Alzheimer: der unaufhaltsame Zerfall
Die Alzheimer Krankheit kann jeden ereilen – man muss nur alt genug werden. Bislang ist die schwerste Alterskrankheit des Gehirns unheilbar. Die Grundlagenforscher haben jedoch Erkenntnisse erarbeitet, die auf eine bessere Therapie, möglicherweise gar eine Heilung oder einen Impfschutz hoffen lassen. Tobias Hartmann und Konrad Beyreuther vom Zentrum für Molekulare Biologie schildern den aktuellen Stand der Alzheimer-Forschung, berichten über die neuesten Überlegungen, wie der Krankheit Einhalt geboten werden kann, und nennen vorbeugende Maßnahmen, die vor dem Ausbruch von "Alzheimer" schützen können.
"Im Alter verkalkt der Mensch, und damit sinkt die geistige Leistungsfähigkeit stark ab." Diese Behauptung ist richtig und falsch zugleich. In den Hirnen gesunder alter Menschen sammelt sich weder "Kalk", noch verringert sich die geistige Leistungsfähigkeit. Der deutsche Arzt Alois Alzheimer (1864-1915) wies bereits im Jahr 1906 nach, dass die abnehmenden geistigen Fähigkeiten auf einen krankhaften Prozess zurückzuführen sind. Was Alois Alzheimer erstmalig bei einer Patientin mit schweren Gedächtnisstörungen beschrieb, waren Eiweißablagerungen im Gehirn. Sein ärztlicher Kollege Rudolf Virchow (1821-1902) hatte sie schon 1854 Amyloid – "Stärkeähnliches" – getauft. Einen Zusammenhang mit dem Verlust geistiger Leistungsfähigkeit erkannte Virchow allerdings nicht.
Auguste D. war die erste Patientin, bei der Alois Alzheimer die später nach ihm benannte Krankheit diagnostizierte. |
Gerade die Hirnleistung gehört zu den Fähigkeiten, die beim geistig regen Gesunden im Alter die geringsten Verluste hinnehmen muss. Theoretisch könnte unser Gehirn über 150 oder noch mehr Jahre gute Dienste leisten. Tatsache ist jedoch, dass im Alter die Anzahl von Hirnerkrankungen in Form von Demenzen – der fortschreitenden Einschränkung kognitiver Hirnleistungen – explosionsartig (exakter ausgedrückt: exponentiell) zunimmt. Dies gilt insbesondere für die nach Alzheimer benannte Demenzform. "Alzheimer Krankheit" ist die häufigste Diagnose, die Psychiater und Neurologen bei über 65-Jährigen stellen. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass zwei Drittel aller Altersdemenzen vom Alzheimer-Typ sind.
Nach heutigem Kenntnisstand kann vermutlich jeder erkranken: Das Lebenszeitrisiko – das Risiko, im Verlauf der eigenen Lebensspanne zu erkranken – beträgt bei Hundertjährigen nahezu hundert Prozent. Noch liegt die Lebenserwartung in Deutschland unter hundert Jahren. In 50 Jahren könnte diese jedoch anders sein, steigt doch die Lebenserwartung bei uns seit dem Jahr 1925 jedes Jahrzehnt konstant um drei bis vier Jahre. Bei der gegenwärtigen mittleren Lebenserwartung von 75 bis 80 Jahren wird jeder Dritte mit Symptomen der Alzheimer Krankheit sterben.
Die Alzheimer Demenz ist eine Krankheit, und eine Krankheit hat eine Ursache. Wird die Ursache entfernt, entsteht die Krankheit nicht, der Krankheitsprozess kommt zum Stillstand. Wie kann dies erreicht werden? Am Anfang gilt es, die richtigen Fragen zu stellen: Was unterscheidet beispielsweise Menschen, die auch im hohen Alter geistig rege sind und keinerlei Anzeichen der Alzheimer Krankheit erkennen lassen, von Alzheimerpatienten? Was passiert in den Gehirnen von Alzheimerkranken? Welche molekularen Veränderungen zerstören bei Erkrankten Nervenzellkontakte und Nervenzellen? Welche schützenden Mechanismen werden in den Gehirnzellen der Erkrankten nicht ausreichend genutzt? Wie beginnt der Krankheitsprozess, und warum ist jeder Mensch im hohen Lebensalter empfänglich für diese Krankheit? Die Antworten auf diese Fragen werden uns Wege aufzeigen, wie wir uns vor dem Leiden schützen und welche therapeutischen Möglichkeiten eröffnet werden können.
