Heilungsraten von weniger als fünf Prozent in den 1960er Jahren auf mehr als 80 Prozent in heutiger Zeit verbessert. Dies liegt einerseits daran, dass verschiedene Therapiemöglichkeiten kombiniert und optimiert werden konnten, andererseits hat sich unser Wissen über die molekularbiologischen Veränderungen, die den Tumoren zugrunde liegen, immens vergrößert.
Bei den Blutkrebserkrankungen (Leukämien) des Kindesalters werden beispielsweise schon seit Jahren erfolgreich „molekulare Marker“ eingesetzt. Mit ihnen lässt sich bereits zum Zeitpunkt der Diagnose relativ präzise voraussagen, wie ein Patient auf die Behandlung ansprechen wird. Potenziell jedes Gen oder dessen Genprodukt kann als molekularer Marker verwendet werden. Sie werden herangezogen, um bei Leukämiepatienten die Intensität der Therapie zu steuern: Patienten, deren Tumorzellen ein ungünstiges Markerprofil zeigen, werden bereits ab Diagnosestellung intensiver behandelt, etwa mit einer intensiveren Chemotherapie oder einer sich unmittelbar anschließenden Stammzelltransplantation. Bevor die molekularen Marker etabliert waren, hatten diese Patienten mit einer Standard-Risiko-Therapie nur geringe Überlebenschancen. Molekulare Marker können umgekehrt dazu beitragen, die Therapieintensität bei bestimmten Leukämiepatienten zu reduzieren, ohne dass deren Heilungsaussichten dadurch vermindert werden. Dadurch können Langzeit-Nebenwirkungen verringert oder sogar vermieden werden.
Es gibt allerdings immer noch Tumorarten des Kindesalters, die mit vergleichsweise schlechten Heilungsraten einhergehen. Dazu zählen die kindlichen Hirntumoren. Bezüglich der Sterblichkeit haben sie in den letzten Jahren mit den Leukämien, der weitaus größten Gruppe kindlicher Tumorerkrankungen, gleichgezogen – obwohl kindliche Hirntumoren nur etwa halb so häufig vorkommen. So kommt es, dass die Krebssterblichkeit im Kindesalter heute zunehmend von Hirntumoren und anderen selteneren Krebsarten bestimmt wird. Es ist deshalb wichtig, für diese Tumorarten ebenso verlässliche Prognosemarker wie für die Leukämien zu identifizieren.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe "Molekulargenetik pädiatrischer Hirntumoren", eine Kooperation des Universitätsklinikums Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums.
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Ein wichtiges Ziel unserer Arbeitsgruppe „Molekulargenetik kindlicher Hirntumoren“ – sie ist ein Bindeglied zwischen der Abteilung Kinderonkologie im Universitätsklinikum Heidelberg und der Abteilung Molekulare Genetik im Deutschen Krebsforschungszentrum – ist es, geeignete Marker für kindliche Hirntumoren zu identifizieren und in die klinische Praxis einzuführen, damit auch Kinder, die an einem Hirntumor leiden, von unserem neuen molekularbiologischen Wissen profitieren können.
Beim Medulloblastom, dem häufigsten bösartigen Hirntumor im Kindesalter, ist es uns bereits gelungen, ein Modell zur Aufteilung der Patienten in verschiedene Risikogruppen zu erarbeiten: Anhand von vier molekularen Markern können wir das Ansprechen auf die Therapie und die Heilungschancen der Patienten bereits zum Zeitpunkt der Diagnose relativ präzise vorhersagen. So haben Medulloblastom-Patienten, bei denen eines der beiden üblicherweise vorhandenen Chromosomen 6 während der Tumorentstehung verlorengegangen ist, eine sehr gute Prognose. Von 340 Patienten, die wir bislang in unserer Studie untersucht haben, weisen 36 diese charakteristische Veränderung im Tumorgewebe auf: Alle diese Patienten haben bislang ihre Erkrankung überlebt, die meisten bereits mehr als fünf Jahre, sodass es unwahrscheinlich ist, dass der Tumor wieder auftritt. Patienten hingegen, bei denen im Tumor drei Kopien des langen Armes von Chromosom 6 vorliegen (statt der üblichen zwei Kopien), haben eine ungünstige Prognose: Ihre Fünf-Jahres-Überlebensrate beträgt weniger als 20 Prozent. Dies gilt auch für Patienten, deren Tumorzellen eine Vervielfältigung (Amplifikation) eines der beiden Krebsgene „C-MYC“ oder „N-MYC“ aufweisen (durchschnittlich jeweils mehr als vier Genkopien pro Tumorzelle). Mithilfe dieser neuen molekularen Marker können Patienten von Anfang an als Hochrisikopatienten identifiziert und entsprechend intensiv behandelt werden. Ohne die molekulargenetische Information war das nicht möglich. Auch Zugewinne des langen Armes von Chromosom 17 in Tumorzellen gehen mit einer weniger guten Gesamtprognose einher: Diese Patienten bilden eine Gruppe mit mittlerem Risiko. Patienten mit Tumoren, die keine der genannten Veränderungen aufweisen, haben eine 5-Jahres-Überlebensrate von 90 Prozent und sind mit der derzeitigen Standardtherapie in aller Regel gut behandelt.
Das sich hieraus ergebende Behandlungsmodell mit vier molekular definierten Risikogruppen wird in einem vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung geförderten Projekt derzeit bundesweit an praktisch allen in Deutschland neu an einem Medulloblastom erkrankten Patienten getestet und für den Einsatz in der klinischen Routinediagnostik vorbereitet.
