Die Wurzeln der Intoleranz
In einer Zeit, in der einerseits von Globalisierung, Öffnung der Grenzen, interkultureller Begegnung und Kompetenz die Rede ist, andererseits aber Erscheinungen wie Rassismus, Diskriminierung von Minderheiten, Fremdenhass und Rechtsextremismus die medial vermittelte Öffentlichkeit wesentlich mitbestimmen, kommt dem Phänomenbereich von Toleranz und Intoleranz als möglichen Erklärungsfaktoren besondere Aktualität zu. Während Toleranzkonzepte in Verbindung mit Aufklärungsepochen, Religionsgeschichte und Interkulturalität allgemein als gut erforscht gelten, steht die Erforschung von Ursachen, Motiven und Funktionen intoleranten Verhaltens eher am Anfang. So gibt es weder einen ausreichend fundierten Kriterienkatalog zur Diagnose intoleranten Verhaltens noch eine umfassende Begriffsgeschichte von Intoleranz.
Der Aufgabe, Erkenntnisse über mögliche Zusammenhänge zwischen bestimmten Wahrnehmungs-, Denk- und Deutungsmustern einerseits und intolerantem Verhalten andererseits zu gewinnen, war das interdisziplinäre Symposion "Intoleranz als Herausforderung für die Anerkennung intra- und interkultureller Vielfalt" gewidmet, das in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg stattfand und von der Stiftung Universität Heidelberg und der Fritz Thyssen Stiftung finanziell unterstützt wurde. Organisiert wurde das internationale Symposion von den Heidelberger Germanisten Privatdozent Dr. Burckhard Dücker und Prof. Dr. Dietrich Harth sowie von dem Mannheimer Romanisten Prof. Dr. Rolf Kloepfer.
Auf der Basis zahlreicher Vorträge, die schon vor dem Symposion allen Beteiligten zur individuellen Vorbereitung zur Verfügung standen, diskutierten Teilnehmer und Gäste Strukturen und Ausprägungen latenter und offener Intoleranz in Sprache, Mythos, Literatur, Film, Theologie, Philosophie, Wissenschaft und Alltag in historischen und aktuellen kulturellen Kontexten. Die Vorträge sind inzwischen als Dokumentationsband erschienen: R. Kloepfer und B. Dücker (Hg.), Geschichte und Kritik der Intoleranz, Heidelberg 2000.
Eine Gruppe von Vorträgen widmete sich der Analyse historischer und aktueller Fallbeispiele, um einen Symptomkatalog für Formen intoleranten Verhaltens zusammenzustellen. Mit Denkfiguren, die Intoleranz fundieren könnten, beschäftigte sich eine zweite Gruppe von Beiträgen; mehrere Beiträge zielten darauf, anhand der Frage nach der Funktion der Intoleranz neue Forschungsfelder zu vermessen. Eine vierte Gruppe von Vorträgen beschäftigte sich mit Formen der Intoleranz in Mythos, bildender Kunst und Film.
In den Diskussionen ging es um die Fragen, wie strukturelle und verhaltensgebundene Intoleranz zu erkennen und zu verhindern beziehungsweise zu reduzieren seien. Verwiesen wurde auf das Forschungskonzept der "aktiven Toleranz" des Bayreuther Internationalen Arbeitskreises für Toleranzforschung. Intoleranz – so zeigte sich – ist nicht ohne ein Toleranzkonzept zu diagnostizieren, Toleranz und Intoleranz sind relationale Begriffe, deren Bedeutung kulturspezifisch und historischen Wandlungen unterworfen ist.
Dabei hat Intoleranz die Funktion eines Zuschreibungsbegriffs, das heißt, intolerant sind immer die Anderen, während Toleranz zum Begriffsfeld der Selbstdefinitionen gehört und in der Regel an programmatisch privilegierter Stelle erwähnt wird. Anhand der vorgestellten Fallbeispiele konnten als Ausprägungen intoleranten Verhaltens Prozesse von Polarisierung, Homogenisierung, Integration nach innen und Abgrenzung nach außen beschrieben werden; dazu gehören auch Informationsbewirtschaftung, Ablehnung des Neuen als Bedrohung des Eigenen, Absolutheitsanspruch, Sündenbocksyndrom, binäre Denk- und Wahrnehmungsmuster, mangelnde Dialog- und erhöhte Gewaltbereitschaft. Alle diese Elemente dienen der Funktion, gesellschaftliche Komplexität und Vielfalt zu reduzieren.
Toleranz erfordert einen lebenslangen Lernprozess. Dabei geht es um die verstehende Akzeptanz von Vielfalt und Andersheit, um die Integration von Fremdem und Eigenem, Intoleranz um die Durchsetzung des Eigenen.