Kurzberichte junger Forscher
Die Sprache der Histon-Proteine
Die Abbildung zeigt eine Chromatinfaser, aufgenommen mit dem Rasterkraftmikroskop. Innerhalb der Faser sind einzelne Nukleosomen als rundliche, hellgrüne bis weiße Strukturen zu erkennen. Die Faserstruktur ist unregelmäßig und hat einen Durchmesser von 30 bis 200 Nanometer. Die Konturlänge beträgt etwa 2 Mikrometer. |
Die Zellen eines menschlichen Organismus enthalten nahezu identische DNA-Sequenzen und damit dieselbe Erbinformation. Trotzdem können sich aus zunächst gleichartigen Zellen in einem Embryo unterschiedliche Typen wie Hautzellen, Muskel- oder Leberzellen entwickeln, in denen völlig unterschiedliche Bereiche der DNA-Information abgelesen werden. Für diese Steuerung ist eine bestimmte Gruppe von Proteinen, die Histone, anscheinend von zentraler Funktion.
Lange Zeit glaubte man, dass Histone nur dazu dienen, die DNA zu verpacken. Denn der DNA-Faden in einer menschlichen Zelle wäre ausgestreckt fast zwei Meter lang und wird abschnittweise um einen Achterpack von je zwei Kopien der Histon-Proteine H2A, H2B, H3 und H4 gewunden. Der Komplex aus den Histonen und der darum gewickelten DNA bildet das "Nukleosom". Dazwischen gibt es Histon-freie Abschnitte. Die perlenkettenartige Struktur aus Nukleosomen-Kugeln, die durch die DNA verbunden sind, assoziiert weiter zu einer kompakten Faser. Diese wird wegen ihres Durchmesser auch "30-Nanometer-Faser" genannt und ordnet sich im Zellkern zu weiteren, nicht genau bekannten Strukturen an. Die so verpackte DNA, das "Chromatin", passt dann in einen Zellkern, der nur einen Durchmesser von circa einem hunderstel Millimeter hat. Damit die Information auf der DNA an einer bestimmten Stelle abgelesen werden kann, muss die Histon-Verpackung dort aufgelockert werden.
Wie erkennt nun die Zelle, an welchen Stellen auf der DNA das geschehen soll? Aus dem Nukleosom hängen kurze Ketten der Histone heraus, an die verschiedene chemische Gruppen, vor allem Acetyl-, Methyl- oder Phosphatgruppen binden können. Bis jetzt hat man an den Histonen mehr als 30 Stellen identifiziert, die so modifiziert werden. Die Art und Position dieser chemischen Gruppen definieren wahrscheinlich einen "Histone-Code", wie es David Allis von der University of Virginia postulierte. Man nimmt an, dass eine Kombination aus zwei Acetylgruppen an Postion 9 und 14 des Histons H3 zusammen mit einer weiteren Acetylgruppe an Position 8 von Histon H4 ein Signal für das Anschalten eines Gens ist. Die Methylierung an Position 9 von Histon H3 hingegen könnte ein Signal für das Abschalten eines Gens sein und die Phosphorylierung von Histon H2B an Position 32 die Apoptose, das heißt den programmierten Zelltod, induzieren. Außerdem gibt es Varianten der Histone, die eine veränderte Proteinsequenz besitzen und statt der normalen Histonproteine in den Histon-Kern-Komplex eingebaut werden. Es findet sich zum Beispiel eine Variante von H3, das Histon H3.3, häufiger in den abgelesenen DNA-Bereichen, wohingegen die als "Makro-H2A" bezeichnete Variante an der Inaktivierung eines ganzen Chromosoms beteiligt zu sein scheint.
Es gibt also neben dem genetischen Code, der durch die DNA-Sequenz festgelegt wird und die Baupläne für die Bestandteile der Zelle und ihre Funktion enthält, einen zweiten überlagerten Code, eine Sprache der Histon-Proteine. Hier ergeben sich an bestimmten Stellen des Chromatins durch die Modifikation der Histone und den Einbau spezifischer Histon-Varianten "Worte", welche die Aktivität der Gene steuern.
Wie wird dieses Histon-Signal in ein An- und Abschalten bestimmter Bereiche auf der DNA umgesetzt? Man geht davon aus, dass sich durch die Modifikation der Histone oder durch den Einbau von Histon-Varianten die Verpackungsdichte der DNA ändert, entweder als direkte Folge oder vermittelt durch andere Proteinfaktoren, die neben den Histonen an die DNA binden. Bei einer sehr dichten Packung der DNA kann die dort lokalisierte genetische Information nicht mehr abgelesen werden. Dieser Bereich ist dann stillgelegt. Andererseits macht eine Lockerung der DNA-Verpackung die entsprechenden Bereiche zugänglich, so dass die dort befindliche Information abgelesen werden kann.
