Aus der Stiftung Universität Heidelberg
Die Wissenschaft muss sich immer wieder fragen lassen, welchen Beitrag jeder einzelne Forscher in seiner Erkenntnis- und Publikationsverantwortlichkeit für das Leben der Menschen geleistet und wie er den geistigen Dialog unter Menschen inspirierend und weiterführend angeregt und gefördert hat. Die fünf Preisträger des Ruprecht-Karls-Preises 2001 können schon als junge Wissenschaftler für sich in Anspruch nehmen, eine wesentliche Erkenntnis gewonnen zu haben. Darüber hinaus ist es ihnen gelungen, mit ihren Publikationen einen Wissenschaftsdialog von erstaunlicher Breite zu entfalten. Die historische Arbeit von Dr. Werner Riess war für ein Mitglied unserer Jury – einen Naturwissenschaftler – sogar so anregend, dass er sie als Urlaubslektüre mit in die Ferien genommen hat.
Werner Riess ist Althistoriker. Mit seiner Dissertation "Apuleius und die Räuber. Ein Beitrag zur historischen Kriminalitätsforschung" legt er eine Studie über das historische Phänomen des Räuberwesens im Römischen Reich vor. Er konfrontiert das Werk des Apuleius mit anderen antiken Quellen zum Räuberwesen, darunter mit den Papyri aus Ägypten, und vergewissert sich sodann mit besonderem theoretischen Anspruch, inwieweit die literarische Fiktion als historische Quelle herangezogen werden darf. Ein besonderes Verdienst der Arbeit liegt in dem Ansatz, die antiken Geschehnisse und Quellen in der Perspektive der Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse der modernen Sozialwissenschaften zu würdigen und auszuwerten. Im Ergebnis zeigt Dr. Riess, dass der Raub in der römischen Welt ein viel häufigeres Phänomen war als bisher angenommen, dass aber diese Form der Kriminalität die politische und soziale Ordnung Roms niemals gefährden konnte.
Eine Form des geistigen Raubes von Autorität behandelt Dr. Annette Merz mit ihrer Arbeit "Der intertextuelle und historische Ort der Pastoralbriefe" über den historischen und literarischen Ort der Pastoralbriefe zwischen den Paulusbriefen und den apostolischen Vätern, Ignatius von Antiochien und Polykarp von Smyrna. Die Pastoralbriefe stützen sich auf die Paulusbriefe und wollen an deren Autorität teilhaben, suchen aber das Verständnis der Paulustexte in wichtigen Fragen des christlichen Lebens – besonders seine Haltung zur Sklaven- und Frauenrolle in der Gemeinde – nachhaltig zu verändern. Wir staunen heute, wofür Paulus jeweils in Anspruch genommen wurde: Mag der topos "Tugend statt Tünche", wonach Frauen sich durch "gute Werke", nicht durch äußeren Schmuck zieren sollen, vielleicht heute wieder auf ein neues Verständnis stoßen, halten wir doch überrascht inne, wenn den Frauen als ein solches "gutes Werk" empfohlen wird, schweigend den Belehrungen der Männer zu folgen, deswegen nicht selbst zu lehren und Verantwortung in der Gemeinde in leitender Stellung zu übernehmen. Annette Merz macht mit ihrer Arbeit bewusst, dass Sprache Kleid oder Verkleidung eines Gedankens sein kann, vor allem aber auch, dass kein Text gegen umdeutende und verfälschende Interpretationen gefeit ist.
