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Mit Strahlen präzise gegen Krebs

Miniaturisierte Röntgengeräte verbessern die Strahlentherapie

von Elena Sperk, Tina Reis und Frederik Wenz


Die Strahlentherapie zählt zu den wichtigsten Waffen der Medizin gegen Krebs. Bislang werden die tumorzellzerstörenden Röntgenstrahlen von großen Linearbeschleunigern erzeugt. Der medizintechnischen Forschung ist es zwischenzeitlich gelungen, die Röntgengeneratoren zu verkleinern. Das erbringt den Vorteil, die Bestrahlung flexibel vornehmen zu können, schon während der Operation beispielsweise und unmittelbar am erkrankten Gewebe.


Rund fünf Millionen Menschen leben in Deutschland mit der Diagnose Krebs. Die Therapie von  iiKrebserkrankungen ruht auf den drei Säulen Operation, der Behandlung mit zellteilungshemmenden Medikamenten (Chemotherapie) und dem Verabreichen von Strahlen (Strahlentherapie). Die Therapie mit Röntgenstrahlen, die Tumorzellen abtöten, erfolgt heute bei 60 bis 70 Prozent aller Patienten, die an Krebs erkrankt sind.

Typischerweise erfolgt die Strahlentherapie als ambulante Serienbehandlung: Der Patient kommt über mehrere Wochen täglich in die Klinik und erhält dort jeweils eine Bestrahlungseinzeldosis von 1,8 bis drei Gray, bis die Gesamtdosis von 30 bis 80 Gray erreicht ist. Die Bestrahlung erfolgt in der Regel mit einem großen Linearbeschleuniger als Röntgengenerator in speziell dafür vorgesehenen Räumen, die den Vorschriften des Strahlenschutzes entsprechen müssen. Forschungsfortschritte in der Medizintechnik haben es mittlerweile möglich gemacht, die Röntgengeneratoren so zu miniaturisieren, dass sie flexibel angewendet und „intraoperativ“, bereits während des chirurgischen Eingriffs im Operationssaal, eingesetzt werden können.

Krebszelle  
Foto: Eye of Science, Reutlingen

Ein miniaturisierter Röntgengenerator zur intraoperativen Radiotherapie (kurz IORT) ist in der Universitätsmedizin Mannheim als erstem Zentrum in Deutschland bereits seit dem Jahr 2002 im Einsatz, um Brustkrebs – den häufigsten bösartigen Tumor der Frau – zu behandeln. Das mobile Miniaturröntgengerät erlaubt es, schon während der Operation niederenergetische Röntgenstrahlen (30 bis 50 kV) in einer biologisch hoch effektiven Dosis direkt in das Tumorbett zu applizieren. Die Strahlenquelle wiegt nur rund zwei Kilogramm, kann flexibel in verschiedenen Operationssälen eingesetzt werden und lässt sich individuell in jeder Position am Operationstisch anbringen. Für spezielle Anwendungen wurden von Ärzten der Universitätsmedizin Mannheim gemeinsam mit dem Hersteller des Miniaturröntgengerätes, der Firma Carl Zeiss Surgical in Oberkochen, verschiedene Aufsätze, sogenannte Applikatoren, für die Strahlenquelle entwickelt und teilweise patentiert. Zu diesen neuen Entwicklungen zählt ein „sphärischer Applikator“ zur intraoperativen Brustbestrahlung, der sich auch zur Bestrahlung von Tumoren im Bauchbereich, etwa von Darmkrebs oder Weichteiltumoren, eignet. Ein „Nadelapplikator“ ermöglicht es, Wirbelkörper zu bestrahlen, in denen sich Tochtergeschwülste, Metastasen, abgesiedelt haben. „Zylindrische Applikatoren“ wurden eigens für die Bestrahlung von Tumoren im weiblichen Unterleib von der Scheide aus entwickelt.

Das Verfahren zur intraoperativen Bestrahlung mit einem Miniaturröntgengerät wurde in verschiedenen Studien zur Behandlung von Brustkrebs etabliert und methodisch erfolgreich für andere Krebsarten, etwa Tumoren im Unterleib oder Metastasen in Wirbelkörpern, weiterentwickelt. Zu diesen Zwecken wurde es weltweit erstmals in der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie der Universitätsmedizin Mannheim bei Patienten eingesetzt.

