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Genauere Vorhersage

Ein verbesserter Suchtest lässt Trisomie 21 präziser bestimmen
von Alexander Scharf


Ein höheres Lebensalter der Mutter war für Ärzte früher der einzige Anhaltspunkt, um zu weiteren Untersuchungen zur Abklärung eines Down-Syndrom des Ungeborenen zu raten. Zur zweifelsfreien Diagnose ist eine Fruchtwasserpunktion erforderlich; anschließend werden die Chromosomen der im Fruchtwasser enthaltenen und vom Kind stammenden Zellen bestimmt. Moderne Verfahren ermöglichen es heute, die Wahrscheinlichkeit eines Down-Syndroms mit höherer Präzision vorherzusagen. Schwangeren Frauen können so unnötige Fruchtwasseruntersuchungen und andere invasive Diagnoseverfahren erspart werden.


Das Down-Syndrom ist die häufigste bei Neugeborenen vorkommende Veränderung des Erbguts. In den Zellen der davon Betroffenen ist das Chromosom 21 nicht zwei-, sondern dreifach vorhanden. Man spricht deshalb auch von „Trisomie 21“. Die Veränderung der Chromosomzahl geht mit körperlichen und geistigen Entwicklungsstörungen unterschiedlicher Schweregrade einher.

Die „kombinierte NT-Messung nach Nicolaides“ – ein nicht-invasives, das heißt nicht in den Körper eingreifendes Verfahren – ermöglicht bereits gegen Ende des dritten Schwangerschaftsmonats eine Aussage darüber, ob das heranreifende Kind vom Down-Syndrom betroffen sein könnte. Die Messung zählt zu den derzeit wissenschaftlich am besten untersuchten Verfahren der vorgeburtlichen Diagnostik. Eine weitere Verbesserung konnte neuerdings mit dem „Advanced Firsttrimester Screening“, kurz AFS, erreicht werden.

Was ist eine „NT-Messung“? „NT“ ist die Abkürzung für Nackentransparenz: Während einer Ultraschall-Untersuchung wird die Flüssigkeitsansammlung im Nackenbereich des ungeborenen Kindes beurteilt; eine erhöhte Nackentransparenz kann auf das Vorliegen eines Down-Syndroms hinweisen. Die Bestimmung der Nackentransparenz mit Ultraschall hat in den letzten zehn Jahren zunehmend die zuvor übliche Vorgehensweise abgelöst, bei der vor allem das höhere Alter der werdenden Mutter (über 35 Jahre) herangezogen wurde, um die Wahrscheinlichkeit eines Down-Syndrom des Ungeborenen einzuschätzen und weitere Untersuchungen zu empfehlen. Von einer „kombinierten NT-Messung“ spricht man dann, wenn weitere Marker zur Beurteilung hinzugezogen werden, beispielsweise die vom Kind stammenden Proteine freies Beta-HCG oder Papp A.

Zur zweifelsfreien Abklärung des Verdachts ist eine Fruchtwasserpunktion erforderlich, bei der eine Nadel durch die Bauchdecke in die Fruchtblase gestochen und Fruchtwasser entnommen wird. Einzelne, im Fruchtwasser schwimmende Zellen des Kindes können so gewonnen, unter dem Mikroskop untersucht und die Chromosomen bestimmt werden. Da die Fruchtwasserpunktion stets mit einem – wenn auch geringen – Risiko einer Fehlgeburt einhergeht, sollte die Untersuchung nur bei einem ausreichend gesicherten Verdacht erfolgen. Der kombinierte NT-Test ist eine solide Grundlage für die ärztliche Empfehlung.

Wenn der Test mit einem auffälligen Ergebnis endet – im Medizinerjargon „positives Testergebnis“ genannt – bedeutet das nicht, dass das Ungeborene unzweifelhaft krank ist: Die meisten Schwangeren mit einem „positiven“ Testergebnis werden ein gesundes Kind austragen. Ein positives Testergebnis kann deshalb niemals als Entscheidung für den Abbruch einer Schwangerschaft herangezogen werden – das Testergebnis ist lediglich eine Rationale dafür, weitere Untersuchungen, beispielsweise eine Fruchtwasserpunktion, vorzunehmen oder bei einem niedrig kalkulierten Testrisiko (häufigster Fall) auf eine invasive Diagnostik zu verzichten. Die Statistik unterstreicht diese Aussage: Kalkuliert man mit statistischen Methoden das sogenannte adaptierte Risiko, dann findet sich bei acht von 100 Schwangeren, bei denen eine kombinierte NT-Messung und alle weitergehenden Untersuchungen erfolgten, ein krankes Kind. Statistiker sprechen von einem positiven Test-Vorhersagewert von acht Prozent. Das bedeutet umgekehrt: 92 von 100 „positiv“ getesteten Schwangeren bringen ein gesundes Kind zur Welt.