Um diesen Prozess unter definierten Bedingungen verfolgen zu können, versuchen wir, Chromatinfasern im Reagenzglas nachzubauen. Dabei lässt sich die Zusammensetzung normaler Histon-Proteine, ihre Modifikation an bestimmten Stellen und der Einbau von Histon-Varianten genau steuern. An diesen Chromatinfasern lassen sich dann mit Hilfe verschiedener biophysikalischer Techniken Änderungen der Verpackungsdichte feststellen, die zum Beispiel durch die Acetylierung der Histone entstehen. So ist es möglich, die Bewegung von Chromatinfasern in einem Schwerefeld, das durch Zentrifugation erzeugt wird, zu verfolgen. Lockern sich die Chromatinfasern unter bestimmten Bedingungen auf, dann sedimentieren sie langsamer ab als im kompakten Zustand. Dieser Effekt lässt sich mit einem Fallschirmspringer vergleichen, der sich zunächst sehr schnell im Schwerefeld der Erde bewegt, um nach dem Öffnen des Fallschirms langsam zu Boden zu gleiten.
In einem anderen Versuchsansatz werden Änderungen der Chromatinfaser-Konformation mit dem Rasterkraftmikroskop direkt verfolgt. Bei dieser Technik tastet man eine Oberfläche mit einer sehr feinen Spitze ab und kann so ein dreidimensionales Profil von Histon-DNA-Komplexen darstellen. Das resultierende Bild gibt mit einer Auflösung im Bereich eines millionstel Millimeters die Höhe in jedem Punkt an, die dann im Bild entsprechend einer Farbskala wiedergeben wird. Wie in der Abbildung gezeigt, können Chromatinfasern und einzelne Nukleosomen abgebildet werden. Die Bilder lassen sich mit getrockneten Proben, aber auch in physiologischen Pufferlösungen aufnehmen. Letzteres wiederum eröffnet die einzigartige Möglichkeit, Bewegungen biologischer Makromoleküle auf einer Oberfläche direkt zu verfolgen. Dazu werden Chromatinproben nur relativ schwach an die Oberfläche gebunden, so dass sie ihre Position noch ändern können, wenn durch einen zugegebenen Faktor eine Änderung des Kompaktierungsgrads induziert wird.
Diese Arbeiten an künstlichen, zellfreien Systemen erlauben detaillierte Untersuchungen der molekularen Prozesse, welche die biologische Aktivität der Chromatinfaser bestimmen. Um die Ergebnisse mit den Vorgängen zu vergleichen, die in der lebenden Zelle ablaufen, verwenden wir Methoden der Fluoreszenz-Spektroskopie/Mikroskopie. Dafür werden unter anderem Histon-Proteine oder Proteine, die Histone mit Acetylgruppen koppeln, mit einem Protein fusioniert, das bei Anregung durch Licht mit einer charakteristischen Farbe leuchtet. Dadurch kann die Struktur und Bewegung dieser markierten Proteine in der lebenden Zelle verfolgt werden. So lässt sich untersuchen, ob eine verstärkte Acetylierung der Histone auch in der Zelle zu einer Auflockerung des Chromatins führt. Allerdings ist die Auflösung dieser Experimente rund 100fach schlechter als bei den Rasterkraftmikroskopie-Aufnahmen, so dass nur entsprechend große Änderungen der DNA-Verpackung sichtbar werden. Um dynamische Eigenschaften der Chromatinorganisation in der Zelle zu untersuchen, werden deshalb auch quantitative biochemische Ansätze verwendet, mit denen sich unter anderem Änderungen der lokalen Biegeelastizi-tät der 30-Nanometer-Chromatinfaser bestimmen lassen.
Es gibt also neben dem genetischen Code, der Abfolge der vier verschiedenen DNA-Bausteine, auch noch eine zweiten Code, die Sprache der Histone, die bestimmt, wann welche DNA-Abschnitte aktiv sind. Im Moment sind mit der Modifikation der Histone und dem Ein-bau von Histon-Varianten erst einige Buchstaben und Worte dieser Sprache bekannt. Eine wichtige, ebenfalls nicht genau bekannte Rolle scheinen in diesem Zusammenhang auch noch Methylierung der DNA sowie RNA-Sequenzen zu spielen, die keine Information für die Synthese von Proteinen enthalten. So bleibt es auch 50 Jahre, nachdem Watson und Crick ihr Modell für die DNA-Doppelhelix veröffentlichten, eine spannende Frage, wie die in der DNA-Sequenz kodierte Information mit der Funktion und Entwicklung eines Organismus verbunden ist.
Der Autor, Privatdozent Dr. Karsten Rippe, leitet eine im Rahmen des Programms "Nachwuchsgruppen an Universitäten" der VW-Stiftung gegründete Arbeitsgruppe. Anschrift: Kirchhoff-Institut für Physik, AG Molekulare Biophysik (F15), Im Neuenheimer Feld 227, 69120 Heidelberg, Telefon: (0 62 2) 1 54 92 70, e-mail: karsten.rippe@kip.uni-heidelberg.de