Siegel der Universität Heidelberg
Bild / picture

Spurensuche im ewigen Eis

Eisproben aus der Vergangenheit speichern über Jahrtausende oder gar Jahrhunderttausende hinweg wichtige Informationen, die über das globale Klima vergangener Zeiten berichten, ebenso gut aber Projektionen in die Zukunft erlauben. Michael Krachler und William Shotyk vom Institut für Umwelt-Geochemie beschreiben die Arbeit der Wissenschaftler, die das ewige Eis als Umweltarchiv nutzen. Wer in ihm zu lesen versteht, erfährt Faszinierendes über das Klima der Erde, seine Veränderung und den folgenschweren Einfluss des Menschen.

Eisbohrkerne aus den Polar- und Gletscherregionen der Erde sind faszinierende Umweltarchive. Partikuläre Spurenstoffe wie Schwermetalle, Mineralstaub oder Seesalze gelangen durch natürliche Prozesse, etwa die Verwitterung von Gesteinen oder Vulkanausbrüche, in die Atmosphäre. In jüngerer Zeit wurden sie vor allem durch anthropogene Vorgänge, beispielsweise die Nutzung fossiler Brennstoffe oder durch Autoabgase, in die Atmosphäre emittiert. Als "Aerosole", feine, in der Luft verteilte flüssige oder feste Partikel, erreichen sie die abgelegensten Gebiete unseres Planeten. Durch den Schneefall finden die Spurenstoffe ihren Weg zurück zur Erde, wo sie im Schnee beziehungsweise Eis über Jahrzehnte bis zu Jahrhunderttausenden konserviert werden, je nach Mächtigkeit der Eis- oder Schneeschicht. Die Bestimmung verschiedener Parameter in den Eisbohrkernen bringt unter anderem Erkenntnisse darüber, wie die Treibhausgase und Aerosole das Klima der Erde beeinflussten, bevor der Mensch ins Spiel kam. Das ist wichtig, denn wenn Wissenschaftler verstehen, was das Klima in der Vergangenheit bestimmte, haben sie den Schlüssel zur Vorhersage des zukünftigen Klimas. Die alpinen Gletscher liefern in diesem Zusammenhang Informationen über das regionale Klimageschehen, Bohrungen an den polaren Eisschilden hingegen erlauben Aussagen über das globale Klima der letzten Jahrhunderttausende.

Untersuchungen an Eisbohrkernen sind deshalb so bedeutend, weil sie als einziges Umweltarchiv Klimainformation und atmosphärische Spurenstoffinformation quantitativ speichern. Damit erlauben Eisbohrkerne prinzipiell die Kopplung zwischen Klima und biogeochemischen Kreisläufen. Die sehr hohe zeitliche Auflösung, die je nach Alter des Eises von saisonal bis 100 Jahre pro Probe sein kann, ermöglicht es, saisonale Schwankungen in der atmosphärischen Zirkulation oder Windstärken zu untersuchen und somit neue Erkenntnisse über den Transport von Spurenstoffen zu erhalten.

Der Blick zurück in die Vergangenheit ist aus mehreren Gründen wichtig: Zum einen können natürliche Hintergrundwerte verschiedenster Parameter (etwa die Belastung mit Schwermetallen) in Eisproben, die aus der vorindustriellen Zeit stammen, bestimmt werden. Der Vergleich mit Konzentrationen, die man heute im Eis findet, lässt Rückschlüsse über den Einfluss menschlicher Aktivität auf die "Verschmutzung" der Erdatmosphäre zu und ermöglicht eine kritische Bewertung der heute auftretenden Belastung. Längere Chronologien ermöglichen die Untersuchung mehrerer Klimazyklen, gewähren somit neue Einblicke in das Klimageschehen der Erde und erlauben Projektionen in die Zukunft, die beispielsweise in Modellrechnungen für Klimavorhersagen Eingang finden.

Am Institut für Umwelt-Geochemie untersuchen wir zusammen mit unserem kanadischen Kollegen James Zheng vom "Geological Survey of Canada" (GSC) solche polaren Eisbohrkerne und erstellen unter anderem detaillierte Chronologien atmosphärischer Schwermetalleinträge.

Eisproben aus der Vergangenheit zählen zu den reinsten Matrizes auf unserem Planeten und dementsprechend niedrig sind die Elementkonzentrationen, die in diesen Eisbohrkernen vertrauensvoll bestimmt werden müssen. Darin liegt eine der vielen analytischen Herausforderungen im Umgang mit Eisbohrkernen, die nur mit einer hochwertigen Infrastruktur und viel Know-how gemeistert werden können. Glücklicherweise wurde unter maßgeblicher Mitwirkung von Dr. Bernd Kober in den letzten Jahren eine extrem hochwertige, metallfreie, dem Stand der Technik entsprechende Reinrauminfrastruktur am Institut geschaffen, die es ermöglicht, die sehr sauberen Eisproben in praktisch partikelfreier Luft in den Reinluftlabors zu bearbeiten. Die Mühen haben sich sicherlich gelohnt, die Reinluftinfrastruktur, die uns nunmehr zur Verfügung steht, ist deutschlandweit sicherlich eine der modernsten und besten und ermöglicht uns mit der Weltspitze Stand zu halten.