Auf einige dieser Fragen gibt es bereits Anworten – wenn sie auch teilweise noch unvollständig und unbefriedigend sind. Wichtigster Risikofaktor ist das Altern. Altern bedeutet nicht ein bloßes "Mehr an Jahren", sondern der langsame Übergang von der gesunden Lebensphase in eine Phase mit erhöhter Krankheitsanfälligkeit. Die erste Phase umfasst einen Zeitraum, der bei uns etwa 55 Lebensjahre beträgt. Vor dem sechsten Lebensjahrzehnt tritt die Alzheimer Krankheit nur vereinzelt auf, danach verdoppelt sich die Anzahl der Neuerkrankungen alle fünf Jahre. Ein Achtzigjähriger hat ein zehnprozentiges Risiko, ein Fünfundachtzigjähriger ein zwanzigprozentiges und ein Neunzigjähriger ein vierzigprozentiges Risiko, an Alzheimer zu erkranken.
Etwa die Hälfte dieser Patienten trägt einen bekannten Risiko-Erbfaktor. Es handelt sich bei diesem Erbfaktor um die bestimmte Form eines Gens aus dem Fettstoffwechsel. Das Produkt dieser Genform, das "Apolipoprotein Ee4", transportiert normalerweise Cholesterin und andere Fette zwischen Zellen und Organen. Erbträger der e4 Form des Apolipoproteins E leiden häufiger an erhöhten Cholesterinspiegeln, und die Alzheimer Krankheit tritt bei ihnen gewöhnlich einige Jahre früher auf. Auch Bluthochdruck scheint ein Risikofaktor für die Alzheimer Krankheit zu sein. Weitere Risiko-Gene, die allesamt mit Cholesterin im Zusammenghang stehen, sind von geringerer Bedeutung.
Am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg versuchen wir die Alzheimer Krankheit zu verstehen, in dem wir "ganz klein" anfangen. Es geht uns um die Moleküle, die am Krankheitsprozess beteiligt sind. Im Wesentlichen sind das Eiweißmoleküle (Proteine) und deren Gene. Der Startpunkt der molekularen Analyse der Alzheimer Krankheit war die Identifizierung eines Bruchstücks dieser Proteine: das Ab (ausgesprochen: A-beta). Ab ist ein kleines Fragment des etwa dreißigfach größeren Amyloid-Vorläufer-Proteins APP. Ab lagert sich zwischen den Nervenzellen des Gehirns von Alzheimer Patienten ab. Milliardenfache Verklumpungen von Ab – die von Virchow entdeckten "amyloiden Plaques" – waren es, die Alois Alzheimer im Gehirn von Auguste D., seiner ersten "Alzheimer"-Patientin, mit Silbersalzen anfärbte und erstmals sichtbar machte.
Amyloide Plaques sind extrem unlöslich und bleiben selbst dann noch zurück, wenn die Gehirne von Alzheimer Patienten mit den verschiedensten Lösungsmitteln und Verfahren aufgelöst werden. Nur Ameisensäure ist in der Lage, die Plaques aufzulösen. Als dies gelungen war, dauerte es nicht mehr lange, bis Ab entschlüsselt war. Dies gelang uns vor 16 Jahren. In weiteren zwei Jahren zeigten wir zusammen mit Kölner und Melbourner Kollegen, dass Ab ein Bruchstück von APP ist.
