Siegel der Universität Heidelberg
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Swinging in the Brain

Können wir faszinierende Leistungen unseres Gehirns wie Lernen, Erinnern, Wahrnehmen und Planen direkt aus dem "Verhalten" der Nervenzellen erklären? Die moderne Neurowissenschaft erhebt diesen Anspruch tatsächlich. Besonders eingehend wird die Frage erforscht, wie unser Gehirn Informationen speichert und zur Abrufung bereithält – wie also das Gedächtnis entsteht. Andreas Draguhn vom Institut für Physiologie und Pathologie beschreibt die komplexen Zusammenhänge und führt anschaulich zum aktuellen Forschungsstand: Zellen scheinen ihre Aktivität präzise in einen gemeinsamen Takt einzubinden. Diese "Netzwerk-Oszillationen" erlauben es, Informationen zu speichern. Damit beginnt sich ein Verständnis der Gedächtnisbildung abzuzeichnen, das die Gehirnleistung "Erinnern" schrittweise bis auf die Aktivität einzelner Nervenzellen zurückführt.
 



Während Sie diese Zeilen lesen, verändert sich der Zustand Ihres Gehirns. Nehmen wir einmal an, Sie hätten kurz bevor Sie mit dem Lesen begonnen haben, die Augen geschlossen, um einen Moment auszuruhen. Trotz der Ruhe waren dabei große Teile Ihrer Hirnrinde rhythmisch aktiv. Eine Elektroenzephalographie – auch "Hirnstrom-Messung" oder kurz "EEG" genannt – würde in dieser Phase ein regelmäßiges Kurvenbild mit etwa zehn Spannungsschwankungen pro Sekunde zeigen: den so genannten "Alpharhythmus". Als Sie die Augen dann aber öffneten und anfingen zu lesen, verschwand dieses Aktivitätsmuster (Abb. 1, S. 22). Dass der Alpharhythmus bei einer visuellen Wahrnehmung unterdrückt wird, hat bereits der Entdecker des EEG, der Jenaer Neurologe Hans Berger, um 1930 erkannt.

Alpha-Blockade im EEG

Alpha-Blockade im EEG. Bei geschlossenen Augen ist der regelmäßige alpha-Rhythmus als annähernd sinusförmige Schwankung des elektrischen Potenzials zu sehen. Öffnet die Versuchsperson die Augen (mittlerer Kurvenabschnitt), entfällt diese Aktivität.



Geistige Leistungen gehen also mit messbaren Änderungen der Hirnfunktionen einher. In unserem Beispiel ist es eine visuelle Wahrnehmung, welche die elektrische Rindenaktivität verändert. Solche Befunde machen es letztlich vorstellbar, psychische Vorgänge auf elektrische, mithin physische Veränderungen zurückzuführen. An den Begriff "zurückführen" knüpft sich derzeit eine intensive Diskussion darüber, welche Bedeutung die neuen Erkenntnisse zum Verhältnis von Gehirn und Geist für das sehr viel ältere Leib-Seele-Problem der Philosophie haben. Im Folgenden soll aber am Beispiel der Gedächtnisbildung lediglich der konkrete inner-wissenschaftliche Kenntnisstand verdeutlicht werden.


Die Neurowissenschaften haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt, nicht zuletzt Dank moderner hochauflösender Messverfahren. So können wir heute die elektrische Aktivität einzelner Nervenzellen oder kleiner Zellverbände mit hoher Präzision erfassen und mit dem Verhalten von Menschen oder Tieren korrelieren. Die moderne Elektrophysiologie konnte dabei den Befund der ersten EEG-Forscher erweitern: Unser Gehirn arbeitet fast immer in Rhythmen, die ganz bestimmten Funktionen – und damit mentalen Leistungen – zugeordnet werden können. Bei hoher Auflösung erkennt man zum Beispiel, dass das von Hans Berger erstmals vor 70 Jahren beobachtete Verschwinden des Alpharhythmus tatsächlich einem Umschalten in einen anderen, schnelleren Typ von Oszillationen entspricht, der regelmäßig bei komplexen Wahrnehmungsleistungen auftritt.