Ein hoch auflösendes induktiv gekoppeltes Plasma-Massenspektrometer (ICP-MS), unter Reinraumbedingungen betrieben, erlaubt die Bestimmung nahezu jeden Elements des Periodensystems in Eis beziehungsweise Wasser, aber natürlich auch in vielen ande-ren Matrizes. Mit dem richtigen Know-how können so richtige und präzise Spurenelementbestimmungen im fg/g (10-15 g g-1)-Konzentrationsbereich durchgeführt werden. Dabei ist nicht die Nachweisstärke des ICP-MS-Gerätes der limitierende Faktor, sondern die Reinheit, die im Verlauf aller Verfahrensschritte eingehalten werden kann. Das Wissen um die Einhaltung dieser absolut notwendigen Sauberkeit gepaart mit der leistungsstarken analytischen Infrastruktur am Institut für Umwelt-Geochemie ermöglicht uns, die weltweit niedrigsten Nachweisgrenzen für die Bestimmung von Spurenelementen in dem Schmelzwasser der Eiskerne zu erhalten. Damit können wir mit den besten Labors weltweit konkurrieren und Spitzenforschung an der Universität Heidelberg etablieren.

Da die geringen Konzentrationen, die in Eisproben bestimmt werden müssen, oft unvorstellbar klein sind, soll am Beispiel der Bleikonzentrationen verschiedener Umweltkompartimente die Dimension der Ultraspurenbestimmung in Eisproben veranschaulicht werden. Im Vergleich zu Eisproben, in denen nur ca. 1 pg/g (= 1 ppt) Blei gefunden wird, sind die Konzentrationen im Regenwasser um drei Zehnerpotenzen höher. Wenn man versucht, die sehr kleine Konzentration von 1 ppt in Zeit auszudrücken, dann würde dies einer Sekunde in 32 000 Jahren entsprechen. Wenn notwendig, können viele Elemente selbst noch in Konzentrationen, die einen Faktor 1000 niedriger sind, mit der ICP-MS-Technik bestimmt werden. Durch die am Institut für Umwelt-Geochemie entwickelten Strategien und extrem niedrigen Verfahrensblindwerte konnten beispielsweise für Blei mit 0,06 ppt eine der weltweit niedrigsten Nachweisgrenzen erreicht werden. Dadurch ist die Bestimmung von Blei selbst in Millionen Jahre altem Eis aus den entlegensten Gebieten unseres Planeten, das nicht durch menschliche Aktivitäten verschmutzt wurde, möglich.

Zusammen mit unseren kanadischen Kooperationspartnern vom "Geological Survey of Canada" forschen wir zurzeit an einem circa 65 m langen Eisbohrkern von einer Eiskappe (Devon Island) aus der kanadischen Hocharktis, der die Chronologie verschiedenster Spurenstoffe der letzten 150 Jahre gespeichert hat. Die bereits vorliegenden Ergebnisse sind so verheißungsvoll, dass das "Geological Survey of Canada" uns bereits eingeladen hat, mit ihnen an einem neuen Eiskern zu arbeiten, der im Jahr 2006 in der Nähe des jetzigen Untersuchungsgebiets auf der Insel Prince of Wales gebohrt wird. Im Unterschied zum aktuellen Eiskern deckt der neue Eiskern die Zeit seit der letzten Eiszeit bis heute (rund 10 000 Jahre) ab und ermöglicht uns, die komplexen Zusammenhänge zwischen atmosphärischen Spurenelement-Einträgen, anthropogen Einflüssen, Vulkaneruptionen und Klimaänderungen zu untersuchen.

