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Kreativität braucht Freiheit

Sind Ökonomisierung und Internationalisierung  die Zukunft der Universität?

von Ute Mager

Unter der Agenda „mehr Autonomie und Wettbewerb“ sind weit reichende  Neuerungen erfolgt, die letztlich dazu dienen, den ökonomischen Nutzwert der  Universität zu steigern. Die Rechtswissenschaft betrachtet das Angleichen der verschiedenen Handlungsrationalitäten von Wissenschaft und Wirtschaft mit Skepsis.


Jede Zeit und jede Gesellschaft hat ihre Universität. Die Universität der Kirche wurde zur Universität des Landesherrn, mit der Aufklärung wandelte sie sich        zur Universität des Beamten- und Bürgertums, unter dem Grundgesetz erhielt sie mit der Gruppenuniversität das Gepräge des sozialen und demokratischen Rechtsstaates. Die Welle der Hochschulreformen seit Ende der neunziger Jahre zeigt an, dass eine neue Phase begonnen hat, wobei sich die Richtung der Veränderungen mit den Schlagworten „Ökonomisierung“ und „Internationalisierung“ kennzeichnen lässt.

Der Begriff der Ökonomisierung verweist letztlich auf die Übertragung des New-Public-Management-Ansatzes auf die Universitäten. Deren Instrumente – Globalhaushalte, das Vereinen von Aufgabenwahrnehmung und Finanzverantwortung, Kosten-Nutzen-Rechnung, Mittelzuweisung nach Belastungs-, Funktions- und Leistungskriterien, Zielvereinbarungen und Berichtswesen (Controlling) – treten an die Stelle der bisher rechtssatzmäßig typisierten Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung. Die Ökonomisierung zeigt sich auch in der Organisation der Universität – etwa wenn das Landeshochschulgesetz von Baden-Württemberg den Rektor als Vorstandsvorsitzenden bezeichnet. Sie zeigt sich weiter in Regelungen, die der Universität ermöglichen oder sie verpflichten, zu ihrer Finanzierung durch Unternehmensgründungen oder  Patentanmeldungen beizutragen.

Die Internationalisierung manifestiert sich am spürbarsten im so genannten Bologna-Prozess. Er hat in Deutschland zur Umstellung sämtlicher Diplom- und Magisterstudiengänge auf eine neue Struktur mit den Abschlüssen Bachelor und Master geführt. Dieser Prozess, der 1998 mit der Sorbonne-Erklärung der Bildungsminister von Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien begann, mit der Bologna-Erklärung von 1999 seinen Namen fand und inzwischen auf mehr als 40 Teilnehmerstaaten angewachsen ist, zielt darauf,  „Europa zum weltweit stärksten wissensbasierten Wirtschaftsraum“ zu machen. Auch diese Internationalisierung erweist sich als Ausdruck einer ökonomischen Betrachtung der Universitäten als Dienstleister von global zu vermarktender Bildung und als Produzenten mobil einsetzbarer Arbeitskräfte. Sind Ökonomisierung und Internationalisierung die Zukunft der Universität? Ermöglichen sie die Stätten von Forschung und Lehre, die die globale Wissensgesellschaft braucht?

Die Rechtswissenschaft kann in dreierlei Weise zur Beantwortung dieser Fragen beitragen. Sie sichert die Anschlussfähigkeit der Reformen an die bestehende Rechtsordnung, indem sie diese an den verfassungsrechtlichen Vorgaben misst. Weil die bestehende Rechtsordnung stets auch eine durch kulturelle Erfahrung gewordene Rechtsordnung ist, kann sie einen Hintergrund bieten, vor dem die Änderungen ermessen und bewertet werden können. Sie kann schließlich die Stimmigkeit zwischen politischen Ziel- und Absichtserklärungen und rechtlichen Steuerungsmitteln prüfen. Aufgabe der Wissenschaft vom öffentlichen Recht ist es insbesondere, die Reformen im Lichte grundrechtlich geschützter Freiheiten einerseits, im Blick auf die Legitimation staatlichen Handelns andererseits zu analysieren.

