Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Not leidendes Bildungswesen

Dass die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland im internationalen Vergleich nur geringe Höhe erreichen, hat viele Ursachen. Zu ihnen zählen die beträchtlichen privaten Bildungsausgaben, die Alterung der Gesellschaft, vor allem aber die mittlerweile geschrumpften Zielgruppen der Bildungspolitik und die für das Bildungswesen ungünstigen Finanzierungsbedingungen. Manfred Schmidt vom Institut für Politische Wissenschaft analysiert die finanzielle Ausstattung des Bildungswesens in Deutschland – und kommt zu dem Schluss, dass ein Rückbau der öffentlichen Finanzmittel für den Ausbildungssektor auch weiterhin zu beklagen sein wird.

Der Staat der Dichter und Denker zeigt sich bei der Finanzierung seines Bildungswesens zugeknöpft. Die Bildungsausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden der Bundesrepublik Deutschland belaufen sich im Jahr 2001 auf 4,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, so die neuesten Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD. Mit 4,3 Prozent liegt Deutschland unter dem Durchschnitt der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (5,0 Prozent) und der OECD (4,8 Prozent) und weit unter den Spitzenreitern Dänemark (6,8 Prozent), Schweden (6,3 Prozent) und Norwegen (6,1 Prozent).

Auch Länder mit ansonsten schlankem Staat wie die Schweiz (5,4 Prozent) und die USA (5,1 Prozent) investieren in das Bildungswesen einen größeren Anteil ihres Sozialproduktes aus öffentlichen Mitteln, ebenso Polen (5,6 Prozent) und Mexiko (5,1 Prozent). Und nur noch wenige Plätze trennen die Bundesrepublik von der Türkei, die mit 3,5 Prozent das Schlusslicht der öffentlichen Bildungsausgabenquoten im Vergleich der OECD-Mitgliedstaaten hält.

Warum ist der Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Sozialprodukt in Deutschland so niedrig? Diese Frage wird im Folgenden anhand von Zwischenergebnissen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes zur Finanzausstattung des Bildungswesens im OECD-Länder-Vergleich beantwortet, das am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg durchgeführt wird.

Eine Ursache von Deutschlands niedrigen öffentlichen Bildungsausgaben liegt in seinen vergleichsweise hohen privaten Bildungsausgaben. Diese betragen 1,0 Prozent des Sozialproduktes – höher ist der Sozialproduktanteil der privaten Bildungsausgaben nur in Südkorea (3,4 Prozent), USA (2,3 Prozent), Australien (1,4 Prozent), Kanada (1,3 Prozent) und Japan (1,2 Prozent) (vgl. Schaubild 1).

Fügt man die privaten Bildungsausgaben den öffentlichen hinzu, erscheinen die deutschen Bildungsfinanzen in milderem Licht: Ihre Summe liegt mit 5,3 Prozent des Sozialproduktes etwas näher am OECD-Länder-Durchschnitt von 5,6 Prozent als die öffentlichen Bildungsausgaben und auf Platz 20 statt 23.

Bemerkenswert ist der Schwerpunkt der privaten Bildungsausgaben in Deutschland. Rund die Hälfte entfällt auf die betriebliche Ausbildung im Rahmen des dualen Systems von Lehre und beruflicher Teilzeitschule, die in Kooperation von Staat und Wirtschaft erbracht wird. Auf dem zweiten und dem dritten Platz folgen die betriebliche Weiterbildung von Arbeitnehmern und die private vorschulische Erziehung. Fast leer gehen hingegen die deutschen Hochschulen und Universitäten aus. Der Unterschied zu den USA, Kanada oder Südkorea ist groß: Dort kommt der Großteil der privaten Bildungsausgaben den Hochschulen und Universitäten zugute und verbessert ihre Finanzausstattung aus öffentlichen Quellen, die ähnlich mittelmäßig oder ungünstiger als in Deutschland ist, in großem Umfang: In den USA und Südkorea beträgt die Summe der öffentlichen und privaten Bildungsausgaben im Tertiärbereich des Bildungswesens 2,7 Prozent des Sozialproduktes, in Kanada 2,5 Prozent – und Deutschland liegt mit 1,1 Prozent (wovon der Löwenanteil öffentlich finanziert ist) auf dem fünftletzten Platz im OECD-Vergleich, knapp vor Tschechien, der Slovakischen Republik, Island und Italien.