Querschnitt durch den Hippocampus der Ratte

Querschnitt durch den Hippocampus der Ratte. Zu erkennen sind die beiden großen C-förmigen Zelllager voller Projektionsneurone. Einige typische Neurone sind detailliert gezeichnet. Die langen Faserbündel bestehen aus Axonen, die Aktionspotenziale von dem kleinen "C" der Area dentata (unten rechts) zu den eigentlichen hippocampalen Kernen (das gespiegelte große "C") leiten.


In unserer Arbeitsgruppe erforschen wir derzeit ein bestimmtes rhythmisches Aktivitätsmuster, das mit dem Entstehen und Sichern von Gedächtnisinhalten verbunden ist. Als "zelluläre Neurophysiologen" arbeiten wir nahe am unteren Ende der analytischen Skala, wir erkunden also gewissermaßen die Zahnräder des komplexen Uhrwerks Gehirn. Gemeinsam mit vielen neurowissenschaftlichen Kollegen sind wir davon überzeugt, dass dieser Blick auf die zellulären und molekularen Details unverzichtbar ist, um "höhere" Hirnfunktionen zu verstehen, erst recht aber, um bessere Behandlungen für neurologische und psychische Leiden zu entwickeln.

Schwingende Nervennetze

Phasenkodierung von räumlichen Informationen

Phasenkodierung von räumlichen Informationen. Wenn eine Ratte ein bestimmtes Areal erkundet, werden nacheinander bestimmte Zellen ihre Hippocampus aktiv (durch Farben markiert). Die Ortszellen lösen Aktionspotenziale aus, die mit der gleichen Oszillation des Netzwerkes (schwarze Sinuskurve) korrelieren. Sie etnstehen zunächst in späten Phasen der Schwingung, rücken beim Durchlaufen des Feldes aber zu immer früheren Phasen. Die nächste Gruppe von Ortszellen beginnt wieder in der späten Schwingungsphase, wenn die Ratte in deren Ortsfeld einwandert. Dadurch entsteht automatisch eine Reihenfolge der Aktionspotentiale (farbige Striche), die den Weg der Ratte kodiert.

Seit den Arbeiten des spanischen Nobelpreisträgers Santiago Ramón y Cajal (1852 bis 1934) ist bekannt, dass das Nervensystem aus einem dichten Geflecht einzelner, extrem komplex geformter Zellen, so genannter Neurone, besteht. In Ruhe sind diese Nervenzellen im Inneren negativ geladen. Werden sie aktiviert, kommt es zu einer positiven Spannungsschwankung von etwa einer tausendstel Sekunde Dauer und 0,1 Volt Amplitude. Das nennen Neurophysiologen ein "Aktionspotenzial". Es kommt zustande, weil Ionen, positive Salzpartikel, in die Nervenzelle einströmen – ein Vorgang, der nicht "dosiert" werden kann. Die Aktivierung einer Nervenzelle ist also ein "Alles-oder-Nichts-Prozess". Das Aktionspotenzial verbreitet sich entlang des Axons, eines langen Ausläufers der Nervenzelle, das sich verzweigt und Kontakt zu Hunderten oder Tausenden anderer Nervenzellen aufnimmt. An diesen Kontaktstellen, den Synapsen, setzt die aktivierte Nervenzelle Transmittersubstanzen frei. Je nachdem, um welche Substanz es sich handelt, wird die Entstehung eines Aktionspotenzials in der nachgeschalteten Zelle begünstigt oder gehemmt.

"Ripple"-Oszillation: Die Spannungsschwankungen werden in einem hippocampalen Hirnschnittpräparat gemessen (Nikolaus Maier, Berlin). Obere Datenspur: Originalregistrierung. Mittlere Datenspur: Hervorhebung der regelmäßigen 200-Hz-Oszillation durch Filterung. Beteiligte Neurone bilden ihre Aktionspotenziale in genau definierten Phasen der Oszillation aus und können damit zeitlich kodierte Information wiedergeben (farbige Striche unterhalb der Datenspur).