 

Ultraschallaufnahme eines Fötus  
Ultraschallaufnahme eines Fötus in der frühen Schwangerschaft: Die hier unauffällige Flüssigkeitsansammlung im Nackenbereich des ungeborenen Kindes (Nackentransparenz) kann im Fall einer Verdickung auf das Vorliegen einer Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt, hinweisen.

 

Risikoermittlung früher
Die vordergründige Wertung des Lebensalters der Schwangeren als Risikofaktor für Chromosomenveränderungen des Ungeborenen stammt aus den 1970er Jahren. Das mütterliche Alter allein ermöglicht jedoch allenfalls eine allgemeine, keinesfalls eine individuelle Aussage. Die Empfindlichkeit, die „Sensitivität“, dieser Art von Risikoermittlung ist entsprechend niedrig. Definiert man das altersbedingte Risiko einer 35-jährigen Frau als Grenze, ab welcher der Arzt eine genetische Diagnostik anbieten sollte, werden lediglich 30 bis 50 Prozent aller tatsächlich vorliegenden Down-Syndrom-Schwangerschaften erfasst. Die Präzision der Vorhersage ist entsprechend niedrig, statistisch ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit, ab einem Alter von 35 Jahren ein vom Down-Syndrom betroffenes Kind zu tragen, liegt bei etwa 0,3 Prozent.

In den 1980er und 1990er Jahren gelang es, Substanzen im Blut der Mutter zu identifizieren, die eine individuellere Risikoeinschätzung erlauben. Sie werden im sogenannten Triple-Test (zweites Schwangerschaftsdrittel) und im „Ersttrimester-Labortest“ (Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels) nachgewiesen. Entscheidend ist, dass die Substanzen (etwa Papp A und freies Beta-HCG) zwar im mütterlichen Blut bestimmt werden – eigentlich aber vom ungeborenen Kind (genauer: von seiner Plazenta) stammen. Es handelt sich also um spezifische, vom Kind selbst kommende Informationen.

Die vom Kind stammenden Informationen können unter Zuhilfenahme einer statistischen Methode, dem sogenannten Risiko-Kalkulationsalgorithmus, mit dem Altersrisiko der Mutter verbunden werden. Von der Testtheorie her bedeutet dies: Das unspezifische mütterliche Altersrisiko wird zusammen mit einem spezifischen kindlichen Risiko zu einem „Mischrisiko“. Die Sensitivität dieser Art der Risikoermittlung ist zwar insgesamt immer noch gering – verglichen mit der alleinigen Altersbetrachtung indes ein Fortschritt: Die Kombination von mütterlichem Alter (über 35 Jahre) mit den spezifisch vom Kind stammenden Informationen lässt beim Triple-Test wie auch beim Ersttrimester-Labortest immerhin 60 Prozent aller Down-Syndrom-Schwangerschaften vorhersagen. Die Präzision dieser gemischten Art der Vorhersage ist zwar etwa zehn Mal höher als die der alleinigen Altersbetrachtung, noch immer aber zu niedrig: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau bei einem positiv ausgefallenen Test tatsächlich ein vom Down-Syndrom betroffenes Kind trägt, liegt bei etwa zwei Prozent. Anders formuliert: Von 100 testpositiven Schwangeren wurden rückblickend 98 unnötig punktiert und dem Risiko einer Fehlgeburt ausgesetzt.

Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre wurde der Ersttrimester-Labortest mit der Nackentransparenzmessung zusammengefasst. Von der Testtheorie her bedeutet die „kombinierte NT-Messung“ folgende Verbesserung: Das unspezifische mütterliche Altersrisiko wird nicht mehr mit nur einem, sondern mit zwei spezifisch-kindlichen Risiken verbunden.

Die Sensitivität dieser Art der gemischten Risikoermittlung liegt verglichen mit der alleinigen Altersbetrachtung bei komfortablen 90 Prozent. Dies ist die empfindlichste Methode, mit der derzeit in der Praxis gearbeitet werden kann – doch auch die Präzision dieser Art der Vorhersage ist noch immer zu niedrig: Der Vorhersagewert, dass eine Frau bei einem positiv ausgefallenen kombinierten NT-Test tatsächlich ein vom Down-Syndrom betroffenes Kind trägt, liegt maximal bei fünf bis acht Prozent. Auch bei diesem Test werden also von 100 testpositiven Schwangeren rückblickend 92 bis 95 unnötig punktiert und dem Risiko einer Fehlgeburt ausgesetzt.

Ein Ausweg aus dem Dilemma ist, die methodische Schwäche des Ersttrimester-Tests zu beheben und das Verfahren so weiterzuentwickeln, dass es eine Chromosomenveränderung des Ungeborenen mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit anzeigt. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es zunächst zu analysieren, welche methodischen Gemeinsamkeiten die oben genannten Testverfahren haben.