Dr. Bernd Straub ist es mit seiner Arbeit über "Towards Unravelling the Mechanism of Copper-Catalyzed Cyclopropanation" durch eine Kombination von theoretischen Berechnungen, ausgefeilter chemischer Experimentierkunst und physikalischen Messverfahren erstmals gelungen, die Existenz und die Struktur einer bestimmten Sorte von Katalysatormolekülen, der so genannten Kupfer-Carbene, zu enthüllen. Katalysatormoleküle sind Synthesemechanismen, die es erlauben, Bindungen zwischen Atomen rasch und gezielt zu knüpfen oder zu lösen. Der Chemiker kann damit Kohlenstoff-Dreiringe ökonomisch und ökologisch verbessert herstellen, denen für Wirkstoffe des Pflanzenschutzes und der Medizin wichtige Bedeutung zukommt. Mit dieser Erkenntnis eröffnen sich naheliegende Forschungsperspektiven auch für verwandte Systeme. Die Fachgutachter haben darauf verwiesen, dass die Erkenntnisse von Dr. Straub verallgemeinerungsfähig sind und deshalb Impulse und Anregungen für viele benachbarte Forschungsvorhaben bieten können.
Dr. Andrei Rozov geht mit seiner Dissertation über "Polyamine-dependent facilitation of currents through Ca2+-permeable AMPAR channels: a novel postsynaptic mechanism for short-term plasticity" als Hirnforscher der Frage nach, wie Signale zwischen Nervenzellen übertragen werden. Jede Nervenzelle besitzt an ihrer Oberfläche Glutamatrezeptoren, also Kanäle, die sich öffnen und eine Erregung in der Zelle auslösen, wenn an spezialisierten Verschaltungen – den Synapsen – Glutamat von einer vorgeschalteten Nervenzelle freigesetzt wird. Dabei haben erregende und hemmende Nervenzellen Kanäle, die durch Glutamat gesteuert werden. Die synaptischen Ströme an erregenden und hemmenden Nervenzellen unterscheiden sich jedoch. Dr. Rozov hat nun einen Mechanismus zur Steigerung der synaptischen Effizienz aufgezeigt, der durch die besonderen Kanaleigenschaften der Glutamatrezeptoren in der nachgeschalteten Nervenzelle erklärt werden kann. Er identifiziert damit einen neuen Mechanismus des Lernens und leistet einen Grundsatzbeitrag für die molekularen Mechanismen für Lernen und Gedächtnis.
Dr. Richard Fitzenberger widmet sich in seiner Arbeit "Investigation of the Stratospheric Inorganic Bromine Budget for 1996-2000: Balloon-Borne Measurements and Model Comparisons" der Gefährdung der stratosphärischen Ozonschicht, die uns vor gefährlichen Ultraviolettstrahlungen schützt und die gegenwärtig insbesondere durch chlorierte Kohlenwasserstoffe gefährdet wird. Das Phänomen des Ozonlochs ist als Problem heute allgemein bewusst. Man hat inzwischen erreicht, dass der Gehalt an Chlor in der Stratosphäre in den letzten Jahren leicht zurückgegangen ist. Ein weiteres Halogen, das Brom, ist in weit geringerer Konzentration – nur etwa zwei Prozent des Chlorgehalts – vorhanden, trägt aber trotzdem 30 Prozent zur Zerstörung des Ozons in der Stratosphäre bei. Dieses Brom in der Atmosphäre hat Dr. Fitzenberger näher erforscht. Er untersucht dabei die Absorption von Sonnenlicht bestimmter Wellenlänge auf seinem Weg durch die Atmosphäre. Aus der Stärke der Absorption und deren Abhängigkeit von der Wellenlänge schließt er auf die Konzentration bestimmter Moleküle, also der Bromverbindungen. Bei den auf neuen Verfahren und Instrumenten gestützten Arbeiten (siehe "Kurzberichte junger Forscher" auf Seite 42) ist die Erkenntnis gewonnen worden, dass das stratosphärische Brom – im Gegensatz zum Chlor – immer noch ansteigt und dass Bromoxid in der Troposphäre, dem unteren Bereich der Atmosphäre, nachweisbar ist. Die erkenntnistheoretische wie praktische Bedeutung dieser Arbeit für die Minderung von Ozonloch und Treibhauseffekt ist offensichtlich.