Erklärbar sind Deutschlands relativ hohe private Bildungsausgaben aus wirtschafts- und familienpolitischen Traditionen. Die privaten Bildungsausgaben der Wirtschaft basieren auf der Ausbildungsverantwortung, der sich die Wirtschaftsverbände – Arbeitgeberverbände im Verein mit Gewerkschaften – in Deutschlands korporativer Marktwirtschaft seit langem gestellt haben. Und für die privaten Aufwendungen im Primarbereich sind die familienpolitischen Traditionen des deutschen Sozialstaates mitverantwortlich, die der Erziehung der Kinder durch die Eltern Vorrang geben und bei der öffentlichen Finanzierung der Vorschulerziehung Zurückhaltung üben. Im Tertiärbereich des Bildungswesens aber fehlen diese Traditionen.

Nicht nur die privaten Bildungsausgaben tragen zur Erklärung der öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland bei, sondern auch die fortgeschrittene Alterung der deutschen Gesellschaft. Zu ihr gehört ein unterdurchschnittlicher Anteil der Schüler und Studierenden an der Bevölkerung: Der Bevölkerungsanteil der 5- bis 14-Jährigen, der Altersgruppen von 15 bis 19 und der von 20 bis 29 Jahren liegt jeweils bis zu 25 Prozent unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Die überdurchschnittlich hohe Bildungsbeteiligung kompensiert nicht den Effekt der zahlenmäßig schwächer besetzten jüngeren Altersgruppen. Somit ist das Gewicht der Nachfrage nach Ausbildungsleistungen in Deutschland geringer als in Ländern mit einem größeren Bevölkerungsanteil der Altersgruppen zwischen 5 und 29 und höherer Bildungsbeteiligung, wie in den USA.

Hinzu kommt der relativ hohe wirtschaftliche Entwicklungsstand der Bundesrepublik: Er ermöglicht ein größeres Volumen an Bildungsdienst- und -sachleistungen als in wirtschaftsschwächeren Staaten mit größerem Sozialproduktanteil des Bildungsbudgets wie Polen.

Die bislang erwähnten Einflussfaktoren der öffentlichen Bildungsfinanzen – private Ausgaben, Wirtschaftskraft, Zielgruppengröße – können zu einem aussagekräftigen Indikator gebündelt werden: die Bildungsausgaben pro Schüler beziehungsweise Studierenden im Verhältnis zum Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt. Gemessen an dieser Kennziffer liegen die öffentlichen und privaten Bildungsausgaben in Deutschland auf Rang 13 des OECD-Länder-Vergleichs (mit insgesamt 27 vergleichbaren Ländern), also im Mittelfeld und nicht mehr im unteren Bereich. Würden nur die öffentlichen Ausgaben berücksichtigt, erreicht Deutschland bei diesem Indikator allerdings nur Rang 17 (vgl. Schaubild 2).

Chronische Mittelknappheit

Hohe private Bildungsausgaben, geringe Zielgruppengröße und beachtliche Wirtschaftskraft erklären einen Teil der niedrigen öffentlichen Bildungsausgabenquote hierzulande. Aber warum ist die Bildungsfinanzierung relativ zu den drei erwähnten Einflussfaktoren in vielen anderen OECD-Ländern großzügiger als in Deutschland – in den USA, in Nordeuropa, der Schweiz und Südkorea beispielsweise –, und warum schneiden andere Staaten ungünstiger ab? Und welches sind die politischen und historischen Fundamente, auf denen Deutschlands Bildungsfinanzen basieren?