Als wichtigstes Ergebnis der Analyse ist – ausgehend von der Testtheorie – folgende Auffälligkeit zu nennen: Bei allen Untersuchungsmethoden wird ein unspezifisch-allgemeines mütterliches Altersrisiko mit spezifisch-kindlichen Risiken zu einem Mischrisiko verbunden. Das aber ist logisch-statistisch und methodologisch nicht zulässig und damit dem Grunde nach falsch!

Solange in die Kalkulationsalgorithmen eine allgemeine, mütterlich determinierte Risikowahrscheinlichkeit eingeschlossen ist, können die Tests ihrem idealen Anspruch nicht gerecht werden. Denn in den Algorithmen fungiert das mütterliche Altersrisiko im Hinblick auf das tatsächliche fetale Risiko als bedeutsame Störgröße.

In der Praxis bedeutet dies erstens: Das tatsächliche individuelle Risiko wird bei jungen Patientinnen fälschlich als zu niedrig eingestuft. Und es bedeutet zweitens, dass mit dem fortschreitenden mütterlichen Alter die Risikoverzerrung bis hin in zu einer fälschlichen Hochrisikozuweisung ansteigt, was mit unnötigen Punktionen oder anderen unnötig in den Körper eingreifenden Diagnoseverfahren einhergeht. Um die Testleistung zu verbessern und die Rate falsch-positiver Befunde zu senken, wurde ein fortgeschrittener Ersttrimester-Suchtest, kurz AFS („Advanced Firsttrimester-Screening“), entwickelt.

Wie sieht dieser Test aus? Seine Basis sind die sehr empfindlichen, direkt vom Kind stammenden Informationen, die es uns heute erlauben, das individuelle Down-Syndrom-Risiko zu ermitteln. Aus mathematischen Gründen lag es nahe, für diesen Test die statistische Störgröße – das mütterliche Alter – aus dem etablierten Kalkulationsalgorithmus herauszunehmen und die sich aus dem fortentwickelnden Screening (AFS) ergebenden Testleistungszahlen mit denen des herkömmlichen Screenings zu vergleichen.

An der ersten Studie, in welcher der derzeitige Goldstandard des kombinierten NT-Tests (Original-Nicolaides-Software (ONS)) mit der weiterentwickelten AFS-Software (AFS) verglichen wurde, nahmen 2743 schwangere Frauen teil, an einer zweiten Studie 10 018. In der ersten Studie stellte sich heraus, dass beide Screeningverfahren hinsichtlich ihrer Sensivität gleichwertig waren (Sensitivität von 80 Prozent; falsch-negativ Rate von 20 Prozent). Hinsichtlich der  Spezifizität (97,01 Prozent; Falsch-Positiv-Rate von 2,99 Prozent; positiver Vorhersagewert von 11,76 Prozent) aber zeigte sich der AFS-Algorithmus als deutlich überlegen. Die Eliminierung des mütterlichen Altersrisikos aus der Risikokalkulation ermöglicht es, das Vorliegen einer Trisomie 21 oder auch einer Trisomie 13 und 18 exakter vorauszusagen.

Die zweite Studie mit 10 018 Schwangeren bestätigte dieses Ergebnis: Bei der Original-Nicolaides-Software betrug die Sensitivität 86,42 Prozent, die von AFS 87,65 Prozent. Die Spezifität errechnete sich für die Original-Nicolaides-Software auf 93,39 Prozent und für AFS auf 94,90 Prozent; der positive Vorhersagewert als Maß für die Präzision der Testaussage stieg von 9,6 Prozent (ONS) auf 12,3 Prozent (AFS). Die Gesamt-Test-Positiv-Rate konnte durch AFS um 150 Fälle, das heißt um 22,8 Prozent gesenkt werden. Dies erfolgte ausschließlich durch eine Reduktion der Rate falsch-positiver Testergebnisse.

Damit verbesserte AFS die Testleistung nachhaltig. Der entscheidende Punkt ist, das die Anzahl unnötiger Punktionen um knapp ein Viertel gesenkt werden konnte. Dies wird insbesondere deswegen möglich, weil ältere Schwangere eine die biologische Realität korrekter abbildende Risikozuweisung erfahren. In der Gesamtwertung wird das „Advanced Firsttrimester Screening“ derzeit als das modernste Verfahren einer vollständig individualisierten Risikoermittlung für Chromosomenstörungen des Ungeborenen eingestuft.

 

Prof. Dr. Alexander Scharf  

Prof. Dr. Alexander Scharf ist leitender Oberarzt in der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg. Er hat über nichtinvasive pränatalmedizinische Untersuchungsverfahren habilitiert und leitet seit mehr als zehn Jahren eine Arbeitsgruppe zu dieser Thematik.
Kontakt: alexander.scharf@med.uni-heidelberg.de

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 29.12.2010
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