Aus der Stiftung
Das wichtigste sprachliche Medium Pakistans
Mit dem kulturellen Einfluss von Urdu, der bedeutendsten Sprache Pakistans, beschäftigte sich ein viel beachtete Tagung in Heidelberg.
Wenn von Pakistan die Rede ist, denkt so mancher wohl zunächst an die Rückzugsgebiete der Taliban, an religiöse Schulen als Brutstätten des Terrorismus, unterdrückte Frauen oder den Kaschmirkonflikt. Trekkingenthusiasten mag noch die atemberaubende Schönheit der Bergwelt Nordpakistans in den Sinn kommen – insgesamt jedoch ist das Pakistanbild in der deutschen Öffentlichkeit eher negativ geprägt. Nur diejenigen, die das Land bereist haben, wissen um die Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen, ihren Bildungshunger, die soziale Dynamik und das rege geistige Leben. Im Fahrwasser der kommerziell erfolgreichen englischsprachigen Schriftsteller indischer Herkunft konnten in den letzten Jahren auch einige junge pakistanische Autorinnen und Autoren ihre Werke auf dem internationalen Buchmarkt platzieren, finden jedoch längst nicht die Beachtung, die den Autoren des großen Nachbarn zuteil wird.
Noch weniger zugänglich ist die vitale geistige Kultur der Regionalsprachen Pakistans und der wichtigsten lingua franca des Landes: des Urdu. Urdu wurde – obwohl nur Muttersprache einer Minderheit, die lediglich etwa acht Prozent der pakistanischen Bevölkerung ausmacht – wegen seiner Bedeutung als Literatursprache und als überregionaler Sprache des Islam in Südasien im Jahr 1947 bei der Gründung des neuen pakistanischen Staates zur Nationalsprache erklärt.
Die staatlich verordnete Dominanz des Urdu führte bald zu Widerspruch seitens der Sprecher bedeutender regionaler Sprachen, wie des Sindhi oder Bengali. Auf der höchsten Ebene der Verwaltung und Wirtschaft blieb das Englische die dominierende Sprache. Der Anteil der englischsprachigen Eliten an der Bevölkerung ist nach wie vor gering; aufgrund ihrer politischen und ökonomischen Vormacht prägen sie jedoch das Erscheinungsbild der Metropolen des Landes.
Die wichtigste überregionale Sprache des Landes, in der die Mehrzahl aller Bücher und Periodika erscheint und in der sich Sprecher verschiedener Sprachen verständigen, ist jedoch das Urdu. Urdu-Literatur und Urdu-Medien sind somit nicht nur ein wichtiger wirtschaftlicher, sondern auch ideologischer Faktor im geistigen Leben des Landes. Das Spektrum der auf Urdu verfassten Texte reicht von seichter bis anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur, von radikal-islamistischen bis zu feministischen oder marxistischen Äußerungen. Kommerzielle Urdu-Zeitungen bemühen sich darum, eine möglichst breite Meinungsvielfalt wiederzugeben, wenn auch insgesamt die Urdu-Presse konservativer erscheint als die englischsprachige. Bemerkenswert ist nicht zuletzt die starke Präsenz von Frauen in der Literatur und den Printmedien, zunehmend auch in den elektronischen Medien. Man kann sicher ohne Übertreibung sagen, dass das Urdu von seiner Breitenwirkung her das wichtigste sprachliche Medium der Zivilgesellschaft in Pakistan ist.
Die große Bedeutung der Urdu-Medien und der Urdu-Literatur für Pakistan bildete den Ausgangspunkt für eine Arbeitstagung, die sich mit den gegenwärtigen Prozessen in der geistigen Kultur des Landes beschäftigte. Organisiert wurde der Workshop, der im Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg stattfand, von der Abteilung Moderne Indologie des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg. Neben der Grundfinanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft steuerte die Stiftung der Universität Heidelberg einen Zuschuss bei. Zu den Teilnehmern zählten zahlreiche renommierte Wissenschaftler aus aller Welt sowie Schriftsteller, Publizisten und Journalisten aus Karachi, Islamabad und Lahore. Zu den Wissenschaftlern gehörten Prof. Fateh Muhammad Malik, Direktor der National Language Authority Pakistans, Prof. Frances W. Pritchett und Dr. A Sean Pue von der Columbia University, New York, Prof. Muhammad Umar Memon von der University of Wisconsin/Madison, Dr. Amina Yaqin von der SOAS, London, Dr. Saher Ansari von der Universität Karachi, Dr. Anwaar Ahmad von der Universität Multan und Dr. Yousuf Khushk von der Universität Khairpur (Sindh/Pakistan). Stellvertretend für die Schriftsteller und Journalisten seien Fahmida Riaz genannt, die sich in der Frauenbewegung Pakistans engagiert und einen Verlag für Literatur von und über Frauen leitet, sowie Zahida Hina, eine bekannte Journalistin, und Harris Khalique, einer der profiliertesten Dichter der jüngeren Generation.
Die Hauptfragen, die diskutiert wurden, galten der Rolle des Urdu in Verwaltung und Bildung, in der „seriösen“ und populären Literatur und in den Medien. Die Diskussionen machten deutlich, dass in akademischen und Schriftstellerkreisen die Vitalität der Urdu-Kultur auf der populären Ebene häufig ignoriert wird. Weitere Vorträge beschäftigten sich mit konkreten Autorinnen und Autoren, wobei Lyrik, Kurzgeschichten und autobiographische Texte im Mittelpunkt der Betrachtung standen. Neben dem wissenschaftlichen Ertrag hat die Tagung dazu beigetragen, dem Südasien-Institut und insbesondere den Urdu-Studien größere Publizität zu verschaffen und die Heidelberger Universität als einen wichtigen Standort der akademischen Beschäftigung mit Pakistan sichtbar zu machen. Dazu trug auch das gute Medienecho bei. Ausführlich berichtete beispielsweise die Deutschen Welle und der ORF; Zeitungsberichte erschienen in der pakistanischen Tageszeitung „Jang“ und in mehreren Online-Zeitungen.
Die Beiträge des Workshops werden derzeit überarbeitet und sollen von den „Oxford University Publishers“ in Karachi veröffentlicht werden. Angestrebt wird die Publikation in Englisch und in Urdu. Schon vorab werden in Pakistan einige Beiträge in Zeitschriften erscheinen, etwa in den „Annual of Urdu Studies“ oder in literarischen Urdu-Zeitschriften.
Dr. Christina Oesterheld