Intraoperative Strahlentherapie bei Brustkrebs

Am häufigsten wird das Miniaturröntgengerät in der Universitätsmedizin Mannheim eingesetzt, um Tumoren der Brust zu bestrahlen. Kleine Tumoren lassen sich oft brusterhaltend operieren. Um das Risiko für einen Rückfall zu minimieren, folgt der Operation üblicherweise eine Strahlentherapie, wozu die Brust von außen, durch die Haut hindurch („perkutan“) über einen Zeitraum von sechs bis sieben Wochen bestrahlt wird. Da die Röntgenstrahlen bei der äußeren Applikation die Haut durchdringen und Hautschädigungen drohen, wird die Gesamtröntgendosis in kleine, täglich zu verabreichende Portionen aufgeteilt. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme kann es dabei  zu Veränderungen der Haut oder Verhärtungen der Brustdrüse kommen.

 

Miniaturisierter Röntgengenerator (Intrabeam-Gerät und Stativ)  
Miniaturisierter Röntgengenerator (Intrabeam-Gerät und Stativ)

Die neue, intraoperative Bestrahlung unterscheidet sich von der von außen erfolgenden Bestrahlung grundlegend: Unmittelbar nachdem der Operateur den Brusttumor entfernt hat, erfolgt eine einmalige Bestrahlung des verbliebenen Tumorbetts in hoher Dosis. Die Patientin liegt währenddessen noch in Narkose. Da die Strahlen auf diese Art und Weise sehr gezielt durch die noch offene Operationswunde appliziert werden können, bleiben  andere Organe wie Lunge, Herz oder Haut von der zerstörerischen Strahlenwirkung weitgehend verschont. Die zielgenaue Strahlenapplikation erlaubt es gleichzeitig, eine maximal hohe Strahlendosis zu verabreichen, um eventuell noch verbliebene Tumorreste zu zerstören. Ein weiterer Vorteil der Bestrahlung von „innen nach außen“ ist, dass der Strahlenapplikator nach der Entfernung des Tumors unter Sicht direkt in die vom Tumor befallene Region eingeführt werden kann. In der Universitätsmedizin Mannheim kommt die intraoperative Strahlentherapie als sogenannte vorgezogene Dosisaufsättigung („Boost“) in hoher Einzeldosis während der Operation zum Einsatz; darauf folgt eine verkürzte Standardnachbestrahlung der ganzen Brust in herkömmlicher Weise von außen. Bislang ließen sich mit dieser Vorgehensweise das lokale Tumorwachstum sehr gut beherrschen und gute kosmetische Ergebnisse erzielen.

Als alleinige Therapie ohne Standardnachbestrahlung wird die intraoperative Strahlentherapie in Studien bei Brustkrebspatientinnen eingesetzt, bei denen nur ein geringes Risiko besteht, dass der Krebs erneut auftritt. Dazu wird die vom Tumor befallene Region der Brust einmalig und ausschließlich während der Operation unter maximaler Schonung umliegender Organe mit hoher Dosis bestrahlt. Mit der alleinigen Bestrahlung während der Operation haben wir in Mannheim bislang zehn Jahre Erfahrung: In der von uns dazu durchgeführten Studie kam es bei denjenigen Patientinnen, die nur ein geringes Rückfallrisiko aufweisen, bislang zu keinem Wiederauftreten des Tumors; bei Patientinnen mit hohem Rückfallrisiko zeigte sich eine Rückfallquote von nur 2,5 Prozent während der derzeitigen Nachbeobachtungszeit von bis zu neun Jahren. Patientinnen, bei denen eine intraoperative Bestrahlung erfolgte, haben eine nachweislich gute Lebensqualität; bei weniger als zehn Prozent kam es zu chronischen Hautnebenwirkungen, etwa einer Dunkelfärbung der Haut oder zu „Besenreisern“ auf der bestrahlten Brust, wie sie bei der herkömmlichen Bestrahlung auftreten können.

Intraoperative Radiotherapie gegen Knochenmetastasen

Im Juli 2009 ist es in der Universitätsmedizin Mannheim weltweit erstmals gelungen, das Miniaturröntgengerät erfolgreich einzusetzen, um Metastasen in den Wirbelkörpern zu bestrahlen. Viele bösartige Tumoren neigen dazu, solche Tochtergeschwülste in den Knochen abzusiedeln; am häufigsten sind Knochenmetastasen in den Wirbelkörpern. Aufgrund der zunehmenden Zerstörung des knöchernen Wirbelkörpers durch die entarteten Zellen erleiden die Patienten Schmerzen, sie sind nur noch eingeschränkt bewegungsfähig und ihre Lebensqualität verschlechtert sich. Die Behandlung zielt darauf, das Wachstum der Metastasen zu stoppen, den Wirbelkörper zu stabilisieren und die Patienten von Schmerzen zu befreien.

