Wie die Schwarzen Löcher in das Universum kamen
Was sind Schwarze Löcher, wie findet man sie, und wo und wann sind sie entstanden? Wolfgang Duschl vom Institut für Theoretische Astrophysik erklärt anschaulich und verständlich, was es mit den faszinierenden Himmelskörpern auf sich hat und führt in einem spannenden Bogen zu einer aktuellen Beobachtung der Astrophysiker: dem Zusammenstoß zweier Galaxien, der derzeit in unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattfindet.
Die innersten tausend Lichtjahre einer Galaxie: Gut zu erkennen ist die zentrale Gasscheibe, die sich einige hundert Lichtjahre um ein Schwarzes Loch ausdehnt, und dieses im Lauf der Zeit zu immer größeren Massen hin "füttert". |
Im November 1783 präsentierte Lord Henry Cavendish, einer der großen Physiker seiner Zeit, der Royal Society in London die Überlegungen, die ihm einige Monate zuvor ein englischer Landpfarrer und Amateurastronom, Reverend John Mitchell, in einem Brief mitgeteilt hatte: Wenn die Lichtgeschwindigkeit endlich ist – und das wusste man damals schon seit gut einem Jahrhundert -, dann muss es Objekte geben, deren Gravitationskraft so groß ist, dass nichts, nicht einmal Licht, sie überwinden kann. Alles, was einmal an einen solchen Körper gebunden ist, bleibt dies auf Dauer. Und man würde – da selbst ein Lichtsignal nicht entkommen kann – im Rest des Universums nicht einmal davon erfahren. Reverend Mitchell hatte ausgerechnet, dass ein solches Gebilde – wenn es die Dichte der Sonne hätte – mindestens deren hundertmillionenfache Masse haben müsste. Wenige Jahre später kam der französische Gelehrte Pierre-Simon Marquis de Laplace zu ähnlichen Schlussfolgerungen.
Die Details dieser Überlegungen haben sich längst als falsch herausgestellt, da sie auf der klassischen, der Newton'schen Gravitationsphysik aufbauten. Aber ganz Unrecht hatten Mitchell und Laplace auch nicht. In Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie von 1916 – genauer gesagt, in bestimmten Lösungen der daraus resultierenden Feldgleichungen, die der deutsche Physiker Karl Schwarzschild noch im selben Jahr fand – kommen tatsächlich Gebilde vor, aus denen keinerlei Information entkommen kann, eben nicht einmal Licht. Und der Grund ist im Endeffekt tatsächlich die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit mit knapp 300 000 km/s im Vakuum und die Konstanz dieses Wertes. Zu jeder Masse gibt es einen kritischen Radius, den so genannten Schwarzschild-Radius, innerhalb dessen die Anziehungskraft so stark ist, dass nichts über diesen so genannten Horizont hinauskommen kann. Der Schwarzschild-Radius wächst linear mit der Masse an. Der Ausdruck "Schwarzes Loch" für diese Art von Himmelskörpern kam erst Mitte der Sechziger Jahre auf und geht wohl auf den amerikanischen Physiker John Archibald Wheeler zurück.
Sechs Beispiele für Quasare und ihre unmittelbare Umgebung. Quasare und ihre Schwarzen Löcher finden sich sehr häufig in Galaxien, die mit benachbarten Galaxien wechselwirken. Vermutlich hat das Entstehen und Wachsen von Schwarzen Löchern direkt mit der Wechselwirkung und dem Verschmelzen von Galaxien zu tun, |
In der heutigen Physik haben wir noch keine konsistente Vereinigung der Gravitations- und der Quantentheorie. Genau genommen wissen wir also nicht, inwieweit diese allein auf der Allgemeinen Relativitätstheorie basierenden Überlegungen durch Quanteneffekte modifiziert werden. Es deutet aber vieles darauf hin, dass solche Effekte erst über Zeiten wichtig werden, die viel länger sind, als die bisherigen rund dreizehn Milliarden Jahre der Existenz unseres Universums.
