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Kalt, kälter, am kältesten

 
Fundamentale Quanteneigenschaften für neue technische Anwendungen  
von Sandro Wimberger und Tobias Paul

Die Quantenoptik beschreibt die Wechselwirkung von Licht und Materie auf atomaren Skalen. Das sich rasant entwickelnde Fachgebiet er­möglicht es heute, dieses Wechselspiel mit bislang unerreichter Präzision zu kontrollieren. Auf dem mikroskopischen Niveau einzelner Atome werden – im Gegensatz zu unseren alltäglichen Erfahrungen in der makroskopischen Welt – quantenmechanische Effekte wichtig: Energie zwischen Lichtfeldern und einzelnen Atomen kann beispielsweise nur in wohldefinierten Portionen – sogenannten Quanten – ausgetauscht werden, wobei Licht und Materie zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen können. Solche „Quantenzustände“ lassen sich in ihrer reinsten Form am besten bei sehr tiefen Temperaturen beobachten und manipulieren.

In bahnbrechenden Experimenten ist es in den letzten beiden Jahrzehnten gelungen, Atome durch Laserpulse auf die tiefsten erreichbaren Temperaturen um den absoluten Nullpunkt der Temperaturskala (etwa minus 273,15 Grad Celsius) abzukühlen. Während Luftmoleküle bei Raumtemperatur mit einigen hundert Metern pro Sekunde um uns herumschwirren, werden die ultrakalten Atome dabei auf Geschwindigkeiten von wenigen Millimetern pro Sekunde abgebremst. In Form extrem verdünnter Gase, sogenannter ultrakalter Quantengase, erlauben die kalten Atome Experimente zu mikroskopischen Quanteneffekten.
 
Ein ungeordnetes Potenzial (blau) bewirkt eine räumliche Lokalisierung der Dichteverteilung von ultrakalten Atomen (gelbgrün), die durch einen Laserstrahl (rot) geführt werden.  
Ein ungeordnetes Potenzial (blau) bewirkt eine räumliche Lokalisierung der Dichteverteilung von ultrakalten Atomen (gelbgrün), die durch einen Laserstrahl (rot) geführt werden.
Abb.: © Forschungsgruppe von Alain Aspect (Palaiseau), Nature 453, 891 (2008)
Als prominentes Beispiel eines aktuellen Präzisionsexperiments sei die direkte Beobachtung eines Effekts erwähnt, den der Nobelpreisträger Philip Anderson bereits vor 50 Jahren vorhersagte. Das Experiment aber wurde erst vor einem Jahr in zwei Laboratorien in Palaiseau bei Paris und in Florenz möglich: Eine spezielle Art eines ultrakalten Quantengases – ein so­genanntes Bose-Einstein-Kondensat – wird dazu einem Lichtfeld mit räumlich zufällig variierender Intensität ausgesetzt. Die Wechselwirkung mit dem Lichtfeld lässt die ultrakalten Atome ein räumlich zufällig variierendes Kraftfeld spüren, in dem sie sich bewegen. Anderson sagte vorher, dass ein solch ungeordnetes Kraftpoten­zial – auch wenn es nur sehr schwach ist – die Bewegungsfreiheit der Atome stark einschränkt.

Die Dichteverteilung des Quantengases ist dann nicht mehr beliebig ausgedehnt, sondern fällt im Raum exponentiell ab: Sie friert ein, und die Teilchen werden am Ort lokalisiert. Diese exponentiell abfallende Dichteverteilung eines Bose-Einstein-Kondensats ist in der Abbildung auf Seite 44 in gelber und grüner Farbe dargestellt. Zusätzlich wurden im Experiment die Atome durch die roten Laserlichtfelder entlang einer Linie im Raum geführt. Eine solche eindimensionale Raum­geometrie ist besonders günstig, um den Lokalisierungseffekt zu beobachten.

Zur experimentellen Verifizierung der ursprünglichen Anderson‘schen Theorie fanden die bisherigen Experimente im Grenzfall verschwindender Wechselwirkung zwischen den Einzelatomen statt, die zusammen das Bose-Einstein-Kondensat bilden.
 
Ultrakalte Atome bewegen sich in der periodischen Potenziallandschaft eines zweidimensionalen Gitters.  
Ultrakalte Atome bewegen sich in der periodischen Potenziallandschaft eines zweidimensionalen Gitters.
Was passiert aber mit der beobachteten Lokalisierung, wenn die Atome wechselwirken, sich also zum Beispiel gegenseitig abstoßen?