Die aufwändige Dekontamination des aktuellen Eiskerns sowie seine glaziologische Charakterisierung wurden am "Geological Survey of Canada" in Ottawa durchgeführt. Mit diesen Informationen über den Eiskern ausgestattet, konnte das deutsch-kanadische Team unter anderem die Chronologie der Bleibelastung der kanadischen Hocharktis der letzten 150 Jahre rekonstruieren. Dabei zeigte sich ein deutlicher Anstieg der Bleikonzentrationen im 19. Jahrhundert zu Beginn der industriellen Revolution, als der steigende Energiebedarf durch Verfeuerung von Kohle gedeckt wurden. Kohle enthält erhebliche Mengen an Blei, die somit in die Umwelt emittiert und letztendlich im Eis konserviert wurden. Ende der 1930er Jahre begann man in den Industrienationen, dem Kraftstoff von Ottomotoren Bleiverbindungen beizumengen, um die Klopffestigkeit zu erhöhen. Zusammen mit der rasant steigenden Anzahl von Personenkraftwagen haben daher seit der Einführung des verbleiten Benzins die Bleiemissionen dramatisch zugenommen. Jahrzehnte später mehrten sich die Hinweise, dass dies negative Auswirkungen auf den Menschen, insbesondere auf Kleinkinder hat. Blei wirkt besonders schädlich auf das noch nicht ausgereifte Gehirn und führt unter anderem zu deutlichen Intelligenzdefiziten bei Kindern, die an stark befahrenen Straßen aufwachsen. Als es keinen Zweifel mehr an der schädlichen Wirkung von Blei gab, wurde in den 1970er Jahren der politische Wille gefasst, verbleites Benzin zu verbannen. Dies machte sich auch in den Bleiemissionen bemerkbar, die erfreulicherweise stark abnahmen, heute jedoch noch immer deutlich höher sind als natürliche Hintergrundwerte, die auf unserem Planeten anzutreffen waren, bevor der Mensch begann, die Atmosphäre mit Blei zu verschmutzen. Wie hoch letztendlich die "natürliche" Bleikonzentration in polarem Eis ist, kann nur empirisch festgestellt werden. Dazu müssen ältere Eisproben analysiert werden, eine Arbeit, die im kommenden Jahr beginnen wird.

Trotzdem können natürliche Hintergrundwerte von Blei durch die Bestimmung eines anderen Elements, Scandium, im Eis abgeschätzt werden. Scandium (Sc) ist ein lithogenes Referenzelement, das nicht kommerziell oder industriell verwendet wird und dadurch keinen anthropogen Beitrag hat. Wir konnten Sc zum ersten Mal in Eisproben bestimmen; die Konzentrationen liegen im untersten pg/g-Bereich. Der Schlüssel zur Verwendung der Sc-Konzentrationen, um Blei zu verstehen, ist einfach: Das Verhältnis von Blei zu Scandium in der Erdkruste beträgt ungefähr 1. Daher sollten alle nicht kontaminierten Böden, atmosphärische Aerosole und daher auch polares Eis mehr oder weniger die gleichen Konzentrationen beider Elemente besitzen. Daher kann man sicherlich als erste Einschätzung behaupten, dass die Sc-Konzentrationen in Eis so genanntes "lithogenes" oder geogenes Pb in der Atmosphäre widerspiegeln. Dies wiederum bedeutet, dass Pb-Konzentrationen, die heute im Schnee oder Eis gemessen werden, noch immer circa 60 mal höher sind als der natürliche Hintergrund – und dies nach der Verbannung des verbleiten Benzins in den Industrieländern.

Aber wie genau ist diese Abschätzung? Wie variabel ist das natürliche Pb/Sc-Verhältnis und wie schwankt es z.B. durch Vulkanausbrüche und Änderungen der Windstärke, Vegetationsbedeckung oder vorherrschender Herkunftsquellen von Bodenstaub? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir Pb und Sc in noch älteren Eisproben aus derselben Gegend, die aus vorindustriellen bzw. voranthropogenen Zeiten stammen, analysieren. Diese Untersuchungen werden demnächst begonnen.

Die jüngste Probe aus dem untersuchten Eiskern stammt aus dem Jahr 1996. Die damit etablierte Chronologie wurde nun durch ein fünf Meter tiefes Schneeprofil, das im April 2004 in der Nähe der ursprünglichen Eiskernbohrung genommen wurde, erweitert und spiegelt die Aerosolablagerungen der letzten etwa zehn Jahre wider. Durch die hohe zeitliche Auflösung dieses Profils können Winter und Sommer gut unterschieden werden und zeigen nun ein sehr viel differenzierteres Bild der Bleibelastung in der Arktis. Der zu erwartende generelle Trend nach unten bestätigt sich durch diese neuen Untersuchungen, jedoch zeigen sich extreme Unterschiede während eines Jahres. Im Sommer sind die Bleikonzentrationen deutlich niedriger mit einer kontinuierlichen Tendenz nach unten, während in den Wintern deutlich höhere Bleikontaminationen in der Arktis auftreten. Dies bedeutet, dass der Arktis im Sommer saubere Luftmassen zugeführt werden und sich die Bleikonzentration in den Aerosolen den natürlichen Hintergrundwerten annähert. Im Winter jedoch erreichen hauptsächlich Luftmassen aus Europa und Asien, die mit "anthropogenem" Blei verunreinigt sind, die Arktis und führen zu einem vielfachen Anstieg der Bleikonzentration. Diese großen saisonalen Unterschiede zeigen auch deutlich das Problem auf, dass entstehen kann, wenn man von einer bestimmten Bleikonzentration aus einem Jahr spricht.