"Arp 220" ist mit 250 Millionen Lichtjahren ein Objekt unserer kosmischen Nachbarschaft. Hier kollidieren und verschmelzen gerade zwei Galaxien. Das Resultat wird in einigen zehn Millionen Jahren möglicherweise der einzige Quasar in unserer Umgebung sein. Dessen Mittelpunkt wird dann ein massereiches Schwarzes Loch bilden. Bei den beiden helleren Gebieten, die im Zentrum des Bildes zu erkennen sind, handelt es sich um die Kerne der beiden ursprünglichen Galaxien, die nur noch rund einhundert Lichtjahre voneinander entfernt sind. |
Das Bild zeigt die von uns am weitesten entfernte Galaxie – eine unscheinbar schwache Quelle in der Mitte des vergrößerten Ausschnittes (Stand März 2004). Sie ist fast 13 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt und wird damit zu einem Zeitpunkt beobachtet, als das Universum gerade einmal rund eine halbe Milliarde Jahre alt war. |
Für die Masse der Sonne (immerhin eine 31-stellige Zahl, wenn man sie in Kilogramm angibt) beträgt dieser Schwarzschild-Radius gerade einmal drei Kilometer. Hätte unsere Sonne also statt der tatsächlichen knapp 700 000 km – bei gleicher Masse – nur einen Radius von drei Kilometer, so würde keine Strahlung aus ihr entweichen können, wir hätten ein Schwarzes Loch vor uns. Die Anziehungskraft eines solchen Schwarzen Lochs der gleichen Masse wie der Sonne wäre bei uns auf der Erde übrigens die gleiche wie die der tatsächlichen Sonne. Nur in unmittelbarer Umgebung, dort, wo relativistische Effekte eine wesentliche Rolle spielen, hätten wir eine Art von Sogwirkung dieser Gravitationskraft. Bei großen Entfernungen würde man, was die Anziehungskraft anlangt, keinen praktisch relevanten Unterschied feststellen. Der wesentliche Unterschied wäre das Fehlen der Sonnenstrahlung.
Auf den ersten Blick scheint das zu implizieren, dass man Schwarze Löcher per se gar nicht finden kann – keinerlei Information von innerhalb des Schwarzschild-Radius kann ja nach außen dringen. Wie soll also ein Astrophysiker ein solches Gebilde überhaupt feststellen können, wäre doch Strahlung des Objekts der einzig denkbare direkte Weg, Information von ihm zu bekommen? Es ist in der Tat so, die klassische astronomische Methode, ein Objekt durch Aufzeichnen seiner elektromagnetischen Strahlung zu beobachten, zu analysieren und zu verstehen, funktioniert bei einem Schwarzen Loch nicht.
Bei der Kollision zweier Galaxien werden sowohl deren Gesamtstruktur (links) als auch ihre Zentralregion (Ausschnitt rechts) stark beeinflusst. Ein Ergebnis ist, dass ein Teil der Gesamtmasse in die Nähe des neu entstehenden Zentrums fließt und dort verfügbar ist, um ein Schwarzes Loch zu bilden und es anwachsen zu lassen. |
Aber Strahlung auszusenden ist nicht die einzige Möglichkeit für einen Himmelskörper, sich bemerkbar zu machen. Wäre unsere Sonne ein Schwarzes Loch, würden die Erde und all die anderen Planeten nach wie vor um sie herum fliegen, und zwar genau so, wie man es bei der jeweiligen Entfernung des Planeten erwarten würde, wenn er um einen Körper der Masse der Sonne fliegen würde. Die Gravitation wirkt ja weiterhin, und zwar auch außerhalb des Schwarzen Lochs. Und genau das ist der Trick: Man muss die Anziehungskraft eines Schwarzen Lochs bestimmen und daraus seine Masse.
Um bei unserem Gedankenexperiment Erde/Sonne zu bleiben: Könnte man nur feststellen, dass sich die Erde um ein – unsichtbares – Zentrum bewegt, so könnte man aus der Bahngröße und der Umlaufszeit immer noch die Masse des Körpers bestimmen, der seine Gravitationskraft auf die Erde ausübt. Dazu braucht man nur das dritte Kepler'sche Gesetz, das diesen Zusammenhang quantitativ formuliert. Wir werden gleich auf eine beeindruckende Anwendung dieses Verfahrens zurückkommen.