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“, lautet Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes. Die darin enthaltene umfassende Wissenschaftsfreiheit steht in der Tradition der Paulskirchenverfassung von 1849, in der zum ersten Mal als Grundrecht festgehalten wurde „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ Schutzgegenstand war vor allem die Denk- und Lehrfreiheit an den Universitäten als Reaktion auf die Karlsbader Beschlüsse von 1819, in deren Folge die Lehre an den Universitäten staatlicher Kontrolle unterstellt und missliebige Professoren entlassen worden waren. Die Wissenschaftsfreiheit war „Grundrecht der deutschen Universität“, womit in erster Linie die Forschungs- und Lehrfreiheit der verbeamteten Hochschullehrer gemeint war.

Die einprägsame Formulierung inspirierte auch zur Annahme von Autonomiegarantien zugunsten der Universität als Institution. Bereiche der Selbstbestimmung der Universitäten gegenüber dem Staat entsprachen durchaus der Realität, waren dennoch stets prekär, weil die deutsche Universität, seit der Staat ihr Träger und Financier ist, stets ein Zwittergebilde zwischen autonomer und staatlicher Einrichtung war und ist.

Nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes sind alle Erscheinungen und Formen wissenschaftlichen Tuns vom Schutzbereich erfasst. Schutzgut ist die Eigengesetzlichkeit wissenschaftlichen Fragens, Experimentierens und Kommunizierens. Träger der Wissenschaftsfreiheit ist jede Person, die Wissenschaft betreibt innerhalb und außerhalb der Hochschulen. Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für juristische Personen, „soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“. Universitäten, gleichgültig ob in Rechtsformen des öffentlichen oder privaten Rechts, genießen danach als Stätten freier Forschung und Lehre Grundrechtsschutz. Für sie sind vor allem die organisationsrechtlichen Gehalte von Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht aus den so genannten objektivrechtlichen Garantien der Wissenschaftsfreiheit ableitet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nicht nur subjektive Rechte zur Abwehr staatlicher Freiheitsbeeinträchtigungen, sie stellen auch eine objektive Wertordnung auf, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts und insbesondere auch im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit gilt. „Eine solche Wertentscheidung enthält auch Art. 5 Abs. 3 GG. Sie beruht auf der Schlüsselfunktion, die einer freien Wissenschaft sowohl für die Selbstverwirklichung des Einzelnen als auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zukommt. … Sie schließt das Einstehen des Staates, der sich als Kulturstaat versteht, für die Idee einer freien Wissenschaft und seine Mitwirkung an ihrer Verwirklichung ein und verpflichtet ihn, …. schützend und fördernd einer Aushöhlung dieser Freiheitsgarantie vorzubeugen.“ (BVerfGE 35, 79, 115). Der Staat hat deshalb die Pflege der freien Wissenschaft durch Bereitstellung von personellen, finanziellen und organisatorischen Mitteln zu ermöglichen und  funktionsfähige Institutionen für einen freien Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung zu stellen (BVerfG, ebenda).

Richtet der Staat Universitäten ein und überträgt er ihnen die Aufgabe der Forschung und Lehre, die von Verfassungs wegen staatsfrei zu sein hat, so verlangt das rechtsstaatliche Konsequenzgebot einen Finanzierungsmodus, der wissenschaftlicher Selbstbestimmung Raum lässt. Dies bedeutet keine bedingungslose Optimalausstattung aus Steuergeldern, aber die Gewährung einer Grundausstattung, die es ermöglicht, Projekte zur Antragsreife zu bringen, um mit Aussicht auf Erfolg von dritter Seite weitere Mittel zu erhalten. Das Gesamtsystem der Drittmittelfinanzierung muss nach Geldgebern und Verfahren möglichst vielgestaltig sein, um Einseitigkeiten und Abhängigkeiten zu vermeiden.

Die damit postulierten Verpflichtungen des Staates zu Leistung in finanzieller und organisatorischer Hinsicht werden in der Person des einzelnen Wissenschaftlers subjektiviert zu Ansprüchen auf staatliche Maßnahmen, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraums unerlässlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen. Soweit die Universitäten oder ihre Untergliederungen selbst betroffen sind, können auch diese die organisatorischen Gehalte geltend machen.