Eine typische Nervenzelle ist mit Tausenden erregender und hemmender Synapsen verbunden – und zu jedem Zeitpunkt wird neu darüber entschieden, ob die Erregung so weit überwiegt, dass ein Aktionspotenzial ausgebildet wird oder nicht. Dies ist der entscheidende Schritt der Informationsverarbeitung im Nervensystem. Aus dem Alles-oder-Nichts-Gesetz der Aktionspotenziale ergibt sich eine einfache Form der Kodierung von Information, die "Frequenzkodierung": Wenn eine Nervenzelle nur schwach erregt wird, bilden sich pro Zeiteinheit weniger Aktionspotenziale aus als bei starker Erregung. Wenn Sie sich beispielsweise sanft auf die Haut Ihrer Hand drücken, wird der Hautnerv weniger Aktionspotenziale zum Rückenmark schicken als wenn Sie sich fest kneifen. Das ist die neuronale Basis der abgestuften Wahrnehmung.

Eine Arbeitshypothese zur Rolle der Hemmung bei

Eine Arbeitshypothese zur Rolle der Hemmung bei "ripples": Im Grundzustand sind viele Nervenzellen des Hippocampus in ungeordneter Weise aktiv. Während der "ripples" werden die meisten Nervenzellen gehemmt, so dass die wenigen Informationsträger nun deutlich hervortreten und den "gelernten" Code selektiv an die Hirnrinde weitergeben.


Neuere Befunde zeigen, dass neuronale Netzwerke Information auch auf andere Weise im Gehirn kodieren können, und zwar durch komplexe räumlich-zeitliche Muster der elektrischen Aktivität. Grundlage hierfür ist, dass die hochgradig miteinander "verdrahteten" erregenden und hemmenden Nervenzellen von Kerngebieten des Gehirns ihre Aktivität synchronisieren und rhythmische Aktivität hervorbringen: Neuronale Netze schwingen also. Das scharf begrenzte, sozusagen digitale Signal des Aktionspotenzials kann auf diese Weise eine weitere Information transportieren, und zwar dadurch, dass es in einer bestimmten Phase der Grundschwingung des Netzwerkes auftritt: auf einem Wellenberg, einem Wellental oder dazwischen. Diese Form der Informationsübertragung nennt man Phasenkodierung und sie scheint eine bedeutende Rolle beim Speichern und Weiterleiten von Informationen zu spielen.

Wie sich das Gehirn erinnert

Die Oszillationen, mit denen wir uns befassen, scheinen einer solchen Phasenkodierung der Information zu dienen. Es handelt sich um das Speichern von Wahrnehmungsinhalten, die sequenziell – etwa während wir durch einen Raum gehen – erfasst und gespeichert werden. Solche Engramme werden zum so genannten episodischen Gedächtnis gezählt. Für diese spezielle Gedächtnisleistung ist ein Kerngebiet im Schläfenlappen bedeutend, dessen Form an ein Seepferdchen erinnert und die deshalb "Hippocampus" genannt wird (Abb. 2, S. 22). Patienten, die keinen funktionsfähigen Hippocampus mehr besitzen, sind uneingeschränkt intelligent – aber sie können keine Gedächtnisinhalte mehr speichern.

In den 1970er Jahren macht der englische Neurophysiologe John O'Keefe bei Ratten eine wichtige Beobachtung: Der Hippocampus enthält Ortszellen ("place cells"), die immer dann Aktionspotenziale ausbilden, wenn die Ratte sich an einem bestimmten Ort aufhält. Offenbar sind die synaptischen Eingänge aus dem Temporallappen, einem angrenzenden Hirngebiet, so mit den Ortszellen verschaltet, dass sie von einer bestimmten Konstellation von Sinneseindrücken besonders stark aktiviert werden. Wenn eine Ratte also umherläuft und ihre Umwelt erkundet, "feuern" an bestimmten Orten bestimmte Nervenzellen. Sie tun dies nicht ungeordnet, sondern auf der Basis einer Oszillation des Netzwerkes im Hippocampus, die man im EEG als "Theta-Rhythmus" von fünf bis zehn Schwingungen pro Sekunde messen kann. Läuft nun die Ratte durch ein "place field", fallen die Aktionspotenziale der jeweils angesprochenen Nervenzellen in immer frühere Phasen des Theta-Zyklus, bis sie schließlich nach Verlassen des zugehörigen Feldes nicht mehr aktiviert werden. Man nennt dies "Phasen-Präzession": Es entstehen automatisch Sequenzen von Aktionspotenzialen, die es erlauben, den Weg zu rekonstruieren, den die Ratte in ihrer Umgebung zurückgelegt hat – ein klassischer Phasen-Code (Abb. 3, S. 22).

