Tausendfache Geruchsfänger
Wie das Riechsystem Informationen verarbeitet
von Stephan Frings
Die Evolution hat sich während der Entwicklung des Menschen für das Sehen und weniger für das Riechen entschieden. Nichtsdestotrotz ist auch die menschliche Nase ein tausendfacher Geruchsfänger und imstande, höchst komplexe Duftmischungen wahrzunehmen. Was auf molekularer Ebene geschieht, wenn wir riechen, ist nach wie vor ein Rätsel. Eine Schlüsselrolle scheinen die Duftstoffrezeptoren zu spielen. Sie sitzen in den Membranen von Sinneshärchen, die gebündelt zu einem Schopf aus dem Riechepithel der Nase herausragen. Die zierlichen Haarbüschel stellen den Kontakt zur Außenwelt her, empfangen chemische Duftbotschaften – und wandeln sie mithilfe zahlloser Proteine in elektrische Reize um.
Hunde verblüffen immer wieder mit ihrer geradezu unheimlichen Riechfähigkeit. Sie folgen Geruchsfährten über lange Strecken, erschnüffeln Substanzen in scheinbar fest verschlossenen Behältern – sogar, ob ein Mensch krank ist oder Angst hat, können Hunde riechen.
Ein Hund, der seinen Rundgang durch die Nachbarschaft macht, gleicht einem Menschen, der neugierig die Zeitung liest: Was gibt es Neues? Wer ist unterwegs? Was ist passiert? All diese komplexen Informationen sind dem Hund zugänglich, weil er chemische Signale dechiffriert, die er auf Wegen, an Bäumen und Laternen findet. Dem Menschen ist diese Erlebniswelt versperrt, wohl deshalb, weil er sich seine Informationen über das soziale Umfeld vor allem visuell beschafft. Gegenüber dem Sehen hat das Riechen beim Menschen an Bedeutung verloren. Doch auch die Nase des Menschen ist ein leistungsfähiges Sinnesorgan, das höchst komplexe Duftmischungen erkennen und zum Gehirn weiterleiten kann.
Was auf molekularer Ebene geschieht, wenn Menschen und andere Säugetiere riechen, ist in den vergangenen 20 Jahren vor allem an Ratten und Mäusen erforscht worden. Diese Tiere haben ein ausgezeichnetes Riechvermögen, und sie können sowohl mit molekularbiologischen als auch mit verhaltensbiologischen Methoden untersucht werden. Unsere von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Wissenschaftlergruppen im Interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften der Universität Heidelberg interessiert, wie das Riechsystem Informationen verarbeitet. Dazu messen wir bestimmte Leistungen des Riechsystems, etwa das Unterscheiden von Duftstoffen oder die Geschwindigkeit der Geruchserkennung, und versuchen herauszufinden, welche molekularen Mechanismen sich während dieser sensorischen Leistungen in den Nervenzellen (Neuronen) des Riechsystems ereignen.
Die Riechzellen in der Nase sind die erste Ebene des Riechsystems. Riechzellen detektieren Duftstoffe in der Atemluft, und sie erzeugen elektrische Signale, die das Gehirn zur Geruchswahrnehmung verwenden kann. Die Lage von Nasenhöhle und Gehirn bei einer Maus, die chemosensorischen Organe der Nasenhöhle und die Riechsinneszellen im Nasenepithel zeigt die Abbildung auf Seite 6 links. In der Nasenhöhle finden sich mehrere chemosensorische Organe, mit denen die Tiere ihre Umwelt erfassen. Das größte dieser Organe ist das Riechepithel (olfaktorisches Epithel) im hinteren Bereich der Nasenhöhle. Das Epithel bedeckt ein kompliziertes System aus Strömungskörpern und erreicht dadurch eine sehr große Gesamtfläche. Das Riechepithel ist der einzige Ort des Körpers, wo Neurone durch die Oberfläche hindurch zur Außenwelt gelangen: Die Riechzellen (olfaktorische Rezeptorneurone) schieben dazu ihre Dendriten (kurze Fortsätze) bis zur Gewebeoberfläche und strecken einen Schopf feiner Sinneshärchen, sogenannte chemosensorische Cilien, aus der Oberfläche heraus. Ein einzelnes Cilium hat einen Durchmesser von circa 0,1 Mikrometer. An diese feinen Härchen binden Duftstoffe, wodurch eine Reaktionskette ausgelöst wird, die letztlich zu einem elektrischen Signal führt. Über die langen Fortsätze (Axone) der Riechzellen werden die elektrischen Signale an die erste Verarbeitungsstelle im Gehirn geleitet. Das ist der Riechkolben oder „Bulbus olfactorius“.