An dieser Stelle ist es wichtig, weitere Risikofaktoren zu nennen. Es handelt sich um Veränderungen (Mutationen) der menschlichen Erbsubstanz. Bei einigen Menschen wurden derartige Veränderungen im APP-Gen selber gefunden. Diese sehr seltenen Mutationen entstehen, wenn einzelne Bausteine (Basen) des APP-Gens gegen andere ausgetauscht werden. Jeder Träger einer solchen Mutation wird mit großer Sicherheit an Alzheimer erkranken und sterben – und zwar fünfzig Jahre früher als Menschen, die diese Mutation nicht tragen und in den meisten Fällen spätestens mit 100 Jahren erkranken werden. Besonders erschreckend ist, dass bei erblichen Fällen der Alzheimer Krankheit die ersten Symptome früh beginnen, selten schon vor dem zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt. Diese familiäre Form der Alzheimer Krankheit ist jedoch sehr selten.
Veränderungen des APP-Gens sind trotz ihres seltenen Vorkommens ein bedeutender Schlüssel zum molekularen Verständnis der Alzheimer Krankheit. Und zwar aus folgenden Gründen: Erstens sind die Gehirne der Patienten, die auf Grund einer solchen sehr seltenen Mutation an Alzheimer erkrankten, durchsetzt von massiven Anhäufungen der aus Ab bestehenden Amyloid- Plaques. Zweitens stammt Ab von APP ab. Drittens verursachen Mutationen im APP-Gen unausweichlich die Krankheit. Viertens entwickeln Patienten, die keine APP-Mutation tragen, die gleichen typischen Veränderungen im Gehirn wie die Mutationsträger.
Was nutzt uns nun die Erkenntnis, dass bestimmte APP-Mutationen die Alzheimer Krankheit verursachen können? Mutationen, die Krankheiten verursachen, verändern oder stören die Funktion des von der Mutation betroffenen Gens und seines Produkts, dem nach der "Anweisung" des Gens von der Zelle zusammengebauten Protein. Dem Forscher eröffnet das veränderte Gen einen Zugang zum Verständnis des Krankheitsprozesses, wenn er dessen Funktion mit der des "normalen", nicht mutierten Gens vergleicht. Vom Verstehen der normalen Funktion erhoffen wir uns letztlich Antworten auf die meisten unserer Fragen. Nur bei Kenntnis der gesunden und krankmachenden Funktionen kann eine Krankheit gezielt therapiert werden. Die Alzheimer Forschung muss jeden Fortschritt nutzen, um neue therapeutische Ansätze zu entwickeln, muss doch den Prognosen zufolge bis zum Jahr 2010 mit 1,7 Millionen Demenz-Kranken gerechnet werden.
Im Zentrum für Molekulare Biologie untersuchen wir Mäuse, die ein mutiertes APP-Gen in sich tragen. Dabei hat sich gezeigt, dass die alleinige Gegenwart dieses mutierten APP-Gens ausreicht, dass Ab sich im Gehirn der Mäuse ablagert. Die Mutation im APP-Gen – sowie alle anderen bekannten Mutationen der Erbsubstanz, die zur Alzheimer Krankheit führen – bewirken, dass eine besondere Form von Ab verstärkt produziert wird. Ab, das Bruchstück von APP, wird von bestimmten Eiweißscheren (Sekretasen) aus dem hinteren Ende von APP herausgeschnitten. Es gibt verschiedene Sekretasen; keine von ihnen schneidet exakt immer an der gleichen Stelle. Auf diese Weise entstehen viele Formen von Ab – aber nur eine einzige steht in einem direkten Zusammenhang zur Alzheimer Krankheit. Diese Form – das aus 42 Aminosäurebausteinen bestehende Ab42 – unterscheidet sich nur minimal von den anderen Formen. Aber oft sind es eben die kleinen Dinge, die den entscheidenen Unterschied machen.