Deutschlands niedrige öffentliche Bildungsausgabenquote zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist ohne ihre Vorgeschichte nicht zu verstehen. Zu dieser Vorgeschichte gehört die rückständige Finanzausstattung des Bildungswesens im Geburtsjahr der Bundesrepublik, die ihrerseits ältere, bis ins 19. und frühe 20. Jahrhundert zurückreichende Wurzeln in der Finanzknappheit der bildungspolitisch hauptzuständigen Länder und Kommunen hat. Finanz- und gesellschaftspolitische Weichenstellungen des NS-Staates befestigten die chronische Mittelknappheit des Bildungswesen: Die nationalsozialistische Diktatur stellte die Weichen in Richtung Rüstungs- und Militärpolitik sowie Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge außerhalb des Bildungswesens. Das Bildungswesen wurde vernachlässigt.

Das änderte sich erst in der Bundesrepublik Deutschland – nach zögerlichen Anfängen in den 1950er Jahren wurde das Bildungssystem finanziell großzügiger ausgestattet, vor allem in den 1960er bis Mitte der 1970er Jahre mit einem Zuwachs, der auch international zur Spitze zählte. Mitte der 1970er Jahre aber war das Ende der Ausbaustrecke erreicht. Nun gerieten die Bildungsfinanzen in den Sog des reduzierten Wirtschaftswachstums, der chronisch defizitären Haushalte und des heftiger werdenden Parteienstreites über die Bildungspolitik. Anschließend ging es sogar ein Stück des Weges zurück. Dabei ist es bis heute geblieben – mit Ausnahme der neuen Bundesländer, deren Bildungswesen finanziell aufgerüstet wurde.

Zu den Fundamenten der öffentlichen Bildungsausgaben gehört, so zeigt der internationale Vergleich, der religiöse Wertehaushalt der Bevölkerung. Beispielsweise setzen die Regierungen protestantischer Länder auf den Staat als den Hauptverantwortlichen auch für die Bildungsfinanzen und lassen kaum Spiel für private Bildungsaufwendungen – im Unterschied zu konfessionell gemischten oder katholischen Ländern, die dafür den Staat finanziell weniger in die Pflicht nehmen. Wichtig ist ferner die parteipolitische Zusammensetzung der Regierung. Linksregierungen investieren meist mehr staatliche Mittel pro Auszubildenden und relativ zum Wirtschaftsprodukt in das Bildungswesen und bringen höhere öffentliche Bildungsausgabenquoten zustande. Regierungen aus säkular-konservativen Parteien hingegen halten sich auch bei der öffentlichen Finanzierung der Bildung zurück. Überdies sind die öffentlichen Bildungsausgaben (in Prozent des Wirtschaftsprodukts sowie pro Auszubildendem und relativ zur Wirtschaftskraft) in Ländern mit höherer Abgabenquote und entsprechend höheren Staatsausgaben tendenziell höher und in Staaten mit hohen privaten Bildungsaufwendungen meist niedriger.

Was im zwischenstaatlichen Vergleich gilt, trifft aber nicht unbedingt auf jeden einzelnen Fall zu. Die deutschen Bundesländer sind ein Beispiel. In ihnen überlagert die bundesstaatliche Finanzverfassung den Parteieneffekt in den Bildungsausgaben. Auch die Bildungsfinanzen stehen im Zeichen des "sozialen Bundesstaates" des Grundgesetzes, der für bundesweit gleichwertige Finanzausstattung sorgt. Der Finanzausgleich ermöglicht Erstaunliches: Die höchsten öffentlichen Bildungsausgabenquoten melden die ostdeutschen Bundesländer und Berlin; mit erheblichem Abstand folgen die westlichen Bundesländer, unter ihnen die Zahler im Länderfinanzausgleich: Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Anhaltende Geldnot

Damit geraten weitere Bestimmungsgrößen der Bildungsfinanzen in Sichtweite: die Binnenstrukturen des deutschen Bundesstaates und die Finanzierungsbedingungen der Staatstätigkeit in Bund, Ländern und Sozialversicherungen. In Einheitsstaaten dominiert meist der Zentralstaat die Bildungspolitik, in den Bundesstaaten sind die Gliedstaaten hauptverantwortlich. So auch in der Bundesrepublik Deutschland: Ihre Bildungsausgaben werden zu mehr als drei Vierteln aus den Länderhaushalten finanziert. Doch die Länderetats sind in chronischer Geldnot. Sie finanzieren sich überwiegend aus Steuereinnahmen, die die Länder größtenteils mit dem Bund und den Gemeinden teilen müssen und die mit rund 22 Prozent des Sozialproduktes 2003 eine vergleichsweise kleine Steuerquote bilden. (Hohe zusätzliche Abgaben sind vor allem den Sozialbeiträgen und den Gebühren für öffentliche Leistungen geschuldet.)