Die Riechzellen sind in der Nasenhöhle ständig der Außenwelt ausgesetzt. Das scheint ihnen allerdings nicht gut zu bekommen, denn sie sterben schon nach wenigen Wochen ab und werden durch neue Riechzellen ersetzt. Das Riechepithel ist damit eines der wenigen Nervengewebe, das sich ständig aus Stammzellen erneuert.
Die Frage, die wir uns stellen, lautet: Wie wird aus einer chemischen Information (Duftstoff) ein elektrisches Signal? Kurz: Wie funktioniert eine Riechzelle?
In die Membran der Cilien von Riechzellen sind spezielle Rezeptorproteine eingelagert. Damit werden Duftstoffe detektiert: Die Duftstoffe binden an die Rezeptoren und aktivieren die Riechzelle. Eine Ratte verfügt über 1200 verschiedene Rezeptorproteine, Hunde besitzen 900 und Menschen 380. Eine sehr große Genfamilie – die weitaus größte Genfamilie im Erbgut der Säugetiere – stellt die Informationen für den Bau der Rezeptorproteine durch die zuständigen zellulären Proteinproduktionsstätten bereit. Nahezu jedes Chromosom enthält Bereiche mit mehreren Duftstoffrezeptor-Genen, sogenannte Gencluster (siehe Grafik auf Seite 6 rechts). All diese Gene entstammen vermutlich einem einzigen Duftstoffrezeptor-Gen. Sie haben sich im Laufe der Evolution fast über das gesamte Erbgut (Genom) ausgebreitet. Als Motor für diesen Prozess wirkt ein Selektionsvorteil, den die große Rezeptorvielfalt mit sich bringt: das Erkennen und Unterscheiden von Gerüchen.
Das Riechsystem der Maus besteht aus mehreren chemosensorischen Organen in der Nasenhöhle (a,b). Das größte dieser Organe ist das olfaktorische Epithel (OE). Es leitet Geruchsinformationen an den Riechkolben (Bulbus olfactorius, BO) des Gehirns weiter. Mit dem vomeronasalen Organ (VNO) nimmt die Maus Signalstoffe auf. Die Funktion des Grünebergganglions (GG) und des Septalorgans (SO) ist noch nicht genau verstanden. Der Gewebeschnitt durch das olfaktorische Epithel (c) zeigt grün gefärbte Riechzellen. Zu erkennen sind die Zellkörper (S), Dendriten (d), Cilienköpfe (k) und die chemosensorischen Cilien (c). Am unteren Ende der Zellen sind die Nervenfortsätze (Axone, a) zu sehen, die das Ausgangssignal zum Gehirn leiten. Die schematische Darstellung (d) zeigt verschiedene Zelltypen des olfaktorischen Systems.
|
Erst bei den Primaten hat die Auffächerung der für
das Riechen zuständigen Gene aufgehört. Während der
Entstehungsgeschichte der Menschen ist schließlich ein Großteil der
Duftrezeptor-Gene (52 Prozent) zu funktionslosen Pseudogenen verkommen,
und es scheint, dass unsere Riechwahrnehmung umso mehr an Bedeutung
verloren hat, je wichtiger das Sehen – insbesondere das Farbensehen –
für unsere Wahrnehmung wurde.
Ein großes
Rätsel der Riechforschung ist, wie die für die Duftstoffrezeptoren
zuständigen Gene reguliert werden. In jeder Riechzelle wird nämlich nur
ein einziges Dufstoffrezeptor-Gen aktiviert – die vielen hundert
anderen Gene kommen gar nicht zum Zug. Wie aber wird das Gen
ausgesucht, dessen Information abgelesen werden soll? Und wie werden
die an- deren Dufstoffrezeptor- Gene desselben Chromosoms und die Gene
auf den anderen Chromosomen blockiert?
