Siegel der Universität Heidelberg
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Zerronnene Chancen – oder: Kein Traum vom großen Geld?

Ein "Genschalter", den der Heidelberger Molekularbiologe Hermann Bujard und sein Mitarbeiter Manfred Gossen erfanden, avancierte zur weltweit führenden Technologie mit 70 Firmen als Lizenznehmern rund um den Globus. Warum meldete die Universität Heidelberg nicht selbst das Patent dazu an? Würden die Fehler der Vergangenheit heute vermieden? Welche Managementstrukturen müssten an einer Universität aufgebaut werden, um die Chancen verwertbarer Erkenntnisse der Grundlagenforschung ergreifen und im beinharten Wettbewerb mit der Industrie durchsetzen zu können? – Lesen Sie hier das Streitgespräch zwischen Erfinder Hermann Bujard und Forschungsdezernent Jens Hemmelskamp, moderiert von Pressesprecher Michael Schwarz.

 

Schwarz: Herr Professor Bujard, 1998 haben Sie in der Ruperto Carola einen "Genschalter" vorgestellt, der in Ihren Labors am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg entwickelt wurde. Mit ihm kann man Gene "an- und abschalten", um die Folgen dieses Eingriffes, also die Wirkung eines Gens, zu untersuchen. Könnten Sie bitte die Wirkweise Ihres Tetrazyklinschalters kurz umschreiben?

Bujard: Durch den Schalter können wir das Ablesen der Information, die in einem Gen gespeichert ist – wir nennen das Transkription – kontrollieren. Das heißt, wir können die Aktivität eines Gens nicht nur an- oder abschalten, wir können sie auch stufenlos regulieren, wie bei einem Wasserhahn.

In unserem Fall wird der Schalter durch eine chemische Substanz betätigt – durch Doxyzyklin, das in den angewendeten Konzentrationen keinerlei Nebenwirkungen erzeugt. Doxyzyklin wird also einem System, das den Schalter enthält, zugesetzt oder entzogen, um die Schalterstellung zu ändern. Systeme sind beispielsweise Säugetierzellen in Kultur oder auch in Fermentationsprozessen zur Herstellung von Bioprodukten. Der Schalter kann aber auch in ganze Organismen wie Hefen, die Fruchtfliege Drosophila, Pflanzen oder Säugetiere – zum Beispiel Mäuse, Ratten und Primaten – eingebaut werden. Es ist denkbar, dass er eines Tages auch am Menschen eingesetzt wird, etwa bei gentherapeutischen Verfahren. Seine weite Verbreitung verdankt unser Tet-Schalter seiner sehr hohen Spezifität.

Schwarz: Der Vorteil liegt also darin, dass es eine riesige Palette von Anwendungen in den unterschiedlichsten Bereichen gibt?

Bujard: Ein sehr interessantes Anwendungsbeispiel stammt aus dem Labor des Neurobiologen und Nobelpreisträgers Eric Kandel von der Columbia University in New York, der in der Maus ein Gen unter Tet-Kontrolle stellte, von dem er vermutete, es würde bei Lernvorgängen und bei der Gedächtnisausbildung eine Rolle spielen. In der Tat waren bei diesen Tieren sowohl die Lernfähigkeit als auch das Vermögen, sich an das Erlernte zu erinnern, von der Stellung des Schalters abhängig. Den Umschaltvorgang führt man dadurch herbei, dass man das Trinkwasser der Tiere mit geringen Mengen an Doxyzyklin versetzt oder nicht.

Schwarz: Ihr Genschalter kam aus der Grundlagenforschung, aber Ihnen war sofort klar: Diese Erkenntnis besitzt Relevanz für die Praxis. Heute ist der Schalter zu einer weltweit führenden Technologie avanciert, an der mehr als 70 Firmen Lizenzen erworben haben. In den USA bekamen Sie sogar einen Technologie-Oskar dafür. Wo sitzen zum Beispiel Unternehmen, die mit Ihrem Tetrazyklinschalter arbeiten?

