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Des Knaben Wunderhorn

Eine Momentaufnahme des populären Liedes

von Armin Schlechter

Bis heute ist die Sammlung der Freunde Achim von Arnim und Clemens  Brentano die wirkmächtigste deutsche Liedanthologie. Unumstritten war das Hauptwerk der Heidelberger Romantik seinerzeit nicht: Kritiker disqualifizierten „Des Knaben Wunderhorn“ als heillosen Mischmasch von allerlei schmuzigen  und nichtsnuzigen Gassenhauern.

Die Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ ist das unbestrittene Hauptwerk der Heidelberger Romantik. Sie geht auf Achim von Arnim (1781-1831) und Clemens Brentano (1778-1842) zurück, die damit in der Frühzeit ihres dichterischen Schaffens ein gemeinsames, überraschend erfolgreiches Projekt verwirklichten. Von 1805/06 bis 1808 erschienen in drei Bänden insgesamt 723 Lieder. Das „Wunderhorn“ übertraf vom Umfang her alle vorgängigen Sammlungen dieser Art. Die Redaktionsarbeit des ersten Bandes geschah in Heidelberg. Die beiden Folgebände wurden zum Teil gemeinsam mit den Brüdern Grimm in Kassel erarbeitet.

Die Grundlage der Anthologie waren ältere Bücher und neuere Zeitschriften, Fliegende Blätter, neuzeitliche Handschriften und zeitgenössische handschriftliche Einsendungen verschiedener Beiträger. Die Drucke stammten zum großen Teil aus Brentanos Bibliothek, der als Grundlage für seine literarischen Projekte eine bedeutende Spezialsammlung aufbaute. Sie wurde 1819 und postum 1853 versteigert und damit in alle Winde zerstreut. Auch den handschriftlichen Unterlagen maßen die beiden Freunde einen großen Eigenwert zu. Arnim bezeichnete sie im Februar 1808 als das grosse deutsche Liederarchiv.

Nach der Arbeit am „Wunderhorn“ gelangten diese Materialien in den Besitz der Familie von Arnim und wurden bis 1929 im märkischen Familiengut Wiepersdorf aufbewahrt. Aus Geldmangel ließen Arnims Nachkommen im gleichen Jahr den Nachlass ihrer Vorfahren beim renommierten Berliner Auktionshaus Karl Ernst Henrici versteigern. Es gelang dem Heidelberger Bibliotheksdirektor Rudolf Sillib (1869-1946) trotz der überaus schlechten wirtschaftlichen Situation in Deutschland unter Verweis darauf, dass kein Ort in deutschen Landen ... ein größeres Recht auf den Besitz der jetzt angebotenen Manuscripte als Heidelberg habe, über  25 000 Reichsmark in Form privater Spenden einzuwerben. Mit diesem Geld ersteigerte er bei der Auktion, die er persönlich besuchte, das heutige so genannte Heidelberger „Wunderhorn“-Material. Es besteht aus  246 Briefen und über 2 000 Liedern und Sinnsprüchen in älteren Handschriften sowie zeitgenössischen Einsendungen und liegt inzwischen in zwei gedruckten Katalogen erschlossen vor.

Sillib war allerdings entgangen, dass ein nicht unerheblicher Teil dieses Materials, immerhin ein Viertel,  Arnim und Brentano bei der Redaktion des „Wunderhorns“ gar nicht vorgelegen hatte, sondern erst später nach Wiepersdorf gelangte. Schon vor der Versteigerung waren einige der ursprünglichen Liedaufzeichnungen in andere Hände gekommen; diese Materialien werden heute in Stralsund und in Krakau aufbewahrt.

Als Beginn der Arbeit am „Wunderhorn“ gilt ein Brief Brentanos an Arnim vom Februar 1805, in dem er dem Freund die Erarbeitung eines Wohlfeile[n] Volksliederbuch[es] vorschlug: es muß sehr zwischen dem romantischen und alltäglichen schweben, es muß Geistliche, Handwerks, Tagewerks, Tagezeits, Jahrzeits, und Scherzlieder ohne Zote enthalten ... es könnten die bessern Volkslieder drinne befestigt, und neue hinzugedichtet werden. Insbesondere Brentano warb öffentlich um Zusendungen von Liedern, so im Juni 1806 durch Verbreitung eines in 500 Exemplaren gedruckten Flugblattes, des „Zirkularbriefs zur Volksliedersammlung“. Hier und in der sich anschließenden Korrespondenz verfeinerte er das „Wunderhorn“-Konzept. Er bat vor allem um Zusendung von Dichtungen, welche die Kunstsprache mit dem Namen Romanze, Ballade bezeichnet, das ist, in welchen irgend eine Begebenheit dargestellt wird, Liebeshandel, Mordgeschichte, Rittergeschichte, Wundergeschichte ... Weiter scherzhafte und elegische Volkslieder, Spottlieder, charakteristische Kinderlieder, Wiegenlieder.