Es gibt aber noch eine andere Methode, die einen indirekten Weg geht: In den Zentren von Galaxien findet man Gas, das um das Zentrum rotiert und sich deswegen in der Regel in Scheibenform anordnet. Und auch diese Rotation folgt dem dritten Kepler'schen Gesetz. Man kann über den Dopplereffekt die Umlaufgeschwindigkeit und damit die eingeschlossene Masse messen. Materie braucht, je nachdem, wie weit sie vom Zentrum der Scheibe entfernt ist, verschieden lange, bis sie dieses Zentrum einmal umfliegt. Das aber wiederum bedeutet, dass es deswegen in der Scheibe zu Reibung innerhalb des Gases kommt. Und Reibung bedeutet, dass das Gas aufgeheizt wird und zu strahlen beginnt. Die Wirkung der Gravitation hat also – auf dem indirekten Weg über die Gasreibung – zur Folge, dass Strahlung aus der Scheibe abgegeben wird und damit die Umgebung des Schwarzen Lochs beobachtbar wird. Diese Reibung hat noch eine andere Konsequenz, die bei der Entwicklung Schwarzer Löcher eine wichtige Rolle spielen wird: Reibung bedeutet auch, dass Material auf das Schwarze Loch hin spiralen kann und "hinter dem Horizont" im Schwarzen Loch verschwindet. Dort trägt es dann zu dessen Gesamtmasse bei. Diesen Vorgang nennt man "Akkretion" und die Scheiben, in denen er stattfindet, entsprechend "Akkretionsscheiben". Die Strahlung solcher Scheiben verrät unter anderem, wie viel Masse das Schwarze Loch hat.
Je kompakter ein Objekt ist, desto effektiver kann Strahlungsenergie freigesetzt werden. Und da Schwarze Löcher die kompaktesten Objekte sind, die wir kennen, sind sie – bei sonst gleichen Bedingungen im einströmenden Gas – auch die effektivsten Strahler im Universum. Man kann also im Prinzip durch Spektralanalyse der Strahlung feststellen, ob man dort ein Schwarzes Loch vor sich hat, und wie viel Masse es hat.
Das "Hubble-Ultra-Deep-Field" wurde Ende 2003 mit dem Hubble-Weltraumteleskop aufgenommen. Während Details noch aufwändiger Untersuchungen bedürfen, ist schon heute klar, dass zahlreiche der hier sichtbaren Galaxien in sehr großer Entfernung, also im jungen Universum, stehen. Das Zentrum jeder einzelnen Galaxie ist vermutlich ein Schwarzes Loch von Millionen bis Milliarden Sonnenmassen. |
Zwar hatte man schon im 18. Jahrhundert die Idee, dass es Schwarze Löcher geben müsste, und seit Anfang des 20. Jahrhunderts stand diese auch auf einer physikalisch zuverlässigen Basis, aber es dauerte noch Jahrzehnte, bis man Schwarze Löcher für in der realen Welt vorkommende Gebilde zu halten und ernsthaft nach ihnen zu suchen begann. Das alles hatte seinen Anfang um 1962/63, als die ersten Quasare entdeckt wurden. Quasare sind die Zentren von Galaxien, die sich im Wesentlichen durch zwei Eigenschaften auszeichnen: Zum einen kommt bei ihnen überproportional viel Energie aus dem unmittelbaren Zentrum der Galaxie, und zum anderen kommen solche Objekte vor allem in frühen Phasen des Universums vor. Die erstgenannte Eigenschaft kann so weit gehen, dass aus dem Zentrum eines Quasars mehr Energie abgestrahlt wird als von einer gesamten Galaxie, beispielsweise unserer Milchstraße, und die Helligkeit der Milchstraße entspricht schon 30 Milliarden Sonnen-Leuchtkräften. Die weitest entfernten Quasare, die wir heute kennen, sind etwa zwölfeinhalb Milliarden Lichtjahre von uns entfernt. Damals war das Universum gerade einmal knapp eine Milliarde Jahre alt.
Das Milliardenfache der Masse der Sonne
Auch wenn die Quasare, die man zuerst fand, viel näher standen, so war doch schnell klar, dass die riesigen Energiemengen aus so kleinem Raum sehr effiziente Quellen erfordern. Kurz nach ihrer Entdeckung kam bereits der Vorschlag, dass Quasare dadurch energetisch betrieben wurden, dass Materie in einer Scheibe auf sie zuströmt und auf Grund der Reibung Energie freisetzt. Und man kann aus diesen Überlegungen noch eine weitere Schlussfolgerung ziehen, nämlich, dass die daran beteiligten Schwarzen Löcher sehr große Massen aufweisen müssen. Diese können bis zum Milliardenfachen der Masse der Sonne reichen.