 

Herkömmlicher Linearbeschleuniger  
Herkömmliche Linearbeschleuniger haben in der Strahlentherapie nach wie vor einen hohen Stellenwert. Miniaturröntgengeneratoren bewährten sich bislang vor allem bei Brustkrebs, bei Weichgewebstumoren und bei Rückfällen von Dickdarmkrebs. Neue Applikatoren erweitern das Spektrum und machen es beispielsweise möglich, auch Unterleibstumoren intraoperativ zu bestrahlen.

Als bisherige Standardtherapie gilt die Bestrahlung des betroffenen Wirbelkörpers von außen mithilfe eines fest installierten Linearbeschleunigers. Die Therapie erfolgt in der Regel als ambulante Serienbehandlung über zwei bis vier Wochen. Eine Linderung der Schmerzen tritt meist nach einigen Tagen auf, es kann jedoch auch Wochen, wenn nicht gar Monate dauern, bis sich der Knochen stabilisiert hat und die Schmerzen geringer werden. Aus diesem Grund erfolgt häufig zunächst eine operative Stabilisierung (Kyphoplastie oder Vertebroplastie) des betroffenen Wirbelkörpers. Nach der Wirbelkörperstabilisierenden Operation erhalten die Patienten eine herkömmliche Bestrahlungsserie von außen, die darauf zielt, die Tumorzellen im Wirbelkörper abzutöten.

Der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie ist es gemeinsam mit dem orthopädisch-unfallchirurgischen Zentrum der Universitätsmedizin Mannheim kürzlich gelungen, die Wirbelkörperstabilisierende Operation (Kyphoplastie) mit der intraoperativen Bestrahlung zu kombinieren und beide Therapien gleichzeitig durchzuführen. Das neue Verfahren, kurz „Kypho-IORT“ genannt, wurde gemeinsam mit Entwicklungsingenieuren der Firma Zeiss entwickelt und zur klinischen Anwendungsreife gebracht.

Zur Kypho-IORT wird dem Patienten über einen kleinen, weniger als einen Zentimeter langen Schnitt eine Edelstahlhülse in den Wirbelkörper eingebracht und so ein Zugang geschaffen.  Über den Zugang wird ein eigens für diesen Zweck entwickelter Nadelapplikator zusammen mit der Strahlenquelle in das Innere des Wirbelkörpers geschoben. Dieses Vorgehen erlaubt es, eine hohe Strahlendosis unmittelbar am Zielort zu applizieren; umliegende Strukturen wie das Rückenmark oder die Haut indes bleiben von der Strahlenwirkung weitestgehend verschont. Die Bestrahlung dauert rund zwei Minuten. Anschließend wird über denselben Zugang Zement in den Wirbelkörper gefüllt („Kyphoplastie“), um ihn damit zu stabilisieren. Danach entfernt man die Edelstahlhülse und verschließt die Wunde. Da der Zement bereits nach wenigen Minuten aushärtet, können die Patienten bereits am Tag der Operation wieder mobilisiert werden.

Bislang wurden in Mannheim mit dem Verfahren 34 Patienten erfolgreich behandelt. Die meisten Patienten berichteten bereits am ersten Tag nach der Operation, dass ihre Schmerzen deutlich gelindert seien. Im Verlauf der Nachsorge war die Schmerzlinderung dauerhaft zu verzeichnen. Während oder nach dem Eingriff kam es zu keinen schwerwiegenden Komplikationen. Die  Patientinnen und Patienten geben an, sehr zufrieden zu sein. Der Zeitraum für die Nachbeobachtung ist bei dem neuen Verfahren noch kurz. Bislang lässt sich sagen, dass es nur bei einem Patienten zu einem Rückfall gekommen ist und der Wirbelkörper erneut behandelt werden musste.

Derzeit wird das neue Verfahren zur Behandlung von Wirbelsäulenmetastasen im Rahmen einer klinischen Studie weiter geprüft. Von der Therapie können Patienten profitieren, die einzelne, schmerzhafte Wirbelkörpermetastasen haben, die von ihrer Größe her das Rückenmark zu erreichen drohen. Dies betrifft etwa 30 Prozent aller Patienten mit Wirbelkörpermetastasen.