In den verschiedenen Äußerungen Brentanos lassen sich zwei Liedkomplexe unterscheiden, die dann auch die Grundlage des „Wunderhorns“ bilden sollten: Volkslied und altdeutsches Lied. Die beiden Freunde idealisierten das einsamste unwissendste Landvolk, das ... oft eine herrliche poetische Reliquie ewig ewig wiederhohlt, wie ein Echo, das noch schallt von dem Ruf untergegangener Riesenstimmen, als Träger einer unverfälschten Überlieferung, schlossen aber auch jüngere Volkslieder, welche in einer neuen Thätigkeit entstehen, als Quellen nicht aus.

Im Widerspruch zu ihrer Überhöhung der mündlichen Überlieferung war es Arnim und Brentano sehr wohl bewusst, dass sie sehr häufig zu verderbten, „zersungenen“ Texten führte. Die Lösung war aus ihrer Sicht die poetische Restauration der Vorlagen. Der zweite Überlieferungsstrang, das altdeutsche Lied, ließ sich vor allem in Liederbüchern des 16. Jahrhunderts fassen, die allerdings in erster Linie Kunstlieder boten. Auf eines dieser Liederbücher, die „Frischen teutschen Liedlein“ des Nürnberger Arztes und Komponisten Georg Forster (1514-1568), geht auch der „Wunderhorn“-Untertitel „Alte deutsche Lieder“ zurück, der den Begriff „Volkslied“ vermied. Schon Forster stellte in der Vorrede zu seinem Werk in Präfiguration des „Wunderhorns“ ungereimte neue Kompositionen gegen alte Teutsche Lieder.

In den Quellen der Zeit lassen sich vor allem Äußerungen Brentanos fassen, die zeigen, wovon sich das „Wunderhorn“ abgrenzen sollte. Im bereits erwähnten Schreiben vom Februar 1805 wurde in erster Linie das platte oft unendlich gemeine Mildheimische Liederbuch angegriffen. Diese überaus verbreitete Sammlung ging auf Rudolf Zacharias Becker (1752-1822) zurück, der mit Erfolg versucht hatte, die Aufklärung aus den Städten hinaus auf das Land zu tragen. Das Werk symbolisierte für Brentano die unpoetische Moderne in ihrem oberflächlichen Nützlichkeitsstreben.

Im August 1806 nannte Brentano als Gegenfolie zum „Wunderhorn“ das zeitgenössische urbane Lied, die Literatur, den Student[en], den Spaßmacher und moderne ... Bänkelsänger ... Alles moderne, alles waß im 17. 18. und 19. Jahrhundert liegt, seiner Manierirtheit, Leerheit, und Geziertheit liegt fern von unsrem Plan. Die Ablehnung der von ihm als lasterhaft und unmoralisch empfundenen studentischen Lebenswelten lässt sich bei Brentano auch biografisch fassen. Nachdem er sich 1797 in Halle zum Studium der Kameralwissenschaften immatrikuliert hatte, berichtete er einem Freund über Hallens Laster, über ohngefähr 600 Aufwärterinnen die alle Huren sind die dich mit Gewalt verführen ... unendlich muß ich arbeiten um alle dieser Verführung zu wiederstehen es ist schreklich waß Laster unter den Studenten herrsche. Halle war zu dieser Zeit die Hochburg der galanten, auf französische Vorbilder zurückgehenden Literatur in Deutschland. Insbesondere erotische Lieder dieser Art waren im Studentenmilieu weit verbreitet.