Auf fast allen Chromosomen des Menschen finden sich Gene für Duftstoffrezeptoren (rote Bänder). Alle Rezeptoren haben die gleiche Grobstruktur, in ihrer Feinstruktur unterscheiden sie sich jedoch erheblich: Jeder Rezeptor erkennt einen anderen Duftstoff.
|
Diese Grundfragen des Richens sind noch immer
unbeantwortet. Was wir wissen ist, dass jede Riechzelle nur einen
einzigen Typ von Duftstoffrezeptoren ausbildet. Da jeder Rezeptortyp
ein anderes Spektrum von Duftstoffen bindet, reagiert auch die
Riechzelle nur auf bestimm- te Duftstoffe, auf andere aber nicht. Doch
nicht nur für die Riechzelle als solche, sondern auch für das geordnete
Verkabeln der Riechzellenfortsätze mit dem Gehirn sind die
Duftstoffrezeptoren wichtig: Die Axone aller Riechzellen, die den
gleichen Rezeptortyp tragen, werden im Riechkolben zusammengeführt
(siehe Abbildung auf Seite 7 links) und mit den gleichen
weiterführenden Neuronen, den „Mitralzellen“, verschaltet. Jede
Mitralzelle wird damit zuständig für das Weitergeben sensorischer
Informationen, die von Riechzellen gleicher Selektivität geliefert
werden. Das Zusammenführen dieser Informationen lässt im Riechkolben
eine räumliche Abbildung des Geruchs entstehen: Jeder Geruch erzeugt
ein einzigartiges Aktivitätsmuster der Mitralzellen. Nach unserer
heutigen Vorstellung wird dieses Muster vom Gehirn selektiert und zu
einer Geruchswahrnehmung verarbeitet.
Die Abbildung zeigt die Verbindung der Nase zum Gehirn. Riechzellen mit gleichem Rezeptortyp sind über das gesamte Riechepithel verstreut, schicken aber Nervenzellfortsätze zur selben Stelle im Riechkolben. Dort wird das Signal von speziellen Hirnzellen (Mitralzellen) übernommen. Sie leiten die Information an höhere Hirnzentren weiter. Die Orte, wo jeweils einige Tausend Riechzellaxone mit einer Mitralzelle verschaltet sind, heißen Glomeruli.
|
Damit dies geschehen kann, müssen aus chemischen
Reizen elektrische Signale werden. Auch dabei kommt den
Duftstoffrezeptoren eine Schlüsselrolle zu. Wenn sie von einem
Duftstoff aktiviert werden, folgt eine Kaskade weiterer Signale:
Zunächst wird ein weiteres Protein aktiviert, die „Adenylatzyklase“ in
der Cilienmembran der Riechzelle.
Daraufhin entsteht in den Cilien ein Botenstoff, cAMP. Damit ist das
Signal von außen, von der Atemluft, in das Innere der Cilien geleitet
worden. Was danach geschieht, ist erst in groben Zügen bekannt: Es
öffnen sich zwei Arten von Ionenkanälen, die einen lassen Kalzium in
die Cilien einströmen, die anderen leiten Chlorid aus den Cilien
heraus. Dies führt zur elektrischen Erregung der Riechzelle, die sodann
ein elektrisches Signal an ihre Mitralzelle schickt. Bei der hier
geschilderten Abfolge von Reaktionen handelt es sich um ein einfaches
Arbeitsmodell, das uns hilft, Experimente zu planen und Ergebnisse zu
interpretieren. In Wirklichkeit sind an dem gesamten
„Signaltransduktionsprozess“ sehr viel mehr Komponenten beteiligt. Die
Wechselwirkung all dieser Komponenten gewährleistet die Funktion der
Riechzelle. Und genau diese Komponenten gilt es zu verstehen, will man
verstehen, wie eine Riechzelle arbeitet.
