Zu neuem Leben erweckt
Die 2004 hergestellte Replik der Gründungsurkunde der Universität Heidelberg aus dem Jahre 1386 besticht durch die Ergebnisse quellenkritischer Arbeit und handwerkliche Präzision.
Replik der Gründungsurkunde der Universität Heidelberg
Foto : Universität
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Der sich über viele Monate hinziehende Prozess der Gründung der Universität Heidelberg schlug sich aus rechtlichen und politischen Gründen nicht nur in einer einzigen, sondern in mehreren zeittypischen Pergamenturkunden nieder. Urkunden des Papstes Urban VI. aus dem Jahre 1385 und des Pfalzgrafen und Kurfürsten Ruprecht I. vom 1. Oktober 1386, beide in Winkelmanns Urkundenbuch der Universität 1886 abgedruckt, gelten gewöhnlich und völlig zu Recht als die beiden wichtigsten; die des Landesfürsten bezeichnet der allgemeine Sprachgebrauch heute als "die Gründungsurkunde" schlechthin.
Bedauerlicherweise hat sie die Zeit nur in stark beschädigtem Zustand überdauert. Schon 1886, beim 500-Jahr-Jubiläum der Universität, bot die Besiegelung das gleiche betrübliche Bild wie heute. Von den im Text angekündigten vier Hängesiegeln des Ausstellers, seines Neffen Ruprecht II., dessen Sohnes Ruprecht III. (der im Jahre 1400 zum deutschen König gewählt werden sollte) sowie der Stadt Heidelberg sind nur das erste und das dritte noch vorhanden. Das große Reitersiegel Ruprechts I. ist freilich bis zur Unkenntlichkeit verformt, das kleine Wappensiegel seines Großneffen wenigstens im Stempelabdruck unversehrt; das vierte, städtische Siegel ist ganz und gar verloren gegangen. An zweiter Position hängt zwar ein Löwensiegel, das bisher als das Siegel Ruprechts II. galt, tatsächlich aber, wie bei den Vorarbeiten zur Reproduktion von Joachim Dahlhaus (Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde) festgestellt wurde, ein weiteres, frühestens 1395 geprägtes Siegel Ruprechts III. ist. Es muss für das nach 1432 an der Urkunde verlorene Reitersiegel Ruprechts II. irgendwann als Ersatz angebracht worden sein.
Dem Erhalt der Siegel dürften, mehr als nur gelegentliche Unachtsamkeiten, insbesondere die in Kriegszeiten als notwendig erachteten Umlagerungen des Universitätsarchivs geschadet haben. Schon im Orléansschen Krieg, als wesentliche Teile des Archivs nach Marburg verbracht worden waren, klagte ein Inspizient, man hätte "die Brieff, daran am meisten gelegen," doch wohl besser in Schachteln transportiert; denn "die Siegel an den Brieffen haben sehr noth gelitten".
Dass der Text des Originals der Gründungsurkunde heute kaum noch lesbar ist, hat indessen ganz andere Gründe. Er ist erst einem seit Ende des 19. Jahrhunderts im Grunde dauerhaft mit diesem Dokument verbundenen Repräsentationsbedürfnis der Universität zum Opfer gefallen. Wieder und wieder wurde die Urkunde ausgestellt und dem Tageslicht ausgesetzt, zuletzt noch in einer Wandvitrine der Universitätsbibliothek in den Jahren 1959 bis 1966. Die Akten des Archivs belegen die hartnäckigen Bemühungen des Universitätsarchivars Hermann Weisert (1925-2003) um Rückgabe der Urkunde ins Universitätsarchiv; in dankbarer Erinnerung seien ihm daher diese Zeilen gewidmet. Als die Gründungsurkunde endlich ins Archiv der Universität zurückkehrte, war sie für Zwecke einer modernen, die Originale schonenden Öffentlichkeitsarbeit jedoch längst unbrauchbar geworden.
Mit der Herstellung einer Replik steht nun im 619. Jahr des Bestehens der Universität wieder ein Dokument zur Verfügung, das nach allem, was quellenkritische Forschung und handwerkliche Kunst zu leisten vermochten, dem ursprünglichen Zustand der Urkunde genau entsprechen dürfte. Sie war allerdings an dem in der Datierung genannten Tage noch nicht vollständig beglaubigt, denn einer bislang unbeachteten Nachricht zufolge hat die Stadt Heidelberg ihr Siegel erst 1388 an den von Anfang an dafür vorgesehenen Platz gehängt.
In der Geschichte des deutschen Urkundenwesens ist die Erarbeitung einer derartigen Replik insofern ein außergewöhnliches Ereignis, als Faksimilierungen normalerweise den überkommenen Zustand eines Dokumentes oder eines Buches lediglich duplizieren, nicht aber Verlorenes rekonstruieren. Die Prager Restauratorin Andrea Popprová hatte jedoch den Auftrag, mit fachlicher Unterstützung der Autoren einer in Kürze erscheinenden Publikation eine "neue Gründungsurkunde" herzustellen, die die ursprünglichen Formen und Gestaltungselemente des Stückes wieder sämtlich in sich vereint und zeigt.
Die bei der Jahresfeier der Universität am 23. Oktober 2004 dem Publikum erstmals präsentierte Replik wird diesen Anforderungen in vollem Umfange gerecht: Für die Übertragung des Textes auf ein neues Stück Pergament mit einer dem Original vergleichbaren Beschaffenheit standen neben dem Winkelmann'schen Textabdruck vor allem ältere Fotos mit noch lesbarem Text zur Verfügung. Die Siegel wurden anhand von Abgüssen stempelgleicher, an anderen Urkunden überlieferter Exemplare hergestellt; für diese Abgüsse ist Archiven in München und Karlsruhe sehr zu danken.
Autor:
Dr. Werner Moritz
Direktor des Universitätsarchivs Heidelberg
Akademiestraße 4, 69117 Heidelberg
Telefon: (0 62 21) 54 75 40
e-mail: werner.moritz@urz.uni-heidelberg.de
Der Autor dankt Herrn Dr. Joachim Dahlhaus, Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde, für seine Unterstützung bei der Abfassung dieses Beitrages.