Editorial
„Es gilt, in allen Studiengängen vermehrt Lehrveranstaltungen zu integrieren, die den Blick über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinaus eröffnen und die transdisziplinäre Dialogfähigkeit fördern.“
Liebe Leserin, lieber Leser,
kürzlich haben das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, die Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände und das Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft eine „Gemeinsame Erklärung zum Bologna-Prozess“ verabschiedet unter dem Titel: „Bologna gemeinsam weiter zum Erfolg führen“. Dabei setzen die Akteure einen Akzent auf die Weiterbildung an den Hochschulen durch Einrichtung einer gemeinsamen Servicestelle, die neue Kooperationsmöglichkeiten ausloten und Weiterbildungsangebote initiieren soll – all dies im Sinne des lebenslangen und lebensbegleitenden Lernens.
Die Erklärung ist verbunden mit einem erneuten energischen Bekenntnis zum Bologna-Prozess und zum zweistufigen Studiensystem. Entgegen einer Überspezialisierung der Bachelorstudiengänge wird ausdrücklich eine Ausbildung favorisiert, die „nicht nur auf fachliche Spezialkenntnisse“ Wert legt, sondern ebenso auf eine „entwickelte Methoden- und Sozialkompetenz“ bei den Absolventinnen und Absolventen.
Solche Kompetenz ist in der Tat eine wichtige Voraussetzung für ein lebenslanges Lernen im Kontext sich wandelnder Anforderungen. Ebenso wichtig dürfte es aber auch sein, frühzeitig den Boden zu bereiten für ein Studium, das die Neugier und Begeisterung für das Fach weckt und wachhält.
Die Universität Heidelberg leistet ihren Beitrag zu einer entsprechenden Ausbildung in den grundständigen Studiengängen durch eine forschungsorientierte Lehre, die die Studierenden aktiv an den elementaren Schritten der Forschung beteiligt. Dabei geht es nicht nur darum, Forschungsmethoden zu erlernen und selbständig anzuwenden. Wichtig ist vielmehr auch die Beteiligung an der Generierung und Spezifizierung der Fragestellungen sowie an der Auswertung der Ergebnisse und der Formulierung von Anschlussfragen. Forschendes Lernen in diesem Sinne vertieft die Aneignung der Grundlagenkenntnisse und vermittelt zugleich die Fähigkeit, Probleme selbständig bearbeiten.
Viele Forschungsfragen haben inzwischen eine Komplexität erreicht, die eine Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen erfordert. Die Universität Heidelberg sieht eine elementare Aufgabe darin, ihr Potenzial als Volluniversität in der Forschung auch in der Lehre weiter auszubauen. Die Marsilius-Studien haben hier exemplarische Bedeutung. Doch gilt es, in allen Fächern und Studiengängen vermehrt Lehrveranstaltungen zu integrieren, die den Blick „über den Tellerrand“ der eigenen Disziplin hinaus eröffnen und transdisziplinäre Dialogfähigkeit fördern. Die Stärkung der Verbindung von forschungsorientierter und transdisziplinärer Lehre ist in einem intensiven Diskussionsprozess in den für die Lehre verantwortlichen Gremien als ein gemeinsames Ziel der Fächer definiert worden. Um die Qualität der Lehre entsprechend weiterentwickeln zu können, hat sich die Universität im Bund-Länder-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre mit einem Antrag beworben.
Die Ergänzung einer fundierten Ausbildung in der jeweiligen Fachdisziplin durch überfachliche Kompetenzen entspricht auch den Zielen der Bologna-Reform. Sie fördert die Orientierungsfähigkeit in neuen Problemkonstellationen, die Methoden- und Sozialkompetenzen und das Bewusstsein für die gesellschaftlichen und ethischen Dimensionen neuer Forschungsfragen und -ergebnisse. Solche Fähigkeiten sind nicht nur in vielen Berufsbildern und in der Forschung von morgen gefragt, sie bilden zugleich wichtige Anknüpfungspunkte für ein lebenslanges Lernen, das nicht zuletzt im Rahmen verlängerter Lebensarbeitszeiten immer wichtiger werden wird.
Ihre
Friederike Nüssel
Prorektorin für Studium und Lehre