Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Wie viele andere Universitäten in Deutschland hat auch die Ruperto Carola das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte schon seit langem in immer neuen Anläufen und unter verschiedenen Aspekten zu durchdringen versucht. Es gilt, das unter den Nationalsozialisten Geschehene und von ihnen zu Verantwortende nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern für spätere Generationen mahnend zu bewahren. Das bislang umfassendste Unterfangen dieser Art haben jetzt die Heidelberger Historiker Wolfgang Eckart, Volker Sellin und Eike Wolgast mit ihrem Werk "Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus" vorgelegt. Unter ihrer Herausgeberschaft haben 36 Autorinnen und Autoren die bedrückende Situation und ihre kontinuierliche Verschärfung in den damals sechs Fakultäten, in einzelnen Fächern und in der Universität insgesamt wissenschaftlich analysiert (siehe auch das Interview mit den Herausgebern auf Seite 42). Das unverändert größte Entsetzen und die tiefste Abscheu ruft der Abschnitt über die Psychiatrie hervor: Das mörderische Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten wurde von der Heidelberger Psychiatrie wesentlich mit konzipiert und in die Tat umgesetzt – der Name der Ruprecht-Karls-Universität ist hier am stärksten und für sehr lange Zeit beschmutzt worden.
Die Herausgeber selbst stellen im Abschnitt zur Leitung der Universität während des Nationalsozialismus die wesentlichen Akteure dieser dunklen Zeit heraus. Dabei begnügen sie sich zu Recht nicht damit, die Rahmenbedingungen, die der Universität Heidelberg ihren Charakter als führende Wissenschaftseinrichtung voller Liberalität und Weltoffenheit raubten, in Gesetzen, Verordnungen und Erlassen vorzuführen, sondern bezeichnen konkret die ideologisch-weltanschaulich tief verbohrten Akteure, die als Rektoren, Dozenten- und Studentenführer mit aller Kraft darauf hinwirkten, dass sich die Universität in allem auf den Nationalsozialismus ausrichtete ("unsere blutgebundene Weltanschauung steht über der Wissenschaft") und auch die letzten Juden, jüdisch Verwandten und Regimekritiker mit Häme aus der Universität vertrieben wurden. Der damalige Dozentenführer urteilte etwa über den Nobelpreisträger Otto Meyerhof, dass er im Ausland "trotz seiner Berühmtheit unter dem Heer der anderen Emigranten" wohl untergehen dürfe. Allein die Dummheit dieses Dozentenführers übertrifft noch seinen Zynismus.
Für die umfassende Aufarbeit des Nationalsozialismus in der Universität Heidelberg schuldet die Universität den Autorinnen und Autoren, vor allem aber den Herausgebern, tiefen Dank. Wer auch immer in dieser Universität Verantwortung trägt – namentlich Verantwortung für die Ausbildung der Studierenden und für den wissenschaftlichen Nachwuchs – sollte das Werk zur Hand nehmen, um sich zu vergegenwärtigen, wie zerbrechlich die Grundlagen sind, auf denen wir heute Wissenschaft in Freiheit betreiben dürfen und können.
Heidelberg, im August 2006
Peter Hommelhoff
Rektor