An der Bildung dieses Unterschiedes ist noch ein weiteres Protein, das "Präsenilin", beteiligt. Es wurde zuerst im Fadenwurm entdeckt. Dort stört es die Entwicklung des Wurmes. Auf den ersten Blick hat dies nichts mit der Alzheimer Krankheit des Menschen zu tun. Es stellte sich dann aber heraus, dass eine defekte Form des Präsenilin die Spaltung eines wichtigen Entwicklungsproteins verhindert. Diese Spaltung wiederum erfolgt durch eine der Enzymscheren, die auch APP schneiden. Um den Zusammenhang zu beweisen, mussten jetzt noch die Mutationen im Präsenilin-Gen gefunden werden, die die Alzheimer Krankheit auslösen. Tatsächlich wurden bislang über 70 verschiedene Mutationen gefunden. Genau wie die APP-Mutationen eine erhöhte Menge an Ab42 bewirken können, erhöhen Präsenilin-Mutationen die Produktion von Ab42. Die Folgen sind vergleichbar: Die Krankheit bricht 50 und mehr Jahre früher aus als bei der von der Mutation nicht betroffenen "Normal"bevölkerung.
Lernen von der "Alzheimer-Fliege"
Was hat Ab42 mit der Alzheimer Krankheit zu tun? Ab42 ist langlebig, da es nur schwer abgebaut werden kann und zudem dazu neigt, sich zu nadelartigen Amyloidfibrillen zusammenzulagern. Diese Fibrillen bilden später den "Nadelhaufen" der Amyloid-Plaques. Leider ist man sich bis heute weder über die natürliche Funktion des APP noch des Ab vollkommen im Klaren. Vermutet wird, dass APP eine Rolle bei der Kontrolle der Kontakte spielt, die Zellen zueinander ausbilden.
Die "Alzheimer-Fliege" wird es uns erlauben, die Funktion von APP einzuengen. Wir haben gemeinsam mit Professor Renato Paro vom Zentrum für Molekulare Biologie das APP-Gen so in Fruchtfliegen eingeführt, dass sich das Protein APP im Flügel in großen Mengen bildet. Die Konsequenz dieser Proteinablagerungen ist, dass die Flügel nicht mehr glatt sind, sondern Blasen bilden: Die Ausbildung der präzisen Kontakte zwischen den oben und unten liegenden Zellschichten, die den Flügel bilden, wird durch APP gestört. APP hemmt in diesem Fall also die Kontaktbildung zwischen Zellen. Führt ein Zuviel an APP etwa auch bei den Kontakten von Nervenzellen zu Problemen?
Im Nervensystem werden diese Zellkontakte als Synapsen bezeichnet. Sie sind ausschlaggebend für ein funktionsfähiges Gedächtnis. Bei der Alzheimer Krankheit gehen die Synapsen massiv unter. Die Folge ist bekannt: Der Patient wird intellektuell vom Erwachsenen zum Kleinkind zurückgeführt. Nervenzellen, die keine funktionsfähigen Kontakte aufweisen, schalten ein Zellen-Selbstmord-Programm ein – die so genannte Apoptose – oder sterben auf Grund von Mangelversorgung ab. Dies ist der Fall bei der Alzheimer Krankheit: Das Gehirn wird regelrecht "leergefegt".
Was hat das alles mit APP und Ab zu tun? APP wird in die Bahnen von Nervenzellen transportiert. Dabei gelangt APP zuerst in die Spitzen der Sendearme, der Axone. Anschließend wird APP in den Empfängerarmen der Nervenzellen angereichert. Dass APP innerhalb der Nervenbahnen von den dafür vorgesehenen "Transportmaschinen" mitgenommen werden kann, hängt von seinem Ab-Bereich ab. Ab entscheidet offensichtlich über die Transportlogistik von APP. Schneiden die Sekretasen Ab aus APP heraus, gibt es keinen APP-Transport mehr: APP häuft sich an. Wird Ab nicht aus der Nervenzelle entfernt, verdrängt das überschüssige, freie Ab das APP aus den Transportmaschinen, weil es an die gleiche Stelle bindet wie der im APP enthaltene Ab-Bereich. Wenn alle Zweige und Äste einer Nervenzelle mit Ab angefüllt sind, wird überhaupt kein APP mehr transportiert. Es kommt zum "Verkehrsstau".