Allerdings darf der praktische Wert dieser emphatisch formulierten Grundrechtsverbürgungen nicht überschätzt werden. Dem Bundesverfassungsgericht ist zuzustimmen, wenn es den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont und es ablehnt, dem Art. 5 Abs. 3 GG die Garantie einer spezifischen Gestalt der deutschen Universität zu entnehmen. Dafür gibt der Wortlaut nichts her.

In seiner neuesten Rechtsprechung zu Fragen der Hochschulorganisation (BVerfGE 111, 333 ff.) hat das Bundesverfassungsgericht die organisationsrechtlichen Anforderungen allerdings auf das Verbot einer „strukturellen Beeinträchtigung“ von Forschung und Lehre zurückgenommen. Aus der positiven Pflicht, eine wissenschaftsadäquate Organisation zu schaffen, ist negativ das Verbot geworden, eine Organisation zu schaffen, die Wissenschaft „strukturell“ behindert. Freiheitsfördernde und freiheitsverkürzende Organisationsgesetzgebung vermengen sich an diesem Maßstab ununterscheidbar, weil er keine Differenzierung verlangt zwischen dem positiven Zweck, die Freiheit und Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft zu fördern, und anderen Zwecken, namentlich marktgerechte Ausbildung, Verwertung von Forschungsergebnissen, effektiver Mitteleinsatz. Diese Zwecke darf der Gesetzgeber durchaus verfolgen. Sie sind jedoch eingreifender Natur und mit dem Zweck der Wahrung und Förderung der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft abzuwägen. Der Maßstab der strukturellen Gefährdung ist als Leerformel dafür  unbrauchbar. 

Angesichts dieser Entwertung der organisationsrechtlichen Gehalte der Wissenschaftsfreiheit für die Universitäten ist es an der Zeit, die bisher vernachlässigten Garantien der Hochschulautonomie in den Verfassungen der Bundesländer auf einen etwaigen Mehrwert zu befragen. Der Begriff der Selbstverwaltung regelt die Kompetenzverteilung zwischen Hochschule und Staat auch, soweit Forschung und Lehre nicht unmittelbar betroffen sind. Insoweit enthalten die landesrechtlichen Garantien der Hochschulautonomie die prinzipielle Zuordnung aller mit dem Betrieb einer Universität verbundenen Aufgaben zur Erledigung durch die Hochschule selbst „im Rahmen der Gesetze“.

Derartige Gesetze müssen sich auf einen guten und gewichtigen Grund stützen. Einige landesrechtliche Regelungen enthalten zudem spezifische Organisationsvorgaben, etwa die Beteiligung der Studierenden an der Selbstverwaltung oder auch die Beteiligung aller Gruppen. Die Garantie einer Selbstverwaltung, die „dem besonderen Charakter der Hochschulen entspricht“, enthält ebenfalls Vorgaben für die Art und Weise der Selbstverwaltung. 

Hierbei kann mit dem besonderen Charakter neben dem positiv verstandenen Organisationsgehalt des Art. 5 Abs. 3 GG zusätzlich die Orientierung an dem Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts gemeint sein, woraus sich eine Präferenz für eine am mitgliedschaftlichen Charakter ausgerichtete Selbstverwaltung ergibt. Eine solche Orientierung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Körperschaftsstatus landes(verfassungs)rechtlich geregelt wwist. Damit kommt den  landesrechtlichen Garantien der Hochschulautonomie durchaus eine eigene präzisierende Bedeutung für die Verteilung der Kompetenzen zwischen Staat und Hochschule wie für die innere Organisation zu, die in der Praxis bisher nicht hinreichend Beachtung gefunden hat.

