Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
vornehmliches Ziel einer Universität ist das Wissen um die Welt im Allgemeinen und den Menschen im Speziellen. Meist sind wir dabei über einen winzigen Aspekt dieses großen Werkes gebeugt, nur selten für einen Überblick aufschauend. Die nachfolgenden Sätze sind ein solch kurzes Aufschauen, Reflexionen der Frage: Gibt es letztendliche Grenzen für dieses Wissen?
1 Das Wissen um die Welt, die Gesellschaft, den Menschen wächst schnell, explodiert geradezu.
1.1 Wir verstehen beispielsweise zunehmend die molekulare Grundlage von Entstehen und Vergehen unseres Lebens oder erhalten Einblicke in die physiologische Basis von Wahrnehmung, Denken, Intuition. Letzteres erlaubt es, wenn auch noch naiv, Fragen wie die nach der Freiheit unseres Willens aus ganz neuer Perspektive zu beleuchten.
1.2 Die Umwelt wurde bis vor kurzem als statischer Rahmen für unser Leben wahrgenommen. Heute erkennen wir sie als hoch komplexes System, das sich in einem delikaten Gleichgewicht befindet, eben dadurch aber die Entwicklung von Leben, und von Kultur, befördert. Gerade jetzt befinden wir uns in einer kritischen Phase: Während die natürlichen Schwankungen der Umwelt über die Entwicklungsgeschichte der Menschheit äußere Faktoren waren, kommen wir nun in einen zunehmend engeren Tanz, in dem die Rolle der Führung nicht mehr so klar ist.
1.3 Bis vor kurzem gehörte Leben jenseits unseres Sonnensystems ins Reich der Phantasie, beschäftigte nur Science Fiction-Begeisterte. Neue astronomische Beobachtungsmethoden wiesen nun aber Hunderte von Planeten in anderen Sonnensystemen nach, vor kurzem auch den ersten mit erdähnlichen Eigenschaften. Ist die Entdeckung von Spuren von Leben in anderen Welten nur eine Frage der Zeit? Wahrscheinlich, gut denkbar ist sie jedenfalls bereits.
2 Jeder Mensch kann eine begrenzte Menge von Information (i) mit seiner Umgebung austauschen, (ii) verarbeiten, insbesondere verdichten, und (iii) erinnern.
2.1 Optimieren dieser drei Aktivitäten ermöglicht die Zunahme von Wissen.
2.1.1 So sind Sprachen entstanden – natürliche, Mathematik, Musik,… – mit denen wir große Mengen von Wissen, Empfinden, Verstehen verdichten und damit effizient austauschen können. Das Erlernen dieser Sprachen ist aber schwer und konsumiert einen Teil der „Verarbeitungskapazität“.
2.1.2 Analoges gilt beim Erinnern, wo wir einerseits zunehmend verdichtete Information speichern, sie anderseits mit äußeren Speichern wie Schriften und Datenbanken austauschen.
2.2 Die drei Aktivitäten konkurrieren miteinander.
2.3 Fortschritt entsteht dadurch, dass (i) eine richtige (produktive) Frage gestellt, (ii) diese in großer Tiefe und Breite behandelt, (iii) das Erkannte auf seine Essenz verdichtet und (iv) weitergegeben wird.
2.3.1 Nicht die großvolumigen, detailverliebten Abhandlungen sind es, die wir letztlich benötigen, sondern die
kurzen, klugen Kondensate, die den Lesenden, im Vertrauen auf die Professionalität der Schreibenden, einen großen Schritt ermöglichen.
2.3.1.1 Newtons 1687 veröffentlichtes dreibändiges Monumentalwerk Philosophiæ Naturalis Principia Mathematica wurde auf vier einfache Aussagen verdichtet: drei Newton’sche Sätze und das Gravitationsgesetz.
2.3.2 Fortschritt bedingt zurücklassen; vergessen von als nicht-essenziell Erkanntem.
2.4 Entlang produktiver Linien haben sich Paradigmen und Sprachen entwickelt – Disziplinen –, die einen schnellen Fortschritt ermöglichen.
2.4.1 Über Disziplinen hinweg kann nur auf seine Essenz verdichtetes Wissen effizient ausgetauscht werden. Das ist der übergeordnete Wert einer Disziplin.
2.4.2 Zwischen den Disziplinen ist weitgehend terra incognita. Dies berührt eine Reihe großer Fragen, von der Funktion unserer Umwelt bis zur Natur unseres Seins.
3 Zusammenhänge, die (i) nicht hierarchisch strukturiert sind – nicht auf eine Essenz reduzierbar – und (ii) zu umfassend für eine Gruppe mit gemeinsamer Sprache, solche Zusammenhänge sind jenseits des uns zugänglichen Wissens.
Notwendig kurz grüße ich Sie herzlich
Kurt Roth, Prorektor
Seitenbearbeiter:
E-Mail