Die Ströme fließen nicht mehr entlang der Nervenbahnen, können an den Kontaktstellen nicht mehr in chemische Botenstoffe übersetzt werden, und die kleinen Kanäle, die den Stromfluss in die nächste Nervenzelle lenken, bleiben geschlosssen. Die Nervenzellkontakte sind funktionsunfähig, die in diesen teuflischen Zyklus verwickelten Nervenzellen sterben ab. Das Kurzzeitgedächtnis versagt als Erstes. Der Zugriff zum Gedächtnis wird erschwert. Die Sprache funktioniert nicht mehr, das Schlucken ist nicht mehr kontrolliert, der Patient verliert seine Fähigkeit, "auf eigenen Beinen zu stehen" – stumm im Bett liegend, wartet er auf den Tod.
Ein Verkehrsstau in den Nervenzellen als Folge der Anhäufung von Ab innerhalb und außerhalb der Nervenzellen? Vieles spricht dafür, dass dies eine Ursache der Alzheimer Krankheit ist. Oft verklumpen bei der Erkrankung noch zwei weitere Proteine, die normalerweise in die Sendearme der Nervenzelle transportiert werden: die Proteine aSynuclein und tau. Das Protein tau – es stabilisiert die Mikrotubuli-Transportschienen in den Sendearmen von Nervenzellen – bleibt in den Nervenzellen hängen und verklumpt dort zu zopfähnlichen Neurofibrillen-Bündeln. Auch hier ist Zelltod die Folge. Gleiches gilt für das Protein aSynuclein der Sendebahnen. Seine Funktion könnte sein, die axonale "Transportwagen" zu stabilisieren.
Bisher wird die Alzheimer Krankheit im Wesentlichen mit so genannten Cholinesterase-Hemmern behandelt. Diese Medikamente verhindern, dass der Nervenbotenstoff Acetylcholin abgebaut wird. Der Botenstoff ist besser verfügbar, Konzentration und Aufmerksamkeit der Patienten verbessern sich dadurch. Vorteilhaft wirkt sich die Behandlung auch auf Begleitsymptome der Krankheit wie Inkontinenz, Antriebsschwäche, Aggressivität, Suizidalität und Kooperation bei der Pflege aus. Allerdings verbessern sich nicht bei allen Patienten die Symptome. Leider lässt auch die Wirksamkeit der Substanz nach einiger Zeit nach, so dass eine Heilung nicht erreicht werden kann.
Wer
seinen Namen nicht kennt, kennt seine Texte: "Nur Fliegen ist schöner",
"Alle reden vom Wetter. Wir nicht", "Es gibt viel zu tun. Packen wir's
an" – alle diese Slogans stammen von Carolus Horn, einem der
bekanntesten Werbegraphiker Deutschlands. Carolus Horn starb 1992 im
Alter von 71 Jahren an der Alzheimer Krankheit, acht Jahre zuvor hatten
sich die ersten Symptome des fortschreitenden Hirnleidens – auch in
seinem künstlerischen Schaffen – bemerkbar gemacht. Die Veränderungen,
die Carolus Horn erfuhr, zeigen sich besonders deutlich in seinen
"Rialto-Bildern". Das erste Bild von der Rialto-Brücke in Venedig (oben
links) entstand noch in gesunder Zeit. Im Jahr 1980, vier Jahre vor
Ausbruch der Krankheit, zeigen sich Veränderungen der räumlichen Bezüge
(oben rechts), die Dreidimensionalität der Darstellung geht verloren.