Während diese Überlegung starke Hinweise auf die Existenz von Schwarzen Löchern liefert, bleibt sie doch nur ein Indiz, das aus weit entfernten Objekten gewonnen wurde, bei denen man auf Grund der großen Entfernungen keine räumlich wirklich gut aufgelösten Beobachtungen durchführen kann.
Die Lösung dieses Problems hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts herausgeschält, und sie lag – vergleichsweise – nahe. Schon lange bevor man Quasare kannte, hatte man so genannte "Aktive Galaktische Kerne" (nach dem englischen Ausdruck active galactic nuclei oft nur kurz AGNs genannt) beobachtet. AGNs sind Galaxien, aus deren Zentren auch eine erhöhte Strahlung im Vergleich zu normalen Galaxien kommt, deren Leistung oft auch variabel ist, die aber nicht annähernd so extrem sind wie Quasare. Wenn Quasare als "zentrale Maschine" Schwarze Löcher haben, so lag es nahe zu vermuten, dass dies vielleicht auch in AGNs der Fall sein könnte. Die Massen, die man dort ableitete, lagen in der Regel unter denen der Quasare, aber immer noch im Bereich von (zum Teil vielen) Millionen Sonnenmassen.
Ganz allmählich freundete man sich mit dem Gedanken an, dass Schwarze Löcher vielleicht sogar in den Zentren der meisten, wenn nicht sogar aller Galaxien vorhanden sein könnten. Wenn dem so ist, dann war es nahe liegend, das Zentrum unserer Galaxie, der Milchstraße, genauer zu untersuchen. Und das wurde – zuerst vor allem im Radiowellenbereich – in den letzten gut zwei Jahrzehnten intensiv getan. Der Durchbruch kam dann aber in den neunziger Jahren, als zwei Arbeitsgruppen in Garching und Los Angeles begannen, das Zentrum der Milchstraße im wahrsten Sinne des Wortes "unter die Lupe" zu nehmen. Die Gruppe um Reinhard Genzel begann Anfang der neunziger Jahre damit, Sterne in unmittelbarer Nähe des Galaktischen Zentrums regelmäßig im infraroten Spektralbereich zu beobachten und stellte bald fest, dass sich die Sterne bewegten, und zwar umso schneller, je näher sie am – in diesem Spektralbereich damals unsichtbaren – Zentrum standen. Es musste an der Stelle, an der die Radioastronomen das Zentrum vermuteten, also Masse vorhanden sein, die sich praktisch nur durch ihre Gravitation äußert. Und wenn man sich – wieder mit Keplers Gesetz – diese Masse ausrechnet, kommt man bei etwa drei Millionen Sonnenmassen an. Zusammen mit der Größenbestimmung sowohl aus unseren theoretischen Überlegungen als auch inzwischen per Radiobeobachtung war schnell klar, dass dort nur ein Schwarzes Loch stehen konnte. Weil aber im Fall unserer Galaxie gerade fast kein Material zum Schwarzen Loch fließt, das durch Reibung auf sich aufmerksam machen könnte, sehen wir nur sehr wenig Strahlung von dort, und die vor allem im Radiowellenlängenbereich.
Wenn nun aber so eine ganz normale Galaxie wie die Milchstraße schon ein massereiches Schwarzes Loch in ihrem Zentrum hat, liegt es dann nicht nahe anzunehmen, dass dies geradezu der Normalfall ist, dass praktisch jede Galaxie in ihrer Mitte ein solches Gebilde aufweist?
Und das ist die wesentliche Erkenntnis der letzten ein bis zwei Jahrzehnte, die geradezu zu einem Paradigmenwechsel geführt hat. Sah man es vor vielleicht zwanzig Jahren noch als etwas Besonderes an, ein Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie zu finden, so hat sich die Situation inzwischen praktisch umgekehrt: Heute wundert man sich eher, wenn man im Zentrum einer Galaxie kein solches – vormals exotisches – Gebilde finden kann. Dies führt natürlich unmittelbar zu der Frage, wo diese Schwarzen Löcher herkommen.
