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Meinung

          
Nachhaltige Entwicklung –
oder die Karriere eines Begriffs durch nachhaltige Gedankenlosigkeit seiner Verwendung

von Hartmut Sangmeister

 

Prof. Dr. Hartmut Sangmeister  
Hartmut Sangmeister ist Studiendekan und Professor für Entwicklungsökonomik in Heidelberg.
Foto: Friederike Hentschel

Chinas Regierungschef Wen Jiabao verkündete kürzlich vor den Delegierten des Nationalen Volkskongresses, das rasante Wirtschaftswachstum müsse gedrosselt werden, um die Wirtschaft nachhaltiger zu machen und weniger Rohstoffe zu verschwenden. Was aber heißt nachhaltige Entwicklung in einem Land, das die USA als weltgrößter C02-Emittent überholt hat? Das Adjektiv nachhaltig, belehrt uns der Duden, ist eine seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bezeugte Ableitung von dem Substantiv Nachhalt, „etwas, das man für Notzeiten zurückbehält“. Nachhaltige Entwicklung also für Notzeiten? Inzwischen gilt nachhaltig aber als positiv besetzt, was die inflationäre Verwendung des Begriffs erklären mag – auch für Sachverhalte, die das Gegenteil nachhaltiger Entwicklung bedeuten können. So versprechen Unternehmensvorstände die strategische Ausrichtung auf nachhaltige Wertsteigerung für ihre Shareholder. Personaltrainer garantieren nachhaltige Gewinnmaximierung durch Mitarbeiter-Coaching. Eine Investmentbank wirbt für ihre Subprime-Zertifikate mit dem Slogan „Nachhaltig erfolgreich“.

Was nachhaltige Entwicklung in Deutschland bedeuten soll, lässt sich in den Berichten der Bundesregierung zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie nachlesen. Freilich herrscht, wenn von nachhaltiger Entwicklung die Rede ist, ein geradezu babylonisches Sprachengewirr, das es jedem gestattet, darunter etwas anderes zu verstehen. Nachhaltig scheint nur die Gedankenlosigkeit zu sein, mit welcher der Nachhaltigkeits-Begriff beliebig verwendet wird. Ursprünglich stand die Bezeichnung nachhaltig in der deutschen Forstwissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts für eine Waldnutzung, die sich damit begnügt, jedes Jahr nur so viel Holz zu ernten, wie nachwächst. Inzwischen geht es aber in vielen Nachhaltigkeitsdiskursen um mehr als nur darum, von den Zinsen zu leben, ohne das Kapital anzurühren. Nachhaltige Entwicklung – so lautet die Verheißung - soll weltweit den anhaltenden Zuwachs individuellen und gesellschaftlichen Wohlstands in einer dauerhaft lebenswerten Umwelt sicherstellen. Dieses Ziel ist jedoch in sich widersprüchlich. Denn spätestens seit Urbanisierung und Industrialisierung hat sich die gesellschaftliche Entwicklung über die Organisation ökologischer Systeme irreversibel hinweggesetzt. Folglich ist der Widerspruch zwischen ökonomischer Dynamik und ökologischer Dynamik unaufhebbar. Daher gilt es, zwischen mehr oder weniger großen Übeln abzuwägen, und dabei kann es keine konfliktfreien Lösungen geben. Kompromisse werden aber möglich, wenn ihnen zwei Handlungsmaximen zu Grunde liegen: Übelminimierung und Übelabwägung. Nur solche Maßnahmen sind gerechtfertigt, deren erkennbaren negativen Nebenwirkungen so gering wie möglich gehalten werden und deren negative Nebenwirkungen geringer sind als die durch Handlungsverzicht verursachten Übel.

Nachhaltige Entwicklung setzt die langfristige Orientierung des Handelns voraus. Dies erfordert in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Korrekturen tradierter Denk- und Verhaltensmuster. Zukunftsfähig ist nur eine Gesellschaft, deren Mitglieder bereit sind, ihr individuelles Verhalten zu ändern. Denn letztendlich findet nachhaltige Entwicklung auf der lokalen, individuenbezogenen Ebene statt. Trotz Globalisierung bleibt die überschaubare lokale Ebene die unmittelbare Erfahrungswelt für die alltäglichen Lebenszusammenhänge der Menschen.

 

Die nahe liegende Frage, wie nachhaltig eine Exzellenzinitiative mit befristeten Personalstellen eigentlich sein kann, bleibt bislang nachhaltig unbeantwortet…  
Illustration: Jan Neuffer, Berlin

 

P.S: Die nahe liegende Frage, wie nachhaltig eine Exzellenzinitiative mit befristeten Personalstellen eigentlich sein kann, bleibt bislang nachhaltig unbeantwortet…

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 23.09.2011
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