Sein letztes Rialto-Bild malt der Künstler 1988. Zu diesem Zeitpunkt
konnte Horn Personen nicht mehr eindeutig erkennen. Sein Stil wird
"naiv", ornamental und farbenfroh. Die Wolken, zuvor detailliert und
realistisch wiedergegeben, erscheinen nurmehr als schematisierte ovale
Gebilde. Mehr und mehr reduzieren sich die Bildelemente; die Malerei
wird "kindlich". Das Bild rechts unten – es findet sich auch auf dem
Titel – entstand 1991, ein Jahr vor seinem Tod. (Bilder von Carolus Horn mit freundlicher Genehmigung der Novartis, Nürnberg)
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Da es bisher keine befriedigend wirksamen Medikamente gibt, entwickeln pharmazeutische Unternehmen und Grundlagenforscher gemeinsam neue Therapieformen. Hierfür sind Kenntnisse von großer Bedeutung, die in den letzten fünf Jahren erarbeitet wurden. Ausgehend von Ergebnissen, die einen Zusammenhang zwischen Ab42 und der Alzheimer Krankheit zeigen, wird versucht, die Menge an Ab42 zu verringern. Wäre es beispielsweise möglich, eine der beteiligten Sekretasen zu hemmen, würde weniger Ab42 produziert werden. Der Ausbruch oder das Fortschreiten der Krankheit könnte damit eventuell verhindert werden.
In Zellkultur- und Tierversuchen gelingt dies tatsächlich. Verschiedene, von den Ab-Schneideregionen abgeleitete Substanzen können eine bestimmte Sekretase (g-Sekretase) stark hemmen. Die größte Schwierigkeit besteht darin, Substanzen zu finden, deren hemmende Wirkung sich auf die Freisetzung von Ab beschränkt, ohne die Spaltung anderer wichtiger Proteine zu beeinflussen. Ein Vorteil dieses potentiell vorbeugenden Ansatzes ist, dass bereits eine geringfügig reduzierte Ab42-Menge den Krankheitsbeginns um viele Jahre hinauszögern könnte.
Weitere therapeutische Ansätze sind gegen die Entzündungsvorgänge gerichtet, die die Alzheimer Krankheit begleiten. Hierbei wurden mit so genannten Antioxidantien wie Vitamin E, die in großen Dosen verabreicht wurden, kleine Effekte hinsichtlich einer verzögerten Einweisung in ein Pflegeheim erreicht. Studien mit Entzündungshemmern verliefen entweder negativ oder sind derzeit noch nicht beendet.
Sehr vielversprechend sehen unsere neuesten Laborversuche mit Cholesterin-Synthese-Hemmern, den "Statinen", aus. Ein Zusammenhang zwischen Fetten (Lipiden) wie Cholesterin und der Alzheimer Krankheit kann aus dem großen Einfluss einer Variante des Lipidtransporters Apolipoprotein E e4 auf die Alzheimer Krankheit geschlossen werden. Dieses Protein ist auch bekannt für seine Rolle bei erhöhten Cholesterin-Werten im Serum. Zusätzlich ist seit kurzem offensichtlich, dass die Aktivität des g-Sekretase-Komplexes mit der Lipidzusammensetzung der Zellmembranen korreliert: Wird dem g-Sekretase-Komplex das Cholesterin entzogen, kann er APP nicht mehr spalten.
In Zellkultur- und Tierexperimenten bewirkten Medikamente (Statine), die die Produktion von Cholesterin hemmen, eine drastisch reduzierte Ab-Produktion. Neueste statistische Untersuchungen zeigen, dass Patienten, die auf Grund erhöhter Cholesterinspiegel mit derartigen Medikamenten behandelt wurden, seltener an Alzheimer erkranken. Allerdings ist es bisher noch nicht geklärt, ob die Statine gezielt eingesetzt werden können, um der Alzheimer Krankheit vorzubeugen. Ebensowenig ist bekannt, ob und wie die Statine bei bereits erkrankten Patienten wirken.
