Mit Salzteig und Laserscanner
Ausgerüstet mit Hightech-Geräten wie GPS-Empfängern und Laserscannern reisten Heidelberger Archäologen nach Indien, um dort eine Wehranlage zu erforschen, die aus der Zeit der Maurya, einem altindischen Herrschergeschlecht, stammt. Paul Yule vom Seminar für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie schildert die unerwarteten Hindernisse, die die Wissenschaftler auf ihrem Weg zum Ziel bewältigen mussten. Und er stellt das Ergebnis der engagierten Arbeiten vor, für das die Archäologen bei aller Hightech denn doch auf ein handgeformtes Modell aus Salzteig zurückgriffen: die Dokumentation antiker Baureste – von denen zu befürchten ist, dass es sie schon bald nicht mehr gibt.
Im Vorland des nepalesischen Himalaja erblickt um 500 v. Chr. Schakyamuni das Licht der Welt, ein Prinz, der später als Buddha mit seiner Philosophie tief greifende Veränderungen bewirken soll. Zwei Jahrhunderte später, im Jahr 326, kommt rund 1000 Kilometer weiter westlich die Invasion Alexanders des Großen am Oberlauf des Indus zum Stillstand. Auch dieses historische Ereignis hinterlässt unübersehbare Spuren: Prägte die Religion Buddhas die innere Welt Indiens, so veränderte das Ende des Feldzugs von Alexander nachhaltig den politischen Alltag des Subkontinents.
Als Folge der Umwälzungen, die mit dem Feldzug Alexanders III. einhergingen, errichteten die Maurya – ein altindisches, um 322 v. Chr. begründetes Herrschergeschlecht – eine gut arbeitende Verwaltung und vereinten mit militärischer Effizienz den Norden Indiens. Die berühmten Felsredikte des Maurya-Herrschers Ashoka (274-237 v. Chr.) sind die frühesten Schriftzeugnisse Indiens nach der Harappa-Periode (2500-1700 v. Chr.). Im späten ersten vorchristlichen Jahrtausend vermitteln zahlreiche Edikte in Nord- und Südindien ein Bild vom hohen Niveau der Zivilisation und Verwaltung während des Maurya-Zeitalters. Der buddhistische Lebenswandel des Maurya-Herrschers Ashoka fasziniert auch heute noch auf nachhaltige Weise. In Prakrit – einer einfachen, gut lesbaren Schrift – wendet er sich in seinen Edikten mit einer lokalen Version des Sanskrit an sein Volk und fordert religiöse Korrektheit und Gehorsam gegenüber Beamten.
Die Maurya-Könige herrschten von ihrer Hauptstadt Pataliputra (heute Patna) aus, die damals eine Millionenmetropole und vermutlich die bevölkerungsreichste Stadt der damaligen Welt war. Die Herrscher veranlassten eine Vielzahl von exzellenten architektonischen und künstlerischen Projekten. Von der alten Pracht haben leider nur wenige Reste überlebt, und auch diese sind von weiterer Zerstörung bedroht.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts haben zunächst koloniale Briten und später Inder die Fundamente für Denkmalschutz und Forschungsarchäologie in Indien gelegt. Heute ist der "Archaeological Survey of India" für Denkmalschutz und Archäologie des Subkontinents zuständig. Die Betreuung der enormen Anzahl schützenswerter Monumente ist allerdings eine Aufgabe herkulischer Dimension. Schon in den reichen westlichen Industriestaaten ist es kompliziert, den Denkmalerhalt zu sichern: In den Ländern Asiens ist dies eine oft nicht zu bewältigende Aufgabe. Täglich sind salomonische, wenn nicht gar drakonische Entscheidungen zu treffen, um Denkmäler zu erhalten. Die schwierigen administrativen Bedingungen, die schlechte Ausbildung der Archäologen und Restauratoren und nicht zuletzt das tropische Klima verkürzen die Lebenserwartung beliebter Denkmäler, die darüber hinaus Tag für Tag Massen von Touristen ausgesetzt sind. In den berühmten Felsheiligtümern in Ajanta nördlich von Mumbai (ehemals Bombay) begünstigen beispielsweise die Ausdünstungen der zahllosen Touristen in den völlig unzureichend belüfteten Höhlen ein zerstörerisches Pilzwachstum. Techniker des "Archaeological Survey of India" haben versucht, den Pilzbefall mit Ammoniak von den berühmten buddhistischen Malereien in Ajanta zu entfernen. Das hat sich auf die antiken Farbstoffe verheerend ausgewirkt. Insgesamt erinnert der organisatorische Umgang der zuständigen Behörden mit Denkmälern dieser Art eher an eine Art "Krisenmanagement".
In einer gemeinsamen Initiative der indischen "Utkal University" und der Universität Kiel haben wir zwischen 2001 und 2004 die Spuren der frühgeschichtlichen Festungen im Bundesstaat Orissa im Osten Indiens erforscht. Wir konnten die archäologischen Behörden unseres Gastlandes mit Methoden unterstützen, die dort nicht geläufig sind. Nach Orissa kamen so die ersten Radiokarbonbestimmungen, archäometallurgische Analysen, zahnanthropologische Untersuchungen, Aufnahmen mithilfe von Bodenradar oder Geomagnetik und vieles mehr.