Vor einigen Jahren haben die amerikanischen Neurowissenschaftler Bruce McNaughton und Mathew Wilson bei Ratten eine Beobachtung gemacht, die auf die kognitive Relevanz dieser Netzwerk-Oszillationen hinweist: Wenn die Ratte nach einer Erkundungsphase schläft, "spielt" sie im Gehirn exakt dieselbe Sequenz von Aktionspotenzialen ab – sie wiederholt also im Schlaf das Muster der Raumerkundung, das im wachen Zustand entstanden ist. Die Wiederholung erfolgt aber viel schneller, sozusagen als komprimierte Speicherform, denn jetzt sind die neuronalen Aktivierungsmuster durch einen Rhythmus von 200 Wellen pro Sekunde (200 Herz) synchronisiert.
 

Langfristige Gedächtnisspuren 

Man nimmt an, dass diese so genannten "ripples" (engl. kleine Wellen) gewissermaßen die Erinnerungsspuren auslesen, die anschließend in der Hirnrinde gespeichert werden. Tatsächlich projizieren die beteiligten Nervenzellen dorthin, wo schließlich langfristige Gedächtnisspuren niedergelegt werden. "Ripples" sind demnach das neuronale Korrelat der dauerhaften Festigung von Gedächtnisinhalten. Diese sehr schnellen koordinierten Aktivierungsmuster untersuchen wir derzeit intensiv in unserem Labor (Abb. 4, S. 23).

Als zelluläre Neurowissenschaftler interessiert uns zunächst, wie die vernetzten Nervenzellen des Hippocampus ihr Verhalten auf der sehr schnellen Zeitbasis von 200 Herz synchronisieren. Für jeden Zyklus bleiben bei dieser Frequenz fünf Tausendstel Sekunden (fünf Millisekunden), so dass Aktionspotenziale, die eine bestimmte Phase des Zyklus treffen sollen, mit der Präzision von einer tausendstel Sekunde oder weniger erzeugt werden müssen. Die Frage ist: Welcher Mechanismus liegt dieser hoch präzisen Kopplung zugrunde?

Bei einem Gastaufenthalt im Labor des Wissenschaftlers John Jefferys im britischen Birmingham hatte ich das Glück, Aktivitäten mit den Charakteristika von "ripples" in Hirnschnittpräparaten von Ratten zu sehen. Solche Hirnscheiben sind etwa einen halben Millimeter dick und enthalten große Teile des Netzwerkes des Hippocampus. Sie lassen sich außerdem in Nährlösungen viele Stunden am Leben halten. So wird es möglich, das Instrumentarium der Laborforschung auf ein gut zugängliches Präparat anzuwenden.

Wir haben bei der Suche nach dem Kopplungsmechanismus, der die Neurone in den 200 Herz Rhythmus einbindet, zunächst an synaptische Transmitter, also an eine "chemische Kommunikation" mit Überträgersubstanzen, gedacht. Die Hirnschnittpräparate machten es leicht, die üblichen "Verdächtigen" nacheinander mit Hemmstoffen auszuschalten. Überraschenderweise blieb die Netzwerk-Oszillation dennoch erhalten. Nach kurzer Zeit wurde klar, dass die Neurone bei "ripples" nicht durch die oben beschriebenen Synapsen gekoppelt sind, sondern durch unmittelbare elektrische Kontakte. Das Interesse an solchen "elektrischen Synapsen" ist in den letzten Jahren sehr gewachsen. Zuvor ist man jahrzehntelang davon ausgegangen, dass Nervenzellen nahezu ausschließlich chemisch kommunizieren, in dem sie Transmittersubstanzen ausschütten. Inzwischen zeichnet sich ab, dass viele oszillierende Netzwerke durch die elektrische Kopplung von Nervenzellen synchronisiert werden, die zu einem hochaktuellen Forschungsgegenstand der Neurowissenschaften geworden ist.

