Ein Hauch von „global village“
Planspiele für Nachwuchsdiplomaten: Seit 1999 nehmen Heidelberger Studierende an den UNO-Modellkonferenzen teil
Die Vereinten Nationen tagen. Ein viel diskutiertes Thema – der Atomwaffensperrvertrag – steht auf dem Programm. Unter den Abgeordneten sitzt die schwedische Delegierte Karen Irle. Gemeinsam mit Vertretern anderer neutraler Staaten plädiert sie für um- fassendere Rüstungskontrollen. Wenn sie das Wort ergreift, hat Höflichkeit oberste Priorität: „Distinguished Chair, Honorable Delegates“ – „sehr geehrter Herr Vorsitzender, ehrenwerte Abgeordnete“. So leiten alle ihren Redebeitrag ein.
Die Heidelberger Delegation bei der letzten MUN-Konferenz 2004 in Sharm El-Sheikh (Ägypten). Foto : privat |
Die Regeln sind streng, auch wenn alles nur ein Spiel ist und dies nur die Generalprobe: Karen Irle ist in Wirklichkeit weder Schwedin noch UNO-Abgeordnete. Die 19-Jährige studiert an der Universität Heidelberg Jura und bereitet sich gemeinsam mit 20 Mitstreitern auf zwei UNO-Modellkonferenzen vor, bei denen Studierende aus aller Welt die Arbeit der Vereinten Nationen authentisch simulieren. Seit 1999 ist eine Heidelberger Delegation bei der World Model United Nations Conference (World MUN) mit von der Partie, die vor 14 Jahren von Studenten der renommierten Harvard-Universität ins Leben gerufen wurde und 2005 im schottischen Edinburgh stattfindet. In diesem Jahr nehmen Heidelberger Studierende erstmals auch an einer weiteren Veranstaltung teil, der National MUN, die in New York City und zum Teil in den Gebäuden der „echten“ UNO abgehalten wird. Beide Konferenzen sind von den Vereinten Nationen als offizielle Planspiele anerkannt und stehen unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs.
Jede Delegation vertritt ein ihr zugewiesenes Land, dessen Interessen die Abgeordneten in verschiedenen Komitees möglichst authentisch repräsentieren und durchsetzen müssen. Seit Oktober vergangenen Jahres trifft sich die Heidelberger Delegation einmal monatlich, um sich auf die Konferenzen vorzubereiten. Teilnehmen dürfen Studierende aller Fakultäten – fließendes Englisch und ausreichende Kenntnisse über das politische Weltgeschehen werden freilich vorausgesetzt. Zunächst gilt es, die „Spielregeln“ einzustudieren: Wie laufen die Debatten ab und wie schafft man es, sich unter den vielen „native speakers“ Gehör zu verschaffen? In den Komitees beschäftigen sich die Delegierten mit aktuellen politischen Themen – in diesem Jahr werden das unter vielen anderen die Darfour-Krise und der Wiederaufbau in Irak sein.
Die Heidelberger Studierenden schlüpfen 2005 in die Rollen der Volksrepu-blik China (World MUN) und Slowenien (National MUN). Ein einflussreiches Mitglied im Sicherheitsrat wie China zu repräsentieren, ist für sie ein großer Erfolg. „Wir können die hohe internationale Bedeutung Chinas ausspielen“, erklärt der diesjährige Betreuer und Organisator Lutz Mager stolz. Aber die Abgeordneten werden sich auch mit Vorwürfen auseinandersetzen müssen, vor allem was die Missachtung von Menschenrechten angeht. „Man darf sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen und muss sich verteidigen, wenn man angegriffen wird.“ Dass die persönliche politische Einstellung dabei keine Rolle spielen darf, versteht sich von selbst. Die Welt einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen, ist eine der spannendsten Erfahrungen der Planspiele.
Für Karen Irle ist die Teilnahme an MUN eine Premiere. „Die Vereinten Nationen haben mich schon immer fasziniert“, erklärt die Studentin, die auch später beruflich gerne in einer internationalen Organisation arbeiten würde und durch ihre Teilnahme einen Einblick in die Arbeitsweise der Vereinten Nationen gewinnen möchte. Schließlich kann man für die Zukunft so einiges lernen, zum Beispiel wichtige Fähigkeiten wie Teamwork, Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsvermögen.
Dass die Heidelberger Studierenden sich auf dem internationalen Parkett zu behaupten wissen, zeigen zahlreiche Preise und Auszeichnungen, die an Delegierte für ihre Leistungen in den Komitees vergeben wurden. Vor zwei Jahren wurde die Heidelberger Initiative sogar mit der Organisation und Ausrichtung der World MUN am Neckar betraut, an der über 900 Studenten aus 67 Nationen teilnahmen.
Der Austausch mit Studierenden aus aller Welt ist es auch, was Lutz Mager, der nun schon zum vierten Mal bei MUN dabei ist, am meisten fasziniert. Ein kulturelles Rahmenprogramm bietet den Teilnehmern die Möglichkeit, auch außerhalb der offiziellen Sitzungen Kontakte zu knüpfen. „Man wird sehr schnell mitgerissen“, beschreibt der 28-jährige Rechtsreferendar die beeindruckende Stimmung in und außerhalb der Konferenz: ein Hauch von „global village“ – und Olympiade.
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