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Erreger reisen ohne Visa

Infektionskrankheiten schockieren in fiebrigen Medien-Schüben immer wieder auch die "entwickelte" Welt. In tropischen Ländern sind sie alltägliche Bedrohung: für rund ein Drittel der Todesfälle verantwortlich, häufigste Todesursache überhaupt. Vor diesem Hintergrund gewinnt ein neuer Heidelberger Sonderforschungsbereich (SFB) besondere Brisanz, der sich der Kontrolle von tropischen Infektionskrankheiten verschrieben hat. Michael Schwarz, Pressesprecher der Universität Heidelberg, befragte Rainer Sauerborn, Direktor der Abteilung Tropenhygiene des Universitätsklinikums und einer der Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs, zu den Aufgaben und Zielen.

 

Wozu, Professor Sauerborn, beschäftigen wir uns hier in der Kurpfalz mit tropischen Infektionskrankheiten?

Sauerborn: Sicher sind die meisten Tropeninstitute aus der Kolonialzeit in Hafenstädten gelegen, aus der damals einleuchtenden Sicht, dass die meisten Krankheiten über Seehäfen eingeschleppt würden: "Hamburg, das Tor zur Welt, ein Narr, wer sich's nicht offen hält".

Prof. Rainer Sauerborn
Prof. Rainer Sauerborn

Die moderne tropenmedizinische Forschung wird sowohl an Universitäten als auch im Allgemeinen stiefmütterlich behandelt. Die internationale pharmazeutische Industrie, allen voran die deutsche, hat bis vor kurzem ihre Forschung und Entwicklung von Medikamenten gegen tropische Infektionskrankheiten so gut wie eingestellt.
Es war die Vision meines Vorgängers Hans-Jochen Diesfeld und Hermann Bujards vom Zentrum für Molekulare Biologie, die Forschungskapazität der gesamten Universität um dieses "verwaiste" Thema zu bündeln. Das führte von 1994 bis 1999 zu einem vom Bundesforschungsministerium geförderten "Forschungsschwerpunkt Tropenmedizin Heidelberg", dessen Sprecher ich ab 1997 war, ja, und nun zu dem neuen SFB.
Wir sind auf diesem Weg kräftig unterstützt worden von der Universität, der Medizinischen Fakultät und vom Land Baden Württemberg. Ein Kernprojekt des neuen SFB, der Ausbau einer langjährigen Partnerinstitution, das "Centre de Recherche en Santé" in Burkina Faso, wird aus Mitteln des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums mit 1,2 Millionen Mark zunächst bis 2002 gefördert.

Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Klaus von Trotha begrüßte den neuen Sonderforschungsbereich, der "einmal mehr den internationalen Rang unterstreicht, den die medizinische Forschung in Heidelberg einnimmt". Außer einem Schwerpunkt in Hamburg gibt es in Deutschland keinen weiteren Standort, an dem diese Thematik in einem größeren Rahmen behandelt wird. Warum sollte sich eine deutsche Universität mit solchen Krankheiten befassen?

Interview : Tropische Infektionskrankheiten
 

Sauerborn: Infektionskrankheiten sind in tropischen Ländern die häufigste Todesursache. Über eine Million Kinder sterben jedes Jahr an Malaria. Über das menschliche Leid hinaus, das diese Krankheiten erzeugen, behindern sie auch die wirtschaftliche Entwicklung der ärmsten Länder: Sie verursachen täglich allein in den Ländern südlich der Sahara zehn Millionen Dollar pro Tag an Produktionsausfall. Die Kontrolle tropischer Infektionskrankheiten ist daher immer auch ein Beitrag zur Armutsbekämpfung. Zum anderen gibt es einen enormen Forschungsbedarf. Die Industrie hat sich bis vor kurzem gänzlich aus der nicht rentablen Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen gegen Tropenkrankheiten zurückgezogen. Hier hat die Universität eine wichtige Katalysatorfunktion. Neben den wissenschaftlichen und ethischen Gründen gibt es natürlich auch handfeste praktische Gründe aus deutscher Sicht: Im Zeitalter der Globalisierung reisen Erreger und Überträger ohne Visa, fünf Millionen deutsche Touristen setzen sich jedes Jahr in tropischen Ländern den Krankheitsrisiken aus, die auch die Bevölkerung dort erträgt.

Minister von Trotha bezeichnete das Konzept des neuen Sonderforschungsbereichs als "einmalig" in Deutschland, weil es biomedizinische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen und Methoden miteinander verbindet. Welche Forschungseinblicke wird der SFB gewähren?