In den winzigen Cilien der Riechzellen (links außen) werden Duftstoffsignale verarbeitet und übertragen. Die Grafik zeigt ein Modell der komplexen molekularen Ereignisse, die folgen, nachdem ein Duftstoff an seinen Rezeptor (R) gebunden hat.
|
Um mehr darüber zu erfahren, haben wir zunächst
Inventur gemacht und festgestellt, welche Proteine eigentlich in den
Cilien vorhanden sind. Gemeinsam mit den Wissenschaftlern des
proteinanalytischen Zentrallabors im Deutschen Krebsforschungszentrum
in Heidelberg haben wir nicht nur untersucht, welche Proteine sich in
den Cilien finden lassen, sondern auch, welche Rolle sie während des
Transduktionsprozesses spielen. Dabei ist ein kompliziertes Netzwerk
von mehreren hundert Proteinen zu Tage getreten. Sie alle sind an der
Feinregulation der Signaltransduktion beteiligt. Darüber hinaus haben
wir in den Cilien eine Reihe von Proteinen gefunden, die Schadstoffe
aus der Atemluft unschädlich machen. Solche
„Biotransformations-Proteine“ brauchen Riechzellen, um in ihrer
ungeschützten Lage an der Körperoberfläche wenigstens einige Wochen
lang überleben zu können.
Riechzellen sind sehr klein. Um von ihnen oder ihren Ionenkanälen elektrische Signale abzuleiten, werden winzige Elektroden auf die Riechzelle gesetzt. Die Elektrode registriert selbst kleinste Stromsignale, spezielle Messgeräte werten die Signale aus.
|
Die Cilien der Riechzellen, das zeigen unsere Untersuchungen, sind
hoch spezialisierte Organellen, die fähig sind, chemische Reize in
elektrische Signale umzuwandeln. Doch welche Proteine genau sind es,
die das sensorische Signal verarbeiten? Wir versuchen diese Frage zu
beantworten, indem wir alle beteiligten Proteine identifizieren und
anschließend herausfinden, wie sich diese Proteine gegenseitig
kontrollieren. Die-ser biochemische Ansatz führt zu immer
detaillierteren molekularen Funktionsmodellen, anhand derer man die
Vorgänge in den Cilien aufschlüsseln kann. Ein zweite grundlegende
Frage ist, wie die Riechzelle auf einen Geruchsreiz reagiert. Dies
untersuchen wir mithilfe elektrophysiologischer Methoden. Die
elektrischen Signale der Riechzellen werden dazu mit Mikroelektroden
abgeleitet und auf dem Bildschirm sichtbar gemacht. Besonders
interessant ist es, die Ionenkanäle zu erforschen, die sich öffnen,
wenn Riechzellen stimuliert werden und der Botenstoff cAMP in den
Cilien auftritt. Diese Ionenkanäle zu charakterisieren, ist ein
zentraler Aspekt unserer Forschung.
Riechzellen
sind nur die Sensoren des Riechsystems. Die Analyse der
Geruchsinformation, das Wiedererkennen bekannter Düfte sowie die
Planung und Ausführung sinnvoller Verhaltensmuster aufgrund der
Geruchsinformation – all das sind Leistungen des Gehirns. Es ist
deshalb von entscheidender Bedeutung, dass sich in Heidelberg gleich
mehrere Arbeitsgruppen mit der Frage beschäftigen, wie das Gehirn
Geruchsinformationen verarbeitet. Denn die Funktion einer Riechzelle
ist erst dann gänzlich zu verstehen, wenn wir die Rolle, die sie im
gesamten Wahrnehmungsprozess spielt, kennen und wenn wir wissen, wie
die Signale der Riechzellen im Gehirn verarbeitet werden.
|
Prof. Dr. Stephan Frings studierte in Konstanz Biologie und wurde an der University of Otago in Dunedin, Neuseeland, promoviert. Seit dem Jahr 2002 ist er Professor für Molekulare Physiologie in der Fakultät für Biowissenschaften der Universität Heidelberg. Seine Arbeitsgruppe im Institut für Zoologie erforscht die Signalverarbeitung in Sinneszellen des Riech- und Schmerzsystems. Für sein Lehrprogramm „Neurobiologie der Sinne“ wurde Stephan Frings im Jahr 2007 mit dem Lehrpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Kontakt: s.frings@zoo.uni-heidelberg.de
www.molekulare-physiologie.de
Seitenbearbeiter:
E-Mail