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Kurzberichte aus der Wissenschaft

Unheilvolle Zeichen

Bilder geben unfassbaren Phänomenen Gestalt

von Anja Eisenbeiß

Um das Jahr 1500 schreckten die Menschen eigentümliche Himmelserscheinungen auf. Sie waren im Süden Deutschlands, aber auch im Norden, in Maastricht und Trier, zu beobachten. Albrecht Dürer notierte 1503, er habe in Nürnberg Kreuze vom Himmel fallen sehen. Sie seien auf den Kleidern der Menschen haften geblieben, und eine Magd hätte beim Anblick der Kreuzesmale auf ihrem Hemd geklagt, dass sie jetzt wohl sterben müsse. Dürer hat die Unheil bringenden Zeichen nicht nur beschrieben, sondern auch als Kreuzigungsgruppe mit Maria und dem Jünger Johannes skizziert – ein aus der christlichen Ikonographie vertrautes Motiv. Er hat damit einem bis heute nicht restlos erklärbaren, von den Menschen als unheilvoll erfahrenen Phänomen Gestalt gegeben. Die Visualisierung hält das Unfassbare nicht nur fest. Sie ermöglicht, das Unerklärliche einzuordnen, aber auch zu hinterfragen. Denn dass ein Unheil verkündendes Zeichen in Form der für die christliche Heilslehre zentralen Kreuzigung dargestellt wird, muss zunächst verunsichern.


Unheilvolle Zeichen: Bilder geben unfassbaren Phänomenen Gestalt  
Die Bilder in Jacob Mennels Buch von den Wunder- und Vorzeichen aus dem Jahr 1503 zeigen eine mutmaßliche Ursache für wundersame Phänomene: Gott, der aus einer Wolke Pfeile auf die Menschen schleudert.
Die Variabilität und Spannbreite visuell vermittelten Wissens über unheilvolle Phänomene lässt sich am Beispiel des oft dargestellten Kreuzregens gut nachvollziehen. Für einen sachlich-nüchternen Zugang steht Joseph Grünpecks Schrift von den Wunderzeichen aus dem Jahr 1501, die er dem kaiserlichen Beamten Blasius Hölzl widmete. Das ganzseitige Eingangsbild zeigt Grünpeck und Hölzl, die miteinander diskutieren. Über ihren Köpfen sind Kreuze, Werkzeuge der Passion Christi und ein Komet zu sehen, der aus den Wolken zur Erde stürzt. Die beiden berührt das wilde Treiben um sie herum nicht. Die Zeichen sind ihnen Anlass zu gelehrtem Diskurs, nicht aber Grund für unheilvolle Ahnungen. Anders verhält es sich in Grünpecks Werk "Speculum naturalis" aus dem Jahr 1508. Die Themen dieses Traktates sind Endzeitprophetien und flammende Mahnungen zur Umkehr – Kreuzeszeichen werden im Text nicht eigens erwähnt. In einer Illustration aber begegnen sie uns: am Himmel über einem alttestamentlich gekleideten Prediger, der in jeder Hand seiner ausgebreiteten Arme ein Kruzifix hält und von einem Hügel zu den verzweifelt zu Boden gesunkenen Zuhörern spricht. Unerklär-lich sind die Himmelserscheinungen hier nicht, vermag doch der wortgewaltige Prophet die Zeichen just zum Höhepunkt seiner Predigt heraufzubeschwören.

Einerseits gelehrter Diskurs, andererseits Strafpredigt – das sind nur zwei Kontexte, in denen die Wunderzeichen in Bildern auftreten. Lassen sich die Bedeutungsunterschiede hier noch mit der Funktion des Mediums erklären – das handgeschriebene Buch mit dem gelehrten Diskurs für den Höfling und die propagandistische Druckschrift mit dem drohenden Propheten für die größere Öffentlichkeit –, versagt das Erklärungsmodell, wennverschiedene Lesarten desselben Themas nebeneinander begegnen.

Eben dies leisten die Illustrationen zu Jacob Mennels Buch von Wunder- und Vorzeichen, das 1503 veröffentlicht wurde und Kaiser Maximilian I. gewidmet ist. Die Bilder dokumentieren Menschen, die dem Kreuzregen ausgesetzt sind. Und sie zeigen eine mutmassliche Ursache für das wundersame Phänomen: den Zorn Gottes. Hierzu greift der Maler, wie Dürer, auf ein bereits vertrautes Motiv zurück: Gott, der aus einer Wolke Pfeile auf die Menschen schleudert. Dieses Motiv kommt immer dann zum Einsatz, wenn verbildlicht werden soll, dass Gott Vergehen der Menschen mit schlimmen Plagen und Krankheiten bestraft.

Nicht nur die gewählte Darstellunsgweise verändert das Verständnis der Wunderzeichen. Gegen Ende des Buches wechselt das Layout und verlangt dem Betrachter eine gänzlich andere Wahrnehmung ab. Statt der kleinen gerahmten, von kurzen Texten begleiteten Bilder füllen acht nahezu ganzseitige Illustrationen die letzten Blätter des Bandes. Sie geben keine Ereignisse wieder, sondern konzentrieren sich ganz auf die Darstellung derWunderzeichen. Es greift zu kurz, in diesen Schautafeln nur eine Zusammenstellung der beobachteten Zeichen sehen zu wollen. Sie sind so angeordnet und ihre Formen sind so reduziert, dass sie an Memorierhilfen erinnern.

Die arma Christi, die Leidenswerkzeuge Christi, werden oft in ähnlicher Weise präsentiert: Der Anblick eines einzelnen Leidenswerkzeuges soll den Betrachter eine Station der Passion memorieren und ihre Zusammenschau die gesamte Leidensgeschichte in Erinnerung rufen lassen. Ein ähnlich kontemplatives Versenken und ein Nachsinnen darüber, welche Bedeutung die Wunderzeichen haben könnten, verlangen dem Betrachter auch die ganzseitigen Illustrationen im Traktat von Jacob Mennel ab.

Das Beispiel des Kreuzregens verdeutlicht, dass die Art und Weise der Visualisierung unheilvoller Phänomene und Wunderzeichen dem Kunsthistoriker ein weites Forschungsfeld eröffnet. Die wechselnden Versuche, dem Unvorstellbaren in unterschiedlichen Medien Gestalt zu verleihen, es so der eigenen Vorstellungswelt anzuverwandeln, einzuverleiben oder dezidiert auszugrenzen, führen ins Zentrum der Debatte um die visuelle Kommunikation und der durch Bilder geleisteten Wissensvermittlung.

Anja Eisenbeiß arbeitet seit 2000 als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg. 2005 wurde sie mit einer Arbeit zu den Porträts Kaiser Maximilians I. promoviert. Ihr neues Projekt untersucht die Verbildlichung von Unheilsahnungen.
Kontakt: a.eisenbeiss@zegk.uni-heidelberg.de
Telefon: 06221 / 54 23 51
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