Das Verhältnis zwischen der Hochschulautonomie mit ihren Grundlagen in der Wissenschaftsfreiheit lässt sich in eine Drei-Sphären-Struktur fassen: Es ist zu unterscheiden zwischen den akademischen Angelegenheiten, den staatlichen Angelegenheiten und den gemeinsamen Angelegenheiten. Zu den staatlichen Angelegenheiten zählten herkömmlich etwa die Personal-, Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzverwaltung. Selbstbestimmung der Universitäten bzw. ihrer Untergliederungen gelten für das Satzungsrecht in akademischen Angelegenheiten, für die Forschungs- und Lehrplanung sowie für die Entscheidungen in Promotions- und Habilitationsverfahren. Zum Bereich gemeinsamer Verantwortung werden die Ordnung des Studiums und der Prüfungen, die Errichtung, Änderung und Aufhebung wissenschaftlicher Einrichtungen sowie die Bestellung des Rektors gezählt.

Insgesamt sind die Abgrenzung der Sphären und die Zuordnung einzelner Aufgaben nicht unveränderlich. Die mit der erklärten Absicht durchgeführten Reformen, die Autonomie der Universitäten und auf diese Weise den Wettbewerb zwischen ihnen zu steigern, muss sich notwendig in einer Neustrukturierung der genannten Sphären niederschlagen.

Versteht man Autonomie strikt als Kategorie für die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Universität und Staat, so hat die Verlagerung von Befugnissen zwischen den Hochschulorganen nichts mit einer Autonomiesteigerung oder -minderung zu tun. Mehr Autonomie für die Universitäten muss deshalb keineswegs mit größerer Freiheit bzw. Autonomie für die einzelnen Wissenschaftler oder universitären Untergliederungen einhergehen. Die Umgestaltung der Universitäten nach dem Modell des New-Public-Management zeigt sich in Veränderungen der Art und Weise staatlicher Finanzierung sowie der Organisationsstrukturen.

Wesentliches Element des neuen Steuerungsmodells ist die Einführung von Globalhaushalten. Der Autonomiegewinn liegt für die Universitäten auf der wSeite der iMittelverwendung, da die sachliche und zeitliche Bindung an einen detailgenauen Landeshaushaltsplan entfällt. Die beflügelnde Wirkung dieser Maßnahme verpufft allerdings, wenn die Einführung der Globalhaushalte mit Mittelkürzungen verbunden wird. Mit dem Zuwachs an Autonomie wird dann vor allem der schwarze Peter an die Universitäten abgegeben, die Mittelkürzungen zu verantworten. Ein Beispiel dafür, dass universitäre Autonomie nicht notwendig die tatsächlichen Bedingungen freier Forschung und Lehre verbessert.

Im Zusammenhang mit Globalhaushalten treten an die Stelle der früheren haushaltsrechtlichen Mittelverwendungskontrolle Hochschulverträge oder Zielvereinbarungen. Damit wird das zuvor in akademische und staatliche Teilakte gegliederte und gesetzlich bestimmte Verfahren der Mittelbereitstellung und -verwendung in den Bereich des staatlich-universitären Zusammenwirkens verlagert und ein ergebnisorientierter Planungsprozess befördert. Das Problem dieser vertraglichen Verknüpfung von Mittelzuweisungen und erfolgsorientierter Aufgabenerfüllung ergibt sich aus der strukturell überlegenen Position des Ministeriums. Der Vertrag als kooperative Handlungsform geht aber von einem Gleichgewicht zwischen den Vertragspartnern aus und enthält dementsprechend keine Ausgleichsmechanismen für Machtgefälle.

Die strukturell schwache Verhandlungsposition der Universitäten wird offensichtlich, wenn im Falle des Scheiterns die Mittelzuweisungen einseitig vom Ministerium festgesetzt werden können. Die Gefahr, dass Ressourcen nicht der Universität zur autonomen Aufgabenerfüllung zur Verfügung gestellt, sondern zu ihrer Steuerung benutzt werden, ist offenkundig. Rechtliche Grenzen ergeben sich, abgesehen davon, dass der Vertragsinhalt sich im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben der Universitäten bewegen muss, allein aus der Wissenschaftsfreiheit. Unzulässig sind Vereinbarungen, die unmittelbar Forschungsfragen oder Lehrmethoden zum Gegenstand haben.