Unsere Arbeitsgruppe im Institut für Theoretische Physik beschäftigt sich genau mit dieser Frage. Die Wechselwirkung zwischen den Atomen im Gas lässt sich experimentell erhöhen, indem man die Anzahl der Teilchen pro Volumeneinheit vergrößert (was zu mehr Zusammenstößen führt) oder die Atome zusätzlich in ein optisches Gitter einsperrt. Bei diesem „Gitter“ handelt es sich um ein Lichtfeld, das sich durch die Überlagerung gegenläufiger Laserstrahlen erzeugen lässt und dessen Intensität im Raum periodisch zu- und abnimmt. In zwei Raumdimensionen kann man sich dieses Lichtfeld wie einen Eierkarton vorstellen, in dem die Atome von Mulde zu Mulde hüpfen (Abb. oben links). Die so zusammengedrängten Atome stoßen sich verstärkt ab, was statt zu der oben beschriebenen Lokali­sierung zu einer Diffusionsbewegung der Atome im periodischen Gitter führen kann.

Ein derartiges Nichtgleichgewichtsverhalten, das zu einer Ausbreitung der Atome im Raum führt, zeigt die Abbildung auf Seite 45 unten. Interessant ist auch, wenn sich ultrakalte Atome nicht abstoßen, sondern sich bei geeigneter Wahl der atomaren Spezies und der Systemparameter anziehen. Unter diesen Um­ständen ist es möglich, die Teilchen mittels der Lichtfelder gezielt zu zweiatomigen Molekülen zu vereinigen und die Mechanismen der Molekülbildung direkt zu steuern.
 
Räumliche Ausbreitung anfänglich lokalisierter ultrakalter Atome (rechts): Hohe Atomdichten sind rot, niedrige blau gekennzeichnet.  
Räumliche Ausbreitung anfänglich lokalisierter ultrakalter Atome (rechts): Hohe Atomdichten sind rot, niedrige blau gekennzeichnet.
Um eine Situation zu behandeln, in der sich die Atome bewegen, wechselwirken und gleichzeitig durch von außen angelegte Kräfte gesteuert werden, reichen bisher bekannte analytische Methoden oft nicht aus. Solche Fälle lassen sich aber numerisch simulieren. In unserer Arbeitsgruppe spielen Computersimulationen eine entscheidende Rolle, um komplexe, stark wechselwirkende ultrakalte Quantengase zu beschreiben, die sich aus vielen Atomen zusammensetzen und sich über große Raumbereiche bewegen. Dadurch zeigen wir neue Wege, um mit den heutigen experimentellen Möglichkeiten einzelne Atome und deren Wechselwirkung untereinander zu kontrollieren, fundamentale Quanteneigenschaften zu untersuchen und die Systeme künftig für neue technologische Anwendungen nutzbar zu machen.

 Eines der großen Ziele besteht darin, das Wechselspiel zwischen Lichtfeldern und Materie so vollkommen zu kontrollieren, dass elementare Rechenoperationen ausgeführt werden können, und der Weg zum sogenannten Quantencomputer geebnet wird. Theorie und Experiment gehen dabei Hand in Hand und machen dieses junge Forschungsfeld zu einem heißen Teilgebiet der modernen Physik.
 
Dr. Sandro Wimberger (links) und Dr. Tobias Paul  
 
Dr. Sandro Wimberger (rechts) leitet seit 2007 die Nachwuchsgruppe Komplexe Dynamik in Quantensystemen am Institut für Theoretische Physik der Universität Heidelberg. Nach seiner Promotion in Dresden und Como forschte er drei Jahre in Pisa und Turin über die Dynamik ultrakalter Quantengase. Als Teil der Heidelberger Graduiertenschule für Fundamentale Physik (www.fundamental-physics.uni-hd.de), die im Rahmen der Exzellenzinitiative etabliert wurde, konnte seine Arbeitsgruppe bereits mehrere zusätzliche Drittmittelprojekte und eine Industriekollaboration einwerben.

Dr. Tobias Paul ist seit 2008 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Nachwuchsgruppe Komplexe Dynamik in Quantensystemen am Institut für Theoretische Physik der Universität Heidelberg tätig. Nach seiner Promotion an der Universität Regensburg forschte er zwei Jahre als Feodor-Lynen-Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Université Paris Sud in Orsay über das Verhalten von ultrakalten Bose-Gasen in ungeordneten Potenzialstrukturen.

Kontakt: s.wimberger@thphys.uni-heidelberg.de und t.paul@thphys.uni-heidelberg.de


 

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 27.11.2014
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