Die Form und die elektrischen Funktionen von Nervenzellen sind so komplex, dass sie sich dem intuitiven Verständnis oft entziehen. Will man das Verhalten vernetzter Nervenzellen genau verstehen, ist man darauf angewiesen, möglichst realistische Modelle dieser Zellen zu erstellen und ihr Verhalten im Computer zu simulieren. Unser Kollege Roger Traub, jetzt an der State University in New York, hat daher die elektrische Kopplung von Nervenzellen des Hippocamus simuliert und erkannt, dass die gemessenen Spannungsverläufe auf elektrisch leitende Verbindungen hinweisen, die sich speziell zwischen den Axonen dieser Neurone befinden müssen. Nun ist es an uns, diese Hypothese der axonalen Kopplung experimentell zu überprüfen.

Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeiten sind die "inhibitorischen Interneurone". Das sind hemmende Nervenzellen, die in alle neuronalen Schaltkreise eingebunden sind. Früher hatte man sie im wesentlichen als eine "Bremse" verstanden, die verhindern soll, dass hoch vernetzte Verschaltungen übererregt werden. Inzwischen ist jedoch klar, dass Interneurone ganze Zellverbände rhythmisch hemmen können und so synchronisierte Oszillationen im Netzwerk steuern. Neuere Ergebnisse der Arbeitsgruppe um den Neurophysiologen Gyuri Buzsáki (Newark, USA) zeigen, dass solche Interneurone auch intensiv an "unseren" ripples beteiligt sind. Jetzt wollen wir verstehen, was diese Hemmung für das Netzwerkverhalten bedeutet. Möglicherweise werden die meisten Nervenzellen des Hippocampus während ripples gehemmt, so dass sich die Aktivität der noch verbliebenen Zellen dann besser von der Gesamtaktivität abhebt. Falls die aktiven Zellen nun auch noch gerade diejenigen wären, welche die Gedächtnisspur tragen, würde dadurch die Spezifität der Informationsübertragung gesichert (Abb. 5, S. 23). An dieser Stelle zeigt sich, wie konkrete Untersuchungen von Mechanismen auf zellulärer Ebene plötzlich Relevanz für das Verständnis übergeordneter Hirnfunktionen bekommen können. An diesem wichtigen Schnittpunkt von zellulären und kognitiven Neurowissenschaften kann im Übrigen unsere Universität mit ihrem sehr aktiven neurowissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt eine hervorragende Rolle spielen!

Ein neues Menschenbild?
In den letzten Monaten hat in den Medien eine Debatte über das vermeintlich neue Menschenbild der Neurowissenschaften stattgefunden. Auslöser dieser öffentlichen Diskussion waren nicht zuletzt die enormen Fortschritte der kognitiven Neurowissenschaften, deren Erkenntnisse tatsächlich für eine "Rückführung" des Geistigen auf Materielles zu sprechen scheinen. Am Horizont steht eine mechanistische Deutung "höherer" Funktionen des Geistigen, die wenig Raum für Kausalitäten außerhalb des Gehirns lässt, etwa einen "freien Willen". Der Reduktionismus, der hier anklingt, ist es wohl, der das Thema für manche so bedrohlich wirken lässt, das sie von einem "Angriff auf das Menschenbild" sprechen.

Persönlich glaube ich, dass wir in der Tat rasant neue Einblicke in die Mechanismen unseres Denkens, Wollens, Wahrnehmens und Erinnerns erhalten werden. Diese physische Bedingtheit des Geistigen ist jedoch keine neue Erkenntnis, sondern ein uralter Topos der Philosophie, der in der Neuzeit etwa von David Hume klar formuliert wurde. Meines Erachtens sollte die Neurowissenschaft dort, wo technische Befunde in allgemeine anthropologische Aussagen übersetzt werden (Stichworte "Willensfreiheit"; evolutionäre Erkenntnistheorie, evolutionäre Ethik etc.) einen engen Dialog mit den Geisteswissenschaftlern führen, die hier bereits ein umfangreiches begriffliches und inhaltliches Instrumentarium erarbeitet haben. Die zunehmende Kenntnis von Hirnvorgängen, das glaube und hoffe ich, wird unser Menschenbild dann nicht bedrohen, sondern bereichern.

Autor:
Prof. Dr. Andreas Draguhn,
Institut für Physiologie und Pathophysiologie, Universität Heidelberg,
Im Neuenheimer Feld 326, 69120 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 52 40 56,
e-mail: andreas.draguhn@urz.uni-heidelberg.de

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