Es könnte ja alles so einfach sein: Schwarze Löcher akkretieren Gas – das wissen wir von vorhin – und damit wachsen sie. Je länger sie dazu Zeit haben, umso größer ist ihre Masse. Eine direkte Konsequenz davon wäre, dass im jungen Universum, in den ersten Milliarden Jahren die masseärmeren Schwarzen Löcher auftreten, und später, zum Beispiel heute, da das Universum gut dreizehn Milliarden Jahre alt ist, die massereichsten Schwarzen Löcher zu finden sind.
Galaxien im jungen Universum
Leider zeigen schon unsere vorherigen Überlegungen, dass dem gerade nicht so ist. Die entferntesten bekannten Quasare weisen nach nur einer Milliarde Jahre Lebenszeit des Universums schon Schwarze Löcher von rund einer Milliarde Sonnenmassen auf, während es im heutigen Universum viele Galaxien wie unsere Milchstraße gibt, deren Schwarze Löcher 100 bis 1000 Mal weniger Masse haben. Schwarze Löcher müssen sich also auf verschiedene Weisen entwickeln können – und das führt zu einem ganz aktuellen Forschungsthema am Institut für Theoretische Astrophysik, an dem wir im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 439 "Galaxien im jungen Universum" in Zusammenarbeit mit den Kollegen der anderen Heidelberger Astronomie-Institute und auch in internationalen Kollaborationen arbeiten.
Die Bedingungen für die Entstehung und Entwicklung sehr massereicher Schwarzer Löcher müssen im jungen Universum viel günstiger gewesen sein, als dies heute der Fall ist. Dafür sprechen noch weitere Indizien: Quasare traten bevorzugt im jungen Universum auf. Damals waren sie zahlreich, in unserer heutigen kosmischen Nachbarschaft dagegen findet man keinen einzigen von ihnen mehr. Aber nicht nur Quasare zeigen ein solches Verhalten. Auch die schwächeren Formen der zentralen galaktischen Aktivität weisen einen eindeutigen Trend auf: Je schwächer die Aktivität, umso später erreicht sie ihren Höhepunkt in der Entwicklung des Universums. Das mag zwar auf den ersten Blick paradox erscheinen, aber die Beobachtungssituation ist eindeutig.
Inzwischen beginnen wir aber zu verstehen, was wirklich passiert, und es zeigt sich, dass hier ein höchst interessantes Wechselspiel zwischen der Entwicklung einzelner Galaxien, der kosmologischen Evolution und grundlegender physikalischer Prozesse vorliegt. Das Universum erlebte seinen Anfang vor etwa dreizehneinhalb Milliarden Jahren im so genannten Urknall. Er war der Beginn einer stetigen Ausdehnung des Universums. Wir brauchen uns für das Verständnis des Folgenden nicht mit den Einzelheiten (die für sich wiederum höchst interessant sind, und von denen einige Aspekte in dem Artikel von Christof Wetterich in der "Ruperto Carola" 3/2003 angesprochen wurden) aufzuhalten. Wesentlich ist, dass die ersten Galaxien nach nicht einmal einer halben Milliarde Jahre im Universum auftraten – und vielleicht sogar noch früher. Diese Protogalaxien waren viel masseärmer als zum Beispiel unsere heutige Milchstraße. Das Universum, das noch viel kleiner war als heute, muss also – fast wörtlich zu verstehen – voll mit diesen Protogalaxien gewesen sein. Entsprechend oft kam es dabei dann zu engen Vorbeigängen und Kollisionen zwischen Galaxien. Diese Kollisionen konnten unter geeigneten Bedingungen sogar zur Verschmelzung zu einer neuen Galaxie führen. Insbesondere die Verschmelzungen zweier ähnlich massereicher Galaxien sind dabei von besonderem Interesse. Sie haben nämlich in der Regel zur Folge, dass sehr schnell, binnen 100 bis 200 Millionen Jahren, ein großer Teil des verfügbaren Gases in das Zentrum der neu entstehenden Galaxie getrieben wird. Je weiter sich das Universum aber ausdehnt, umso seltener werden "Volltreffer", die zu Verschmelzungen der Galaxien führen. Es werden dagegen immer öfter nur Vorbeiflüge sein, die zwar auch zu einer Beeinflussung der Galaxien führen, bei denen aber weniger Material in das Zentralgebiet getrieben wird. Und je größer, das heißt, je älter das Universum wird, umso seltener werden auch die nahen Vorbeiflüge. Auf Grund dieser kosmischen Entwicklung werden also im frühen Universum mehr Galaxien mit starken Gaskonzentrationen in deren Zentren entstehen, und je länger sich das Universum entwickelt, umso weniger konzentriert werden die Gasansammlungen in den Zentren sein.