Bujard: Es stimmt: Meinem damaligen Doktoranden, Manfred Gossen, und mir war sofort klar, dass unser Schalter ein erhebliches Potenzial auch für die angewandte Forschung haben könnte. Wir hatten uns nicht getäuscht. Lizenznehmer sind fast alle großen Pharmafirmen und zahlreiche Biotech-Unternehmen in vielen Ländern der Welt, vor allem in den USA.

Schwarz: 1991 haben Sie der Universität Heidelberg Ihre Erfindung gemeldet und ihr damit die Möglichkeit eröffnet, über das Arbeitnehmererfindungsgesetz Anrechte zu beanspruchen. Meine Frage zuerst an die Erfinder: Wieso bestand dort kein Interesse?

Bujard: Das weiß ich letztendlich nicht, ich vermute aber, wegen fehlenden Sachverstands war man unsicher, besonders vor dem Hintergrund, dass – hätte die Universität unsere Erfindung in Anspruch genommen – zunächst Kosten für die Patentanmeldung auf sie zugekommen wären…

Schwarz: Heute leiten Sie, Herr Dr. Hemmelskamp, das Dezernat für Forschung in der Zentralen Universitätsverwaltung und sind auch für den Technologietransfer verantwortlich. Warum hatte die Universität, zugegeben vor Ihrer Amtszeit, kein Interesse an einer Patentierung des Tetrazyklinschalters? Will die Universität nicht reich werden?

Hemmelskamp: Die entscheidende Frage ist, welche Strukturen an der Universität geschaffen werden müssen, um eine effiziente Verwertung des Wissens zu erreichen. Aus damaliger Sicht ist die Entscheidung der Universität durchaus nachvollziehbar. Das Selbstverständnis der meisten Hochschulen war ein anderes: Die Verwertung von Erfindungen wurde nicht als wesentliche Dienstaufgabe erachtet und folglich waren auch keine Kapazitäten zur Prüfung und Bewertung von Erfindungen, geschweige denn zur Verwertung von Patenten vorhanden.
Und das Arbeitnehmererfindergesetz, nach dem die Professoren den Status freier Erfinder hatten, unterstützte diese Denkweise. Dennoch ist heute nicht abzustreiten: Unter finanziellen Aspekten war es eine Fehlentscheidung, den Tetrazyklinschalter nicht von Seiten der Universität zu patentieren.

Schwarz: Denken und handeln die Verantwortlichen heute immer noch wie damals?

Hemmelskamp: In den letzten Jahren hat sich die Bedeutung des Technologietransfers an der Universität Heidelberg grundlegend verändert. Heute werden Industrieverträge auf Verwertungsrechte hin überprüft. Alle Wissenschaftler müssen ihre Erfindungen an die Universitätsverwaltung melden. Da werden sie dann gegebenenfalls patentiert. Und auch Unternehmensgründungen unterstützt die Universität aktiv. Gerade erst wurde ein spezieller Inkubatorbereich für Ausgründungen eröffnet.

Schwarz: Herr Bujard, Sie haben als Forscher und Erfinder immer wieder die strukturellen Defizite innerhalb deutscher Universitäten in Sachen Wissenstransfer bemängelt. Mit BAT-Strukturen, also kleinen Angestelltengehältern, sagen Sie, könne eine deutsche Hochschule weder mit ihren Pendants in den USA noch in Großbritannien konkurrieren und – was noch viel gravierender ist – nicht mit international agierenden Großunternehmen, die in der Lage sind, höchst spezialisierte und knallhart verhandelnde Vertreter an die Front zu schicken. Möchten Sie diese Kritik spezifizieren?

Bujard: Traditionell waren deutsche Universitäten nicht daran interessiert, direkt Nutzen aus verwertbarem Wissen zu ziehen, das in ihren Forschungseinrichtungen entstand. Wie sollten sie auch! Mögliche Lizenzeinnahmen waren ja zum Beispiel an das Finanzministerium abzuführen. Universitäten hatten daher weder Interesse an der Nutzung solcher Möglichkeiten noch Erfahrungen damit. Als ich in den siebziger Jahren mein erstes Patent anmelden wollte und das mit unserem damaligen Leiter der Rechtsabteilung besprach, bat er mich, ihm "das nicht auch noch anzutun"! Ich habe es dann mit der Stanford University erledigt.

