Editorial
„Die bekannt gewordenen Plagiatsfälle halten unserer Gesellschaft auch den Spiegel eines verbreitet zu nachlässigen Umgangs mit Werten wie Fleiß, Disziplin, Ausdauer, Ehrlichkeit oder Pflichtbewusstsein vor.“
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
bekanntlich ist auch das Schlechte zu etwas gut, nämlich zumindest als schlechtes Beispiel. Die in der Öffentlichkeit naturgemäß vielbeachteten jüngsten Fälle von Plagiaten in Politikerdissertationen entfalten sogar noch einen weiteren Nutzen, weil sie das Gebot der Redlichkeit in der Wissenschaft in das gesellschaftliche Blickfeld rücken.
Erfreulicherweise reagieren die Hochschulen auf solche Vorwürfe bisher mit dem einzig richtigen Vorgehen. Bekannt gewordene Plagiatsanschuldigungen werden in den hierfür vorgesehenen Verfahren sorgfältig geprüft und bewertet. Betroffene erhalten in angemessener Weise Gehör. Beraten wird in den zuständigen Gremien, die nach den maßgebenden gesetzlichen Regelungen nicht öffentlich tagen. Über Konsequenzen wird nicht nach politischen Kriterien oder gar Sympathie, sondern allein nach akademischen Maßstäben entschieden. Wenn die bekannten Plagiatsfälle insofern etwas beweisen, dann ist es erstens, dass die Hochschulen für solche Verstöße geeignete Verfahren bereit halten, und zweitens, dass diese Verfahren eine effektive und sachgerechte Behandlung solcher Fälle gewährleisten.
Über die Aufarbeitung bereits aufgetretener Fälle hinaus bedarf es natürlich der Prävention. Dabei muss man zwei Wege unterscheiden, die sich aber gegenseitig nicht ausschließen. Schon seit jeher wird fast überall von Doktoranden eine Erklärung verlangt, deren Inhalt im Kern ist, dass es sich bei ihrer Arbeit um eine eigene, selbständig verfasste wissenschaftliche Leistung handelt. Diese Erklärung wird in Zukunft etwas präziser gefasst werden, ihr Inhalt muss – jedenfalls in Heidelberg – an Eides statt versichert werden. Der angemessene Einsatz von Plagiatssoftware soll ein Übriges tun. Das soll vor allem das Redlichkeitsgebot und seinen hohen Rang unterstreichen, jeder „Generalverdacht“ gegenüber der überwältigenden Mehrheit ehrlich arbeitender Doktoranden wäre demgegenüber fehl am Platz.
Wichtiger ist aber noch ein anderes: Ob man Redlichkeit allein durch Kontrolle und Abschreckung erreicht, ist zweifelhaft. Auch durch das Predigen hoher Werte vermittelt man den Zuhörern meist weniger die Werte als die Kunst des Predigens. Redlichkeit und ihren Rang kann die Wissenschaft am besten durch das Beispiel vermitteln. Das gemeinsame Ringen um die richtige Einsicht und Erkenntnis muss deshalb im Mittelpunkt des Forschens und Lehrens stehen – ein hoher Anspruch an uns alle. Freilich darf damit nicht erst in der Universität begonnen werden. Lern- und Arbeitsverhalten werden schon in der Schule erworben. Deshalb muss schon in der Schule verstanden werden, dass „copy and paste“ keine Methode sein darf, mit der häusliche Arbeiten erstellt oder Referate vorbereitet werden.
Über die Bildungsinstitutionen hinaus ist aber die Gesellschaft als Ganze gefordert, und zwar in zweierlei Weise: Einmal geht es um den Rang der leider zu oft abwertend als „Sekundärtugenden“ bezeichneten Werte wie Fleiß, Disziplin, Ausdauer, Ehrlichkeit oder Pflichtbewusstsein. Die bekannt gewordenen Plagiatsfälle halten unserer Gesellschaft auch den Spiegel eines verbreitet zu nachlässigen Umgangs mit diesen Tugenden vor. Und diese Einsicht darf nicht nur gepredigt werden, sondern muss wieder mehr die Praxis unserer Gesellschaft prägen.
Zum anderen muss die Diskussion um den Rang des geistigen Eigentums geführt werden. Die ungeheuren Chancen der digitalen Informationsgesellschaft stellen den Schutz des geistigen Eigentums vor Herausforderungen zuvor unbekannter Schärfe. Unser (gutes) Überleben als Wissensgesellschaft wird auch davon abhängen, dass es uns gelingt, Offenheit der Informationen mit der Abwehr aller Formen der Piraterie zu verbinden.
Ihr
Thomas Pfeiffer
Prorektor für internationale Beziehungen