Hinsichtlich der Höhe der Mittelzuweisung ergibt sich eine untere Grenze aus dem Anspruch auf funktionsgerechte Grundausstattung, so dass im Ergebnis nur ein verhältnismäßig geringer Anteil leistungs- bzw. ergebnisbezogen flexibel vereinbart werden kann. Außerhalb dieser Grenzen hängt der Zuwachs an Autonomie von der inhaltlichen Zurückhaltung der staatlichen Seite und vom Verzicht auf bürokratische Steuerungsmittel ab. Solange die Landeshochschulgesetze dem Staat die Entscheidung in Fragen der strategischen Ausrichtung und Profilbildung überlassen, die gleichzeitig durch fachaufsichtliche Weisungen wie durch Zielvereinbarungen durchgesetzt werden können, kann von Wettbewerb zwischen autonomen Universitäten nicht die Rede sein.

Während im bürokratischen Modell die Mittelverwendung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft wird, findet im Falle von Globalhaushalten und Zielvereinbarungen eine Überprüfung der Zielerreichung statt. Systemkonforme Kontrollmittel sind entsprechende Berichtspflichten. Im Falle leistungsbezogener Mittelzuweisungen bedarf es der Leistungsbewertungen. Ein weiterer Baustein des neuen Steuerungsmodells sind daher Evaluationen. Ihnen kommen allerdings nach den verschiedenen Landeshochschulgesetzen sehr unterschiedliche Funktionen zu: Sie reichen vom universitätsinternen Optimierungsinstrument über die Herstellung von Transparenz für die Öffentlichkeit bis hin zum ressourcenwirksamen Kontrollinstrument.

Derartige Evaluationen sind im Lichte der Wissenschaftsfreiheit, die Forschung und Lehre von inhaltlicher Bewertung durch staatliche Stellen freistellt, nicht kategorisch verboten, weil sie sich nicht direkt auf Inhalte und Methoden richten, sondern anhand verschiedener quantitativer und qualitativer Kriterien Effizienz und Effektivität, Produktivität und Wirkung von Forschungs- und Lehrleistungen messen. Bereits die Verpflichtung zur Rechenschaftslegung, noch mehr ressourcenwirksame Evaluationskriterien beeinträchtigen jedoch die  Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft. Dieser Eingriff lässt sich zwar durch die mit ihm verfolgten legitimen Zwecke, insbesondere die Sicherung der Aufgabenerfüllung, rechtfertigen, unterliegt jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wissenschaftsadäquate Bewertungskriterien und Bewertungsverfahren, die Ausrichtung der Evaluationen auf den jeweils verfolgen Zweck und eine zweckgerechte Aufbereitung der Ergebnisse sind sicherzustellen.

Wegen der Grundrechtsrelevanz muss zudem der Gesetzgeber Evaluationen in den wesentlichen Strukturen selbst regeln, d. h. in Bezug auf den Zweck, das Evaluationspersonal, das Verfahren zur Festsetzung der  Kriterien, die Durchführung, die Periodizität und den Datenschutz. Bisher fehlt es in den meisten Hochschulgesetzen an hinreichenden gesetzlichen Grundlagen. Angesichts der Gefahr von Fehlanreizen durch Evaluationen unterliegt die Verwendung dieses Instruments zudem in besonderer Weise der Beobachtungspflicht.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass mit dem neuen Finanzierungsmodell den Universitäten vor  allem ein Flexibilitätsgewinn bei der Mittelverwendung zugewachsen ist. Das Steuerungsmittel der Zielvereinbarung ist dagegen am Maßstab der universitären Autonomie höchst ambivalent. Da die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft in einem latenten Spannungsverhältnis zu Evaluationen steht, bedürfen diese, insbesondere wenn sie als ressourcenrelevantes Steuerungsinstrument eingesetzt werden, ständiger Beobachtung auf mögliche Fehlanreize.