Hemmelskamp: Damals waren Sie als Professor aber auch ein freier Erfinder, und die Universitäten in Deutschland hatten noch gar keine Erfahrung mit diesem Thema. Heute würden wir natürlich die Erfindung prüfen und dann erst entscheiden.

Bujard: Heute hat man zwar eine andere Sicht der Dinge, doch ich kann nach wie vor kein Konzept erkennen, das mich überzeugen würde. Sehen Sie, die Nutzung von durch Forschung erarbeitetem Wissen beginnt ja nicht mit der Patentanmeldung, der Patentpflege und Kommerzialisierung – was man gemeinhin mit der Worthülse "Technologietransfer" bezeichnet. Vielmehr beginnt die Nutzung mit dem Transfer von Kenntnissen, zum Beispiel über Beratertätigkeiten und durch Zusammenarbeiten zwischen Forschern an der Universität und in der Industrie. Bereits auf dieser Ebene werden nach meinen Erfahrungen die Interessen der Universität ungenügend gewahrt.
So stellt sich bei einem Forschungserfolg mit Anwendungspotenzial häufig heraus, dass die Rechte bereits ganz oder überwiegend bei der betreffenden Firma liegen. Patentfragen erübrigen sich dann für die Universität aufgrund der schlechten Vertragslage. Hier muss erheblich dazugelernt werden. Außerdem ist Erziehungsarbeit vor allem bei der deutschen Großindustrie zu leisten, für die in der Vergangenheit die deutsche Universität ein ausgesprochen bequemer und preisgünstiger Partner war…

Schwarz: Ihre Erfahrung war, sagen wir es vorsichtig, ein Kompetenzgefälle auf beiden Seiten des Verhandlungstisches. Hat sich das geändert?

Bujard: Es ist essenziell, dass Vertragsverhandlungen auch auf universitärer Seite kompetent geführt werden. Und eine solche Kompetenz vermag ich nach wie vor kaum zu erkennen. Das Dilemma setzt sich fort, wenn über Patentanmeldungen entschieden werden soll. Das ist ein objektiv schwieriges Sujet, weil es in der Regel nicht einfach ist, das kommerzielle Potenzial einer Erfindung abzuschätzen. Hat man sich zu einer Patentierung entschlossen, muss das Patent gut – das heißt "wasserdicht" und mit breit angelegtem Schutz – geschrieben werden. Patentanwälte, die das können, sind teuer, alle anderen zu teuer! Dann muss man dafür sorgen, dass das Patent beachtet wird. Man muss aktiv etwas tun, es zu nutzen, damit es sich durchsetzt. Dazu bedarf es einer Strategie, die auch mit einschließt, gegen mögliche Verletzer vorzugehen – ebenfalls keine triviale Aufgabe, die auch eine Bereitschaft zu harter Auseinandersetzung voraussetzt.

Hemmelskamp: Im Grunde kann ich dem zustimmen. Sicher haben wir in Zeiten knapper Ressourcen bisher nur im Ansatz die notwendigen Strukturen geschaffen. Aber ich denke, die ersten Schritte in die richtige Richtung sind bereits gemacht. Hier ist neben den universitätsinternen Strukturen auch die Beteiligung am Technologie-Lizenz-Büro in Karlsruhe zu nennen. Und wir sind dabei, diese Strukturen weiter auszubauen, müssen das aber mit Drittmitteln finanzieren, also Gelder von außen dafür einwerben.

Bujard: Da sehen Sie das Dilemma: Eine solche Abteilung sollte solide finanziert werden, bis sie sich selbst trägt. Das TLB ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung, aber, wie üblich in unserer trägen Republik, ein halbherziger und daher unzureichender. Die insgesamt spärlichen Rückflüsse sowohl an der Universität Heidelberg als auch beim Technologie-Lizenz-Büro zeigen: Hier existiert noch ein großer Nachholbedarf, der ohne erhebliche Investitionen und langfristig angelegtes Engagement nicht gedeckt werden kann. Alle die hier nur angedeuteten Probleme – es gibt weitere – sind an vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen anderer Länder, vor allem in den USA, Großbritannien, Frankreich, längst gelöst.