Erweitertes Spektrum

Ein weitere neue Verwendungsweise des Miniaturröntgengeräts ist die „endovaginale Brachytherapie“, eine minimalinvasive Bestrahlung, die von der Scheide aus erfolgt. Rund zwölf Prozent aller Tumoren der Frau gehen von Organen im weiblichen Becken aus. Beispiele sind Tumoren des Gebärmutterkörpers oder des Gebärmutterhalses. Diese Tumoren neigen zu Rezidiven (erneutem Auftreten des Tumors) oder bilden Metastasen im Bereich der Scheide aus. Um eine hohe Strahlendosis unmittelbar am Ort des Tumors applizieren zu können, wurde den Patientinnen bislang eine sogenannte Brachytherapie mittels Afterloading verabreicht. Hierfür ist eine radioaktive Quelle mit hoher Energie erforderlich, für die besondere bauliche Strahlenschutzmaßnahmen beachtet werden müssen. Beim Verwenden eines Miniaturröntgengeräts ist das nicht erforderlich, sodass der Arbeitsaufwand und die Kosten bei dieser Behandlungsform deutlich geringer sind.

Wie bei der herkömmlichen Brachytherapie wird auch bei der Bestrahlung mit dem Miniaturröntgengerät zunächst ein zylinderförmiger Applikator in die Scheide eingeführt. In diesem Applikator wird sodann die Strahlenquelle vorgeschoben. Die Bestrahlungszeit variiert zwischen wenigen Minuten und einer halben Stunde. Von der Bestrahlung selbst spüren die Patientinnen nichts. Insgesamt sind gewöhnlich drei bis vier Sitzungen im Wochenabstand notwendig.

Die intraoperative Radiotherapie mit dem Miniaturröntgengenerator hat sich seit nunmehr über zehn Jahren bewährt, und es konnten mit der neuen Methode bei verschiedenen Krebserkrankungen sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Das minimalinvasive Verfahren belastet die Patientinnen und Patienten nur wenig, was sich positiv auf die Lebensqualität auswirkt. Die Bestrahlung von Brustkrebs mit dem Miniaturröntgengerät, aber auch von  Weichgewebstumoren und erneut aufgetretenem Dickdarmkrebs zählt mittlerweile zur klinischen Routine und kann vielen Patientinnen und Patienten angeboten werden. Die neuen Applikatoren wie die Nadel- und  Vaginalapplikatoren sind in der Klinik etabliert und erweitern das Spektrum der intraoperativen Strahlentherapie. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das rasche Übertragen der medizintechnischen Forschungsergebnisse in die klinische Anwendung die Behandlung zum Wohle unserer Patientinnen und Patienten messbar verbessert hat.

 

Dr. Sperk, Prof. Wenz und Dr. Reis  
Foto: Philipp Rothe, Heidelberg

Dr. Elena Sperk ist seit dem Jahr 2007 in der Forschungsgruppe „Intraoperative Strahlentherapie“ der Universitätsmedizin Mannheim an der Etablierung der Methode beteiligt und arbeitet seit Februar 2010 als Weiterbildungsassistentin in der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie der Universitätsmedizin Mannheim. Ihre medizinische Doktorarbeit mit dem Titel „Intraoperative Radiotherapie beim kleinen Mammakarzinom – Langzeitnachsorge und Lebensqualität“ wurde 2011 von der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie mit dem Dissertationspreis ausgezeichnet.

Prof. Dr. Frederik Wenz leitet seit dem Jahr 2000 die Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie der Universitätsmedizin Mannheim. Er war an der Entwicklung und Etablierung der intraoperativen Radiotherapie mit niederenergetischen Röntgenstrahlen maßgeblich beteiligt. Er ist Leiter mehrerer Studien in Deutschland und des strahlenbiologischen Labors in Mannheim. Für die umfassende Arbeit rund um die intraoperative Radiotherapie wurde er im Januar 2011 mit dem Claudia-von-Schilling-Preis ausgezeichnet und erhielt den Innovationspreis der Metropolregion Rhein-Neckar.

Dr. Tina Reis arbeitet seit August 2008 als Weiterbildungsassistentin in der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie der Universitätsmedizin Mannheim. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die intraoperative Strahlentherapie. Im Juni 2011 wurde der Medizinerin der Innovationspreis der Gesellschaft für Medizintechnik verliehen.

Kontakt: Frederik.Wenz@umm.de

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 10.04.2012
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