Mit dem Hochschulrahmengesetz von 1999 entfielen die bundesrechtlichen Vorgaben für die Organisation der Hochschulen nach dem körperschaftlichen Modell der Gruppenuniversität. Die Landesgesetzgeber nutzten diesen Freiraum, um das neue Steuerungsmodell auch organisatorisch abzustützen. Während das New-Public-Management-Instrumentarium in der unmittelbar staatlichen Verwaltung zu einer am Bürger orientierten Bündelung von Befugnissen nach unten geführt hat, bewirkt derselbe Ansatz in Bezug auf die körperschaftlich organisierte, in Gremien entscheidende Gruppenuniversität eine bisher nicht gekannte Straffung und Hierarchisierung der Organisation.

Die mit dem neuen Steuerungsmodell notwendig gewordenen Entscheidungen über die Mittelverwendung, die Schwerpunktsetzung mit Folgen für Berufungen, das Controlling (Berichtswesen) sind zu Aufgaben der universitären Leitungsorgane geworden. Die Gremien wurden vielfach auf Informations- und Kontrollrechte beschränkt, während Entscheidungsbefugnisse entfielen. Während die Zentralebene gegenüber der Fakultätsebene an Einfluss gewonnen hat, ist letztere mit neuen Verwaltungs- und Berichtspflichten belastet. Die Hierarchisierung hat auch vor der inneren Struktur der Fakultäten nicht Halt gemacht: Die Verlagerung von bisherigen Zuständigkeiten des Fakultätsrats auf den Fakultätsvorstand ist ein Beispiel dafür.

Die oben dargelegten verfassungsrechtlichen Vorgaben haben diesen Veränderungen wenig entgegenzusetzen. Die Pflicht des Gesetzgebers zu wissenschaftsadäquater Ausgestaltung lässt einen großen Gestaltungsspielraum. Zwar lässt sich die Pflicht konkretisieren zu einer Kompetenzverteilung nach den Kriterien von Sachverstand und Betroffenheit. Auch ist Kooperation einer freien Forschung und Lehre förderlicher  als Hierarchie. Nach der neuesten Rechtsprechung  des Bundesverfassungsgerichts ist verfassungsrechtlicher Maßstab aber nur, ob den wissenschaftlich tätigen  Universitätsangehörigen die Möglichkeit freier Forschung und Lehre bleibt. Dies lässt sich wohl nicht bezweifeln.

Ein weiteres Element der neuen Organisationsstruktur sind die Hochschul- bzw. Universitätsräte. Sie sind teils als Beratungs-, teils als Aufsichtsgremium, teils als Organ für strategische Entscheidungen konzipiert. Gemeinsames Merkmal bei allen landesrechtlichen Unterschieden ist die Besetzung dieses Organs (zumindest auch) mit universitätsexternen Mitgliedern. Die externen Mitglieder kommen zum größten Teil aus der Wirtschaft. Damit erweist sich auch diese Einrichtung als ein Baustein der Ökonomisierung der Universitäten, indem Sachverstand aus der Wirtschaft in die Universitäten geholt und indem die Universitäten auf diese Weise für die Anforderungen der Wirtschaft sensibilisiert werden.

Besonders weit reichen die Befugnisse des so genannten Aufsichtsrats nach dem Landeshochschulgesetz von Baden-Württemberg (§ 20 LHG). Die meisten dieser Befugnisse liegen im Bereich der planerischen Abstimmung von Aufgaben und Ressourcen. Dabei kommt es im Universitätsrat zu einer organisatorischen Vermischung von Verantwortungssphären, die mit den herkömmlichen Kriterien von grundrechtlicher Freiheit und Autonomie auf der einen Seite, staatlicher Verantwortung und Legitimation auf der anderen Seite, nicht zu entwirren ist.