Schwarz: Herr Professor Bujard, Ihnen schwebt als Ausweg aus dem geschilderten Strukturdefizit ein hoch professioneller Forschungs-Provost nach amerikanischem Vorbild in der Spitze des Universitätsmanagements vor. Wie sieht eine solche Konstruktion aus?

Bujard: Eine Bemerkung vorweg: Bedenkt man, dass weltweit allein für die Forschung in den Biowissenschaften jährlich mehrere hundert Milliarden Euro ausgegeben werden, so lässt sich daraus zunächst nur ein Schluss ziehen: Wer immer so massiv investiert – öffentliche Hand oder Industrie – geht davon aus, dass es sich lohnen wird. Unschwer können Sie aber auch folgern, dass hier ein beinharter Wettbewerb abläuft, in dem die deutschen Universitäten zwar, was die Forschung anbetrifft, auf einigen Feldern gerade noch mithalten können, nicht aber, wenn es um den effektiven Schutz und die Nutzung des hierbei entstehenden geistigen Eigentums geht.

Schwarz: Die Kunst ist also, den Strom von Erkenntnissen aus der universitären Forschung frühzeitig nach solchen Ergebnissen zu sichten, die "verwertbar" sein könnten?

Bujard: So ist es. Und unabhängig davon, wie man das im Detail organisieren würde, benötigt man hierzu hoch qualifizierte Leute, die ein naturwissenschaftliches oder technisches Fach studiert haben, die aufgrund ihrer Berufserfahrung eine gewisse juristische und unternehmerische Kompetenz hinzuerworben haben und die in der Lage sind, strategisch zu denken. Eine mit solchen Personen besetzte Einheit für Forschungsangelegenheiten würde man auch für weitere Aufgaben nutzen, wie zum Beispiel bei der Entwicklung und Koordination von aufwändigen wissenschaftlich/technischen Infrastrukturen, der Planung und Beratung bei teuren Investitionen und so weiter. Natürlich wird man Personen mit der hier geforderten Kompetenz nicht zu BAT-Bedingungen anwerben können…
Hier muss die deutsche Universität endlich andere Wege gehen. Die überforderten Laienspieler, die wir uns seit Jahrzehnten leisten, sind die teuerste aller Lösungen.

Hemmelskamp: Wir können uns nicht mit amerikanischen Universitäten vergleichen. Trotzdem sind wir keine Laienspieler, sondern Auszubildende mit dem Bestreben, auch die Meisterprüfung abzulegen. Und erste Erfolge gibt es durchaus: So wurden uns letztes Jahr 60 Erfindungen gemeldet, von denen wir 19 patentiert haben. Dennoch können wir unseren Technologietransfer beispielsweise noch lange nicht mit dem Entwicklungsstand an den meisten unserer Partneruniversitäten der League of European Research Universities, wie unter anderem in Oxford oder Cambridge, vergleichen.

Bujard: Wohl bemerkt, damit kein falscher Eindruck entsteht: Die Universität muss der Ort der erkenntnisorientierten Forschung bleiben. Sie muss dem Zeitgeist widerstehen, sich für solche angewandte Forschung, welche Sache der Industrie ist, instrumentalisieren zu lassen. Aber sie muss endlich ihr geistiges Eigentum professionell schützen und verwerten! Dass sich dies lohnen kann, lässt sich an vielen Beispielen zeigen.
Bedenken Sie: Keine einzige grundlegende Entdeckung, die zur Gentechnik geführt hat, ist aus einem Industrielabor hervorgegangen. Alle stammen aus Arbeitskreisen, die sich der Grundlagenwissenschaft verschrieben hatten und bescherten einigen Universitäten einen wunderbaren Geldstrom, der über viele Jahre anhielt.

* Den Originalartikel von Hermann Bujard können Sie unter der Überschrift "Wenn Gene schaltbar werden" im Internet unter www.uni-heidelberg.de/presse/ruca/index.html nachlesen.

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