Über die molekularen Mechanismen der Krebsentstehung von sogenannten niedriggradigen Astrozytomen – den häufigsten niedrig-malignen Tumoren im Kindesalter – war bislang nur wenig bekannt. Aus klinischer Sicht ist die Erforschung neuer Therapiemöglichkeiten gerade bei diesen Tumoren sehr wichtig, weil herkömmliche Krebsmedikamente (Chemotherapeutika) bei niedriggradigen Astrozytomen nur begrenzt wirksam sind.
Mutationen von Krebsgenen oder Veränderungen der Chromosomen, wie für das Medulloblastom beschrieben, sind bei niedriggradigen Astrozytomen bislang nur selten beobachtet worden. Deshalb war es umso erstaunlicher, dass wir mit empfindlichen Untersuchungsmethoden dennoch eine sehr charakteristische molekulare Veränderung identifizieren konnten.
Es handelt sich um einen Zugewinn im Bereich eines Chromosomen-Abschnitts (7q34), der das Krebsgen „BRAF“ enthält. Eine übermäßige Aktivierung dieses Gens aufgrund von Mutationen wurde bereits bei Dickdarmkrebs, beim Schwarzen Hautkrebs und bei Schilddrüsenkrebs gefunden. Beim niedriggradigen Astrozytom konnten wir interessanterweise verschie-dene Mechanismen der Genaktivierung identifizieren: In mehr als der Hälfte aller Fälle haben wir DNA-Kopienzahlzugewinne mit der Ausbildung von BRAF-Fusionsgenen gefunden; bei anderen Tumoren entdeckten wir aktivierende Mutationen desselben Gens.
Diese Befunde sind nicht nur für unser Verständnis der molekularen Grundlagen dieser Erkrankung von eminenter Bedeutung – sie bilden auch den Ausgangspunkt für neue therapeutische Möglichkeiten. Beispielsweise ist schon seit einigen Jahren ein Medikament auf dem Markt (Sorafenib), mit dem das Genprodukt von „BRAF“ gezielt gehemmt werden kann. Dieses Medikament wird schon seit einigen Jahren sehr erfolgreich bei Patienten mit Nierenzellkarzinom eingesetzt und weist ein günstiges Nebenwirkungsprofil auf. Der Wirkstoff ist auch imstande, in das zentrale Nervensystem einzudringen und kann als Tablette über viele Monate hinweg eingenommen werden. Damit bietet das Medikament optimale Voraussetzungen, um Patienten zu behandeln, bei denen die konventionelle Chemotherapie nicht erfolgreich war oder die bereits mehrere Rückfälle des Astrozytoms erlitten haben. In Zusammenarbeit mit dem MD Anderson Cancer Center in Houston, USA, einem Partnerinstitut des Deutschen Krebsforschungszentrums, läuft derzeit eine klinische Studie, in welcher das Medikament bei Kindern mit astrozytären Tumoren erprobt wird.
Die dritte häufige Art von Hirntumoren im Kindesalter sind „Ependymome“, Tumoren, die von der Auskleidung der Hirnwasserräume ausgehen. Bei ihnen ist es besonders schwierig, gutartige und bösartige Verläufe zu unterscheiden. Deshalb ist es uns ein Anliegen, molekulare Marker zu finden, mit denen Ependymome mit bösartigem Verlauf (frühe Rückfälle, Tendenz zur Metastasenbildung) frühzeitig identifiziert werden können. Tumorzellen mit Zugewinnen im Bereich des Chromosomenabschnitts 1q25 sind mit einem deutlich erhöhten Rückfallrisiko verbunden. Derzeit sind wir dabei, Gene im Bereich von 1q25 zu identifizieren, die Ziel des Zugewinns sein könnten. Diese(s) Gen(e) tragen vermutlich zu einer erhöhten Bereitschaft der Tumorzellen bei, den Ort ihres Entstehens zu verlassen, und sorgen so für eine erhöhte Tendenz, Tochtergeschwülste zu bilden.
Die molekulargenetische Charakterisierung kindlicher Hirntumoren kann zu einer wesentlich präziseren Einteilung der Patienten in Gruppen mit unterschiedlichem Krankheitsrisiko und unterschiedlichen Therapiebedürfnissen beitragen. Sie kann darüber hinaus als Grundlage dienen, um neue Therapien zu entwickeln.
Dr. Stefan Pfister ist Assistenzarzt in der Abteilung für pädiatrische Onkologie des Universitätsklinikums Heidelberg und leitet seit 2007 die Arbeitsgruppe „Molekulargenetik pädiatrischer Hirntumoren“, eine Kooperation des Universitätsklinikums Heidelberg mit dem Deutschem Krebsforschungszentrum. Zuvor forschte er am Dana-Farber Cancer Institute in Boston, USA. Seine Promotion legte er an der Universitätskinderklinik Tübingen ab. Im Jahr 2008 wurde Stefan Pfister für seine Arbeiten an pädiatrischen Hirntumoren mit dem Dr. Hella-Bühler Preis der Universität Heidelberg ausgezeichnet. Zusammen mit seinen Kollegen Marc Remke und Dr. Wibke Janzarik erhielt er außerdem den Dr. Maresch-Klingelhöffer Preis der Frankfurter Kinderkrebsstiftung.
Kontakt: s.pfister@dkfz.de.
Internet: www.pediatric-neurooncology.com