Sauerborn: Der biomedizinische Schwerpunkt besteht in der Entwicklung neuer Werkzeuge im Kampf gegen tropische Infektionskrankheiten: Wir versprechen uns wesentliche Beiträge zur Identifizierung neuer Zielstrukturen und Wirkmechanismen für Medikamente gegen Malaria und die Schlafkrankheit (siehe der Beitrag von Christine Clayton "Achillessehne eines Mörders" auf Seite 18 der Ruperto Carola 3/2000). Drei Forschergruppen arbeiten an Impfstoffen gegen Malaria und eine in Asien weit verbreitete Wurmerkrankung durch Schistosoma japonicum. Der dritte Forschungsansatz, den wir gemeinsam mit dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie verfolgen, liegt darin, Überträgermücken für Malaria unempfindlich für die Infektion – und damit untauglich als Krankheitsüberträger – zu machen. Der zweite Schwerpunkt liegt in der Gesundheitssystem-Forschung. Das ist die wissenschaftliche Untersuchung der Verteilung der Erkrankungen, des gesunheitsrelevanten Verhaltens der Bevölkerung sowie der Versorgungssysteme. Besonders wichtig ist es, Methoden zu entwickeln, um den Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitsdiensten zu verbessern. Im Augenblick wird nur eines von fünf Kleinkindern unter fünf Jahren, das Malaria hat, einem Gesundheitsdienst vorgestellt – dies angesichts der Tatsache, dass eine Million Kinder jährlich an Malaria sterben. Ohne die Verbesserung der Qualität der Gesundheitssysteme und des Zugangs zu ihnen werden auch die wirksamsten neuen Impfstoffe oder Medikamente die Zielbevölkerung nicht erreichen.

Politiker in Deutschland meinen immer wieder, es bedürfe erst ihrer Aufforderung, damit die Universitäten ihre Forschung mit Blick auf zukünftige Anwendungen gestalten – hier scheint mir manchmal eher ein Defizit an Information oder Verständnisfähigkeit auf Seiten der Politik zu liegen. Sicherlich hat vor zwanzig Jahren kaum jemand von außen verstanden, wie einschneidend die Labors der University of California und von Genentech dabei waren, die Welt zu verändern. Wie sieht die Anwendungsperspektive in Ihrem Fall aus?

Interview : Tropische Infektionskrankheiten
 

Sauerborn: Dies ist sicher einer der anwendungsorientiertesten SFBs überhaupt. Wir arbeiten mit der pharmazeutischen Industrie zusammen. Zum Beispiel hat Michael Lanzer, der mit mir zusammen Sprecher dieses Sonderforschungsbereichs ist, bereits eine Firma gegründet, die durch Risikokapital finanziert ist. Sie entwickelt zurzeit unter anderem mit Hochdruck ein Medikament gegen Malaria. Dabei wird ein so genanntes virtuelles "rational drug design" benutzt. Medikamente werden zur Blockierung von Stoffwechselwegen des Malaraierregers sozusagen im Computer maßgeschneidert den Zielstrukturen angepasst. Auf der anderen Seite arbeiten wir eng mit denjenigen Organisationen zusammen, die für eine Reform der Gesundheitssysteme verantwortlich sind: Gesundheitsministerien, die Weltgesundheitsorganisation, die Weltbank.

Labor in Nouna
Moderne Forschungslabors auf den Gebieten Parasitologie und Entomologie stehen dem SFB in Nouna zur Verfügung.

Was haben die Studenten davon?

Sauerborn: Wir bieten unseren Studenten zahlreiche Seminare zu verschiedenen Aspekten der Tropenmedizin an. Darüber hinaus bilden wir Doktoranden aus, halten Ringvorlesungen und Kolloquien. Ein Mitglied des SFB, Prof. Christine Clayton, leitet ein Graduiertenkolleg über molekulare Mechanismen von Krankheitserregern. Des Weiteren schreiben wir zurzeit einen Antrag für ein weiteres Graduiertenkolleg zum Thema "Epidemiologie".

Wie geht es weiter?

Sauerborn: Wir wollen zum einen die klinische Tropenmedizin stärker einbinden. Zum anderen wollen wir HIV/AIDS als globale Infektionskrankheit, die zu 90 Prozent tropische Länder betrifft, einbeziehen. Wir überlegen uns, eine dritte Nachwuchsgruppe zu beantragen und wollen die ausgesprochen fruchtbare Zusammenarbeit mir unseren wissenschaftlichen Kollegen des Centre de Recherche en Santé de Nouna stärken. Jetzt sind wir erst einmal gespannt auf die Beurteilung und Ratschläge unseres neuen Internationalen Wissenschaftlichen Beirats.

Herr Professor Sauerborn, die "Ruperto Carola" wünscht Ihnen und Ihren MItarbeitern Glück und Erfolg. Dass Ihre Ziele und Visionen in Erfüllung gehen: zum Wohl der Millionen Menschen auf der Welt, die an tropischen Infektionskrankheiten leiden.

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