Meinungen
"Eine wirkliche Katastrophe"
Jens Halfwassen zur Abschaffung der Habilitationsstipendien
Prof. Dr. Jens Halfwassen, Philosophisches Seminar |
Bundesbildungsministerin Bulmahn will die Habilitation abschaffen. Trotzdem ist die Habilitation mindestens in den Geisteswissenschaften einschließlich der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften unentbehrlich. Das gilt ganz besonders für die Forschung. In fast allen geistes-, sozial- und rechtswissenschaftlichen Disziplinen machen Habilitationsschriften einen großen Teil der innovativen und weiterführenden Standardwerke aus. Die Habilitation ist auch keineswegs eine deutsche Besonderheit. Sie ist vielmehr in Frankreich (Doctorat d' Etat), der Schweiz, Österreich und fast allen osteuropäischen Ländern der normale Weg zur Professur. Die gegenwärtigen Pläne zur Amerikanisierung der deutschen Hochschulpolitik übersehen, dass auch die guten angelsächsischen Universitäten ihre Dauerstellen (tenure) vom Vorliegen des "second book" abhängig machen. Außerdem muss daran erinnert werden, dass das Bundesverfassungsgericht als die Träger des Grundrechts der freien Forschung und Lehre die habilitierten Hochschullehrer definiert hat. Es wäre also ein arges Schelmenstück der Hochschulpolitik, wenn es ihr gelänge, mit der Habilitation die Freiheit von Forschung und Lehre gleich mit abzuschaffen. Wohin die Reise gehen soll, zeigt die neue Grundrechtscharta der Europäischen Union, in der die Freiheit der Lehre schon nicht mehr vorkommt.
Aus der wissenschaftlichen Unentbehrlichkeit und rechtlichen Unabschaffbarkeit der Habilitation folgt die Notwendigkeit, sie auch materiell zu ermöglichen. Bisher führten im Regelfall zwei Wege zur Habilitation: über eine Assistentenstelle oder über ein Habilitationsstipendium. Der zweite Weg ist umso wichtiger, als die Sparpolitik der vergangenen Jahrzehnte zu einem drastischen Abbau der für den Nachwuchs so wichtigen Mittelbaustellen geführt hat. In dieser Situation hat sich die Deutsche Forschungsmeinschaft (DFG) mit ihren Habilitationsstipendien unschätzbare Verdienste um die Sicherung eines hochqualifizierten Professorennachwuchses erworben. Ohne diese Stipendien wären viele "Orchideenfächer" an Nachwuchsmangel schon eingegangen. Meilensteine der Forschung, beispielsweise die Entzifferung der Maya-Schrift durch Nikolai Grube, wurden durch Habilitandenstipendien der DFG ermöglicht. Es gibt zwar auch außerhalb der DFG Habilitationsstipendien, doch sind diese ausgesprochen selten und meist auf ganz bestimmte Personengruppen eingeschränkt.
Es ist darum eine wirkliche Katastrophe, dass die DFG ihre Habilitationsförderung zum 1. November 2000 eingestellt hat. Dieser einschneidende Schritt erfolgte von einem Tag auf den anderen ohne jede Vorwarnung, ohne öffentliche Diskussion und ohne Anhören der Betroffenen. In vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Bundesregierung wurden vollendete Tatsachen geschaffen. Dass die DFG auch noch mitteilen lässt, man wünsche über diese Entscheidung keine weitere Diskussion, erinnert an die Praxis totalitärer Staaten.
Inzwischen liegen die Empfehlungen einer Präsidialarbeitsgruppe zur Neuordnung der Nachwuchsförderung durch die DFG vor (siehe auch "Editorial", Seite 1). Dort werden die Pläne der Bundesregierung zur Hochschulreform und zur Einführung der Juniorprofessur ausdrücklich begrüßt. Die Habilitation wird für das relativ hohe Alter deutscher Hochschullehrer bei ihrer Erstberufung hauptverantwortlich gemacht, was angesichts der durchschnittlichen Habilitationsdauer von vier bis sechs Jahren kaum überzeugen kann. Die vorgesehenen Maßnahmen sind ganz auf die Bedürfnisse der Naturwissenschaften – und hier vor allem der anwendungsorientierten Disziplinen – zugeschnitten, während man den Geisteswissenschaften offenbar an den Kragen will. Zu befürchten ist eine Umverteilung der Forschungsgelder im ganz großen Stil. Wie es um die Seriosität des unter Leitung von HU-Präsident Mlynek in schlechtem "Denglisch" abgefassten Papiers bestellt ist, mag man aus der Empfehlung ersehen, bei der Verleihung des Heinz-Maier-Leibnitz- und des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises künftig "gegebenenfalls auch Schüler" einzubeziehen.
"Es liegt mir daran, in Erinnerung zu rufen, dass die DFG eine Verantwortung für die Förderung der Wissenschaften in allen ihren Zweigen hat", erklärte jüngst DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker. Angesichts der geplanten stromlinienförmigen Ausrichtung der DFG auf die Bedürfnisse anwendungsorientierter Fächer ist diese Erinnerung leider bitter nötig. Als "Selbstverwaltungsorganisation der in Wissenschaft und Forschung Tätigen und Engagierten" (Winnacker) darf sich die DFG nicht zum Erfüllungsgehilfen der Politik machen.
Neuestens gibt es für Habilitanden übrigens wieder eine Perspektive. Nachwuchswissenschaftler können seit dem 29. Januar innerhalb von fünf Jahren nach der Promotion bei der DFG ihre eigene Stelle (BAT II a) für maximal drei Jahre beantragen. Sie können dann selbständig und ohne Zuordnung zu einem Hochschullehrer ihr eigenes Projekt verfolgen, sich also zum Beispiel auch habilitieren. Dies könnte eine Chance sein, die es zu nutzen lohnt. Abzuwarten bleibt freilich, wie großzügig sie den nicht anwendungsorientierten Fächern künftig gewährt werden wird.