Im Lichte des Autonomiekriteriums zeigt sich das Problem in der Weise, dass die Übertragung von bisher staatlichen Entscheidungsbefugnissen auf einen mit  Externen besetzten Universitätsrat zwar formal zu einem Zuwachs an Autonomie für die Universitäten führt,  da ein Universitätsorgan mit Befugnissen ausgestattet wird. Ein materieller Autonomiezuwachs im Sinne einer Steigerung der grundrechtlich legitimierten Selbstbestimmung tritt dagegen im Falle einer Mehrheit  von externen Mitgliedern gerade nicht ein. Der Staat gibt Verantwortung ab, ohne sie den Universitäten  im eigentlichen Sinne zu übertragen. Dies ist umso  prekärer als die demokratische Legitimation der externen Vertreter regelmäßig schwach ist. Ohne den Wert, den die Erfahrung und der Rat externer Mitglieder für die Universitäten haben, anzuzweifeln, drängt sich die Antwort auf die Frage, auf welcher Legitimationsgrundlage sie in Angelegenheiten der Universität entscheiden und vor wem sie sich dafür zu verantworten haben, nicht auf.

Ob der Bologna-Prozess die oben dargelegten Ziele erreicht, ist ungewiss und bleibt abzuwarten. Aus rechtlicher Sicht verblüfft die Diskrepanz zwischen Rechtsverbindlichkeit und tatsächlicher Wirkung. Wie schon die Zahl der Teilnehmerstaaten zeigt, handelt es sich nicht um einen gemeinschaftsrechtlichen, sondern um einen völkerrechtlichen Prozess. Die Absprachen sind rechtlich als Selbstverpflichtungen einzuordnen, deren Einhaltung allein durch das gleichgerichtete Interesse getragen ist. Dieser Prozess wird mit erheblichen finanziellen Mitteln von der EG unterstützt.

Faktisch zielt er auf Rechtsharmonisierung in einem Bereich, auf den durch die Freiheiten des europäischen Binnenmarkts sowie das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit ein erheblicher Harmonisierungsdruck ausgeht, den der EG-Vertrag aber ausdrücklich in der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten belassen hat. Die faktische Äquivalenz mit der Binnenmarktharmonisierung zeigt sich an den Instrumenten, die im Bologna-Prozess zum Einsatz kommen: Standardisierung, Akkreditierung, Zertifizierung und Produktinformation sind aus dem europäischen Produktsicherheitsrecht wohlbekannt.

Da es sich bei der Standardisierung um rein formale Vorgaben handelt, ist die Lehrfreiheit inhaltlich  nicht berührt. In ihrer Tendenz, Qualität durch Quantitäten abzubilden (Leistungspunkte) und in kurzer Zeit einen ersten berufsbefähigenden Abschluss zu vermitteln, leistet sie allerdings einer Verschulung Vorschub. Dem sich daraus ergebenden Druck auf Inhalte und Methoden hat die Lehrfreiheit nur die Freiheit der  Lehrenden entgegenzusetzen, an ihren Standards festzuhalten. 

Zieht man ein Fazit, so lässt sich festhalten: Die unter der Agenda „mehr Autonomie und Wettbewerb“ durchgeführten Reformen dienen dazu, den ökonomischen Nutzen der Universitäten zu steigern. Dem setzt Art. 5 Abs. 3 GG die Verfassungsrecht gewordene  kulturelle Erfahrung von der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft als Wert an sich entgegen. Dies ist Anlass für die Rechtswissenschaft, die Angleichung der  verschiedenen Handlungsrationalitäten von Wissenschaft und Wirtschaft schon weit im Vorfeld handfester Freiheitsverletzungen mit Skepsis zu betrachten und  zu kritisieren. Abschlüsse mögen sich bis zu einem  gewissen Grad in standardisierten Formen produzieren lassen. Aber Kreativität braucht Freiheit, und die globale Wissensgesellschaft braucht Kreativität.

Prof. Dr. Ute Mager studierte Rechtswissenschaft in Kiel, Lausanne und an der Freien Universität Berlin, wo sie im Anschluss an das Referendariat promoviert wurde und sich habilitierte. Nach Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Mainz und Bielefeld ist sie seit 2004 Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Heidelberg, seit 2006 Studiendekanin und seit 2007 Direktorin des Zentrums für anwaltsorientierte Ausbildung. Ihr Forschungsinteresse gilt dem Deutschen und Europäischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht.
Kontakt: ute.mager@jurs.uni-heidelberg.de


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