Die Bescheidenheit der Provinz
von Anton Friedrich Koch
„Wir werden allmählich zu B-Wissenschaftlern, die sich exzellent dünken, wenn sie sich in halbwegs fehlerfreiem Englisch um Forschungsmittel bewerben können.“
Anton Friedrich Koch ist Professor für Philosophie in Heidelberg, Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und war im Jahr 2009 Gastprofessor an der Emory University, Atlanta, Georgia, USA.
Foto: Friederike Hentschel
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Gutes ist aufwendig: Demokratie, Umweltschutz, hoher Bildungsstand, Chancengleichheit und so weiter. Schlechtes macht sich von selbst oder kommt als vermeintlicher Sachzwang. Ein hohes Gut und wahrer Glücksfall für Demokratie und Wissenschaft war der Übergang der europäischen Bildungseliten vom Latein des Mittelalters zu den Volkssprachen der Neuzeit; gut für die Wissenschaft, weil das Denken und Schreiben in der Muttersprache Kreativität und Innovationen ungekannten Ausmaßes freisetzte; gut für die Demokratie, weil langfristig die Teilnahme aller an den öffentlichen Diskursen möglich wurde. Seit dem 16. Jahrhundert etablierten sich Italienisch, Französisch, Englisch und Deutsch als die Hauptsprachen der europäischen Wissenschaft, was Spinoza indes nicht hinderte, seine Korte Verhandeling auf Niederländisch, Kierkegaard, sein philosophisches Œuvre auf Dänisch, Tarski, seine bahnbrechende Abhandlung über den Wahrheitsbegriff zuerst auf Polnisch zu publizieren. Europäische Wissenschaftler waren polyglott und vermieden so den Wettbewerbsnachteil, in Fremdsprachen denken, forschen und schreiben zu müssen.
Heute scheint es, als wollten die Eliten in die vormalige Einsprachigkeit zurücksinken. Nur ist die Lingua franca diesmal keine neutrale Zweitsprache wie einst Latein, sondern die Erstsprache der anglophonen Gesellschaften. Den kontinentaleuropäischen Sprachen winkt eine Zukunft als Feierabendidiome, wie es für Deutsch schon als Empfehlung ausgesprochen wurde. Das Vorrecht unbefangener Kreativität in den Wissenschaften wäre dann für uns dahin, und im nicht minder beklagenswerten Gegenzug würden die anglophonen Muttersprachler in eine der Einsprachigkeit folgende Weltblindheit geführt, deren Vorboten wir schon wahrnehmen.
Englisch ist das Mittel der Verständigung in internationalen Kontexten. Als Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens sind Englischkenntnisse unverzichtbar und zum Renommieren im Grunde so wenig geeignet wie die Vertrautheit mit dem großen Einmaleins. Aber in Gesellschaften, die in sprachliche Randständigkeit geraten und ihr Selbstvertrauen verlieren, macht sich die Bescheidenheit der Provinz breit, die ihren Ehrgeiz darein setzt, sich an den sprachlichen und sonstigen Moden des Zentrums wenigstens durch flinke Rezeption zu beteiligen. So werden wir allmählich zu B-Wissenschaftlern, die sich exzellent dünken, wenn sie sich in halbwegs fehlerfreiem Englisch um Forschungsmittel zu bewerben verstehen, an denen nur die Steuerzahler nach wie vor deutsch sind, die sie erarbeiten.
In den Geisteswissenschaften ist die Anglisierung besonders misslich, weil hier Darstellung und Sache eng verflochten sind. Aber auch in den Naturwissenschaften käme es darauf an, in der eigenen Sprache zu konzipieren, zu forschen und zu beratschlagen, zum Beispiel darauf, an Deutsch als Laborsprache festzuhalten (und ausländischen Mitarbeitern Sprachkurse anzubieten). Dies wiederum wird nur gelingen, wenn auch in den Naturwissenschaften Deutsch als Publikationssprache nicht völlig preisgegeben wird. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft muss Fachzeitschriften – „Geist“, „Gesellschaft“, „Natur“ – anregen und betreuen, die hervorragende deutschsprachige Artikel aus aller Welt annehmen, und die Annahme hoch prämieren. Der englische Sprachraum, in dem Anzeichen der Verknöcherung und der Einseitigkeit sich mehren, wird es uns am Ende danken. Vielfalt belebt. Und sichert im gegebenen Fall unseren Status als gleichrangige Mitspieler in den Wissenschaften.
Kontakt: a.koch@uni-heidelberg.de