Bei Arnim korrelierte die Ablehnung der urbanen Moderne mit einer großen Distanz zur Philologie. Im Zusammenhang mit der „Wunderhorn“-Fortsetzung schrieb er 1807: Vorreden und Nachreden möchte ich nicht gerne, es ist mir das Ekelhafteste in unsrer Literatur, das viele Schreiben über die Dinge, welches den Dingen Platz nimmt. Solche Aussagen zeigen die fundamentalen Unterschiede zwischen Arnim und Brentano einerseits und den mit ihnen befreundeten, dezidiert philologisch ori-entierten Brüdern Grimm andererseits.

Zweifellos handelte es sich bei dem mündlich umlaufenden Lied um die schwierigere der beiden Quellengruppen, die in das „Wunderhorn“ Eingang fanden. Brentano selbst unternahm Feldforschungen dieser Art. So berichtete er dem Freund im Mai 1805 von seinem Plan, nächstens zu Dossenheim bei einer alten Kräuterfrau, die eine Art von Hexe ist, einem Convent von Baurendirnen bei[zu]wohnen, und Lieder ab[zu]hören.

Um zeitgenössische Einsendungen innerhalb des Heidelberger „Wunderhorn“-Materials, die in besonderem Maß Eingang in die Liedersammlung gefunden haben, handelt es sich beispielsweise bei den Lieferungen von Auguste von Pattberg und Johann Karl Nehrlich. Auguste von Pattberg (1769-1850) stammte aus der Gegend von Aglasterhausen und lebte nach ihrer Heirat mit einem Juristen in Neckarelz. Ab Juli 1806 sandte sie Brentano Aufzeichnungen von Volksliedern aus dem Kraichgau und Odenwald sowie eigene Dichtungen im Volksliedton, darunter das Lied Es steht ein Baum  im Odenwald/ Der hat viel grüne Äst. Spätestens ab  August 1805 ist ein Kontakt zu dem in Eisenach geborenen Johann Karl Nehrlich (1773-1849) fassbar, der ab 1802 in Hechingen und später in Karlsruhe lebte. Er wurde zum mengenmäßig wichtigsten Beiträger überhaupt.

Eine ganz geringe Rolle als Quelle spielten die gebundenen Liederbücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert im „Wunderhorn“-Material, auf die lediglich sieben Lieder der Anthologie zurückgehen. Diese neuzeitlichen Handschriften überliefern, abhängig von dem jeweiligen Milieu, in dem sie entstanden sind, populäres Liedmaterial, überwiegend Kirchenlieder, Barock- und Schäferlieder. Letztlich handelt es sich genau um Dichtungen der Art, die Arnim und Brentano mit ihrer Liedersammlung ersetzen wollten.

Unter den handschriftlichen Einsendungen verschiedener Beiträger lassen sich 13 Faszikel mit etwa 900 Liedern als zeitgenössischer Quellenfonds des „Wunderhorns“ ansprechen, die im Kern zumeist entsprechend den Vorgaben Arnims und Brentanos gesammelt worden sind. Die Relevanz dieses Materials ist für den ersten Band der Liedersammlung sowie für die beiden Folgebände ganz unterschiedlich. Wie Brentano selbst sagte, sei die Grundlage des ersten Bandes sein bereits längst gesammelte[r] Vorrath an Material gewesen.

Erst nach der Redaktion des ersten Bandes und seiner überwiegend positiven Aufnahme hatten Arnim und Brentano öffentlich um Beiträge geworben. Aus diesem Grund überliefert das Heidelberger „Wunderhorn“-Material nur für 25 der 214 Lieder des ersten Bandes Vorlagen oder Quellen, für die 509 Lieder der Folgebände dagegen immerhin 160 direkte Vorstufen. Die trotzdem scheinbar geringe Verwertungsquote steigt noch einmal deutlich, wenn nicht nur direkte Vorlagen und Quellen gezählt werden, sondern auch die dubletten Liedvarianten, die Arnim und Brentano nicht bei der Arbeit herangezogen hatten.

Einzelne „Wunderhorn“-Lieder, darunter Stund ich auf hohen Bergen/ Und sah wohl über den Rhein, sind in bis zu elf verschiedenen Versionen in diesem Material vertreten, weshalb es sich bei mehr als 40 Prozent dieser 900 Lieder entweder um Quellen oder um Varianten handelt. Dies zeigt, dass das von Arnim und Brentano zusammengetragene Liedmaterial einen hohen Grad von Sättigung erreicht hat und das mündliche umlaufende Liedgut der Zeit umfassend dokumentierte. Das „Wunderhorn“-Material ist aus dieser Sicht  eine Moment- aufnahme des po- pulären Liedes in den Jahren 1805 bis 1808, die sowohl qualitative als auch quantitative Aussagen über die Verbreitung von Dichtungen dieser Art zulässt. Mit ihren öffentlichen Bitten um Zusendungen beschritten die beiden Freunde zudem neue Wege der Materialsammlung.