Dass das Fortschreiten der Alzheimer Krankheit prinzipiell verlangsamt werden kann und sogar eine Heilung möglich sein könnte, deuten Impfexperimente der Firma Elan-Athena in San Francisco bei "Alzheimer-Mäusen" an. Werden so genannte transgene Mäuse, die menschliches APP herstellen, sechs Wochen nach ihrer Geburt bis zum Alter von 13 Monaten mit synthetischem Ab42 geimpft, wird die Bildung von Amyloid-Plaques (die mit etwa zwölf Monaten einsetzt) verhindert. Sollten die Befunde auf den Menschen übertragbar sein, lassen diese Experimente tatsächlich darauf hoffen, das Fortschreiten der Alzheimer Krankheit aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen. Werden Mäuse, die bereits massive Amyloid-Plaques aufweisen, bis zum 18. Lebensmonat geimpft, verschwinden die meisten Amyloid-Plaques wieder – Reste von ihnen sind nur noch in bestimmten Immunzellen, den Fresszellen (Mikrogliazellen) des Gehirns, nachweisbar.
Für den Menschen könnte dies bedeuten, dass Alzheimer heilbar wird – vorausgesetzt, die Impfung wird toleriert und verläuft erfolgreich. Ob dies der Fall ist, wird derzeit mit größter Anstrengung untersucht. Nachdem erste Impfversuche, welche die Verträglichkeit prüften, erfolgversprechend verliefen, wird in den nächsten Monaten mit ersten Studien zur Dosisfindung begonnen.
Beinahe ein Jahrhundert nach ihrer Entdeckung zeichnet sich ab, dass die Alzheimer Krankheit eines Tages ihren Schrecken verlieren wird. Doch kann man der Krankheit auch vorbeugen? Diese Frage kann mit Ja beantwortet werden. Es gilt, die Risiko-Gene in Schach zu halten. Risiko-Patienten sollten außerdem – falls sich unsere Vermutungen bewahrheiten – ihr Gehirn-Cholesterin vorbeugend mit Cholesterin-Synthese-Hemmern kontrollieren. Gehirn-Cholesterin darf nicht mit dem Blut-Cholesterin verwechselt werden, das aus der Nahrung und der Leber stammt. Das Gehirn produziert sein eigenes Cholesterin, um neue Nervenzellkontakte zu bilden. Solche Kontakte werden immer dann gebildet, wenn wir lernen oder anderweitig geistig aktiv sind.
Neueste epidemiologische Studien belegen, dass geistige Regsamkeit und Cholesterinsenkung vor der Alzheimer Krankheit schützen. Die Kombination "geistige Regsamkeit und Cholesterinsenkung" wurde bislang jedoch noch nicht untersucht. Könnte der hohe Cholesterinbedarf der Nervenzelle im Zusammenspiel mit einer hohen Ab-Produktion die Antwort auf die Frage sein, warum jeder Mensch in hohem Alter an "Alzheimer" erkrankt? Wann müsste die Cholesterinsenkung im Gehirn erfolgen? Etwa dann, wenn der Prozess der vermehrten Freisetzung von Ab42 begonnen hat? Und woher wissen wir, wann es so weit ist? Gemeinsam mit der Heidelberger ABETA GmbH, die von uns und Kollegen gegründet wurde, wollen wir einen Labortest entwickeln und für die Diagnose zugänglich machen.
Ist es möglich, die Krankheit auch ohne Medikamente zu verhindern? Diese Frage können wir gegenwärtig nicht eindeutig beantworten. Wir kennen jedoch einige Faktoren, die einen gewissen Schutz bieten: Neben der geistigen Betätigung gehören dazu eine vitaminreiche und fettarme Ernährung und täglich mindestens 20 Minuten körperliches Training. Ein guter Anfang war auch das Lesen dieses Artikels: Ihre Nervenzellen wurden dadurch angeregt und gestärkt, so dass Sie späteren Belastungen ein klein wenig besser trotzen können.
Autoren:
Dr. Tobias
Hartmann und Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Beyreuther
Universität
Heidelberg, Zentrum für Molekulare Biologie (ZMBH), Im Neuenheimer Feld
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Telefon (06221) 546844, Fax (06221) 545891, e-mail: tobias.hartmann@zmbh.uni-heidelberg.de