Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
"parvus" ist lateinisch und heißt "klein". Kleine Fächer (mit großem K): Das waren nach bisheriger Definition Fächer mit vergleichsweise wenigen Studierenden und einem Minimum an Lehrpersonal, die mit geringen Ressourcen wichtige Beiträge zu Forschung und Lehre leisteten – Orchideen eben, die ja bekanntlich auf kargen Böden herrliche Blüten treiben. Die Diskussion um die so genannten Kleinen Fächer hat dieser Definition bisher immer Rechnung getragen, seit der Landesforschungsbeirat Empfehlungen ausgesprochen hat, die auf Fächerkontexte, Vernetzungen oder Schwerpunktbildungen hinauslaufen. In der Überzeugung, dass viel Kleines zusammen etwas Großes ergeben kann, angespornt auch von den Worten des Wissenschaftsministers, der sich immer wieder in öffentlichen Diskussionen für die Geisteswissenschaften und für neue Strukturen zur Vernetzung der kleinen Fächer ausgesprochen hat, haben diese kleinen Fächer (mit kleinem k) an der Universität Heidelberg außerdem begonnen, neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu erproben, haben neue Verbundinstitute gegründet, fächerübergreifende Studiengänge entwickelt, ja sogar einen geisteswissenschaftlichen Sonderforschungsbereich eingerichtet, in dem gerade die kleinen Fächer prominent vertreten sind.
"Parvus" heißt aber auch "unbedeutend", "unwichtig", "gering", und es scheint, als würde sich diese Definition allmählich, aber unüberhörbar in die Diskussion um die kleinen Fächer einschleichen. Da liest man in einem Brief aus dem Ministerium, der "Kreis der Kleinen Fächer [werde] nicht nur durch die ‚Kleinheit' der Fächer definiert, sondern auch durch die Gegenstände, mit denen sich diese Fächer befassen." Und weiter: "Dabei gibt es keine verbindliche Festlegung, welche Fächer im Einzelnen zu den Kleinen Fächern zu rechnen sind." Verwundert reibt man sich die Augen: War bisher eine wenigstens messbare, wenn auch durchaus nicht unproblematische Größe wie die schiere Quantität Grundlage für die Zuweisung eines Faches zu den kleinen Fächern, so scheint es jetzt die Qualität des Gegenstandes zu sein. Was aber ist ein kleiner Gegenstand? Die Quarks? Mozart? Dürer? Und wenn es keine verbindliche Festlegung für die Zuordnung gibt, wer bestimmt dann, was ein kleines Fach ist? Nach dieser neuen Definition dürfte nun wohl kein Fach mehr vor dem Verdikt sicher sein, ein kleines (das heißt unbedeutendes) Fach zu sein – die Kunstgeschichte mit ihren nahezu tausend Studierenden ebenso wenig wie jedes andere "große" Fach. International spricht man deshalb nicht von den "kleinen" Fächern, sondern von den "endangered subjects" – und das kann, wie etwa in Cambridge, auch Chemie sein oder andernorts Jura.
Ich kann mein Erschrecken über dieses neue Verständnis von "klein" nicht verhehlen. Und ich fürchte mich vor denen, die zu wissen glauben, welche Gegenstände ins Töpfchen und welche ins Kröpfchen gehören. Es sollte den Universitäten selbst überlassen bleiben, darüber zu entscheiden, mit welchen Fächern, ob klein oder groß, sie ihr Profil definieren. Denn Artenschutz ist nur die eine Seite der Medaille; die Art der Präsenz im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs, die individuelle Kontur einer Universität die andere.
Amerika, du hast es besser: Niemand in Universitäten wie Harvard oder Princeton, Berkeley oder Stanford, die uns von Seiten der Politik und der Medien als leuchtendes, nachahmenswertes Vorbild hingestellt werden, niemand in diesen Universitäten, die primär als natur- oder lebenswissenschaftliche Zentren, als führend in Medizin oder Jura weltweite Reputation genießen, käme auf die Idee, den Humanities ihre Existenzberechtigung oder auch nur ihre Bedeutung für den wissenschaftlichen Diskurs abzusprechen. Und niemand, der dort Ägyptologie oder Slawistik, Mittel-latein oder Kunstgeschichte unterrichtet, müsste sich dafür rechtfertigen, ein kleines Fach zu vertreten. Im Gegenteil: Dort ist man stolz auch auf die Leistungen derer, die sich ein Wissenschaftlerleben lang mit den scheinbar entlegensten Details eines "kleinen" Forschungsgegenstandes befassen.
Ihre
Silke Leopold,
Prorektorin