Innerhalb der Lieder im „Wunderhorn“-Material, die für die gedruckte Ausgabe überhaupt nicht herangezogen worden sind, lassen sich verschiedene Gruppen unterscheiden. Manche Dichtungen konnten schon aus formalen Gründen nicht verwendet werden, weil die Aufzeichnungen nur die erste Strophe oder einen völlig verderbten Text überlieferten. Unter den restlichen ausgeschiedenen Liedern finden sich insbesondere im Liedfaszikel von Nehrlich galante Dichtungen einschließlich Klagen über treulose Geliebte, Entjungferung und Schwangerschaft, beispielsweise Schönstes Kind, vor deinen Füßen/ lieg ich hier, wein’ bitterlich.

Andere verworfene Lieder stehen dem im „Mildheimischen Liederbuch“ veröffentlichten Material sehr nahe, so wenn Vertreter verschiedener Berufe mit einem Preis ihres Standes zu Wort kommen. Bei der vierten Gruppe nicht verwendeter Lieder handelt es sich um Dichtungen, die ähnliche Begebenheiten wie tatsächlich ins „Wunderhorn“ übernommene Lieder überliefern, ohne dass es sich um Varianten im engeren Sinne handelt. Schließlich haben in das „Wunderhorn“-Material auch Lieder Eingang gefunden, die auf zu dieser Zeit noch lebende Dichter zurückgehen, aber offensichtlich ohne Bezug zu ihren Verfassern bereits mündlich umgelaufen sind. Ein Beispiel hierfür wäre das Lied Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher/ Und trinkt ihn fröhlich leer von Matthias Claudius (1740-1815).

Die Abhängigkeit von dem mit dem diffusen Begriff „Volkslied“ bezeichneten Material, unbekannt in [seiner] Entstehung, an keinen Stand, an keine Zeit ... gebunden, so Arnim, erwies sich in der Folge als Achillesferse des „Wunderhorns“. Zum einen lässt das Heidelberger „Wunderhorn“-Material erkennen, dass das Volk keineswegs nur das mythisierte „echte“ Volkslied tradierte, sondern auch Dichtungen ganz anderer Art. Die oft gestörte Überlieferung des mündlich umlaufenden Materials führte zum anderen zu schwerwiegenden Eingriffen in den Text der Quellen bis hin zu ganz eigenen Dichtungen im Volksliedton durch Arnim und Brentano.

Nachdem ihm die Druckfahnen des ersten „Wunderhorn“-Bandes zu Gesicht gekommen waren, äußerte selbst Brentano gegenüber Arnim Zweifel an dessen Vorgehensweise: Mit einiger Verwunderung habe ich im 22ten Bogen, ‚Blühe liebes Veilchen’ ganz von dir verwandelt gefunden, sollte man uns nicht den Titel alte deutsche Lieder vorwerfen dürfen? Ihre unphilologische Vorgehensweise begründeten die beiden Freunde damit, dass sie keine kritische Edition vorlegen, sondern eine populäre Sammlung gestalten wollten.

Diese Editionsgrundsätze lassen sich zwar auf der Basis der Freundesbriefe der Zeit und des „Wunderhorn“-Materials fassen, doch im „Wunderhorn“ selbst fehlen jegliche Hinweise dieser Art. Den ersten Band beschließt lediglich Arnims allgemein gehaltener Aufsatz „Von Volksliedern“, der auch Brentano nicht befriedigte. Den Zeitgenossen blieben die Eingriffe trotzdem nicht verborgen. Für die Wirkungsgeschichte des „Wunderhorns“ war eine positive Rezension Goethes im Januar 1806 überaus wichtig. Er schrieb unter anderem: Das hie und da seltsam Restaurirte, aus fremdartigen Theilen verbundene, ja das Untergeschobene, ist mit Dank anzunehmen. Wer weiss nicht, was ein Lied auszustehen hat, wenn es durch den Mund des Volkes ... eine Weile durchgeht!

