Kurzberichte junger Forscher
Virtuelle Zahnimplantation
Mit einem neuen Software-System können Zahnärzte die optimale Lage von Zahnimplantaten dreidimensional am Bildschirm planen. Die künftige Anbindung dieser Software an intraoperative Navigationssysteme erlaubt es, die Planungen während der Operation präzise umzusetzen. Das Ergebnis einer Implantation wird dadurch besser abschätzbar und das Risiko für den Patienten reduziert. Entwickelt wurde das neue System von Stefan Haßfeld und Wolfram Stein von der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Heidelberg. Die Arbeit der beiden Wissenschaftler wurde kürzlich mit dem "Millerpreis" der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ausgezeichnet.
Zahnimplantate übernehmen nach dem Verlust der natürlichen Zähne die Funktion der Zahnwurzel für eine Einzelkrone, sie dienen als Pfeiler einer Brücke oder verbessern den Halt einer Prothese. Um eine Implantation zu planen, verwendete der Zahnarzt bislang das "Orthopantomogramm", eine zweidimensionale Panorama-Röntgenprojektion. Dieses Röntgenbild stellt keine räumlich korrekten Informationen zur Verfügung.
Für eine Implantation im Seitenbereich des Unterkiefers muss jedoch die genaue räumliche Lage der im Unterkiefer verlaufenden Nerven bekannt sein. Denn eine Schädigung der Nerven kann zu dauerhaften Taubheitsgefühlen in der Unterlippe und im Kinnbereich führen; ein Eindringen des Implantats in die Nasennebenhöhlen im Oberkiefer kann gefährliche Infektionen verursachen. Um solche Probleme zu vermeiden, werden für die Planung von Zahnimplantaten in schwierigen Fällen vermehrt Computertomogramme verwendet. Bisher werden die dabei gewonnenen dreidimensionalen Daten meist jedoch nur in zweidimensionalen Schichtbildern ausgewertet.
Das neue System bearbeitet die Daten der Computertomographie (CT) als dreidimensionalen Datensatz. Bisher erfolgte eine solche dreidimensionale Operationsplanung auf speziellen Grafik-Workstations und wurde auf Grund der damit verbundenen hohen Kosten nur bei ausgewählten klinischen Fragestellungen eingesetzt. Das neue "hybride Visualisierungsverfahren" verzichtet auf eine spezialisierte Grafik-Hardware. Es kann Volumenobjekte aus den CT-Daten eines Patienten – also die "3D-Anatomie" – und Oberflächenmodellierungen künstlicher Objekte – zum Beispiel Implantate oder das zahnärztliche Winkelstück (den "Bohrer") – schnell darstellen.
Die Gesamtszene wird in ein Hintergrundbild und einen dynamischen Vordergrund aufgespalten. Dies erlaubt bei einer sehr hohen Detailauflösung Wiederholraten von mehreren Bildern pro Sekunde und ermöglicht somit erstmals eine wirkliche interaktive dreidimensionale Planung. In der 3D-Darstellung kann der Zahnarzt in Echtzeit das Implantat frei bewegen und bekommt gleichzeitig zweidimensionale Schnittbilder durch die CT-Daten an der aktuellen Position des Implantates angezeigt. In der dreidimensionalen Darstellung der neuen Software positioniert der Zahnarzt virtuelle Implantate. Er kann die Qualität des Knochens und die Nähe zu gefährdeten Strukturen abschätzen und den optimalen Ort des Implantats auswählen.
Die diagnostische Nutzung computertomographischer Daten erlaubt es, den Mandibularkanal und die darin enthaltene Risikostruktur – den Nerven zur Gefühlswahrnehmung der Unterlippe – besser zu erkennen. Es ist allerdings sehr mühsam, die Lage des Mandibularkanals nur mit Hilfe der CT-Schichten manuell zu bestimmen, da der Kanal nur einen geringen Kontrast zur Umgebung besitzt. Es wurde deshalb ein neues Verfahren entwickelt, mit dem der Verlauf des Kanals automatisiert berechnet wird. Der Benutzer identifiziert in der 2D- oder 3D-Darstellung die sehr deutlich erkennbaren Ein- und Austrittsöffnungen des Nerven in den Mandibularkanal. Daraus berechnet der Computer den wahrscheinlichsten Verlauf des Kanals in Form eines "Leitdrahtes". Dieser dient zur Einführung eines "Ballons". Der Ballon wird gedehnt, bis das Innere des Kanals ausgefüllt und vollständig dargestellt ist.
In der dreidimensionalen Darstellung der neuen Software positioniert der Zahnarzt virtuelle Implantate |
Das System erlaubt die Ausgabe dreidimensionaler Planungsdaten, um individuelle Bohrschablonen mit Titanhülsen zur Führung des Bohrers herzustellen. Auch die Anbindung an intraoperative Navigationssysteme ist möglich. Hierbei wird jederzeit die genaue Lage des Winkelstücks in Bezug zum Kiefer des Patienten erfasst. Auf dem Bildschirm lässt sich dann in Echtzeit die Lage des Bohrers in den CT-Daten einspiegeln und erlaubt es so, während der Operation flexibel auf die aktuelle Situation einzugehen. Das neue System macht das Ergebnis einer Implantation nicht mehr allein von der Erfahrung und dem Geschick des Operateurs abhängig. Das mit einem implantologischen Eingriff verbundene Risiko für den Patienten wird reduziert, der Arzt wirkungsvoll unterstützt. Möglicherweise erlaubt es das System künftig, Implantate auch noch in Fällen zu setzen, bei denen es bisher wegen der Knochensituation und benachbarter Risikostrukturen nicht möglich war.
Als zukünftige Entwicklung soll die vollständige Planung der prothetischen Versorgung des Patienten miteinbezogen werden. Aus den CT-Daten ließe sich dann patientenspezifisch mit einer Art Baukastensystem eine virtuelle Krone, Brücke oder Prothese entwerfen und daraus die optimalen Positionen für die Zahnimplantate ableiten. Die Prototypen der Hard- und Software werden derzeit im Rahmen einer Existenzgründung aus der Hochschule einem breiten Anwenderkreis zugänglich gemacht. Eine Internetseite (www.med3D.de) erläutert das Projekt und informiert über den Fortgang.
Autoren:
Priv.-Doz. Dr. Dr. Stefan Haßfeld und Dr.-Ing. Wolfram Stein,
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,
Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg,
Telefon (0 62 21) 56 73 32, Fax (0 62 21) 56 35 94