Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
eine junge Wissenschaftlerin unserer Universität bat mich als
Vorsitzenden der "Senatskommission zur Sicherung guter
wissenschaftlicher Praxis und zum Umgang mit Fehlverhalten in der
Wissenschaft" vor einiger Zeit um Rat. In einer wissenschaftlichen
Zeitschrift habe sie kürzlich zufällig eine Publikation entdeckt, die
die Ergebnisse ihrer Doktorarbeit darstelle, der Methodenteil
allerdings sei verändert worden. Sie selbst werde als Zweitautorin
genannt, ihr Einverständnis zu dieser Veröffentlichung habe sie nie
erteilt.
Ich riet der jungen Wissenschaftlerin, ihren Doktorvater – den "Seniorautor" – um Aufklärung zu bitten. Diesem Rat folgte sie. Viel Zeit verging, und erst nach einer freundlichen Erinnerung antwortete der Lehrstuhlinhaber einer renommierten deutschen Universität. In seinem Schreiben betonte er das "privat hohe Einvernehmen während der Promotionszeit", nannte als Argument, seine ehemalige Doktorandin "hätte ja jetzt eine Publikation" und erklärte, sich an eine "Veränderung der Daten" im Methodenteil nicht erinnern zu können.
Daraufhin riet ich der jungen Wissenschaftlerin, bei der Zeitschrift, die die Arbeit veröffentlicht hatte, um ein Erratum zu bitten. Wieder verging geraume Zeit. Wieder musste eine Erinnerung folgen. Man antwortete dann mit einem Schreiben, in dem es sinngemäß hieß, dass kein Schaden entstanden sei und der Vorgang außerdem schon drei Jahre zurückläge. Kurzum: Das Erratum wurde abgelehnt. Der Herausgeber merkte außerdem an, dass die Wissenschaftlerin mit ihrer Unterschrift ja schließlich der Veröffentlichung in seiner Zeitschrift zugestimmt habe. Diese Unterschrift aber, versicherte die Wissenschaftlerin, war gefälscht.
Nun wandte sich die Heidelberger Senatskommission an die derzeitige Universität des "Doktorvaters" und bat deren Ombudsmann um eine Stellungnahme. Auch der Ombudsmann antwortete erst nach einer Mahnung. "Rein formal gesehen", schrieb er, handele es sich um einen Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens und die Veröffentlichung sei tatsächlich ohne Einwilligung der jungen Wissenschaftlerin erfolgt. Bei näherer Betrachtung erscheine das Verhalten indes entschuldbar: Eine Publikation mit ihrer Unterschrift sei nicht möglich gewesen – weil die Anschrift der Autorin nicht bekannt war. Die Studie aber zu veröffentlichen, ohne die junge Wissenschaftlerin als Mitautorin zu erwähnen, würde den Tatbestand des Plagiats erfüllen – und wäre damit ein schwerer Verstoß gegen das Urhebergesetz und die Regeln zur Vermeidung wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Die Alternative sei gewesen, die Studie ohne den Beitrag der Nachwuchswissenschaftlerin zu veröffentlichen – das jedoch hätte die Aussagekraft der Publikation entscheidend geschwächt. Der Vorwurf der jungen Wissenschaftlerin, dass im Methodenteil Abweichungen zwischen ihrer Doktorarbeit und dem publizierten Manuskript bestünden, erfülle allein nicht den Tatbestand wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Während eines Telefongesprächs, das diesem Schreiben folgte, fügte der Ombudsmann noch hinzu, dass die Unterschriftserbringung auch als Akt "stillschweigenden Einverständnisses" gesehen werden könne. Sofern die Wissenschaftlerin hier anderer Meinung sei, könne sie ihrerseits eine strafrechtliche Bewertung des Falles anstrengen.
Die Heidelberg Senatskommission bat nun den Rektor dieser Universität um eine Bewertung. Auch jetzt erfolgte die Antwort erst nach ausdrücklicher Erinnerung. Der Rektor schrieb, dass der Kollege zum Zeitpunkt der Publikation an einer anderen Universität tätig gewesen sei; die ihn jetzt beherbergende Universität sei deshalb nicht zuständig. Sollte die frühere Universität ein Fehlverhalten feststellen, werde der Vorgang disziplinarrechtlich verfolgt.
Auch die den Doktorvater einst beherbergende Universität wurde (der Vorgang ist nunmehr anderthalb Jahre alt) informiert und – nach einer Mahnung – kam Antwort. Die dortige Kommission sehe keinen Handlungsbedarf. Dass der Methodenteil Abweichungen enthalte und dass die Publikation ohne Einwilligung erfolgt sei, wäre als geringfügig anzusehen.
Mit diesem Ergebnis werden sich die Mitglieder der Heidelberger Senatskommission nicht zufrieden geben. Unabhängig von aller formal-juristischen Interpretation ist es ein gravierendes Fehlverhalten und ein erheblicher Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis, wenn
- die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Arbeit verändert werden;
- der Herausgeber der publizierenden Zeitschrift ein Erratum verweigert;
- die Unterschrift, welche die Autorenschaft bestätigen soll, von einer anderen Person als dem Autor selbst geleistet wird.
Was bleibt, ist die Aufforderung an uns alle, unser Handeln im Feld der Wissenschaft immer wieder kritisch zu hinterfragen. Und sollte ein Irrtum geschehen, ihn zuzugeben und sofort zu korrigieren.
Ich wünsche Ihnen und der Ruperto Carola viele hervorragende wissenschaftliche Leistungen. Lassen Sie uns gemeinsam größtmögliche wissenschaftliche Redlichkeit üben und einfordern.
Ihr
Jochen Tröger
Prorektor