Das verbleite Benzin ist sicherlich ein gutes Beispiel dafür, wie Naturwissenschaftler Politikern Entscheidungsgrundlagen liefern können und wie schnell die unmittelbaren positiven Auswirkungen dieser Entscheidungen sichtbar werden.

Aber unsere Untersuchungen zeigen, dass, auch wenn die Bleikonzentrationen in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen haben, wir sicherlich nicht behaupten können, dass das Pb-Problem gelöst ist. Blei, eines der giftigsten Schwermetalle, ist noch immer ubiquitär in unserer Umwelt vorhanden und dies in nicht zu vernachlässigenden Konzentrationen.

Im zuvor beschriebenen Fall liegt der Einfluss der Verwendung des verbleiten Benzins, auch durch den Vergleich mit den Mengen an Blei, die für die Herstellung von verbleitem Benzin in Europa und Nordamerika eingesetzt wurden, klar auf der Hand. In anderen Fällen sind die Verhältnisse nicht so eindeutig und hier erlaubt die Analyse von Bleiisotopen in Eisproben wie ein Fingerabdruck, die Herkunft (verbleites Benzin, Kohleverbrennung, Verwitterung von Gesteinen) des toxischen Elements Blei zu bestimmen. Aufgrund der äußerst niedrigen Bleikonzentrationen in Eisproben war es in der Vergangenheit weltweit nur einer Gruppe möglich, Bleiisotope in solchen Eisproben zu bestimmen. Mit dem am Institut für Umwelt-Geochemie entwickelten analytischen ICP-MS-Verfahren ist es nun möglich, Bleiisotope in einem Bruchteil der Zeit und mit einem Zehntel der Probenmenge, die für die etablierte Methode notwendig ist, zu bestimmen. Durch den deutlich erhöhten Probendurchsatz der neuen Methode können nun dekontaminierte Eisbohrkerne in sehr kurzer Zeit auf ihre Bleiisotopie untersucht werden und ermöglichen damit sehr detaillierte Rekonstruktionen verschiedener Bleieinträge aus der Vergangenheit. So konnte z.B. in dem kürzlich untersuchten Schneeprofil ein von der Jahreszeit abhängiges Bleiisotopenverhältnis festgestellt werden, das einerseits hilft, Sommer und Winter zu unterscheiden, aber viel wichtiger, dazu beitragen wird, die Herkunft des Bleis zu bestimmen und somit Aussagen zur Luftmassenzirkulation zu ermöglichen.

Blei dient hier als Beispiel, um unsere Forschungsarbeiten zu erläutern. Wir interessieren uns aber auch für die Kreisläufe anderer toxischer Schwermetalle, z.B. Cadmium, Thallium und Antimon. Antimon tritt zumeist gemeinsam mit Blei in Erzen auf und wurde daher bei der Bleiverhüttung auch in großen Mengen in die Umwelt emittiert. Obwohl die Toxizität von Antimon einen Faktor 10 größer ist als die von Blei, ist unser Wissen um das Verhalten von Antimon in der Umwelt nur äußerst rudimentär. Aus diesem Grund veranstalteten wir im Mai 2005 den ersten "International Workshop on Antimony in the Environment", der alle weltweit führenden Wissenschaftler an einen Tisch brachte und die neuesten Erkenntnisse aus den verschiedensten Fachdisziplinen vorstellte.

Am Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg existiert eine jahrzehntelange, weltweit anerkannte Tradition in der Arbeit mit Eiskernen. Dabei werden die weltweit durchgeführten Eiskernuntersuchungen des Glaziologen Dr. Dietmar Wagenbach in Zusammenarbeit mit internationalen Forschergruppen realisiert.

Durch die sich ergänzenden Schwerpunkte am Institut für Umweltphysik und am Institut für Umwelt-Geochemie besteht an der Universität Heidelberg ein hervorragendes Potenzial für die Forschung an Eisbohrkernen, das in naher Zukunft durch eine weitere internationale Kollaboration der Heidelberger Eisforscher weiter ausgebaut wird.

Autoren:
Dr. rer. nat. Michael Krachler und Prof. Dr. William Shotyk
Institut für Umwelt-Geochemie
Im Neuenheimer Feld 236, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 54 48 48 oder 54 48 03,
e-mail: krachler@ugg.uni-heidelberg.de
oder shotyk@ugg.uni-heidelberg.de

Seitenbearbeiter: Email
zum Seitenanfang