Eine diametral entgegengesetzte Position vertrat der klassische Philologe Johann Heinrich Voß (1751-1826), mit dem sich Arnim und Brentano endgültig 1808 überworfen hatten. Kurz nach Arnims Weggang aus Heidelberg, mit dem die Heidelberger Romantik endete, veröffentlichte Voß im November 1808 eine verheerende „Wunderhorn“-Rezension, die die beiden Bände der Fortsetzung als heilloser Mischmasch von allerlei buzigen, truzigen, schmuzigen und nichtsnuzigen Gassenhauern, samt einigen abgestandenen Kirchenhauern abqualifizierte. Eine ausgewogene und zweifellos zutreffende Stellungnahme geht auf den Münchener Bibliothekar Bernhard Joseph Docen zurück: Manchem Tadel über jene willkührliche Behandlungsart dieser Lieder, wodurch der Werth des Wunderhorns in einen sehr zweideutigen Ruf gebracht worden, würden die Herausgeber leicht vorgebeugt haben, wenn sie gleich anfänglich sich vernehmlich über den von ihnen gewählten Zweck erklärt hätten.

Die Äußerungen Arnims und Brentanos in ihren Briefen zum „Wunderhorn“ und auch ihre Art der Auswertung des „Wunderhorn“-Materials zeigen, dass sie trotz der jeweils vergleichsweise kurzen Redaktionsphase in den Jahren 1805 und 1808 ein stringentes Konzept verfolgt haben. Ihre Liedersammlung erwuchs aus den beiden Strängen der altdeutschen Literatur sowie des Volkslieds. Insbesondere Arnim verfolgte mit dieser Arbeit dezidiert nationalpolitische Ziele vor dem Hintergrund der napoleonischen Fremdherrschaft in Deutschland. Dies vermerkte unter anderem eine anonyme Rezension vom Oktober 1807, die lobend hervorhob, dass sich viele, gebeugt vom Drucke der Gegenwart, durch diese Edition gestärkt fühlten.

Das „Wunderhorn“ ist ein radikaler Bruch mit der galanten Liedtradition, mit spätaufklärerischen Dichtungen und dem Kunstlied der zeitgenössischen Moderne, wie sie insbesondere in den Städten gepflegt wurden. Dem setzten Arnim und Brentano das vermeintlich unberührte Volkslied der ländlichen Bevölkerung und das deutsche Kunstlied des 16. Jahrhunderts entgegen. Der als unbefriedigend empfundenen Gegenwart wurde in einem antimodernistischen Impuls ein heterogenes Liedkonzept gegenübergestellt, das zumindest im Falle des im Volk tatsächlich umlaufenden Liedes, wie das „Wunderhorn“-Material zeigt, keineswegs der Realität entsprach.

Arnim und Brentano gestalteten ihre Quellen nicht als Philologen, sondern als Dichter. So entstand eine Sammlung von vergleichsweise textgetreu abgedruckten Liedern und anderen Dichtungen, bei denen es sich in Anteilen oder zur Gänze um romantische Kunstlieder handelt. Der Erfolg ihrer Liedersammlung gab den beiden Herausgebern letztlich recht: „Des Knaben Wunderhorn“ ist die bis heute wirkmächtigste deutsche Liedanthologie.

Dr. Armin Schlechter studierte Altgermanistik, Mittlere und neue Geschichte sowie Mittellatein und arbeitete danach an der Ba-dischen Landesbibliothek Karlsruhe. Von 1996 bis Ende 2007 leitete er die Abteilung Handschriften und alte Drucke der Universitätsbibliothek Heidelberg. Zum April 2008 wechselte er an die Pfälzische Landesbibliothek in Speyer.
Neben Lehraufträgen am Germanistischen Seminar publiziert er zu den Bereichen Buch-, Bibliotheks- und Landesgeschichte sowie zur Heidelberger Romantik.
Kontakt: schlechter@lbz-rlp.de

Mindestens 17 Lieder in „Des Knaben Wunderhorn“ sind Auguste von Pattberg zu verdanken: Die Mutter von sieben Kindern lebte seinerzeit in Neckarelz und sammelte Lieder und Sagen ihrer Heimat, darunter „Es steht ein Baum im Odenwald“ (Handschrift rechts), ein Kunstlied im Volksliedton. Von Matthias Claudius stammt das Lied „Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher“ (Handschrift rechts außen). Es ist schon zu Lebzeiten des Verfassers mündlich umgelaufen.


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