Dieses Gas wird aber – auf Grund der oben genannten Reibung – sich dann in Richtung auf das Zentrum hinbewegen. Es wird dort schließlich so viel Material zur Verfügung stehen, dass – unter Umständen über einige kurze Zwischenstufen – nur noch ein Schwarzes Loch existieren kann, das von dem zur Verfügung stehenden Material zu immer größeren Massen hin "gefüttert" wird. Dies geht solange weiter, bis das Material im Wesentlichen aufgebraucht ist. Und dem Ganzen kommt dann noch ein physikalischer Prozess zu Hilfe, der dafür sorgt, dass Akkretion umso effizienter ist, je mehr Material zur Verfügung steht.
Insgesamt werden also die massereichsten Schwarzen Löcher in den dramatischsten Galaxienverschmelzungen im jungen Universum entstehen, weil dort schon sehr früh sehr viel Material zur Verfügung stand, das noch dazu sehr effektiv akkretiert werden konnte. Je länger sich das Universum entwickelt, desto seltener werden diese großen Verschmelzungen. Die mehr oder weniger nahen Vorbeiflüge haben aber ein kleineres Massereservoir angelegt, das noch dazu schlechter akkretiert. Es werden also Schwarze Löcher gebildet, die – mangels Vorrates – immer kleinere Massen haben, und bis diese aufgebaut sind, dauert es immer länger. Und unsere Modellrechnungen zeigen, dass diese grundsätzlichen Überlegungen auch einer detaillierten Überprüfung standhalten.
Normale Galaxien wie unsere Milchstraße scheinen mit den schwach aktiven AGNs eng verwandt zu sein. Die Masse des Schwarzen Lochs deutet aber darauf hin, dass die Milchstraße in ihrer Entwicklung wohl keine große Verschmelzung und auch keinen dramatisch nahen Vorbeiflug einer ähnlich massereichen Galaxie erlebt hat; sie scheint vielmehr ihr Schwarzes Loch über ihre Lebenszeit gleichsam aus dem Material, das sowieso vorhanden war, "zusammengespart" zu haben – und wie wir jetzt wissen, dauert das sehr lange und führt zu keinen extrem großen Massen. Es scheint sogar so zu sein, dass im Bereich um eine Million Sonnenmassen eine untere Grenze für Schwarze Löcher in Galaxienkernen im heutigen Universum liegt.
Und dann gibt es da noch "Arp 220". Dies ist der Katalogname eines Galaxienpaares, das mit 250 Millionen Lichtjahren Entfernung geradezu zu unserer kosmischen Nachbarschaft gehört, und das sich gerade mitten in einem Zusammenstoß befindet, der wohl zu einer Verschmelzung führt. Es deutet alles darauf hin, dass wir hier vielleicht einen gerade entstehenden Quasar vor uns haben – vielleicht die einzige Galaxienverschmelzung großen Stils in unserer Nachbarschaft.
Bis es soweit ist, werden zwar noch Millionen von Jahren vergehen, aber die Resultate der letzten Jahre deuten stark darauf hin, dass wir zu verstehen beginnen, wie ein delikates Zusammenspiel der größten Skalen (Ausdehnung des Universums), der mittleren Skalen (Galaxienzusammenstöße und Akkretion) und der kleinsten Skalen (Effizienz der Reibung) dazu führen, dass es Schwarze Löcher gibt, und dass sie so verteilt sind, wie wir das heute beobachten können.
Autor:
Professor Dr. Wolfgang J. Duschl,
Institut für Theoretische Astrophysik, Geschäftsführer des SFB 439 "Galaxien im jungen Universum", Tiergartenstraße 15, 69121 Heidelberg,
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