Da die Zeit für das bilaterale Projekt extrem knapp bemessen war, wurden die Denkmäler zunächst zu Fuß abgesucht, mit einer digitalen Kamera dokumentiert sowie meist mit einem GPS-Empfänger (Global Positioning System) kartiert. Im Januar 2005 setzten wir das Projekt in Heidelberg mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft fort. Unserer Heidelberger Gruppe ist es auf der Basis eigener Vermessungen gelungen, Pläne verfügbar zu machen, aus denen verschiedene antike Wehranlagen bekannt wurden. Die meisten dieser Anlagen waren bislang nur in Listen der Fachliteratur verzeichnet; nur selten waren Fotos und Pläne, Beschreibungen oder Landkarten zugänglich, die Archäologen als Rüstzeug brauchen.
Eines der unerfreulichsten Beispiele der Denkmalpflege in Indien ist die maurya-zeitliche und nach-maurya-zeitliche Festungsanlage in Jaugada, Orissa, wo sich eine der berühmten Felsinschriften des Ashoka befindet. Mit einem Ausmaß von 900 ´ 1050 Metern war diese Befestigung bis ins 19. Jahrhundert hinein so gut erhalten, dass selbst noch die Türme an den Toren und an den vier Ecken der Anlage zu erkennen waren. Leider wurde das einstige Festungsgebiet seit Mitte des 20. Jahrhunderts intensiv besiedelt und zudem eingeebnet, um einen Dreschplatz für die Reisernte zu schaffen. Niemand bezweifelt, dass die heute dort lebenden Menschen Vorrang vor den antiken Ruinen haben. Dennoch müsste historisches Kulturgut nicht zwangsläufig auf der Strecke bleiben, wenn der entsprechende politische Wille vorhanden wäre.
Noch schlimmer als um die Festung Jaugada ist es um das antike Festungsgeviert Sisupalgarh am Rande Bhubaneschwars, der Hauptstadt Orissas, bestellt. Mit einer Fläche von 130 Hektar ist Sisupalgarh die größte Verteidigungsanlage dieser Art in Indien. Heute dient ein Großteil des Areals dem Reisanbau. Schon seit dem Jahr 1987 lässt sich beobachten, dass die Mauern der ehemaligen Befestigungsanlage mit der weiteren Ausdehnung der Reisfelder allmählich zerstört werden. Selbst die Verfügung, das Monument unter nationalen Denkmalschutz zu stellen, konnte nicht verhindern, dass im Januar 2005 buchstäblich über Nacht mit dem Bau von etwa 30 Luxusvillen in der Festung begonnen wurde. Die ebenso schleichend wie planmäßig erfolgende Bebauung haben wir eindeutig durch eine Flächennutzungskartierung und Fotos dokumentiert.
In Indien ist gesetzlich geregelt, dass ein Haus nicht beseitigt werden darf, sobald eine Fundamentmauer vorhanden ist. Dem Gesetz nach kann das Haus demnach auch dann fertiggestellt werden, wenn es auf einem denkmalgeschützten Areal errichtet wird. Die unklaren Zuständigkeitsbereiche der Verwaltung und der Denkmalpflege sowie der Mangel an Rechtsmitteln machen einen Baustopp im Falle einer Verletzung des Denkmalgesetzes unmöglich.
Der Zustand einer der baulichen Hinterlassenschaften der Maurya innerhalb der Festungsruine von Sisupalgarh ist besonders besorgniserregend: Dreizehn 4,5 Meter hohe Lateritstein-Säulen, vermutlich die Reste eines Palastes, sind seit ihrer Entdeckung vor bereits über fünf Jahrzehnten undokumentiert geblieben. Es besteht die Gefahr, dass dieses Areal in naher Zukunft als Baufläche für Häuser genutzt wird. Dem "Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik" der Fachhochschule Mainz ist es zu verdanken, dass 2003 zumindest eine Teildokumentation erfolgen konnte: Ein "Leica (Cyrax)-Laserscanner" wurde verwendet, um den Säulenkomplex und seine Topographie in dreidimensionaler Form festzuhalten. Sollte die Palastruine weiterhin beschädigt werden, sind zumindest ihr Aussehen und ihr Ausmaß genauestens erfasst.