Aufstockungen des Steueraufkommens sind nicht populär. Allein deshalb ist jeder Versuch riskant, die Finanzierungsbasis durch Steuererhöhung zu erweitern. Zudem bedürften Änderungen des Steuerverbundes der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates. Das erfordert eine komplizierte, langwierige Willensbildung, die das Risiko des Scheiterns birgt. Auch dies trug dazu bei, dass der Anteil der Steuern am Sozialprodukt in Deutschland insgesamt relativ gering blieb – im Unterschied zu den stark wachsenden Sozialbeitragssätzen und den Gebühren, die politisch viel leichter durchzusetzen waren, weil sie nicht der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates bedurften.

Widrige Rahmenbedingungen

Zugleich müssen die Länderhaushalte die meisten Personalausgaben des öffentlichen Dienstes finanzieren. Hinzu kommt die Konkurrenz zwischen den Bildungsfinanzen und anderen finanziell aufwändigen Politikfeldern. Besonders hart ist die Finanzierungskonkurrenz mit den öffentlichen Sozialausgaben, die im Jahr 2001 mehr als das Sechsfache der öffentlichen Bildungsausgaben beanspruchten. Die Lücke zwischen der Finanzausstattung der Sozialpolitik und der Finanzierung der Bildungspolitik ist in Deutschland besonders groß und wird in der OECD nur von Griechenland übertroffen.

All das verengt die Finanzierungsbedingungen des Bildungswesens. Dieser Engpass kann allenfalls durch Kreditmarktmittel und im Falle der finanzschwachen Länder durch Zuwendungen des Bundes und ausgleichspflichtiger Länder gelindert werden.

Die staatliche Bildungsfinanzierung stößt in Deutschland auf widrigere Rahmenbedingungen als in den meisten anderen OECD-Staaten. Günstigere Finanzierungsbedingungen fürs Bildungswesen herrschen hingegen in Ländern mit höherer Abgabenquote, wie Schweden, und überwiegend steuerfinanzierter Staatstätigkeit, wie Dänemark, aber auch in föderalistischen Ländern mit größerer finanzieller Eigenständigkeit der Gliedstaaten und geringeren Budgetlasten der Sozialpolitik, wie in der Schweiz oder den USA, in denen mehr Spielraum für die öffentliche und die private Bildungsfinanzierung übrig bleibt.

Deutschlands niedriger Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Sozialprodukt hat also viele Ursachen. Zu ihnen zählen die beträchtlichen privaten Bildungsausgaben, die Alterung der Gesellschaft, vor allem die mittlerweile geschrumpften Zielgruppen der Bildungspolitik, und die Wirtschaftskraft. Das Politikerbe einer kargen Finanzausstattung des Bildungswesens kommt hinzu. Zentral sind ferner ungünstige institutionelle Finanzierungsbedingungen. Damit eng verwandt ist die besonders harte Finanzierungskonkurrenz zwischen Bildungswesen und Sozialpolitik. Hinzu kommt das reduzierte wahlpolitische Gewicht der Bildungsfinanzen. Allein diese Faktoren dämpfen die Finanzierung der Bildung aus öffentlichen Quellen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Bei sonst gleichen Bedingungen ist eine substanzielle Aufstockung der Bildungsfinanzen nicht in Sicht. Wahrscheinlicher sind Konstanz oder Rückbau der öffentlichen Finanzmittel für den Ausbildungssektor.

Autor:
Prof. Dr. Manfred G. Schmidt
Institut für Politische Wissenschaft
Marstallstraße 6, 69117 Heidelberg
Telefon (0 62 21) 54 34 11
e-mail: manfred.schmidt@urz.uni-heidelberg.de

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang