Aus der Stiftung Universität Heidelberg
Alljährlich prämiert die Stiftung Universität Heidelberg herausragende Dissertationen mit dem "Ruprecht-Karls-Preis". Professor Paul Kirchhof würdigte die Arbeiten fünf junger Wissenschaftler anlässlich der Verleihung der Auszeichnungen im Jahr 1999.
Der Physiker sucht die Gesetzmäßigkeiten der Natur, die Elementarstrukturen unserer Welt zu erfassen und untersucht in der Elementarteilchenphysik immer mehr die Feinstruktur dieser Bausteine unserer Welt. Der Biologe erklärt die Systeme einzelner Zellen und ganzer Organismen, will die Funktionen der Gene analysieren und handhaben können. Der Altertumswissenschaftler fragt nach den Gewohnheiten, Riten und Erziehungsregeln, aus denen Recht und Kultur entstehen und sich damit eine naturgemäße, aber nicht allein in der Natur vorgefundene Gesetzmäßigkeit für menschliches Verhalten entwickelt. Der Kunsthistoriker schließt die Frage an, inwieweit schöpferisches Gestalten in der Formensprache von Bildhauerei und Plastik dem menschlichen Leben Sinn, Zugehörigkeit, Zusammenhalt, Anregung und Erneuerung geben kann. Der Jurist beobachtet die Gesetzmäßigkeiten der Natur, die er respektiert, die ihm insbesondere im Umweltschutzrecht Auftrag zur Pflege und Förderung sind, stimmt sie andererseits auf die Gesetzmäßigkeit menschlichen Handelns ab, das sich nicht nur den Naturgesetzmäßigkeiten unterworfen sieht, sie vielmehr zu nutzen und zu beherrschen sucht.
Wenn Sie nach dem inneren Grund fragen, der diese fünf Perspektiven von Einzelwissenschaften, der Rechtswissenschaft, der Kunst, der Geschichte, der Biologie und der Physik inhaltlich zusammenhält, so gibt es eine aktuelle Gemeinsamkeit: Es sind die Blickrichtungen der jungen Wissenschaftler, denen im Jahr 1999 die Ruprecht-Karls-Preise der Stiftung Universität Heidelberg für ihre Dissertationen verliehen wurden.
Hanno Kube unterscheidet in seinem Buch "Eigentum an Naturgütern" Wirtschaftsgüter, über die der Eigentümer verfügen kann und die deshalb als Privateigentum behandelt werden können, und Naturgüter, die von vornherein unverfügbar sind und deshalb nicht individuell Eigenes, nicht Privateigentum sein können. Das Grundwasser, das Oberflächenwasser, bestimmte Pflanzenarten wie das Edelweiß, Tiere in freier Wildbahn oder Biotope gehören nicht einem einzelnen Menschen, sondern sind unverfügbarer Bestandteil der Natur, sind allenfalls der Menschheit zur Gesamtheit eigen. Daraus erwächst eine besondere Schutzpflicht des Staates, eine Treuhänderschaft der Rechtsgemeinschaft für die vorgefundenen und unverzichtbaren Naturgüter.
Allerdings begründen nicht schon Naturgesetzmäßigkeiten oder ethische Überlegungen eine Unverfügbarkeit. Vielmehr bedarf es der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber, der eine vorgefundene Wirklichkeit durch gesetzliche Regelungen der Unverfügbarkeit bestimmter Naturgüter normativ formt, aber auch einzelne Gegenstände – etwa Tiere und Pflanzen – dem Regime des Privateigentums unterwirft, dann aber dem Eigentümer nur begrenzte Handlungsbefugnisse zuweist. Hanno Kube fordert hier eine "Rechtsstaatlichkeit durch Ausdrücklichkeit", ein Kerngedanke für Gesetzgebungskunst und juristischen Qualifikationsstil, dem man ebenso eine Verallgemeinerung wünscht wie der Unterscheidung zwischen privatnützigem Eigentum und öffentlich-rechtlicher Verantwortlichkeit für die Gemeinwohlgüter.
Die Arbeit von Hanno Kube vollzieht einen entscheidenden Schritt in die Logik des begrenzten Einwirkungsbereichs von Privateigentum.
Während es bei Hanno Kube darum geht, die Herrschaft des Menschen über die Natur rechtlich in Grenzen zu weisen, fragt Annette Reich in ihrem Werk über die avantgardistischen Strömungen in der tschechischen Bildhauerei und Plastik zu Anfang unseres Jahrhunderts nach der künstlerischen Gestaltung, deren der Mensch fähig ist und die ihn gleichsam aus der Unterwerfung unter die Gesetzmäßigkeiten der Natur befreit. Ihre Analyse und Würdigung der bedeutenden Bildhauerkunst der Tschechoslowakei in der Frühmoderne zeichnet ein Panorama von Prag als dem neben Paris in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts produktivsten Mittelpunkt moderner Kunst in Europa. Dabei entwickelt Annette Reich die wichtigsten Kunstströmungen, die – von jeweils begrenzter Dauer – miteinander konkurrieren und aufeinander folgen: Expressionismus, Kubismus, Futurismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus, Sozialer Zivilismus, Poetismus, Lichtkinetik, jeweils in der eigenständigen tschechischen Ausprägung von Spielarten gesamteuropäischer Kunstentwicklung.
Dieses dynamische Spiel von Aussage und Gegenaussage, von Frage und Antwort, von Stil, Stilerneuerung und Stilverfremdung wird als Ausdruck ihrer Zeit verständlich gemacht. Technische Installationen wie Lichtklaviere oder Lichtfontänen werden in ihrer Idee und Aussage sprachlich erschlossen, Spannung und Gegensatz dieser Kunst zum Krieg, zu den Erfahrungen des Aufbruchs in den zwanziger Jahren, der drohenden Diktatur und der sozialistischen Ideologie vermittelt.
Annette Reich ist es gelungen, bildende Kunst sprachlich zu überbringen, Kunstgeschichte in ihrer künstlerischen Eigenständigkeit, aber auch in ihrer historischen Gebundenheit verständlich zu machen, vielleicht auch ein wenig die Zerrissenheit des Menschen zwischen Kunst und politischer Unkultur in einer behutsamen Sprache anklingen zu lassen.
Recht, Kunst und Kultur entstehen aus gefestigter Übung, guter Tradition, gepflegten Formen und Riten, die einer menschlichen Gesellschaft Stil und Stetigkeit geben. Joachim Gentz befasst sich in seiner Dissertation mit diesen – allerdings von unserer Lebenswelt weit entfernt liegenden – Riten und Lebensgewohnheiten am chinesischen Kaiserhof im 8. bis 5. Jahrhundert v. Chr. Joachim Gentz widmet sich der Auslegung der – angeblich von Konfuzius überarbeiteten – Annalen, die über mehr als 200 Jahre hin am chinesischen Kaiserhof im Sinne einer Hofchronik geführt worden sind. Diese Chronik gewann als Sammlung von Verhaltensmustern seit der Han-Zeit kanonische Geltung für die Erziehung von Prinzen und Söhnen der Oberschicht, die dann in einem Kommentar zusammengefasst, gedeutet und wohl auch fortgedacht worden ist. Die Aufgabe, diesen Kommentar in seiner Zeit zu verstehen, zu würdigen und zu beurteilen, wirft den Autor (und den Leser) in das Spannungsfeld von Naturgesetzlichkeiten, Vorzeichen, von Astrologie und Deutung des Kalenders. Eine der fast kriminalistischen Aufgaben dieser Arbeit besteht darin, die herkömmlichen Regeln und ethischen Wertvorstellungen von den Abweichungen abzugrenzen, die Konfuzius zugeschrieben werden.
Insgesamt führt Joachim Gentz in die innerchinesische Geschichte, die dort geltenden Maximen für menschliches Verhalten, die Hierarchie der verschiedenen Würde- und Herrscherfunktionen, die Bedeutung dieser Verhaltensmuster für das menschliche Zusammenleben. Und alles dieses geschieht in einer klaren, dem Leser gewidmeten Sprache.
Achim Stellberger hat über das Thema gearbeitet "Entwicklung und Bau eines kompakten elektromagnetischen Kalorimeters". Der nicht physikalisch ausgewiesene, aber kalorienbewusste Leser denkt bei dem Stichwort Kalorimeter zunächst an die Klassifizierung von Brennwerten für Lebensmittel und hat damit bereits einen ersten Schritt des Zugangs zur experimentellen Leistung von Achim Stellberger getan. Dieser hat einen neuartigen Teilchendetektor entwickelt, eben das elektromagnetische Kalorimeter, mit dem er die Feinstruktur von Protonen untersucht. Diese Teilchen, die wir als elementare Bausteine aller Atomkerne kennen, werden in sechs Kilometer langen Beschleunigerringen analysiert: Die Physiker lassen in diesen Ringen Elektronen und die 2000 mal schwereren Protonen mit einer Energie von vielen hundert Gigavolt – das sind gigantische, nämlich hundert Milliarden Volt – frontal ineinander rasen. Damit ereignet sich naturgemäß ein gewaltiger Zusammenstoß. Dabei werden hochenergetische Elektronen in alle Richtungen herausgeschleudert und gestreut. Deren Energie und Ort sollen nun möglichst präzise gemessen werden, um daraus Aussagen über die Struktur des Protons zu gewinnen.
Derartige Präzisionsmessungen waren bisher für die Elektronen, die nur ganz wenig – unter sehr kleinen Ablenkwinkeln – gestreut werden, unmöglich. Der Teilchendetektor von Achim Stellberger schließt diese Lücke und erlaubt auf Grund einer besonderen technischen und elektronischen Konstruktionsleistung und einer Meisterschaft bei der Computersimulation Präzisionsmessungen gerade in diesem bisher nicht zugänglichen Bereich.
Udo Baron widmet sich in seiner Dissertation dem Thema "Weiterentwicklung der Methodik der Tetrazyklin-kontrollierten Genexpression zur Analyse der Funktion von Genen in komplexen eukaryontischen Systemen". Die Arbeit entwickelt einen "genetischen Schalter" weiter, ein wichtiges Werkzeug auf dem Gebiet der Molekularbiologie, das es uns erlaubt, einzelne Gene eines Organismus gewissermaßen an- und wieder abzuschalten.
Mit Hilfe des Antibiotikums Tetrazyklin können einzelne Gene ähnlich einem Lichtschalter an- und abgeschaltet, ja sogar – ähnlich einem Dimmer – stufenlos reguliert werden. Die dabei zu beobachtenden Veränderungen einzelner Zellen oder ganzer Organismen (Hefe, Pflanzen, Fruchtfliegen, Mäuse) erlauben Rückschlüsse auf das normale Verhalten der betreffenden Gene in natürlicher Umgebung.
Udo Baron ist es gelungen, zwei Schaltsysteme so umzugestalten, dass sie erstmals zusammen in einer einzigen Zelle einsetzbar sind. Dank seiner Leistung lassen sich nun auch zwei Genaktivitäten wechselseitig an- und ausschalten. Sein duales Regulationssystem erlaubt es insbesondere, zwischen drei Aktivitätszuständen eines Gens hin- und herzupendeln und die sich daraus entwickelnden Konsequenzen zu studieren: Es können zwei Formen eines Gens wechselseitig an- und abgeschaltet werden, doch es lässt sich auch der Zustand der Null-Mutation einstellen, in dem beide Formen des Gens inaktiv sind.
Dieses System erfülle – so sagt ein Fachmann – einen "Traum des Genetikers". Diesem Traum dürfen wir nachhängen sowohl in der erkenntnisorientierten als auch in der angewandten Forschung, bis hin zu denkbaren Einsätzen in der Gen- und Zelltherapie am Menschen.