Kurz vor dem Aus
Mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und der Botschaft von Indien in Berlin war es möglich, diesen Laserscanner nach Indien ein- und wieder auszuführen. Schon der Transport nach Indien stellte uns vor eine Herausforderung: Es stellte sich heraus, dass wir den Scanner nur nach Kolkatta (ehemals Calcutta) einfliegen konnten; die zum Zielort noch fehlenden 450 Kilometer musste das Gerät ebenfalls mit dem Flugzeug zurücklegen, da andere Transportmittel zu unzuverlässig sind. Die vor Ort notwendige Zollbeschreibung für den 80 000 Euro teuren Scanner bedeutete für unser archäologisches Unternehmen fast das Aus – bis wir, unterstützt von der deutschen und indischen Botschaft, die Mitarbeiter des Zolls von der wissenschaftlichem Natur unserer Arbeiten überzeugen konnten. So kamen wir davon, ohne Zoll entrichten zu müssen; in Orissa musste dennoch der Landeszoll für "Importe" bezahlt werden. Und noch eine Herausforderung erwartete uns: Vor Ort angekommen, lag die zu vermessende Fläche infolge eines besonders heftigen Monsuns unter Wasser und der Reis war noch nicht geerntet. Die spannende Frage war: Würden wir innerhalb unseres Zeitplans – und unseres Budgets – messen können, oder würde es noch längere Zeit derart nass und unzugänglich bleiben? Wir begannen zwischenzeitlich schon einmal damit, auf den Höhen den Bodenbewuchs zu entfernen.
Endlich war es doch so weit: Die eigentliche Arbeit konnte beginnen. Mit einer Messgenauigkeit von zwei bis drei Millimetern erfasste der Lasercanner etwa 15 000 000 Zielpunkte, die später mit einem Algorithmus zu einer handhabbaren Zahl reduziert wurden. Die resultierenden Messdaten ermöglichten es uns, die antiken Ruinen auf dem Computerbildschirm zu reanimieren.
Schätze im Dschungel
Im Januar 2005 kam die Untersuchung des Säulenkomplexes in Sisupalgarh noch einen Schritt weiter. Das Ziel war, den erweiterten Bereich um die Lateritstein-Säulen engmaschig zu vermessen und die Erdoberfläche mit "Ground Penetrating Radar", kurz GPR, zu untersuchen, um weitere umgestürzte Säulen oder andere Baurelikte zu lokalisieren. Dazu musste jedoch zuerst der Dschungelbewuchs entfernt werden, was freundlicherweise 20 Arbeiterinnen aus der Nachbarsiedlung übernahmen. In nur wenigen Tagen entfernten sie die dichte Vegetation mitsamt den dort vorkommenden giftigen Pflanzen. Wie sich herausstellte, waren tatsächlich weitere antike Baureste im Reisfeld vorhanden, die mit einer regulären Grabung konkret erfasst werden können.
Etwas einfacher verlief die Suche nach dem Wassergraben, der einst das antike Verteidigungsgeviert umgab: Radarmessungen ergaben an der Südseite des Gevierts Bodenanomalien, welche die Position des Wassergrabens anzeigten. Obwohl keine Fundamente oder Mauern an der Oberfläche zu erkennen waren, konnte der Wassergraben auf diese Weise relativ genau lokalisiert werden. Wie wir bereits vermutet hatten, verlief er früher parallel zur Stadtmauer. Mit Radarmessungen erkannten wir auch einen der großen befestigten Eingänge zum Geviert. Der Eingang konnte später graphisch simuliert werden.
Auf der Grundlage eines Grabungsplans aus dem Jahr 1947 konnten wir darüber hinaus eines der acht Stadttore grafisch rekonstruieren. Literarische Hinweise über das Aussehen der Stadttore finden sich in einem Lehrbuch (dem Arthaschastra von einem Minister namens Kautiliya) aus der Maurya-Zeit, das antike Vorschriften für den Bau der Festungen enthält; die Angaben lassen sich jedoch mit archäologischen Funden nicht immer vereinbaren. Die Festung in Sisupalgarh besteht aus einem circa acht Meter hohen und 50 Meter breiten "Glacis", einer schrägen Erdanschüttung, auf der sich eine Mauer, vermutlich aus Backstein, befand. Der Vergleich mit historischen Festungen in Südasien und diversen anderen Ländern erbrachte, dass für die Oberwerke zweifellos Holz als Baustoff verwendet wurde; eine Schicht Lehm machte die Mauer widerstandfähig gegen Brandangriffe. Der Plan des wehrhaften Stadttors wurde dreidimensional rekonstruiert und später animiert dargestellt.
Für eine zweite grafische Darstellung eines Stadttors fertigten wir ein 40 Zentimeter breites Modell aus Salzteig, das uns die Geometrie für eine perspektivische Zeichnung lieferte, die nach dem jeweils neuesten Erkenntnisstand aktualisiert werden kann.
Obwohl das Denkmal Sisupalgarh durch Zersiedlung entstellt wurde, verfügen wir nun über eine Dokumentation, die zumindest ansatzweise seine früheren Ausmaße und sein Aussehen nachvollziehen lässt. Wir hoffen darauf, unsere denkmalpflegerischen Bemühungen künftig durch eine enge Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort zu optimieren und weiterhin zum Erhalt und zur Erforschung der eindrucksvollen Wehranlage aus der Maurya-Zeit beitragen zu können.
Autor:
Professor Dr. Paul Yule
Seminar für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie
Marstallhof 4, 69117 Heidelberg
E-Mail: paul.yule@t-online.de