Siegel der Universität Heidelberg
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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

"Der Doktorandenmarkt ist leergefegt", stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihren jüngst veröffentlichten Empfehlungen fest. DFG-Projekte könnten nicht rechtzeitig in Angriff genommen werden, urteilt die Präsidialarbeitsgruppe Nachwuchsförderung, langfristige Folgen für die Forschungslandschaft seien schon jetzt abzusehen. Abhilfe erhofft sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft von einem ganzen Maßnahmenbündel: So genannte Junior-Professuren sollen dem Nachwuchs früh zu Selbstständigkeit verhelfen und Habilitationen in ihrer Bedeutung relativiert werden (siehe auch Rubrik "Meinungen" auf Seite 41), um das Berufungsalter der Professoren zu senken. Außerdem soll ein direktes Antragsrecht für gerade Promovierte eingeführt werden, um den wissenschaftlichen Nachwuchs aus seiner Abhängigkeit von der Professorenschaft zu befreien.

Jede einzelne Maßnahme scheint zunächst ein Schritt in die richtige Richtung. In den Naturwissenschaften haben sich "Nachwuchsgruppen" schon seit einigen Jahren als wichtiges Instrument der Forschung herauskristallisiert – eine Vorreiterrolle spielte hier das Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg. An diese Erfahrungen anknüpfend sollte man Nachwuchsgruppen vermehrt einführen: nicht (wie wohl insgeheim von der Bundesministerin erhofft) als Ersatz für das bisherige Qualifikationsschema mit dem Ziel der Habilitation, sondern als Alternative dort, wo es der Entwicklung des Faches dient. Ein Blick auf die universitäre Realität zeigt: Es wird schon heute ohne Habilitation berufen, wenn die Bewerberlage und die Entwicklung des Faches dies verlangen. Nachwuchsgruppen werden eingerichtet, wenn die junge Generation mit eigenen Ideen zur Selbstständigkeit drängt. Und genau dort, wo sich besonders gute Leute treffen, werden bisweilen – allerdings zu Recht mit erheblichem Erklärungsbedarf – Hausberufungen vorgenommen, um hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler an der Universität zu halten. Ohne dass es "von oben" verordnet worden wäre, hat man sich den Erfordernissen der Forschung angepasst und Besitzstände zugunsten besserer Erfolgschancen und höheren internationalen Ansehens aufgegeben. Doch das Problem des fehlenden Nachwuchses hat man damit dennoch nicht lösen können. Selbst dort, wo es Nachwuchsgruppen gibt, fehlt es an Forschern. Warum?

Im Mittelpunkt des Problems steht der Ansehensverlust der Universität. Welcher Naturwissenschaftler sollte sich an einen Platz locken lassen, der mit viel Arbeit und wenig Geld verbunden auch noch schlecht beleumundet ist? Wer sollte sich ein lukratives Angebot aus der Wirtschaft entgehen lassen, wenn Wissenschaft und Forschung als elitär, unzeitgemäß und ineffizient kritisiert werden?

Die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland leistet sich nicht nur ein "gerüttelt Maß an Wissenschaftspessimismus", wie es im Papier der DFG heißt, sie leistet sich auch ein gehöriges Maß an Anti-Intellektualismus und Abscheu für alle, die sich nicht dem juste milieu zuordnen lassen. Die junge Generation hat daraus längst ihre Schlüsse gezogen – die ausländischen Wissenschaftler, die wir ins Land holen, merken dies spätestens am Schalter des Ausländeramtes. Wenn sich in diesem Punkt nichts ändert, wird wohl allen noch so gut gemeinten Maßnahmen der erwünschte Erfolg versagt bleiben.

Ihre
Susanne Weigelin-Schwiedrzik,
Prorektorin

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